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Die Würde der Gefolgschaft

Letzten Winter fuhr ich mit einem langjährigen Freund durch das schneebedeckte Wüstenhochland von Südkalifornien. Im Verlauf unseres Gespräches machte er nebenbei eine Bemerkung über Führerschaft, die später, ohne daß er es weiß, einige weitere Gedanken über dieses Thema entzündete.1 Er sagte damals, alle Menschen, von denen er wußte, daß sie die beste Führereigenschaft verkörperten, wären Dienende.

In einem ähnlichen Gespräch mit ihm, das kürzlich stattfand und nicht damit in Zusammenhang stand, machte er eine weitere unauffällige Bemerkung in dieser Richtung, die, wenn ich jetzt darüber nachdenke, sich als eine unerwartete Folgerung erwies und neue Perspektiven zu diesem Thema eröffnet. Er beschrieb, wie bei Schulungslehrgängen von Führungskräften und auch bei anderen Gelegenheiten im Geschäftsleben oft Grundprinzipien benutzt werden, um gewisse praktische Regeln zu illustrieren. In diesem Falle stellte er fest, daß ein Direktor oder leitender Angestellter, der in seinem Beruf vorankommt, dies erreicht, weil er sein Aufgabengebiet beherrscht. Mit anderen Worten, wenn man in einem Direktorensessel sitzt, so hat man damit noch nicht automatisch auch die erforderlichen Führungsfähigkeiten. Der erfolgreiche Geschäftsmann oder die erfolgreiche Geschäftsfrau verwenden wenig Mühe darauf, Weisungen zu erteilen, diese zu wiederholen, oder zu versuchen, aus der Position heraus oder aufgrund ihres Titels zu verhandeln. Sie konzentrieren ihre Aufmerksamkeit und Energie vielmehr darauf, die Verantwortlichkeiten, die das Amt mit sich bringt, aktiv und positiv auszuüben. Sie erledigen ihre Arbeit. Sie erfüllen die vor ihnen liegende Pflicht.

Ich bin der Meinung, das ist auch universal anwendbar. Weder Titel noch Ernennung oder Autoritätsabzeichen lassen die innere Haltung oder die Qualität eines guten Führers erkennen. Echte Führerschaft hat einen charismatischen Duft (ist eine Begabung), und sie erblüht wie eine Blume aus den Tiefen der Seele. Alle Menschen besitzen diese Eigenschaft, sie ist nur in verschiedenen Abstufungen entwickelt. Sie braucht nur den geeigneten Boden, Regen und Nahrung, um zur Reife zu gelangen. Welche Aufgabe ein Mensch auch haben mag, sei es in einer Firma, zu Hause oder sich selbst gegenüber, die gegenwärtigen Verhältnisse sind der Boden, der notwendig ist, damit das Wachstum weiterschreiten kann. Der Regen? Es heißt, er käme aus dem Opfer. Die grundlegenden Eigenschaften der Führerschaft wachsen in dem Verhältnis, in dem sich die Sorge um das Wohl anderer erweitert. Und als letztes die Nahrung. Wenn die äußeren Aufgaben erfüllt werden, das heißt, wenn die Verantwortung, die sich aus den alltäglichen Aufgaben ergibt, in dem Maße übernommen wird, in dem sie den Fähigkeiten des einzelnen entspricht, dann wird der betreffende feststellen, daß er in gleichem Maße auch die inneren Aufgaben beherrscht, wodurch dann die Essenz wahrer Führerschaft entsteht.

Führerschaft und Dienen. Die besten Führer sind diejenigen, die am besten dienen. Wir stellen das bei den anderen fest und können es gelegentlich auch bei uns selbst bemerken. Es gibt dabei jedoch noch ein drittes Element, wahrhaftig die dritte Seite oder etwas, das zu einer Dreiecksbeziehung gehört - Gefolgschaft. Die Definition ergibt: jede Art von Führerschaft bedingt automatisch diejenigen, die folgen. Können wir uns etwas Lebendes im Weltall vorstellen, das nicht irgendeiner Führung folgt, sei es einer Person, einer Idee, einem Gesetz oder irgend etwas anderem? In der natürlichen Ordnung der Welt gibt es notwendigerweise Aufgaben, die einem Gefolgsmann zukommen, und diese sind mit Würde auszuführen. Auf der menschlichen Ebene müssen diejenigen, welche Führungspositionen einnehmen, ihre Eignung für die andere Aufgabe, die in ihrer Bedeutung gleichwertig ist, bewiesen haben, denn alle Menschen, ganz gleich wie hoch sie auf der Leiter der Entwicklung stehen, sind Lernende und brauchen daher ihre Lehrer. Es ist nicht schwer zu glauben, daß selbst die größten Lehrer ihre Lehrer haben. Setzen wir ein kontinuierliches, endloses Wachstum in der Evolution voraus, dann zwingt uns zumindest die Logik, so etwas anzunehmen.

Das alles ist vielleicht am besten im Leben derjenigen Lehrer-Führer-Dienenden der Menschheit zusammengefaßt und illustriert, die ihrem inneren Licht folgen und deren mystischer Geburt während der heiligen Jahreszeit der Wintersonnenwende gedacht wird. Die historische Schilderung der Weihnachtsgeschichte ist zum Beispiel eine Allegorie von der Geburt des Geistes im Menschen und ihrem nach zwei Wochen stattfindenden Höhepunkt in der Epiphania oder dem 'Hervorleuchten'. In der theosophischen Interpretation bezieht sie sich auf die erfolgreiche Verschmelzung der menschlichen Seele mit ihrer inneren Göttlichkeit, die dann ihr erleuchtendes Licht auf den aufwärtsführenden Pfad, den die strebende Menschheit geht, werfen kann.

Auf den Bildern und Skulpturen aller Länder waren zu allen Zeiten die Insignien für erleuchtete Männer und Frauen verschieden dargestellt zu sehen: die Aura, der Glorienschein, der Strahlenkranz, die Krone, die Korona und das Leuchten, das alles aus Kopf und Herz dieser Erleuchteten kommt. Universal gesehen bedeuten diese Darstellungen, daß der so "von der Sonne umhüllte" die Mission oder das Reich seines inneren Gottes vermöge seiner eigenen Anstrengungen "mit Gewalt" an sich gerissen und aufgenommen hat - "Ich und der Vater sind eins" (Johannes 10:30). Doch angenommen, wir wären darauf bedacht, einer wahrhaft erleuchteten Person entgegenzutreten, und angenommen, wir hätten die seltene Gelegenheit einer solchen gegenüberzustehen, wären wir, so mögen wir uns fragen, uns dieser Tatsache voll bewußt, und an welchen Insignien würden wir diesen Mann oder diese Frau erkennen.

In dieser Hinsicht ist in der Weihnachts-Epiphania-Geschichte ein sehr wichtiger Punkt eingewebt, der gewöhnlich übersehen wird. Wie viele, die in dieser historischen Zeit lebten, haben von der Geburt Jesu gewußt? Wer sah tatsächlich den Stern im Osten? Wer folgte ihm? Welchen Menschen wurde die Epiphania des Christusgeistes geoffenbart? Die Erzählung des Evangeliums besagt, daß es außer Maria und Josef nur die weisen Männer waren, die sahen und kamen - diese wenigen Weisen, Könige und Führer einer selbst erworbenen geistigen Höhe, deren Gemüter und Herzen so auf die innere Göttlichkeit des neugeborenen "Kindes" ansprachen, daß nur sie und einige andere das davon ausgehende Licht erkennen konnten. Gleiches erkennt Gleiches, wie hoch oder niedrig die Entwicklungsstufe auch sein mag.

Es gibt in den Evangelien noch eine andere, äußere Epiphania, obgleich es nicht üblich ist, darauf hinzuweisen. Das ist die Epiphanie Jesu bei den Menschen. Nach der Taufe im Jordanfluß und nachdem er seinen Widersacher in der Wildnis erfolgreich überwunden hatte, begann Jesus mit seinem öffentlichen Auftrag. Nachdem er bewiesen hatte, daß er seine innere Natur beherrscht, war er bereit, die Verantwortung des ihm anvertrauten Amtes zu übernehmen. Und an welchen Zeichen haben die Menschen in den vergangenen zweitausend Jahren dieses edle Beispiel der Führerschaft erkannt? Ich bin der Meinung, daß die verschiedenen feierlichen Proklamierungen seiner Messiasschaft durch Bücher, Organisationen und Personen wenig damit zu tun haben. Es war vielmehr die Reinheit seines Charakters, es waren seine Taten wahrer Nächstenliebe und Gerechtigkeit, es war sein Appell an die selbstlose, liebende Seite der menschlichen Natur; es waren seine Weisheit und seine Einsicht in die Herzen und Gemüter anderer; seine Uneigennützigkeit und sein Mitleid und der universale Charakter seiner Botschaft - der Bruderschaft aller Wesen. Diese Dinge leuchten weiter, nicht nur im Leben und in den Lehren Jesu, sondern auch in den Leben aller Männer und Frauen, die um das Wohl ihrer Mitmenschen besorgt sind und die sich der hohen Aufgabe des Dienens gewidmet haben.

Ich bezweifle, daß es einen Menschenführer gibt, der die Pflichten seines Amtes erfolgreich ausüben kann, wenn es nicht einige gibt, die die Qualität und die Kraft der Epiphania dieser Führerschaft erkennen. Wer kann führen ohne Berufung und ohne Auftrag für dieses Amt? Wenn jedoch eine solche Führerschaft erkannt wird, und wenn eine solche Gefolgschaft stattfindet, dann muß damit bestimmt auch eine Vorstellung von der Arbeit verbunden sein, die auszuführen ist, mag sie auch noch so begrenzt sein. Das ist wirkliche Partnerschaft, aber sie kann nur in dem Ausmaß echt und lebensfähig sein, in dem die Vorstellung und Ergebenheit zur Erreichung dieser Ziele allen gemeinsam sind. Wie also kann jemand eine solche innere Epiphania erkennen?

Wenn wir auch jetzt die Augen der Heiligen Drei Könige noch nicht besitzen, so haben wir doch die Fähigkeit zu sehen, daß, wenn wir uns bemühen, unser eigenes inneres Reich in Besitz zu nehmen - der Führer von uns selbst, aber auch Gefolgsmann des Leitsterns unserer Intuition zu werden -, dann, so scheint es mir, werden wir weit weniger Schwierigkeiten haben, irgendeine spirituelle Kraft, die hervorleuchtet, zu erkennen, ganz gleich, zu welcher Zeit und in welchem Alter. Wir müssen versuchen, unser Leben den edlen Antrieben unserer Intuitionen entsprechend zu führen; es heißt, der Regen der Seelenweisheit stamme aus der gleichen Quelle wie jeder messianische oder avatârische Impuls. Gleiches wird dann Gleiches erkennen. Dieses Erkennen findet in der unsichtbaren, unbeschreibbaren Einheit der Herzen statt - ein Erkennen, das in Mitleid und tiefer Demut eine dauernde und mächtige geistige Bruderschaft verbindet.

Fußnoten

1. Siehe Sunrise, deutsche Ausgabe, Heft 4/1976: "Führerschaft des Dienens". [back]