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Der Mensch: Bestimmung ohne Grenzen

Künftige Generationen werden bestimmt bald den amerikanischen Mathematiker und Erfinder Arthur M. Young als einen Pionier betrachten, der darum rang, ein Universum zu verstehen, das mehr mit einer "sowohl als auch"-Logik übereinstimmt, als mit einer "entweder-oder"-Argumentation. Young, der Erfinder und Entwickler des Bell-Hubschraubers, gründete 1952 die Stiftung für Bewußtseins-Studium. Sie ist die Frucht seiner beruflichen Bemühungen und privaten Überlegungen, die er seit seiner Jugend angestellt hatte. In einem kürzlich veröffentlichten Buch, The Reflexive Universe: Evolution of Consciousness,1 (Das reflexive Universum: Evolution des Bewußtseins) stellt er eine Theorie über die Entwicklung des Universums und des Menschen auf, die wissenschaftliches Denken mit der Natur des Bewußtseins zu einem Ganzen zusammenfassen will. Dafür verwendet er die letzten wissenschaftlichen Entdeckungen der Physik und bestätigt, daß es Parallelen zwischen letzteren und der Weltanschauung gibt, wie sie von den Mystikern aller Zeitalter und in allen Überlieferungen vertreten und von Fritjof Capra2 und anderen erörtert wurden. Young geht jedoch einen Schritt weiter und nimmt in seine Theorie gewisse Begriffe auf, bei denen er festgestellt hatte, daß sie universal in Mythen und Überlieferungen immer wieder vorkommen und im Mittelpunkt stehen. Sein Buch ist eine ungewöhnliche und fesselnde Verbindung dieser universalen Mythen und Überlieferungen mit wissenschaftlich belegten Tatsachen.

Kurz, Young stellt fest, daß Mythen aus aller Welt - Ägypten, Griechenland, Altamerika, Iran, im Alten und im Neuen Testament - die Anfänge und die Entfaltungen des manifestierten Bewußtseins "nach unten" in die Welten oder Ebenen der Form und der Materie beschreiben. Dort ist dieses Bewußtsein effektiv in einem Determinismus [Unfreiheit des menschlichen Willens] gefangen und bewegt sich dann durch selbst gefundene Durchbrüche "nach oben", um sich vom Determinismus abzuwenden und die Freiheit und Unbegrenztheit, die anfänglich vorhanden waren, zurückzuerlangen, die jedoch nun mit der während seiner Entwicklung angesammelten Erweiterung und Weisheit verbunden und bereichert ist.

Youngs frühes Ringen mit der Vorstellung, daß die Realität schon in der Struktur und im Plan festgelegt sein könnte, führte ihn zum Rätsel Zeit und zur Schlußfolgerung, daß die Struktur die Zeit nicht richtig wiedergeben könne. So wurde seine Theorie zu einer Theorie des Prozesses, in dem die Struktur fast wie ein individueller Rahmen in einem kinematographischen Bild funktionierte. Ein Grundthema hinsichtlich des Evolutionsprozesses, das er in den alten Mythen fand, ist, daß vom Anfang bis zum Ende jeder Prozeßeinheit sieben aufsteigende Stufen durchlaufen werden. Als Young nach Beweisen für eine solche Siebenzahl unter den modernen wissenschaftlichen Beschreibungen suchte, stieß er auf die bekannte Tatsache, daß ein Torus oder eine ringförmige Figur eine einzigartige Topologie besitzt: Zeichnet man eine Landkarte auf ihrer Oberfläche, so braucht man sieben Farben, damit alle angrenzenden Länder durch Farbunterschiede gekennzeichnet werden können. Die Mathematiker anerkennen die Topologie [Lehre von der Lage und Anordnung geometrischer Gebilde im Raum] als ein Verfahren, das sich tiefschürfender mit den Verhältnissen befaßt als die Geometrie. Young fand auch, daß er nur sieben große Stämme und nicht acht erkennen könne, in die das Tierreich zoologisch unterteilt ist. Der eindeutige Beweis für seine Theorie war für ihn jedoch die wissenschaftlich fundierte Perioden-Tabelle der Elemente, die alle Atome in sieben "Perioden" einteilt, wie es die Reihen auf der Tafel zeigen.

Young bestätigt, daß The Mahatma Letters to A. P. Sinnett/Die Mahatma-Briefe an A. P. Sinnett einen wichtigen Einfluß auf ihn ausübten. Es handelt sich um eine Sammlung von Briefen, die Sinnett, der damals der Herausgeber einer Zeitung in Indien war, Anfang 1880 erhielt. Er bekam sie von zwei der Adepten, die die moderne theosophische Bewegung inspirierten, die 1875 von H. P. Blavatsky in New York ins Leben gerufen wurde. Diese Briefe scheinen ihn davon überzeugt zu haben, daß die sieben Entwicklungsstufen existieren und wissenschaftlich fundiert sind, wodurch er ermutigt wurde, die ganze Sache gründlicher zu erforschen. Young sagte, daß in diesen Briefen einer der Adepten von den tierischen, pflanzlichen und mineralischen Lebensbereichen sprach, wobei ein Reich über dem tierischen - das menschliche Reich - hinzugefügt wurde und drei andere, die damals der Wissenschaft unbekannt waren, dem Mineralreich vorausgingen. Young nahm an, daß diese letzteren atomar, inneratomar und schließlich Licht waren:

Licht, das selbst ohne Masse ist, kann Protonen und Elektronen erzeugen, die Masse besitzen. Licht hat keine Ladung, aber die Teilchen, die das Licht erzeugt, sind geladen. Da Licht ohne Masse ist, ist es nicht physikalisch und von andersartiger Natur als physikalische Partikel. Tatsächlich existiert für das Photon, ein Lichtimpuls, die Zeit nicht; Uhren stehen bei Lichtgeschwindigkeit still. Somit entsteht Masse und damit Energie, wie auch Zeit aus dem Photon, aus dem Licht, das daher dem ersten Reich, der ersten Stufe in dem Prozeß, der das Universum hervorbringt, zuzuteilen ist. - Seite XXIII

Dieser Gedanke stimmte mit den Angaben der Quanten-Physik überein, die sich im Jahre 1900 aus Plancks Entdeckung des Wirkungsquantums ergaben und die die wissenschaftliche Vorstellung vom stofflichen Universum revolutionierte. Wirkung, das heißt die Gesamtzahl der Impulse oder Quanten, die die Manifestation der Strahlenenergie charakterisiert, ist zur Grundlage unseres Universums geworden und nicht die stofflichen Teilchen, die nach festen Gesetzen sich gegenseitig beeinflussen. Diese Wirkung ist etwas Unstoffliches und im wesentlichen mit unserem Verstand nicht zu erklären. Sie ist - so Young - mit der menschlichen Entscheidung zu vergleichen: Sie ist unbestimmt, offen, doch zielstrebig und zweckdienlich. Licht ist Wirkung, und diese wirkende Kraft ist teleologisch [Lehre vom Zweck und der Zweckmäßigkeit].

Hier haben wir einen wirklich bemerkenswerten Vorgang. In den kosmogonischen Mythen oder Aufzeichnungen über die Anfänge der Erschaffung der Welt beschreiben alte spirituelle Überlieferungen beinahe ohne Ausnahme die erste Manifestation als eine Art Licht. Einige davon sprechen von der zweckdienlichen wirkenden Kraft, erzeugt im "Geist" der Schöpfungskräfte, die sofort Licht hervorbringt. Andere behaupten, daß genau an diesem Anfangspunkt der kosmischen Geburt zuerst das erschien, was wir Zeit und Raum nennen. Youngs Leistung bestand darin, eine verblüffende Übereinstimmung der wissenschaftlichen Fakten mit dem überlieferten Wissen anzubieten, das sich auf die Ursprünge unseres stofflichen Universums und den Prozeß der Evolution oder Emanation des Bewußtseins in und durch die "Materie" bezieht. Er zeigt uns tatsächlich, daß nach allem, was wir wissen, in einem gewissen wahren Sinn das gesamte stoffliche Universum, angefangen bei seinen galaktischen und supergalaktischen Größenordnungen, bis zu seinen inneratomaren Stützen, nichts anderes sein kann, als ein wunderbar und unendlich differenziertes Gefüge von Licht, die ursprüngliche undifferenzierte Quelle von allem.3

Young betrachtet diesen siebenfachen Prozeß der Evolution als Steigerung und sich an das Schema anpassen, bis er einen "Bogen" ergibt. Vom Licht ausgehend führt der Lauf bewußt "nach unten" oder immer mehr einem bestimmten oder festen Bewußtseinszustand in der Materie entgegen, bis zu einem vierten Stadium, in dem das Bewußtsein anfängt, sich zu befreien und durch immer kompliziertere, aber freiere Gliederungen der Materie die Herrschaft gewinnt. Die sieben Stadien kommen auf vier Ebenen vor, wie in dem nachfolgenden Schema aus seinem Buche ersichtlich ist. Jede Stufe besteht selbst aus sieben Unterstufen, die den Charakter ihres Ursprungs, aus dem sie hervorgehen, widerspiegeln. Der Verfasser zeigt ein Diagramm eines Gitters, in welchem er andeutet, woraus die Natur jeder der neunundvierzig Phasen oder Unterstufen dieses zusammengesetzten evolutionären Prozesses bestehen könnte. Er stellt aber keine festen Lehrsätze auf. Obgleich er glaubt, daß seine gesamte Betrachtungsweise Hand und Fuß hat, erkennt er, daß noch viel Arbeit notwendig ist, um dieses Gitter ganz verstehen zu können.

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Die Wendung, die auf der vierten oder entscheidendsten Ebene stattfindet, hängt seiner Meinung nach von der Fähigkeit des Organismus ab, die Entropie zu überwinden und anzufangen, sich unter Kontrolle zu bringen. Das ist der Punkt, an dem Selbstbewußtsein einsetzt. Energie wird auf dem atomaren Niveau als Drehmoment gespeichert, und Ungewißheit oder Unklarheit des Bewußtseins beginnt entweder in der Richtung oder im Zeitpunkt, eine Wahl zu treffen. Das Wirkungsquant ist nun imstande entweder Energie aufzunehmen oder freizusetzen, und somit kann bewußtes Lernen einsetzen. Der Mensch ist, nach Young, noch ein Säugling in seinem eigenen Urzustand irgendwo in der vierten oder mittleren Unterstufe. Menschliche Genies reflektieren seiner Meinung nach Qualitäten der fünften Unterstufe, und die Entwicklung der sechsten Unterstufe ist wahrscheinlich in den selten auftretenden Erscheinungen eines Osiris, Orpheus, Christus oder Buddha unserer Species ersichtlich. Young macht keinen Versuch, die siebente Unterstufe zu beschreiben oder anzudeuten, weil diese das Begriffsvermögen des Menschen in seiner augenblicklichen Entwicklung weit übersteigt und unbeschreiblich erhaben ist.

Ein äußerst interessantes Kapitel ist dem Prozeß gewidmet, der in den Mythen geschildert wird, und hier erörtert Young, wie die Mythen auf seine Netz-Theorie angewendet werden können, und umgekehrt, indem er die Symbole und Allegorien der universalen Mythen mit den mathematischen Formeln der zeitgenössischen Wissenschaft vergleicht, was möglich macht, das zu beschreiben, was in Wirklichkeit unbeschreibbare Realitäten sind. Er stellt fest, daß die Darwinsche Evolutionstheorie nicht nur weder in seine eigene Vorstellung von der Evolution des Bewußtseins durch die Form, noch in die Erklärungen dieses Vorgangs, wie sie in den herkömmlichen Lehrgebäuden in der Welt angetroffen werden, hineinpaßt. Er vertritt die Auffassung, daß das Tierreich eine Spezialisierung entfaltet und aus Hunderten von Arten zusammengesetzt ist, während die gesamte Menschheit nur eine Species darstellt und sich durch einen erstaunlichen Mangel an Spezialisierung kennzeichnet. Daher erfreuen sich die Menschen einer größeren Freiheit, oder sie sind nicht so festgelegt wie die zum Tierreich gehörenden Arten. Anders ausgedrückt, die menschliche Species besitzt ein vollständig andersartiges Bewußtsein.

Wenn Young den "Entwicklungsbogen" auf den Menschen anwendet, dann bezeichnet er das Prinzip im Menschen, das das Herz des Bewußtseins bildet, als die Monade. Danach kommt die Seele, dann der Geist und schließlich der Körper. Die Seele, die weder Form noch Einzelteile hat, ist unzerstörbar und daher unsterblich, desgleichen auch die Monade, der die Seele entstammt. Damit will Young nicht sagen, daß sich hieraus eine Umkehrung ableiten läßt, weil die Monade nicht in der Zeit liegt und die Sprache uns hier verläßt. Das Geistige (Selbstbewußtsein, Identität, Ego) ist der Aspekt der Monade, der sich wiederverkörpert und in aufeinanderfolgenden sterblichen Körpern lernt. Am mittleren oder vierten Punkt "muß die Monade ohne Hilfe der Naturgesetze die Wendung durch eigene Anstrengungen einleiten. Die Monade wird an diesem Punkt erste Ursache. Das bedeutet, daß sie auf das spirituelle Vorrecht, das sie als Erbe aus dem ersten Zustand herleitet, zurückgreifen kann. Diese selbstinduzierte Empfängnis führt zur jungfräulichen Geburt, (eine jungfräuliche Geburt erfolgt ohne vorherige Ursache, ohne einen Vater)" (S. 252).

Der Verfasser hat seine These in der nachfolgenden Skizze klar dargestellt:

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Sie zeigt, wie die jungfräuliche Monade (an der linken Seite) in Raum und Zeit eintritt (Doppellinie), darin eine endliche Existenz und somit Identität annimmt. Aus den Folgen ihrer Handlungen lernt sie Selbstverantwortung, und schließlich kehrt sie (auf der rechten Seite) in die Unsterblichkeit jenseits von Zeit und Raum zurück und nimmt dabei die gesamten Erfahrungen, die sie in Form und Materie gemacht hat, mit. Das ist dann das reflexive Universum.

Somit bestätigt der schöpferische Aspekt des Universums, der aus der Quanten-Physik hervorgeht, die Lehren der Mythen und der geoffenbarten Religion und beantwortet damit unsere Frage, ob eine Verschmelzung von Wissenschaft und jenen nicht-physikalischen Realitäten möglich ist, von denen man annahm, daß sie wissenschaftlich unbestätigt sind. ...

In diesem Drama befindet sich der Mensch an einem kritischen Punkt. ... Er ist in der Tat der Mittelpunkt darin, das heißt, in einem Stadium, das der Muschel im Tierreich entspricht. Er ist wie eine Muschel im Sand vergraben und hat nur eine unbestimmte Vorstellung von den jenseitigen Welten. Potentiell hat er jedoch die Möglichkeit, sich aus seinem augenblicklichen Zustand zu erheben, seine Bestimmung ist ohne Grenzen.

- S. 254, XXIV

Es ist ein erfrischendes, zum Nachdenken anregendes Buch ohne lässige Behauptungen. Es ist auch ein mutiges Buch, weil Arthur Young bereit ist, die eigentliche Bedeutung der erstaunlichen Konfluenz der uralten geistigen Kosmologien der Menschen und dem Wissen, das sich an den Grenzbereichen der modernen Wissenschaft abzeichnet, zu akzeptieren. Schließlich, und das ist nicht weniger wichtig, regt seine Darstellung den Leser an nachzudenken und seine eigene Intuition walten zu lassen, um für das Paradoxon (scheinbarer Widerspruch) Bewußtsein/Materie eine Erklärung zu finden.

Fußnoten

1. Delacorte Press / Seymour Lawrence, 1976; paperback, $ 6.95. [back]

2. In seinem Der kosmische Reigen, S. SUNRISE, deutsche Ausgabe, Heft 2/1980. [back]

3. Andere, nicht so bekannte Wissenschaftler sind zu ähnlichen Schlußfolgerungen gekommen. Vor etwa zwanzig Jahren legte Dr. José Manrique Izquieta, der damals Professor der Physiologie an der Guayas-Universität in Guayaquil, Ecuador, war, dem Verfasser dieses Artikels sein Buch mit dem englischen Titel Man: Charged With Light (Der Mensch, mit Licht geladen) vor. Dr. Manrique hatte die Einheit des pflanzlichen, tierischen und menschlichen Lebens mit der Sonnenstrahlung beobachtet, einer Synthese von Licht, Wärme und Energie. In seiner Studie stellte er wissenschaftliches Beweismaterial darüber zusammen, daß alle Gewebe des menschlichen Körpers ultraviolette Strahlenenergie empfangen, lagern, verbrauchen und ausstrahlen - nämlich Licht. [back]