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Wie Karma wirkt

Für die meisten Menschen besteht das 'Geheimnis' des Lebens in der Frage, wie bei der unendlichen Menge von Wesen jedes einzelne mit seinen eigenen, einzigartigen Eigenschaften und seinem eigenen Schicksal geboren wird. Wir fragen uns, ob es gerecht ist, daß einige von Geburt an begünstigt und andere verdammt sind; oder formen und gestalten wir tatsächlich unseren eigenen Lebensstil in Übereinstimmung mit dem ausgleichenden Gesetz von Ursache und Wirkung?

Wenn wir an den Anfang der Zeit zurückdenken, als die Himmel und Erden 'geschaffen' wurden und gleichzeitig Leben und Bewegung existierten, dann erkennen wir, daß seit damals die Bewegung als Aktion-Reaktion alle Wesen anregte und sie auf dem evolutionären Kurs vorwärtsdrängte. Instinktiv reagieren die Naturreiche auf diesen Vorgang ebenso wie wir. Vom Augenblick unserer Geburt an erzeugen wir Ursachen - einen Schrei oder ein Lächeln; und empfangen als Folge - Beachtung oder Liebe. Danach fahren wir fort und gestalten uns selbst emotionell, mental, physisch und spirituell durch die Ursachen - unsere Gedanken und Handlungen -, die wir in Bewegung setzen. Während dieses Vorgangs werden wir vom Gewissen geführt, von der Stimme unserer Erfahrung, die stets Gerechtigkeit und harmonisches Gleichgewicht in unsere Beziehungen zu anderen zu bringen sucht.

Dieses eine oberste Gesetz von Ursache-Wirkung arbeitet so kompliziert und unfehlbar, daß es für Wissenschaftler und Philosophen seit eh und je rätselhaft und faszinierend war. Einige führen seine Tätigkeit auf Zufall zurück oder auf einen allwissenden, allmächtigen Gott, dem sie bedingungslos huldigen.

"... so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme", befahl Moses den Juden (Exodus 21:23-25). Darauf bauten sie ihr Rechtssystem auf, erkannten jedoch nicht immer, daß es sich hier um eine vielsagende Erklärung über die unausweichlichen Konsequenzen der Natur handelt. Glücklicherweise sagte es Paulus eindeutiger:

... denn jeder wird seine eigene Bürde zu tragen haben ... Irrt euch nicht; Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Denn wer auf sein Fleisch sät, wird von Fleisch Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten. Lasset uns aber nicht müde werden, das Gute zu tun! Denn zu seiner Zeit werden wir ernten; wenn wir nicht ermatten. Demnach lasset uns nun, wie wir Gelegenheit haben, das Gute vollbringen gegen jedermann, ...

- Galater 6:5,7-10

Dieses Gleichnis vom Sämann ist anschaulich und wissenschaftlich. Unbestreitbar kann gezeigt werden, daß das Gesetz von Aktion und Reaktion in der physischen Welt wirkt, wie es der österreichische Botaniker Gregor Mendel in seinen Experimenten mit Erbsen bewies. In einem Falle kreuzte er Zwergerbsen mit großen Erbsen und bestätigte praktisch Paulus' Aussage. Er zeigte nämlich, daß alle Pflanzen der ersten Generation beständig große Erbsen erzeugten. "Nach einer festgelegten Zeit", das heißt in der zweiten und den folgenden Generationen aber wurden wieder Zwergerbsen oder die rezessiven und latenten Anlagen mit mathematischer Genauigkeit hervorgebracht. Indem er dies auf die menschliche Ebene übertrug, konnte er seine bemerkenswerte These über die genetische Vererbung dominanter charakteristischer Eigenschaften aufstellen.

bild_sunrise_11979_s65_1Charles Darwin bestätigte auf seine Weise ebenfalls das Gesetz von Aktion-Reaktion: Seine Theorie der natürlichen Auslese erklärt sogar in ihrer modifizierten Form, wie Ursachen - die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit bestimmter Pflanzen und Tierarten - individuelles Überleben und die Erhaltung besonderer Arten zur Folge haben. Schon früher bezeichnete Sir Isaac Newton das gleiche Prinzip als das dritte Grundgesetz der Bewegung: Zu jeder Aktion gehört eine gleichgroße, entgegengesetzt gerichtete Reaktion.

Bildtext: Der Säer; Skizze von Jean Francois Millet.

Die neue Biologie erweitert diese Ideen mit einer weiteren Dimension, indem sie die Wirkungsweise des chemischen, genetischen DNS-Code mit farblich differierten Bausteinen, ähnlich einem Kinderbaukasten mit Plastikteilen, demonstriert. Dieser Code wird im Kern der Körperzellen bewahrt. Er speichert nicht nur die erworbenen Veränderungen seiner - und deshalb unserer - drei Milliarden Jahre zählenden Evolutionsgeschichte und pflanzt sie getreulich fort, sondern er benutzt auch die dominanten und rezessiven Eigenschaften, die wir durch unsere frühere Saat erwarben, um uns zu den einzigartigen Individuen zu gestalten, die wir jetzt sind.

Diese Wissenschaftler befassen sich jedoch mit physischen Vorgängen. Um die psychologischen, mentalen und spirituellen Ursachen zu entdecken, die uns formen, und um herauszufinden, wie solche subtilen Eigenschaften von einem Leben auf zukünftige Leben übertragen werden, müssen wir uns der wissenschaftlichen und religiösen Literatur des Ostens zuwenden. Dort sind in Höhlen und Tempelgruften alte Schriftrollen erhalten geblieben, in denen das geheimnisvolle Wirken des Gesetzes erläutert wird, das sie karma nennen (wörtlich Handlung).

Die meisten Denkrichtungen Indiens betrachten Karma als die unerbittliche moralische und wissenschaftliche Grundlage des Lebens. Die Buddhisten glauben zum Beispiel, daß sich die ganze Welt durch Karma bewegt. Durch Karma ist jedes Individuum das, was es ist: alles, was es denkt, fühlt und tut. Alles, was es von anderen unterscheidet, ist das Ergebnis von Kräften oder Ursachen, die es und nur es allein in Bewegung gesetzt hat. Deshalb sehen sie in jedem Lebewesen einen Baumeister, der seine eigenen "Vorzüge und Fehler", sein Leiden und seinen Erfolg bestimmt; der entscheidet, zu welcher Familie, Rasse und Religion er zurückkehren wird, und auch über den 'Himmel' und die 'Hölle'.

Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir gedacht haben; es ist auf unseren Gedanken gegründet, es wird aus unseren Gedanken gebildet. Wenn ein Mensch mit einem bösen Gedanken spricht oder handelt, folgt ihm Leid, wie das Rad dem Fuße des Ochsen folgt, der den Karren zieht.

Wenn ein Mensch mit einem reinen Gedanken spricht oder handelt, folgt ihm das Glück wie ein Schatten, der ihn nie verläßt.

- Dhammapada, I, 1-2

Deshalb erklären sie, daß wir unsere Gedanken, d. h. unser Willen-Intelligenz-Bewußtsein, ändern müssen, wenn wir die Art und den Lauf unseres Lebens verbessern wollen. Denn hat nicht unser Karma - unsere physische Tätigkeit, unsere vokale und unsere mentale Aktion - seinen Ursprung in Verhaltensmustern gehabt, die durch unser Wollen (cetanâ) entstanden sind, und bildet es nicht durch unsere Willenskraft neue Verhaltensmuster? Sobald sich unser Wille spirituellen Zielen zuwendet, werden die vier Hauptarten von Karma, die zu ihrer Auflösung im allgemeinen Äonen brauchen, schnell verschwinden: (1) die Handlung, die Ergebnisse in diesem Leben bringt; (2) die Handlung, die Ergebnisse im nächsten oder in zukünftigen Leben hervorbringt; (3) diejenige, welche von Zeit zu Zeit Ergebnisse bringt; und (4) Handlungen der Vergangenheit, die gegenwärtige Bedingungen erzeugen.

Da der buddhistische Laie dies und die Lehren über die komplizierten Verbindungen zwischen dem persönlichen Karma und dem Familien-, Rassen- und Volkskarma versteht, bemüht er sich, dem Edlen Achtfachen Pfad zu folgen, der Schritt für Schritt aus diesem Aktions-Reaktions-Zyklus des Leidens und der Illusion herausführt: Rechtes Verstehen, rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes Bemühen, rechte Aufmerksamkeit und rechte Konzentration. Der buddhistische Bettelmönch folgt dem Pfad vertrauensvoll, da er weiß, daß Armut, Krankheit, Behinderung und Unwissenheit die Methoden der Natur sind, das Gleichgewicht wiederherzustellen; und daß sie für ihn Gelegenheiten sind, den Leidenden zu helfen und indirekt seine eigene Selbstbeherrschung und sein Mitleid zu prüfen und zu entwickeln.

Ein anderer alter indischer Orden, die Jainisten, haben dieselben Lehren angenommen und heben besonders hervor, daß kein Gott, kein Opfer oder keine Sühnehandlung die Kraft der Reaktion hemmen können, die durch unsere Gedanken, unseren Willen und unsere Handlungen in Bewegung gesetzt worden ist. Es spielt keine Rolle, ob diese Handlungen mental oder physisch, in der Vergangenheit oder der Gegenwart, absichtlich oder unabsichtlich geschehen sind. Die klar denkenden Jainisten glauben, daß wir allein unsere Gestalt, unseren Charakter, unser Verhalten und jedes Ereignis unseres täglichen Lebens bestimmen, und sie erklären, wie das geschieht: Immer wenn ein jîva - ein bewußtes Wesen, sei es ein Gott, ein Mensch, ein Tier oder eine Pflanze oder ein Bewohner der Regionen unter uns - sich zu weltlichen Dingen wie Nahrung, Kleidung, Menschen und Orten hingezogen fühlt oder danach trachtet; immer wenn es Leidenschaften wie Ärger, Furcht, Gier, Haß oder Liebe freien Lauf läßt; oder immer wenn es Unwissenheit und falschen Ideen anhängt, dann öffnet dieses jîva die Tore seines Herzens einem Einfluß "karmischer atomarer Materie" - karma-prayoga pudgala. Diese subtilere Materie vermischt sich daraufhin mit der ätherischen Substanz des jîva und seiner Umgebung und beeinflußt sie. Sie erzeugt Anhäufungen molekularer Teilchen, die entweder jîva unmittelbar färben, verdunkeln und niederdrücken, oder sie sammeln sich als Samen und ruhen, um zu reifen, bis die Bedingungen zu ihrer Entwicklung geeignet sind.

Da nun jeder Einfluß seinen eigenen besonderen Ursprung, seine Färbung (von sechserlei Art), Dichtheit, seinen Geschmack, Geruch, seine Fühlbarkeit, Intensität und Dauer hat, folgt daraus, daß Handlungen der Selbstbeherrschung und des Mitleids eine Flut von wohltätigem, karmischen Material einbringen, die jîva je nach dem Material in leuchtendes Weiß, Rot oder Gold färben und durch Anziehung zu seinen Lebensverhältnissen führt und Umstände in sein Leben bringt, die angenehm und harmonisch sind. Andererseits ziehen rücksichtslose, selbstsüchtige, grausame oder sinnliche Handlungen eine Invasion von drückendem, dunklen und zerstörenden Material an sich, das die Seele in Welten der Illusion hinabzieht und Verwirrung und schmerzvolle Bedingungen in das Leben bringt.

Die Literatur der Jainisten behandelt im einzelnen 148 verschiedene Arten von Karma, die auf ein jîva einwirken und es durchdringen wie "Hitze eine rotglühende Eisenkugel". Diese verschiedenen Arten von Karma gliedern sich in acht Hauptgruppen: (a) Nâma-karma, "Namens-Karma" wirkt auf die 'Maske' oder Persönlichkeit ein - auf Vererbung, Geschlecht, Gesundheit und auf die Einzelheiten der äußeren Erscheinung - und auf die Individualität oder die Charaktereigenschaften des inneren Wesens. (b) Âyushka-karma, "Lebenskarma", begrenzt wie ein Seil die Länge des Lebens einer Person und die Menge an Vitalität, die sie verbrauchen wird. (c) Antarâya-karma, "Hinderniskarma", erzeugt Hindernisse, die die Bemühungen, sein Leben zu bessern, vereiteln. (d) Gotra-karma, "Familienkarma", bestimmt die soziale Stellung - Familie, Beruf, Heirat, Religion, Wohnsitz und sogar die Art der Speisen, die man essen wird. (e) Vedanîya-karma, "Karma zum Erkennen", zieht für den Handelnden angenehme und schmerzvolle Erfahrungen an, die, so sagen sie, für die Seele bitter-süß sind wie Honigschlecken von einer Schwertklinge. (f) Mohanîya-karma, "Karma der Täuschung", verursacht emotionale und psychologische Verwirrung; während (g) Jnâna-âvaranîya, "Wissen verbergend", und (h) Darsana-âvaranîya, "Einsicht verbergend", die mentalen und spirituellen Wahrnehmungen mit Unwissenheit und Vorurteilen verhüllen, so daß man unfähig ist, die Wahrheit zu erkennen, wenn man sie sieht; man wendet sich vielmehr ab wie ein Reisender, der den König aufsucht und vom Pförtner abgewiesen wird.

Wenn man dies berücksichtigt, wird offensichtlich, daß je aktiver ein Mensch ist und je mehr er die Objekte, Umgebung und Kenntnisse dieser Welt genießt, die wir mit den Sinnen wahrnehmen, desto mehr karmische Neigungen zieht er an. Diese Anhäufungen, so erklären die Jainisten, formen sich tatsächlich selbst zu einem 'Körper' - dem kârmana sarîra (dem linga- oder sûkshma-sarîra der Sâmkhya-Philosophie). Da sich dieser Körper, anders als der physische, beim Tode nicht auflöst, sondern am jîva haftet, ist er der Teil des Menschen, der seine dominanten und rezessiven karmischen Eigenschaften von einer Geburt zur anderen weiterträgt. Auf diese Weise stellen die Jainisten die alte Lehre dar, daß wir unseren wirklichen Charakter von uns selbst erben und nicht von unseren Eltern, obwohl wir von der Familie, zu der wir karmisch hingezogen werden, die Eigenschaften 'erben' oder aussuchen, die dieses Mal für die Erfahrungen unserer Seele notwendig sind.

Wir schaffen und prädestinieren uns selbst, physisch, mental und spirituell, durch die 'Nahrung', die wir mit unserem Körper, unserem Geist und unserer Seele aufnehmen. Diese philosophischen Vorstellungen tragen zu der Erklärung bei, wie wir handeln, uns gegenseitig beeinflussen und aufeinander einwirken. Das trifft besonders dann zu, wenn das "Auge um Auge"-Rache-Aktionssyndrom beständig weiterverfolgt wird. Da wir jedoch ständig neue karmische Substanz schaffen und alte auslöschen oder 'verbrauchen', können wir uns in jedem beliebigen Augenblick weigern, auf gleiche Weise zurückzuzahlen, wodurch das Hin und Her der erniedrigenden gegenseitigen karmischen Einflüsse aufgehalten wird. Wenn wir uns der Gerechtigkeit und Liebe zuwenden, unterbrechen wir nicht nur alte Handlungsweisen, sondern ziehen feinere, lichtere und freudvollere karmische Materie an.

Früher oder später kommt für uns alle dieser Augenblick der Entscheidung, er kommt vielleicht in einer Zeit des Leidens oder des höheren Strebens. Unser Geist wird sich rühren und sich gegen die eintönige Wiederholung der Aktion-Reaktion-Aktion auf niedriger Ebene auflehnen. Von nun an, wenn Geist und Wille genügend gestärkt worden sind, können wir die volle Verantwortung für unser Leben bewußt übernehmen. Eine dauerhafte Wandlung erfordert jedoch einen unbeugsamen Willen, Mut und Ausdauer - haben wir schließlich nicht das Ungeheuer unserer gesamten vergangenen Handlungen angenommen? Haben wir uns nicht praktisch dazu entschlossen, die karmischen Ablagerungen, die in äonenlanger Zeit sich bildeten, zu suchen, ihnen die Stirn zu bieten, sie aufzulösen und von nun an nur noch Material von höchster Qualität einfließen zu lassen?

Um den Jaina-"Haushälter" bei diesem Abenteuer zu unterstützen, werden ihm "drei Juwelen" der Weisheit für die physische und geistige Erziehung gegeben: rechter Glaube (Einsicht), rechtes Wissen, rechtes Verhalten. Indem er seine Einstellungen, Gefühle und Gedanken durch Glauben oder Ergebenheit 'reinigt', läßt er nicht einmal die geringste Schwäche in sein Wesen eindringen, denn er weiß, daß, wenn er sie einließe, sie Wurzeln fassen und wachsen würde. Indem er die Lehren studiert und die Lebensgesetze unmittelbar beobachtet, gewinnt er Wissen, zu dem zweifellos auch das Wissen zählt, welche Ergebnisse welchen Ursachen folgen; welche Kräfte erzeugt werden und wie ihre drängende Kraft dirigiert, verwandelt oder wohltätig neutralisiert werden kann. Indem er sein Verhalten kontrolliert, Exzesse vermeidet und freundlich die Wahrheit spricht, übt er ahimsâ - Nichtverletzung - und errichtet gleichzeitig ausgeglichene Gedanken- und Handlungsvorgänge.

Später dann, als ein Asket, der den Pfad vor sich sorgfältig "fegt", damit er nicht versehentlich einem anderen Unbehagen oder Schmerz verursacht, gibt sich der Jainist einen strengen Verhaltenskodex, der so gestaltet ist, daß sich die Pforten seiner Seele für den Einfluß weltlicher Dinge vollständig schließen; denn er weiß jetzt, daß selbst die strahlendste karmische Substanz an ihm haften und ihn umgarnen wird; von nun an ist er entschlossen, sein ganzes Wesen auch vom leichtesten Anflug der sechs karmischen Farben zu reinigen, damit sein Geist nach Wiederherstellung seines erhabenen Zustands wie ein "Kristallspiegel" die Herrlichkeiten des unendlichen Wissens, der Kraft und der Seligkeit empfängt und reflektiert. Auf diese Weise wird Nirvana erlangt, und nachdem er vom Rad der Geburt und des Todes (samsâra) befreit ist, kann er das Reich der Illusionen verlassen.

Die gleiche mystische Einsicht wird in den Hindu-Upanishaden poetisch so ausgedrückt:

Wahrlich, die Seele (Âtman) - so erklären die Dichter - wandert hier auf Erden von Körper zu Körper, anscheinend unüberwunden von den hellen oder den finsteren Früchten des Handelns ... Als einer, der sich an der Rechtschaffenheit erfreut, bedeckt er sich (âtmânam) mit einer Hülle aus geschaffenen Eigenschaften; [aber] er bleibt fest - ja er bleibt fest!

- Maitri Upanishad, 2:7

Wie ein Mensch handelt, so wird er. Ein Mensch mit guten Taten wird gut, ein Mensch mit bösen Taten wird böse. Ein Mensch wird rein durch reine Taten, unrein durch unreine Taten.

Wie die Wünsche eines Menschen sind, so ist sein Schicksal; denn wie seine Wünsche sind, so ist sein Wille; wie sein Wille ist, so ist seine Tat; und wie seine Tat ist, so ist seine Belohnung, ob gut oder schlecht.

Ein Mensch handelt seinen Wünschen gemäß, an denen er hängt. Nach dem Tode geht er zur nächsten Welt und trägt in seinem Geist die subtilen Eindrücke seiner Taten; und nachdem er dort die Ernte seiner Taten eingebracht hat, kehrt er wieder zu dieser Welt des Handelns zurück. So unterwirft sich weiterhin der Wiedergeburt, wer Wünsche hat.

- Brihadâranyaka-Upanishad, IV, iv, 5-6

Aber jenen, die Freiheit von den karmischen Behinderungen suchen, gibt die Bhagavad-Gîtâ Inspiration und Führung. Besonders dort, wo Krishna dem strebenden Arjuna nicht Untätigkeit, sondern Handeln - den Pfad des Karma-Yoga - empfiehlt. Die Qualität des Handelns, die er vorschreibt, erzeugt aber ebenso wie die des Nichthandelns keinen Makel und keine Verwicklung in weltliche Angelegenheiten. Wenn man die Pflichten des Lebens mit bezwungenen Leidenschaften und einem Herzen, das in fester Ergebenheit auf den höchsten Geist gerichtet ist, erfüllen kann; wenn man - der Früchte seiner Handlungen bewußt - handeln kann, ohne an ihnen interessiert oder mit ihnen verhaftet zu sein, unbeeinflußt durch Freude oder Schmerz, Gewinn oder Verlust, Sieg oder Niederlage, dann erwirbt man im Verlaufe der Zeit spirituelles Wissen auf natürliche Weise. "Sein Geist wird nicht durch Widerwärtigkeiten gestört; er lebt glücklich und zufrieden in Wohlstand; Sorge, Furcht und Ärger sind ihm fremd. Ein solcher Mensch wird ein Muni - ein weiser Mensch - genannt" (II, 55-56).

Wir finden somit, daß praktisch alle philosophischen Schulen Indiens imstande sind, unsere Gedanken auf die Bedürfnisse der Seele zu lenken. Jene Schulen, die sich mit Karma befassen, sind besonders erhebend. Sie zeigen, daß das Hier für jeden Menschen die beste aller möglichen Welten und das Jetzt die beste Zeit zu leben ist. Hier finden wir die Pflichten, die Herausforderungen und die einzigartigen Gelegenheiten, die wir durch unser Karma für uns geschaffen haben.

 

 

Literaturnachweise:

Prabhavananda, Swami, The Spiritual Heritage of India, Vedanta Press, Hollywood, 1969.

Radhakrishnan, Sarvepalli, Herausgeber, The Cultural Heritage of India, Bd. I. The Ramakrishna Mission, Institute of Culture, Calcutta, 1958.

Zimmer, Heinrich, Philosophies of India, Herausgeber Joseph Campbell (Bollingen Series XXVI) Princeton University Press, Princeton, 1969.