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Für Suchende auf dem Pfad

Buchbesprechung 

Zur modernen theosophischen Literatur gehören eine Anzahl von Büchern, die der Prüfung der Zeit und der Menschen standgehalten haben. Sie sind nicht nur deshalb ausgezeichnet, weil sie jahrzehntelang erschienen sind, sondern auch deshalb, weil sie eine unerklärliche, doch tief spürbare spirituelle Kraft enthalten. Sie zeigen einen Weg und deuten auf ein leuchtendes, vor uns liegendes Ziel hin; oder vielleicht etwas bescheidener ausgedrückt, sie helfen uns, wichtige Fragen zu klären und bieten brauchbare Lösungen an. Sie geben dem anscheinend Sinnlosen einen Sinn, und klären Verworrenes. In jedem Fall geben uns die Gedanken, die in diesen Schriften zum Ausdruck gebracht werden, Hinweise auf ein höheres und besseres Dasein. Wir spüren ihre große Anziehungskraft, die uns zwingt, mitleidsvoller zu lieben, sorgfältiger zu denken und entschlossener zu handeln. Es sind Bücher, die uns großzügiger, edler und herzlicher machen. Sie regen uns an, noch tiefere Antworten auf die grundlegenden Fragen zu suchen, und die Welt, in der wir leben, universeller zu betrachten. 

Die Hauptwerke von H. P. Blavatsky fallen zweifellos unter diese Kategorie. Sie sind von mehreren Generationen Studierender gelesen worden, und die Gedanken, die darin ausgedrückt sind, haben auf das Gedankenleben der Menschheit bedeutungsvoll eingewirkt. Es könnten viele andere Schriften genannt werden; aber eine soll hier besonders hervorgehoben werden, weil sie sich vor allem mit den Hauptmerkmalen, den Wegweisern und mit dem praktischen Leben auf dem spirituellen Pfad befaßt. 

Letters That Have Helped Me1 (Briefe, die mir geholfen haben) wurden, seitdem sie im Jahre 1891 in Buchform erschienen sind, fortlaufend gedruckt. Sie sind für viele Leser all die Jahre hindurch der beständige Begleiter gewesen, und manche, die schon lange Zeit Schüler der Theosophie sind, betrachten diese Briefe als eines der bedeutendsten Bücher der Literatur. Die Anziehungskraft dieses Buches wurde von einem Leser kürzlich folgendermaßen beschrieben: Es ist ganz anders als die Bücher, die verfaßt wurden, um die technischen Lehren der Theosophie zu erklären, es enthält eine "unmittelbare Antwort auf das, was ein Mensch braucht." Die Philosophie ist da, gewiß, aber sie ist unauffällig in die Erläuterungen des Schreibers über die spirituellen und ethischen Werte eingebettet. Es ist ein Buch für Suchende. 

bild sunrise 21983 s100 1Die Briefe wurden von William Q. Judge (1851-1896), der mit H. P. Blavatsky und Henry S. Olcott die Gesellschaft gegründet hatte, in den Anfangsjahren der Theosophischen Gesellschaft geschrieben. Wie heute, so war es auch damals eine Zeit, in der großes Interesse an Religion und Mystizismus bestand. Es gab jedoch nur wenige theosophische Bücher, die das wachsende Bedürfnis hätten befriedigen können. Durch die Theosophie hatten viele Menschen von der alten Weisheitsreligion erfahren, von der die meisten Religionen der Welt stammten, und auch von der Bruderschaft der Adepten, die diese Überlieferung durch die Zeiten der Dunkelheit hindurch behüten und sie wieder öffentlich darbieten, wenn günstigere Bedingungen ihr Erscheinen hervorrufen. Hunderte von Fragen über die Art des spirituellen Lebens, über die Adepten und ihre Beziehung zur Menschheit und ähnliche Themen wurden Judge, der damals die Arbeit in Amerika leitete, zugesandt. 

Vor allem, weil ein Bedarf an Literatur bestand, die sich mit diesen Fragen beschäftigte, wurde zwischen 1888 und 1890 eine Anzahl von Judges Antworten in der Zeitschrift The Path unter demselben Titel wie das Buch veröffentlicht. Diese Briefe, die in Band I zusammengefaßt sind, wurden hauptsächlich an den Kompilator "Jasper Niemand" (Julia Campbell Ver Planck) gerichtet, die auch viele hilfreiche Anmerkungen hinzufügte. Band II, der 1905 posthum veröffentlicht wurde, enthält Briefe und Auszüge von Briefen, die Judge an Korrespondenten in vielen Teilen der Welt gesandt hatte, sowie einen kurzen biographischen Abriß über Judge. 

Obwohl William Q. Judge diese Briefe vor fast einem Jahrhundert geschrieben hat, gilt Jasper Niemands Feststellung, daß "die Erfahrung eines Schülers im großen und ganzen die Erfahrung aller ist", noch immer. Die Briefe hätten auch in Hinblick auf die heutigen Probleme geschrieben sein können. Judge stützt sich nicht auf Annahmen, er gibt nur die Früchte seiner eigenen Erfahrung und die Lehren seiner Ratgeber weiter. Obwohl die Briefe seiner Partner fehlen, ist es nicht schwierig, sich ihren Inhalt vorzustellen. Wir können die Vitalität der Dialoge in den klaren Antworten, die aus Judge herausgeholt wurden, spüren. Obwohl er nicht beabsichtigte, einen Führer oder eine Reihe von Abhandlungen über den spirituellen Weg zu schreiben, enthält das Buch eine progressive Entwicklung von Ideen. Man kann das Buch aber auch auf jeder beliebigen Seite aufschlagen und versteht dennoch, was man liest. Beides bringt uns in die erhebende Atmosphäre von Judges Gedanken: 

Denke bitte nicht zu viel an mich. Denke freundlich an mich, aber ... richte Deine Gedanken auf die ewige Wahrheit. Ich bin wie Du ein Kämpfer auf der Heerstraße. Vielleicht fällt im nächsten Augenblick ein Schleier von Deinem Geist, und Du würdest uns allen weit voraus sein. Der Grund warum Du Hilfe erhalten hast, liegt darin, daß Du in früheren Leben anderen Hilfe leistetest. Durch jede Bemühung, die Du machtest, eines anderen Gemüt zu erleuchten und es der Wahrheit zu öffnen, wurde Dir selbst geholfen. Jene Perlen, die Du für einen anderen fandest und ihm gabst, blieben in Wirklichkeit durch die Tat der Nächstenliebe Dein Eigen, denn wenn jemand lebt, um anderen zu helfen, so setzt er damit die Regel in die Tat um, "jegliches Gefühl des Sonderseins zu ertöten", und so gelangt er mit kleinen Schritten in den Besitz des wahren Lichtes. 

Verliere daher niemals diese Geisteshaltung. Halte stillschweigend an allem fest, was Dein Eigen ist, denn Du wirst es im Kampfe brauchen; aber begehre nie, niemals Wissen oder Macht für einen anderen Zweck zu erlangen, als diese auf den Altar zu legen, denn nur so kann Heil für Dich daraus erwachsen. 

- I, 1. Brief 

Aber wie, so könnten wir fragen, können wir einem anderen helfen, ohne daß wir in sein Recht und sein Verlangen auf Selbstentfaltung eingreifen? Sind wir in der Lage, die inneren Bedürfnisse eines anderen Menschen richtig zu beurteilen? Und wenn nicht, wie sind wir dann in der Lage, zu helfen ohne zu hindern? Hinweise und persönliche Ratschläge sind reichlich vorhanden, und Judges Bemerkungen sind durchwegs auf einem Grundmotiv aufgebaut: universelle Bruderschaft. Für ihn ist das Bestreben, mit dem sich entwickelnden Muster der Natur in Einklang zu kommen und seine Pflicht zu erfüllen, das Sesam-öffne-dich zur höheren Intelligenz und Intuition. Einfacher ausgedrückt, wenn wir universeller im Verstehen, im Mitgefühl, im Urteil und in der Liebe sein wollen, dann müssen wir danach streben, auf die ganze Welt ausgerichtet zu sein, anstatt nur auf uns selbst orientiert zu sein. 

Die Fragen nach der spirituellen Schulung und Ausbildung kamen den Fragestellern zur Zeit Judges natürlich ebenso in den Sinn wie dem heutigen Leser: Wie wird man ein Chela (wenn das wünschenswert sein sollte)? Welche besonderen Übungen müßten durchgeführt werden? Sollte man mit Meditation beginnen oder Yoga ausüben? Was sind die möglichen Folgen, wenn man mit dieser oder jener Methode der Selbstvervollkommnung anfängt? Das sind zeitlose Fragen, denn sie werden in jedem Zeitalter von den Neophyten gestellt. Erleuchtung wird offensichtlich nicht leicht erlangt. Schon die Absicht, "nach oben" zu gehen, ruft sofort die "nach unten" gerichtete Opposition hervor, und sowohl die Beweggründe als auch die Stärke jedes Wanderers werden fortlaufend durch das Leben erprobt. Sämtliche Schwierigkeiten, große und kleine, sind für das Wachstum notwendig und helfen dem Schüler, die positiven und die negativen Elemente in sich selbst und in der Natur zu erkennen. Es ist ein stärkender und verwandelnder Prozeß, in dem Dunkelheit und Licht abwechseln, aber stets führt seine Richtung nach vorwärts: 

Ich würde nie die geringste Furcht oder Verzweiflung mich überkommen lassen, aber könnte ich vor lauter Nebel weder den Weg noch das Ziel erkennen, dann würde ich mich einfach hinsetzen und warten. Nie sollte der Nebel mir den Gedanken einflößen dürfen, es sei gar kein Pfad mehr da, und ich könne nicht weiterschreiten. Die Nebel müssen sich heben. 

Welches Allheilmittel gibt es denn, welchen königlichen Talisman? Es ist die PFLICHT, die Selbstlosigkeit. Der Pflicht unbeirrt zu folgen, ist der höchste Yoga und ist besser als Mantrams oder irgendeine Körperstellung oder sonst etwas. Wenn Du nichts anderes tun kannst als die Pflicht erfüllen, wird sie Dich zum Ziel führen. 

- II, 1. Brief 

In bestimmten Augenblicken fühlen wir mit Judge die "dunkle Nacht der Seele" des Mystikers, die von Zeit zu Zeit jeden Wanderer auf dem Pfad befällt. Es gibt in unserer Zeit harte und unangenehme Umstände - ein Karma, das zu uns gehört, seit wir mitgeholfen haben, es zu schaffen. Viele Menschen glauben, daß das spirituelle Leben von uns verlangt, abgesondert von der Welt zu leben, weil der Geist der Gegenpol der Materie ist; deshalb suchen sie Zuflucht in der Isolation. Für Judge ist das Unsinn, Vergeudung einer wertvollen Gabe, denn unser Karma, so meint er, hat uns in jene Umstände gebracht, die den Bedürfnissen der Menschheit und unseren eigenen genau entsprechen. Nur hier können wir beiden am besten dienen. Das ist ein typisches Beispiel für Judges außerordentlichen Optimismus, auch wenn er durch Mißverständnis, Undank oder reine Widersetzlichkeit ermüdet war. Ganz gleich, wie verzweifelt die Dinge manchmal auch scheinen mögen, er sieht in ihnen goldene Gelegenheiten, um zu lernen. 

Es ist das Licht, das das menschliche Herz, das Herz jedes lebenden Wesens ewig sucht. Einige von jenen, die bereits auf dem Wege zum Licht gewandert sind, haben ihre Erfahrungen, zumindest teilweise mitgeteilt, in der Hoffnung, daß sie hilfreich sein könnten. Es ist verständlich, wenn viele meinen, daß der Titel: Briefe, die mir geholfen haben, zu Recht gewählt wurde.

Fußnoten

1. Gesammelt von Jasper Niemand, zwei Bände in einem. Theosophical University Press, Pasadena, California, 1981; 214 Seiten, gebunden $ 8.50, jetzt auch kartoniert $ 5.00. [back]