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Was ist Gedächtnis?

(Da das Thema Gedächtnis und sein Einfluß auf die physische und psychische Konstitution des Menschen immer von neuem der wissenschaftlichen Forschung unterliegt, bringen wir hier die aufschlußreichen Erklärungen, die H. P. Blavatsky vor vierundachtzig Jahren gab und die in ihren Artikeln "Psychisches und noetisches Handeln" veröffentlicht wurden. Ursprünglich waren sie in Lucifer (Oct. und Nov. 1890) abgedruckt, jetzt sind sie in Studies in Occultism enthalten. - Der Herausgeber)

 

 

 

Der Okkultismus betrachtet jedes Atom1 als ein "unabhängiges Wesen" und jede Zelle als eine "bewußte Einheit". Er erklärt, daß sich diese Atome erst dann zu Zellen zusammengruppieren, wenn letztere mit Bewußtsein begabt werden, jede nach ihrer eigenen Art und mit freiem Willen, um innerhalb der Grenzen des Gesetzes zu handeln. Es fehlt auch nicht ganz an wissenschaftlichen Grundlagen für solche Behauptungen, ... Mehr als nur ein studierter Physiologe der goldenen Minderheit findet in unseren Tagen zudem rasch zu der Überzeugung, daß das Gedächtnis keinen speziellen Sitz, kein eigenes Organ im menschlichen Gehirn hat, sondern daß es in jedem Organ des Körpers wohnt.

"Es besteht kein überzeugender Grund dafür, von einem besonderen Organ oder Sitz des Gedächtnisses zu sprechen", schreibt Professor G. T. Ladd. "Jedes Organ, ja jeder Bereich und jeder Endpunkt des Nervensystems hat sein eigenes Gedächtnis."2

Der Sitz des Gedächtnisses ist also zweifellos weder hier noch da, sondern überall im ganzen menschlichen Körper. Lokalisiert man sein Organ im Gehirn, so beschränkt und behindert man den universellen Geist und verkleinert ihn und seine zahllosen Strahlen (die Manasaputras), die jedes vernunftbegabte menschliche Wesen beseelen. Aber, was ist Gedächtnis? - fragen wir. "Beides, die Wahrnehmung der Sinne und das Bild der Erinnerung, sind vorübergehende Bewußtseinsphasen", lautet die Antwort. Aber, was ist Bewußtsein? - fragen wir wieder. "Wir können Bewußtsein nicht erklären", meint Professor Ladd.3

Die Metaphysik der okkulten Physiologie (Lehre von den normalen Lebensvorgängen) und Psychologie (Lehre von den Zuständen des Seelenlebens) setzt im sterblichen Menschen ein unsterbliches Wesen voraus, den "göttlichen Geist" oder Nous, dessen blasse und oft verzerrte Widerspiegelung das ist, was wir "Geist" und Intellekt im Menschen nennen. Es ist im Grunde genommen ein Wesen, das sich während der Dauer jeder Inkarnation von dem vorhergehenden (dem sterblichen Menschen) unterscheidet. Wir sagen, daß die zwei Quellen des "Gedächtnisses" in diesen zwei "Prinzipien" liegen. Wir unterscheiden diese zwei als Höheres Manas (Intelligenz oder Ego) und Kama-Manas [Begierde - Verstand], d. h. den rationalen, aber irdischen oder physischen Intellekt des Menschen, der in der Materie eingeschlossen und durch sie begrenzt und daher ihrem Einfluß unterworfen ist: Das allbewußte SELBST, das sich periodisch verkörpert - wahrlich, das WORT, das Fleisch geworden ist! - und immer das gleiche ist, wohingegen sein reflektiertes "Doppel" sich mit jeder neuen Verkörperung und Persönlichkeit verändert und daher nur für eine Lebensperiode bewußt ist. Das letztere "Prinzip" ist das Niedere Selbst oder das Prinzip, das sich, weil es sich durch unser organisches System manifestiert und auf der Ebene der Illusion wirkt, für das Ego Sum [Ich bin] hält und so in einen Zustand fällt, den die buddhistische Philosophie als die "Ketzerei des Sonderseins" brandmarkt. Das erste Prinzip nennen wir die INDIVIDUALITÄT, das zweite die Persönlichkeit. Aus dem ersten geht alles noetische (dem Erkennen zugehörige) Denken hervor, aus dem zweiten im besten Falle das psychische, d. h. "irdische Wissen". Es wird nämlich von den ungeregelten Reizen der menschlichen oder vielmehr sinnlichen Leidenschaften des lebenden Körpers beeinflußt.

Das "Höhere Selbst" kann nicht unmittelbar auf den Körper einwirken, da sein Bewußtsein auf einer ganz anderen Ebene und in anderen Bereichen des Vorstellungsvermögens daheim ist; das "niedere" Selbst kann es. Seine Handlungen und sein Verhalten hängen von seinem freien Willen und von seiner Entscheidung ab, ob es sich mehr seinem Vater (dem "Vater im Himmel") zuneigt oder dem "Tier", das dieses Prinzip, den fleischlichen Menschen, beseelt. Das "Höhere Selbst", ein Teil aus der Essenz des UNIVERSALEN GEISTES, ist auf seiner eigenen Ebene ohne Einschränkung allwissend und auf unserer irdischen Daseinsebene nur bedingt, da es einzig durch sein anderes Ego - das Persönliche Selbst - handeln muß. Nun, obwohl das erste Prinzip der Träger allen Wissens aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ist und obwohl sein "Doppel" aus dieser Quelle gelegentlich kurze Einblicke in das, was jenseits der Sinne des Menschen liegt, erlangt und sie bestimmten Gehirnzellen übermittelt (die Funktion dieses Vorgangs ist der Wissenschaft unbekannt) - auf diese Weise wird aus dem Menschen ein Seher, ein Wahrsager und ein Prophet -, so hat doch die Erinnerung an vergangene Ereignisse, insbesondere an materielle, irdische Dinge, ihren Sitz allein im Persönlichen Ego. Die Erinnerung an die rein alltäglichen Dinge dieses Lebens, die materieller oder egoistischer Art sind und dem niederen Denken angehören, wie z. B. Essen und Trinken, der Genuß persönlicher, sinnlicher Vergnügungen, das Tätigen von Geschäften zum Nachteil eines Nachbarn usw. - all das hat in keiner Weise etwas mit dem "Höheren" Denker oder Selbst zu tun. Auf dieser materiellen Ebene hat es auch keine direkte Beziehung zu unserem Gehirn oder zu unserem Herzen - denn diese beiden sind Organe einer Macht, die höher ist als die Persönlichkeit -, sondern nur zu den Organen, die der Sitz der Leidenschaften sind, wie z. B. die Leber, der Magen oder die Milz usw.

Daher ist es nur sinngemäß, daß die Erinnerung an derartige Ereignisse später zuerst in dem Organ wachgerufen werden muß, das die Handlung ursprünglich veranlaßt und unserem "Sinnes-Denken" übermittelt hat. Dieses Denken ist etwas ganz anderes als das "übersinnliche" Denken. Nur die höheren Formen von Erfahrungen, die überbewußter, mentaler Art sind, können mit den Zentren des Gehirns und des Herzens in Beziehung stehen. Andererseits können die Erinnerungen an physische und eigennützige (oder persönliche) Handlungen zusammen mit den mentalen Erfahrungen, die erdgebunden sind und irdische, biologische Funktionen haben, notwendigerweise nur mit dem molekularen Bau der verschiedenen kamischen Organe zusammenhängen und mit den "kräfteschaffenden Verbindungen" des Nervensystems, die zu den jeweiligen Organen gehören.

Wenn daher Professor Ladd, nachdem er gezeigt hat, daß jedes Element des Nervensystems ein eigenes Gedächtnis hat, fortfährt: "Diese Ansicht ist ein wesentlicher Bestandteil jeder Theorie, die die bewußte geistige Nachbildung nur als eine Form oder Phase der biologischen Tatsache des organischen Gedächtnisses betrachtet", so muß er in diese Theorien die Okkulte Lehre mit einschließen. Denn kein Okkultist könnte diese Lehre zutreffender formulieren als der Professor, der seine Beweisführung folgendermaßen abschließt:

Wir können daher mit Recht von dem Gedächtnis des Endorgans des Sehens oder des Hörens sprechen, vom Gedächtnis des Rückenmarks und den verschiedenen sogenannten 'Zentren' der Reflexhandlung, die zu den Rückensträngen gehören, vom Gedächtnis der medulla oblongata (des verlängerten Rückenmarks), des cerebellum (des Kleinhirns) usw.

Das ist die Essenz der Okkulten Lehre - selbst in den Tantra-Werken. Jedes Organ unseres Körpers besitzt tatsächlich sein eigenes Gedächtnis, denn wenn es mit einem Bewußtsein "eigener Art" ausgestattet ist, muß notwendigerweise jede Zelle ebenfalls ein Gedächtnis eigener Art haben und ebenso ihre eigene psychische (seelische) und noetische (geistige) Tätigkeit. Sie reagiert sowohl auf den Einfluß einer physischen wie auch einer metaphysischen Kraft4; der Impuls, der von der psychischen (oder psycho-molekularen) Kraft stammt, wirkt von außen nach innen; wohingegen der Impuls der noetischen (sollen wir sagen, spirituell-dynamischen) Kraft von innen nach außen wirkt. Denn, so wie unser Körper die Hülle der inneren "Prinzipien": Seele, Geist und Leben usw. ist, so ist das Molekül oder die Zelle der Körper, in dem seine "Prinzipien" wohnen, die (für unsere Sinne und unser Begreifen) immateriellen Atome, die diese Zelle bilden. Die Tätigkeit und das Verhalten der Zelle werden dadurch bestimmt, daß sie durch die noetische oder die psychische Kraft entweder nach innen oder nach außen getrieben werden; die erste Kraft hat keine Beziehung zu den eigentlichen physischen (körperlichen) Zellen. Daher stehen diese unter dem unanfechtbaren Gesetz der Erhaltung und der Wechselbeziehung von physischer Energie, während die Atome - die psycho-spirituelle, nicht physische Einheiten sind - nach ihren eigenen Gesetzen handeln; genauso wie es Professor Ladds "Einheits-Wesen" - das unser "Geist-Ego" (geistiges Selbst) ist - in der von ihm aufgestellten philosophischen und wissenschaftlichen Hypothese tut.

Jedes menschliche Organ, und in ihm jede Zelle, hat eine eigene Tastatur wie das Klavier, nur daß es Gefühle anstatt Töne empfängt und aussendet. Jede Taste besitzt die Möglichkeit des Guten und des Schlechten, sie kann Harmonie oder Disharmonie hervorrufen. Das hängt von dem betreffenden Impuls ab und von den dabei entstehenden Verbindungen; von der Stärke, mit der der Künstler, der am Werk ist, die Taste berührt. Dieser Künstler ist in der Tat ein "Wesen mit doppeltem Gesicht". Je nachdem wie das eine oder das andere "Gesicht" handelt, wird die Art und der dynamische Charakter der zutagetretenden Erscheinung bestimmt, ganz gleich, ob es sich dabei um körperliche oder um geistige Dinge handelt; denn das ganze Leben wird von dieser zweigesichtigen Wesenheit bestimmt. Kommt der Impuls aus der "Weisheit von oben" und ist die angewandte Kraft noetisch oder spirituell, dann ist das Ergebnis dieser göttlichen Antriebskraft würdig. Kommt der Impuls aber von der "irdischen, dämonischen Klugheit" (psychischen Kraft), dann werden die Handlungen des Menschen selbstsüchtig sein und nur den Erfordernissen seiner körperlichen, also tierischen Natur angemessen. ... Es gibt sowohl manasische als auch kamische Organe im Menschen, obwohl die Zellen seines Körpers auf beide Impulse, die physischen und die geistigen, antworten.

Wahrlich, dieser Körper, der durch den Materialismus und durch den Menschen selbst so entheiligt wurde, ist der Tempel des Heiligen Grals, das Adytum (das Allerheiligste) des größten, nein, von allen Geheimnissen der Natur in unserem Sonnenuniversum. Dieser Körper ist eine Äolsharfe, bespannt mit zweierlei Arten von Saiten. Die eine ist aus reinem Silber, die andere aus Catgut (Darmsaite). Wenn der Atem des göttlichen Befehles sanft über die silberne Saite streicht, dann wird der Mensch wie sein Gott, aber die andere Saitenart spürt es nicht. Sie braucht einen starken irdischen Wind, voll animalischen Fluidums, damit ihre tierischen Saiten zum Schwingen kommen. Es ist die Funktion des physischen, niederen Verstandes, auf die physischen Organe und ihre Zellen einzuwirken; aber nur das höhere Denken [mind] kann das Zusammenwirken der Atome in diesen Zellen beeinflussen; ein Zusammenwirken, das allein das Gehirn über die "zentrale" Wirbelsäule zu einer mentalen Darstellung spiritueller Ideen anregen kann, die weit über irgendwelche Objekte auf dieser materiellen Ebene hinausgehen.

Der ganze menschliche Körper ist, wie gesagt, eine große Tastatur. Jede Zelle besitzt eine lange Aufzeichnung von den Eindrücken, die mit dem Organ verbunden sind, von dem sie stammt. Und jede Zelle hat ein arteigenes Gedächtnis und Bewußtsein; man kann es auch Instinkt nennen, wenn man will. Diese Eindrücke sind nach der Art des Organs physisch, psychisch oder mental, je nachdem zu welcher Ebene sie in Beziehung stehen. Sie können "Zustände des Bewußtseins" genannt werden, weil es keinen besseren Ausdruck gibt, so wie es Zustände des instinktiven, des geistigen und des rein abstrakten oder spirituellen Bewußtseins gibt.

Fußnoten

1. Einer der Namen von Brahma ist anu oder "Atom". [back]

2. Elements of Physiological Psychology, Seite 553 ("Elemente der physiologischen Psychologie"). [back]

3. Elements of Physiological Psychology. [back]

4. Wir vertrauen zuversichtlich darauf, daß diese sehr unwissenschaftliche Bezeichnung keinen "Animalisten" in einen hysterischen Anfall versetzt, von dem er sich nicht mehr erholt. [back]