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Die Quellen des William Blake

Kathleen Raines Buch Blake and Antiquity1 (Blake und das Altertum) ist das Buch einer Anhängerin für seine Verehrer, deren es eine Menge gibt, darunter auch bildende Künstler oder Schriftsteller. Wer mit diesem rebellischen Seher nicht irgendwie verwandtschaftlich empfinden würde, müßte völlig ohne Gefühl sein. Er war erbost über seine Zeit, befreite sich jedoch aus seiner Empörung, indem er Schönheit gestaltete. Hinter dem Liebreiz seiner Zeichnungen und dem lyrischen Zauber seiner Verse verbergen sich tiefe Weiten mit tiefer Bedeutung. Er schöpfte aus dem Reservoir, das seine Zeit nicht verstehen konnte. Kathleen Raine zeigt, daß wir erst jetzt anfangen zu begreifen, auf welche Weise er zu der piërischen Quelle kam.

Blake hatte vielerlei Kenntnisse. Er war Platoniker und Neuplatoniker, Alchemist und Anhänger von Paracelsus. Er kannte die hermetische Literatur und hatte Swedenborg gelesen. Er war so vielseitig, daß man einfach sagen sollte, er war die Synthese von allen in der Gestalt eines Künstlers. Sein ganzes Leben lang machte er Gedichte, die so einmalig in ihrer Form und so zauberhaft waren, daß die Liebe zu William Blake schon in der Kindheit beginnen und bis ans Lebensende andauern kann, wobei das Verständnis für seine Werke immer mehr zunimmt.

Warum wird man ein Blake-Verehrer? Die Schönheit des Wortklanges und der Anblick seiner Arbeiten genügen nicht, um es zu erklären. Kinder können von seinen Versen gefangengenommen werden, aber das ist nur der Anfang. Seine Gedichte haben etwas Schmelzendes. Es ist schon lange her, da haben wir auf einer Wiese einen dickbauchigen Enzian gesehen, der so voller Leben war, daß die zarten Blätter seines Blütenkelches vor nicht zu unterdrückender Erregung zu zittern schienen. Es stellte sich heraus, daß eine große Hummel hineingekrochen war und nicht mehr heraus konnte! Blake fand jedoch seinen Weg nach außen in jenen Gesängen, die Jahrhundert um Jahrhundert weiterklingen werden.

Warum sehen und empfinden wir jedesmal mehr, wenn wir etwas von Blake lesen? Kathleen Raine versucht eine Antwort auf diese Frage zu geben. In ihrer Einleitung spricht sie von der Zeit, in der Blake für seine Anhänger das große "Original" war, ein Künstler, der nichts von Tradition hielt. Durch ihre Studien stellte sie fest, daß Blake sich eingehend mit den alten Überlieferungen beschäftigt hatte. Er war ein unersättlicher Leser der Klassiker, und eine Zeitlang war er eng mit Thomas Taylor befreundet, der Plato und Plotin als erster ins Englische übersetzt hatte. Für Kathleen Raine war Blake ein Herold des achtzehnten Jahrhunderts, der einen Wechsel im Denken ankündigte, dessen Früchte erst jetzt reifen:

Blakes größter Schüler ... W. B. Yeats, der das Ende eines Zyklus und das Kommen des "struppigen Tieres" - der ungehobelten Masse - ankündigte, folgte nur Blake. "Der Aufstand der Seele gegen den Intellekt, der heute in der Welt stattfindet", wurde durch Yeats angekündigt und führt jetzt zurück zu den Erkenntnissen, die bisher unbeachtet geblieben waren - zu Neuplatonismus, Alchemie, Astrologie, zur Kabbala - und neuerdings auch zu den Studien der indischen Metaphysik, der vergleichenden Mythologie, zur Erforschung des Seelenlebens und der Psychologie des Unbewußten. Bei allen diesen und anderen verwandten Gebieten des Wissens, die einst nach und nach aufgegeben worden waren, erkennt man jetzt, daß sie zur Erforschung und zum Verständnis dessen gehören, was wir "Wirklichkeit" nennen wollen.

Der Stoff, den dieses Buch in gekürzter Fassung bringt, wurde zuerst vor einigen Jahren in zwei Bänden veröffentlicht mit dem Titel Blake and Tradition2. Heute sieht der Verfasser, daß der moderne Denker für die Ideen Blakes, der ein begeisterter Platoniker war, viel aufgeschlossener ist:

Was ich damals - in Einzelheiten mit viel Mühe zusammengetragen - darstellen wollte, wird jetzt in verstärktem Maße anerkannt. Auch Thomas Taylor kann man nicht mehr übergehen. Man weiß jetzt, daß Blake und Taylor zumindest eine Zeitlang in engen freundschaftlichen Beziehungen standen. Die wissenschaftliche Forschung ist dem allgemeinen Verständnis zu Hilfe gekommen, und James King hat uns aus den Meredith-Schriften ein lebendiges Bild von den beiden Weisen übermittelt: den Platoniker, der, was typisch für ihn ist, Blake Schritt für Schritt einen euklidischen Lehrsatz nachweist, und unseren Visionär, der ausruft: "Ach, was soll das, was nützt es, wenn man es beweisen will. Warum, ich sehe klar vor mir, daß es so ist, und brauche keinen Beweis, es einleuchtender zu machen."

Miss Raine überlegt, ob dieser Geist Blakes, der jetzt in manchen Blake-Verehrern neu belebt wurde, alle diese Einzelheiten überflüssig macht, die sie zusammenträgt, um zu zeigen, wie Blake die neuplatonische Überlieferung übernahm. Dann sagt sie:

Trotzdem hoffe ich, daß ich durch einige der "kleineren Einzelheiten", die zu entdecken mir so viel Freude bereitete, etwas von diesem Entzücken an eine jüngere Generation von Blake-Freunden weitergeben kann. Natürlich sind die Einzelheiten, die aus dem Reichtum des Quellenmaterials in einem solchen Buch dargestellt werden, nur die Spitze eines untergegangenen Kontinents des Wissens - eines Landes, mit dem Blake vertraut war -, und ich kann von meinen eigenen Forschungen nur berichten, daß dieses verlorene Atlantis ein Land der Schätze und Wunder ist. Blakes "goldener Faden" führt nicht nur durch sein eigenes Labyrinth, sondern ist die Spur, die viel weiter führt. Der Neuplatonismus mit seiner Mythologie und mit seinen Symbolen ist in der Tat die besondere europäische Ausdrucksweise (wie Coomaraswamy sagen würde) einer universalen und einmütigen Überlieferung. Jene Quellen, aus denen Blake sein Wissen bezog - und in unserem Jahrhundert Jung, Yeats und eine immer größer werdende Zahl ihrer Anhänger -, lernen aus der Imagination. Es sieht so aus, als ob das Wissen, das in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten ausgeschlossen war, die heilige Schrift eines neuen Zeitalters werden sollte, für das der Geist, nicht die Materie, wieder die unmittelbare Realität ist.

Doch trotz aller begeisternden Überzeugung von Miss Raine scheint Blake in einer Hinsicht auch ein echtes "Original" gewesen zu sein - ein Mann, dessen Geist eine Aufzeichnung von bedeutungsvollen eigenen Entdeckungen war, die in Übereinstimmung mit platonischen und anderen philosophischen Überlieferungen standen. Diese bestätigten im wesentlichen sein Denken. Es taucht immer die Frage auf: Waren es seine eigenen Gedanken oder hatte er es irgendwo gelesen? Bei den meisten Werken, die des Lesens wert sind, muß die Antwort lauten: Beides! Es muß für Blake außerordentlich aufregend gewesen sein, seine eigenen Anschauungen in den Vorstellungen ausgedrückt zu finden, die vor zweitausend Jahren von Philosophen und Mystikern geprägt wurden. Er wurde von diesen Vorstellungen bereichert, aber er war der geniale Mensch.

bild_sunrise_21981_s122_1So ist Blake ein bezeichnendes Beispiel für das, was wir in kleinerem Maße oft selbst erleben. Wir tragen mit uns ganze Büchereien halbformulierter Fragen und ungeborener Intuitionen herum - Empfindungen von den verborgenen Symmetrien in der Welt und dem Rhythmus des Lebens -, und dann finden wir einen alten Dichter oder Denker, der von diesen Dingen schreibt! Wenn nun die "universale und einmütige Überlieferung" besteht, von der Coomaraswamy spricht, die in der Literatur über Jahrhunderte hinweg nicht abreißt und eine Spur wundervoller Hinweise hinterläßt, die sowohl aus spontaner Eingebung, als auch von der Weitergabe in Büchern stammt; wenn das in der Mathematik vorkommen kann - Newton und Leibniz formulierten unabhängig voneinander ungefähr zur gleichen Zeit die Prinzipien der Infinitesimalrechnung -, warum sollte das nicht auch in der Philosophie vorkommen?

Das Empfinden für diese Symmetrien bekommen wir, aber es muß dem Verständnis der jeweiligen Zeit angepaßt werden. Eine Inspiration, die den neuplatonischen Gedankenflügen entspricht, hatten sicherlich die deutschen Transzendentalisten, wie z. B. Lessing und einige andere. Etwa ein Jahrhundert später brachte Schopenhauer wieder die Wahrheiten der Upanishaden - allerdings etwas abgeschwächt -, und auch heute kommen großartige Gedanken aus der alten Zeit in einer neuen Sprache wieder. Wenn das, was durch einzelne Kanäle zum Ausdruck kommt, Allgemeingesetz des Denkens wird, dann muß die gesamte Kulturgeschichte eines Tages im Sinne dieser Kreisläufe des Wiedererwachens neu gefaßt werden.

Inzwischen verdient der Leser wenigstens ein bezeichnendes Beispiel von Kathleen Raines Ausführungen. An einer Stelle sagt sie:

Blake kam immer wieder zurück auf die Frage des Bösen in den symbolischen Ausdrücken eines "Abstieges" der Seele aus einer Welt des spirituellen Lichtes in eine Welt der materiellen Dunkelheit; aber hinter der Geschichte der Seele steht das kosmische Problem vom Ursprung und der Schöpfung der Welt. Der anfängliche "Abstieg" des Lichtes oder Geistes in die Materie oder Dunkelheit ist in vielen Sagen ausgedrückt worden: Die Zerstückelung des Osiris, und wie sein Körper über die Erde verstreut wurde; das Zerreißen des Dionysos; der deus absconditus, oder der verborgene Gott der Alchemie, der zum Gefangenen der Materie wurde. Wie die individuelle Seele ihren Kreislauf des Abstiegs und der Rückkehr hat, so haben ihn auch diese symbolischen Gestalten der göttlichen Macht im Kosmos.

Blake, der Paracelsus für so groß hielt wie Shakespeare, kannte die alchemistische Überlieferung. Das seltsame Gedicht "The Crystal Cabinet" (Das Gehäuse aus Kristall) scheint die alchemistische Lehre von der Gefangenschaft des Lichtes im Stoff zusammenzufassen. Sogar der Titel ist alchemistisch: das "Gehäuse" ist ein Ausdruck, der von Thomas Vaughan (Eugenius Philalethes), dem Bruder des Dichters Henry Vaughan, für den physischen Körper, in dem der Geist wohnt, gebraucht wurde. In seinem Buch Aula Lucis (Das Zelt des Lichtes) schreibt er, daß "Materie das Haus des Lichtes ist ... sobald er (Geist oder Licht) es betritt, ist es ein herrlicher, transparenter Raum, ein Kristallschloß, und er lebt wie ein guter Bekannter in Diamanten. Er kann nach Belieben aus den Fenstern schauen; seine Geliebte ist in Sichtweite: Ich meine die flüssige Venus, die ihn hereinlockt; aber das dauert nicht lange", sagt Vaughan, denn das weibliche wässerige Prinzip macht das Licht zu ihrem Gefangenen, so daß er zuletzt "ganz in Dunkelheit eingeschlossen ist". Die gleiche Geschichte wird in Blakes Gedicht erzählt:

Die Jungfrau fing mich in der Wildnis,

Wo ich fröhlich tanzte;

Sie steckte mich in ihr Haus

Und schloß mich ein mit dem goldenen Schlüssel.

Die Jungfrau ist die uns jetzt bekannte Wassernymphe oder "flüssige Venus", und der fröhliche Tänzer das Licht oder der Geist, den sie einfängt und in einem Körper einschließt.

Blake, sagt Kathleen Raine, ist lange als "ein Exzentriker in einer traditionsgebundenen Zivilisation" betrachtet worden, und T. S. Eliot beschuldigte ihn "einer gewissen Mittelmäßigkeit in seiner Geistesbildung". In ihrer Antwort auf diese unüberlegte Verleumdung schreibt sie:

Eine geistige Bildung, die Plato und Plotin einschloß, die Bibel und die Hermetica, englische Philosophie und Wissenschaft, die Überlieferung der Alchemie, Gibbon und Herodot, und außerdem den Hauptteil der englischen Dichtung - nicht zu sprechen von seiner ebenso großen Kenntnis der Malerei -, eine solche Bildung kann nicht mittelmäßig genannt werde. ... Blake hat, wie auch Dante, seine Kenntnis über die Seele von den Alten übernommen. In einer Gesellschaft, die insgesamt von jeder Tradition abgewichen war, hielt Blake an den Überlieferungen fest. Dem modernen Leser erscheint er sehr neuartig, wenn er es am wenigsten ist; sehr absonderlich, wenn er eine überlieferte Lehre mitteilt; und sehr persönlich, wenn sein Thema metaphysische Realität ist, die er in anerkannten Symbolen ausdrückt. Yeats war sich darüber vollständig klar, aber er befolgte offensichtlich die alte Vorschrift, die Mysterien nicht zu enthüllen, damit - wie auch D. H. Lawrence erkannte - die Menschen, "die die äußeren Formen kennen, ohne daß sie die entsprechende Erfahrung gemacht haben, nicht anmaßend und ehrfurchtlos würden, indem sie glauben, das Ganze zu haben, wenn sie nur leeres Gewäsch besitzen. ..." Trotzdem wollte Blake verstanden sein, und er wußte, daß er nur von den Menschen ganz verstanden würde, die die überlieferte Symbolsprache kennen.

Blake and Antiquity ist das Werk einer Blake-Anhängerin, das den Literatur-Liebhabern und ebenso anderen Studierenden dienlich sein wird.

 

 

- Abgedruckt mit Erlaubnis von Manas, 6. September 1978.

Fußnoten

1. Gekürzte Ausgabe, kartoniert, Princeton University Press, 116 Seiten und 91 Abbildungen von Blakes Bildern und Radierungen, 1977, $ 5.75. [back]

2. Erweiterter Text aus den A. W. Mellon-Vorträgen über die Schönen Künste, gehalten von der Autorin in Washington, D. C. 1962 in der National-Galerie der Kunst. Siehe Besprechung von "Blake's Fires of the Soul", Sunrise, January 1970. [back]