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Zyklische Evolution und Karma

Die geistige Evolution des inneren, unsterblichen Menschen bildet den Fundamentalsatz der okkulten Wissenschaften. Um einen solchen Vorgang auch nur entfernt zu verstehen, muß der Schüler glauben (a) an das Eine Universale Leben, unabhängig von der Materie (oder dem, was die Wissenschaft als Materie betrachtet); und (b) an die individuellen Intelligenzen, die die verschiedenen Manifestationen dieses Prinzips beseelen.

Das Eine Leben steht in enger Beziehung zu dem Einen Gesetz, das die Welt des Seins beherrscht - zu Karma. Exoterisch ist dieses einfach und wörtlich "Handlung" oder vielmehr eine "wirkunghervorbringende Ursache." Esoterisch ist es ein ganz anderes Ding in seinen weitreichenden moralischen Wirkungen. Es ist das unfehlbare Gesetz Der Vergeltung.

Um das Wirken von Karma - in den periodischen Erneuerungen des Weltalls - dem Schüler einleuchtender und verständlicher zu machen, wenn er in seinem Studium zum Ursprung und zur Entwicklung des Menschen gelangt, hat er jetzt mit uns die esoterische Bedeutung der Karmischen Zyklen für die Universale Ethik zu untersuchen. Die Frage ist die: Haben jene rätselhaften Einteilungen der Zeit, die bei den Hindus Yugas und Kalpas genannt wurden und bei den Griechen, so sehr anschaulich, - Kúklos - "Zyklus", Ring oder Kreis, irgendwelche Bedeutung für das, oder irgendwelchen unmittelbaren Zusammenhang mit dem menschlichen Leben? Selbst die exoterische Philosophie erklärt, daß diese fortwährenden Kreise der Zeit immer in sich selbst wiederkehren, periodisch und intelligent, in Raum und Ewigkeit. Es gibt "Zyklen der Materie", und es gibt "Zyklen der geistigen Entwicklung" und rassische, nationale und individuelle Zyklen. Kann uns nicht die esoterische Betrachtung eine noch tiefere Einsicht in ihr Wirken gestatten?

... die Hauptzüge des Lebens eines einzelnen sind immer in Übereinstimmung mit der "Konstellation", unter der er geboren ist, oder, wie wir sagen sollten, mit den Eigentümlichkeiten des sie belebenden Prinzips oder der Gottheit, die ihr vorsteht, ob wir nun diese einen Dhyân-Chohan nennen, wie in Asien, oder einen Erzengel, wie in der griechischen oder lateinischen Kirche... Je enger die Annäherung an sein Vorbild im "Himmel", desto besser für den Sterblichen, dessen Persönlichkeit von seiner eigenen persönlichen Gottheit (dem siebenten Prinzip) als ihr irdischer Aufenthalt gewählt worden war. Denn mit jeder auf Reinigung und Vereinigung mit diesem "Selbst-Gott" gerichteten Willensanstrengung bricht einer von den niedrigeren Strahlen, und die geistige Wesenheit des Menschen wird höher und immer höher zu dem Strahl emporgezogen, der den ersten unwirksam macht, bis endlich von Strahl zu Strahl der innere Mensch in den einen und höchsten Strahl der Vater-Sonne gezogen ist.

Ja; "unser Schicksal ist in den Sternen geschrieben!" Nur, je enger die Vereinigung zwischen dem sterblichen Widerschein Mensch und seinem himmlischen Vorbild, desto weniger gefährlich sind die äußeren Bedingungen und folgenden Wiederverkörperungen - denen weder Buddhas noch Christusse entgehen können. Das ist kein Aberglaube, am allerwenigsten ist es Fatalismus. Der letztere schließt in sich ein blindes Ablaufen einer noch blinderen Kraft, aber der Mensch ist ein freier Handelnder während seines Verweilens auf Erden. Er kann seinem herrschenden Schicksal nicht entrinnen, aber er hat die Wahl zwischen zwei Pfaden, die ihn in dieser Richtung führen, ... denn es gibt äußere und innere Bedingungen, die die Entscheidung unseres Willens auf unsere Handlungen beeinflussen, und es liegt in unserer Macht, den einen oder den anderen von beiden zu folgen.

Jene, die an Karma glauben, müssen an das Schicksal glauben, daß von der Geburt bis zum Tode ein jeder Mensch Faden um Faden um sich selbst webt, wie eine Spinne ihr Gewebe; und dieses Schicksal ist gelenkt entweder von der himmlischen Stimme des unsichtbaren Vorbildes außerhalb von uns, oder von unserem mehr vertrauten astralen oder inneren Menschen, der nur zu oft der böse Genius der verkörperten Wesenheit, genannt Mensch, ist. Diese beiden locken den äußeren Menschen, aber einer von ihnen muß vorherrschen; und von dem ersten Anfang des unsichtbaren Aufruhrs an setzt das strenge und unerbittliche Gesetz des Ausgleichs ein und nimmt seinen Lauf, getreulich das Hin und Her verfolgend. Wenn der letzte Faden gesponnen und der Mensch anscheinend in das Netzwerk seiner eigenen Tat verwickelt ist, dann findet er sich vollständig unter der Herrschaft seines selbstgemachten Geschicks. Dasselbe heftet ihn dann entweder wie die schwerfällige Muschel an den unbeweglichen Felsen, oder es trägt ihn wie eine Feder hinweg in dem durch seine eigenen Handlungen erregten Wirbelwind, und das ist - Karma.

Ein Materialist hat es bei der Besprechung der periodischen Schöpfungen unseres Globus in einem einzigen Satz ausgedrückt: "Die ganze Vergangenheit der Erde ist nichts als eine auseinandergelegte Gegenwart." Der Schreiber war Büchner, der wenig Argwohn hatte, daß er einen Satz der Okkultisten wiederholte.

Es ist eine Vorherbestimmung in dem geologischen Leben unserer Erdkugel, sowie in der vergangenen und zukünftigen Geschichte der Rassen und Nationen. Diese steht in engem Zusammenhange mit dem, was wir Karma nennen, und was die westlichen Pantheisten "Nemesis" und "Zyklen" nannten. Das Gesetz der Evolution trägt uns jetzt entlang dem aufsteigenden Bogen unseres Zyklus, wo die Wirkungen von neuem in die (jetzt neutralisierten) Ursachen zurückversenkt und wieder zu denselben werden, und alle von den ersteren betroffenen Dinge ihre ursprüngliche Harmonie wiedererlangt haben werden.

Das wurde in unseren ersten Büchern, in Isis entschleiert, Seite 34, Band I, mit den folgenden Worten festgestellt:

Die Umwälzung der physischen oder körperlichen Welt ist nach der alten Lehre von einer ähnlichen Umwälzung in der Welt des Verstandes begleitet - die geistige Entwicklung der Welt schreitet in Zyklen vorwärts, so wie die physische.

So sehen wir in der Geschichte eine regelmäßige Abwechslung von Ebbe und Flut in den Gezeiten des menschlichen Fortschritts. Die großen Königreiche und Kaiserreiche der Welt steigen, nachdem sie den Höhepunkt ihrer Größe erreicht haben, wieder herab, in Übereinstimmung mit demselben Gesetz, nach dem sie emporgestiegen sind; bis schließlich, nachdem sie den niedrigsten Punkt erreicht haben, die Menschheit sich wieder geltend macht und von neuem emporsteigt, wobei die Höhe des von ihr Errungenen, nach diesem Gesetz des aufsteigenden Fortschritts in Zyklen, etwas höher ist als der Punkt, von dem sie vorher herabstieg.

Aber diese Zyklen - Räder innerhalb von Rädern, so verständlich und verständig symbolisiert durch die verschiedenen Manus und Rishis in Indien, und durch die Kabiren im Westen1 - betreffen nicht die gesamte Menschheit zu einer und derselben Zeit. Daher, wie wir sehen, die Schwierigkeit, sie zu verstehen und zwischen ihnen zu unterscheiden, mit Bezug auf ihre körperlichen und geistigen Wirkungen, ohne vollständig ihre Beziehungen zu und ihre Einwirkung auf die betreffenden Nationen und Rassen in ihrem Schicksale und ihrer Entwicklung bemeistert zu haben. Dieses System kann nicht verstanden werden, wenn die geistige Wirkung dieser Perioden - vorherbestimmt sozusagen von dem Karmischen Gesetz - von ihrem physischen Lauf getrennt wird. Die Berechnungen der besten Astrologen würden fehlschlagen, oder zum mindesten unvollständig bleiben, wenn diese duale Wirkung nicht vollständig in Betracht gezogen und in dieser Richtung beherrscht würde. Und diese Meisterung kann nur durch Initiation erlangt werden.

Der Große Zyklus umfaßt den Fortschritt der Menschheit seit der Erscheinung des ursprünglichen Menschen von ätherischer Form. Er durchläuft die inneren Zyklen der vorwärtsschreitenden Entwicklung des Menschen vom ätherischen abwärts bis zum halbätherischen und zum rein körperlichen: Abwärts bis zur Befreiung des Menschen von seinem Rock aus Fell und Materie, worauf er seinen Lauf abwärts gerichtet fortsetzt und dann wieder aufwärts, um am Höhepunkt einer Runde anzulangen, wenn die manvantarische "Schlange ihren Schwanz verschlingt" und sieben kleinere Zyklen vergangen sind. Diese sind die großen Rassenzyklen, die alle Nationen und Stämme, die in dieser besonderen Rasse inbegriffen sind, beeinflussen; aber es gibt kleinere und nationale, sowie Stammeszyklen innerhalb derselben, die unabhängig voneinander verlaufen. Sie werden in der östlichen Esoterik die Karmischen Zyklen genannt. Im Westen ist - nachdem die heidnische Weisheit verworfen ist, als hervorgewachsen und entwickelt aus den dunklen Mächten, die angenommenerweise in beständigem Krieg und Widerstand gegen den kleinen Stammes-Jehovah stehen - die volle und erhabene Bedeutung der griechischen Nemesis (oder des Karma) vollständig vergessen worden. Im anderen Falle würden die Christen die tiefsinnige Wahrheit besser verstanden haben, daß Nemesis ohne Attribute ist; daß, während die gefürchtete Göttin unbedingt und unveränderlich ist als ein Prinzip, wir selbst es sind, - Völker und Einzelwesen - die sie zur Tätigkeit antreiben und den Anstoß für ihre Richtung geben. Karma-Nemesis ist die Schöpferin der Nationen und Sterblichen, aber einmal geschaffen, sind diese es, die aus ihr entweder eine Furie oder einen belohnenden Engel machen. Fürwahr -

"Weise sind, die ehren Nemesis"2

- wie der Chor zu Prometheus spricht. Und ebenso sind jene unweise, die glauben, daß die Göttin durch irgendwelche Opfer oder Gebete besänftigt oder zur Ablenkung ihres Rades von dem Weg, den es einmal genommen hat, bewogen werden könne. "Die dreigestaltige Schicksalsgöttin und die stets gedenkenden Rachegöttinnen" sind ihre Attribute nur auf Erden und von uns erzeugt. Es gibt keine Umkehr von den Pfaden, die sie durchläuft; aber jene Pfade sind unser eigenes Werk, denn wir selbst, kollektiv und individuell, bereiten sie vor. Karma-Nemesis ist das Synonym von Vorsehung minus Absicht, Güte und jeder anderen endlichen Eigenschaft und Qualifikation, wie sie der letzteren so unphilosophisch beigelegt werden. Ein Okkultist oder ein Philosoph wird nicht von der Güte oder Grausamkeit der Vorsehung sprechen; aber sie mit Karma-Nemesis identifizierend, wird er nichtsdestoweniger lehren, daß sie die Guten schützt und über sie in diesem, sowie in zukünftigen Leben wacht; und daß sie den Übeltäter bestraft, - ja, bis zu seiner siebenten Wiedergeburt - so lange in der Tat, bis die Wirkung davon, daß er etwas - und sei es auch nur das kleinste Atom in der unendlichen Welt der Harmonie - in Störung versetzt hat, schließlich wieder in Ordnung gebracht ist. Denn das einzige Gesetz des Karma - ein ewiges und unveränderliches Gesetz - ist unbedingte Harmonie in der Welt des Stoffes, so wie sie es ist in der Welt des Geistes. Nicht Karma ist es daher, das belohnt oder bestraft, sondern wir belohnen oder bestrafen uns selbst, je nachdem wir entweder mit, mittels oder gemäß der Natur wirken, indem wir den Gesetzen, von denen diese Harmonie abhängt, gehorchen, oder - sie brechen.

Auch wären die Wege Karmas nicht unerforschlich, wenn die Menschen in Einigkeit und Harmonie wirken würden, anstatt in Uneinigkeit und Streit. Denn unsere Unkenntnis dieser Wege - die ein Teil der Menschheit die Wege der Vorsehung nennt, dunkel und verworren; während ein anderer in ihnen die Wirkung des blinden Fatalismus sieht; und ein dritter einfachen Zufall, ohne Götter und ohne Teufel zu ihrer Leitung - würde sicherlich verschwinden, wenn wir nur alle von ihnen ihrer richtigen Ursache zuschreiben würden. Mit der richtigen Erkenntnis, oder zum mindesten mit einer vertrauensvollen Überzeugung, daß unsere Nachbarn ebensowenig darauf sinnen, uns zu schädigen, als wir daran denken, sie zu kränken, würden zwei Dritteile des Weltübels in leere Luft vergehen. Wäre kein Mensch dazu bereit, seinen Bruder zu verletzen, so hätte Karma-Nemesis weder Ursache, deshalb zu wirken, noch Waffen, um durch dieselben zu handeln. Die beständige Anwesenheit in unserem Gemüt von jeder Art Streit und Widerstand, und die Einteilung der Rassen, Völker, Stämme, Gesellschaften und Einzelwesen in Kaine und Abel, Wölfe und Lämmer ist die Hauptursache der "Wege der Vorsehung." Wir schneiden diese zahlreichen Windungen in unsere Schicksale täglich mit unseren eigenen Händen, indes wir uns einbilden, daß wir eine Spur auf der königlichen Heerstraße der Ehrbarkeit und Pflicht verfolgen, und dann uns beklagen, daß diese Windungen so verworren und so dunkel sind. Wir stehen verwirrt vor dem Geheimnis, das wir selbst geschaffen, und vor den Rätseln des Lebens, die wir nicht lösen wollen, und dann klagen wir die große Sphinx an, daß sie uns verschlingt. Aber fürwahr, es gibt kein zufälliges Ereignis in unseren Leben, keinen mißratenen Tag und kein Mißgeschick, die nicht auf unsere eigenen Taten in diesem oder in einem anderen Leben zurückgeführt werden könnten. Wenn man die Gesetze der Harmonie bricht, oder, wie ein theosophischer Schriftsteller es ausdrückt, die "Gesetze des Lebens", so muß man darauf gefaßt sein, in das Chaos zu stürzen, das man selber bereitet hat.

Wenn daher irgend jemand hilflos vor diesen unveränderlichen Gesetzen steht, so sind das nicht wir selbst, die Schmiede unserer eigenen Geschicke, sondern eher jene Engel, die Hüter der Harmonie. Karma-Nemesis ist nicht mehr als die (geistige) dynamische Wirkung von Ursachen, hervorgebracht durch unsere eigenen Handlungen, und von Kräften, die von eben denselben zur Tätigkeit erweckt wurden. Es ist ein Gesetz der okkulten Dynamik, daß "eine gegebene Menge von Kraft, aufgewendet auf dem geistigen oder astralen Plane, viel größere Wirkungen hervorbringt, als dieselbe Menge, aufgewendet auf dem körperlichen gegenständlichen Daseinsplane."

Dieser Zustand der Dinge wird andauern, bis die geistigen Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen voll eröffnet sind, und das wird nicht eintreten, bevor wir nicht unsere dicken Röcke aus Materie gänzlich wegwerfen; bis wir anfangen, von innen heraus zu handeln, anstatt immer den Antrieben von außen zu folgen, Antrieben, die von unseren körperlichen Sinnen und dem groben, selbstsüchtigen Körper hervorgebracht sind. Bis dahin sind die einzigen Abwehrmittel gegen die Übel des Lebens Einigkeit und Harmonie - eine Bruderschaft der Tat und Selbstlosigkeit, die nicht nur dem Namen nach besteht. Die Unterdrückung einer einzigen schlechten Ursache wird nicht eine, sondern viele schlechte Wirkungen unterdrücken. Und wenn eine Bruderschaft, oder selbst eine Anzahl von Bruderschaften, nicht imstande sein mag, die Völker daran zu hindern, sich gelegentlich gegenseitig die Hälse abzuschneiden, so wird doch immerhin Einigkeit im Denken und Handeln und philosophisches Forschen nach den Geheimnissen des Seins jederzeit einige Personen, die das zu verstehen suchen, was bisher für sie ein Rätsel geblieben ist, daran verhindern, neu hinzukommende Ursachen des Unheils in einer Welt zu schaffen, die bereits so voll von Weh und Übel ist. Die Kenntnis des Karma gibt die Überzeugung, daß, wenn -

"... Tugend verzweifelt, Laster triumphiert,

Zu Gottesleugnern sie die Menschen machen,"

dieses nur deshalb der Fall ist, weil die Menschheit jederzeit die Augen vor der großen Wahrheit verschlossen hat, daß der Mensch selbst sein eigener Erlöser und sein eigener Verderber ist.

 

Aus Die Geheimlehre, I, 695-706

Fußnoten

1. Die Kabiren waren die Lehrer der Menschheit im Landbau, weil sie die Regenten über die Jahreszeiten und Kosmischen Zyklen waren. Daher waren sie es, die als Planetengeister oder "Engel" (Sendboten) die Mysterien der Kunst des Landbaues leiteten. [back]

2. Welche vor Karma-Nemesis Ehrfurcht haben, wäre besser. [back]