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„Suchet diese Weisheit…“

Auch wenn wir könnten, würden wir nicht zu dem zurückkehren, was man voll Wehmut als die "guten alten Zeiten" bezeichnet, als die Welt noch größer, der Tag noch 'länger' war, und als es das gab, was man Muße nannte - obwohl wir manchmal davon "träumen" und unser heutiges Leben uns voller Unruhe erscheint, würden wir nicht dahin zurückgehen. Wir würden die Uhr bestimmt nicht zurückstellen. Wir möchten und könnten den Sonnenaufgang nicht verzögern, die Flut des Lichts nicht aufhalten, die in einen neuen Tag hineinströmt, in eine neue Zeit, in ein neues Leben. Doch obwohl wir das wissen, hören wir viele Klagen und klagen auch selbst über den Druck und die Hetze dieser modernen, wirren Zeit mit ihren Arbeitsplänen und Terminen, mit der Vielfalt ihrer politischen und sozialen Organisationen, mit der unvermeidlichen Belastung der wechselnden Meinungen, Interessen, Glaubensbekenntnisse und mit all dem, was nur Theorie ist. Wie soll ein einfacher Mensch zwischen all diesen mannigfaltigen und sich widersprechenden Meinungen und Methoden, die ihn von jeder Seite bedrängen, weise wählen? Wie kann er sich auskennen? Wie und wann kann er auch die Zeit finden, sich über seine eigenen Ideale und Überzeugungen klar zu werden? Wie kann er auch nur das bißchen Weisheit erlangen, das nötig ist, sein eigenes einfaches Leben zu führen? Und was ist Weisheit?

Doch Leben ist Leben, wann immer und wo immer wir es finden. Ich bin sicher, seit die Sonne an dem 'Tage' unterging, als Gott alles sah, was er geschaffen hatte, und es für sehr gut befand, daß es seit jenem Tag Drangsal und Not, Zwiespalt und Verwirrung, Staunen und die unausweichliche Notwendigkeit der Wahl gegeben hat.

Vom Augenblick der Geburt an führt der Ansporn der Sinne das Kind in die Erfahrungen des Lebens. Es verspürt einen ständig steigenden Impuls, dem Wunsch zu folgen, die Natur und die Ursache von allem, womit es in Berührung kommt, zu erkennen. Es empfindet den unwiderstehlichen Drang, die Welt, in die es gekommen ist, wieder zu entdecken und ist willens, seine Leistungsfähigkeit im Leben zu prüfen. Mit den Jahren, wenn sich sein Bewußtsein erweitert, gelingt es ihm, dies durch Mittel und Wege, die seinen Wünschen entsprechen und die im Rahmen seines Verständnisses liegen, zu erreichen. Diese Möglichkeit des Verstehens ist, wie man vernünftigerweise annehmen kann, ihm angeboren; es ist eine Kraft oder Fähigkeit, die der Mensch zusammen mit seinem winzigen Körper durch die Tore der Geburt mitgebracht hat. Schließlich kennt er viele Dinge. In zunehmendem Maße und manchmal schmerzlich wird sich das Kind der Welt um sich bewußt. Seiner Aufnahmefähigkeit entsprechend erlangt es Wissen. Damit dieses Wissen von Wert ist, muß es auf die Angelegenheiten und Dinge des Lebens, die den jungen Menschen angehen, angewandt werden. Das erscheint logisch, denn das Wissen muß praktiziert werden. Wie und zu welchem Zweck es gebraucht wird, hängt vom Wunsch dessen ab, der es anwendet. Die Ergebnisse leiten sich von den Handlungen ab, für die sich der Mensch entschieden hat.

Hier fängt die Weisheit an. Weisheit erscheint fast wie eine Gabe der Götter, und in einem sehr realen Sinne kann man sie sich als einen erleuchtenden Strahl aus der Gottheit vorstellen, die die ganze Schöpfung belebt und durchdringt. Wenn Wissen individuell erworben werden muß, ist es dann nicht logischerweise so, daß Weisheit, die die rechte Anwendung des erworbenen Wissens darstellt, von einem Strebenden gesucht, geprüft und individuell erworben werden muß, um die Qualität und die Anwendung dieser Kraft zu kennen, die über die erworbene Fähigkeit, die Dinge und Angelegenheiten unserer materiellen Welt zu handhaben, weit hinausgeht? Handeln müssen wir! Die bekannten und die unbekannten Kräfte der Natur drängen und verlangen nach Handlung. Es gibt keine einzige aufblitzende Sekunde, in der nicht irgendein Teil unserer Konstitution in Tätigkeit ist. Unser erworbenes Wissen sollte das plausibel machen.

Es mag nicht einfach sein, dem Schauspieler während des Abrollens des Dramas klarzumachen, daß er für jede einzelne Handlung, ob sie bewußt oder unbewußt geschieht, verantwortlich ist. Was die willentlichen Handlungen anbetrifft, so ist diese Gleichung einfach. Da sich der Bereich unserer Nachrichtenmedien fortwährend erweitert, können wir den Mitteilungen über Handlungen und den Resultaten von Handlungen durch einzelne, durch Gruppen oder durch Völker nicht entfliehen. Viele dieser Nachrichten berichten von Unglücksfällen, tragischen Begebenheiten und von Herzeleid. Die Folgen des Handelns erheben sich in grellen Flammen, so daß alle Welt sie sehen kann. Das sind die Extreme, aber sie machen den allgemeinen Grundsatz deutlich, daß entsprechende Folgen sich der Tat anschließen, wie die Furche dem Pflug folgt. Der Einfluß und die Auswirkung allen Handelns sind nicht so sichtbar wie die vielbeachteten Folgen, die im Leben der wenigen sichtbar werden, aber die Taten des Durchschnittsmenschen, seien sie gut oder schlecht, können dem Gesetz nicht entrinnen. Der weise Mensch kennt das Gesetz und handelt in Übereinstimmung mit ihm; dadurch vermeidet er große Gefahren und wirkt wohltätig.

Welche Technik sollte man daher anwenden, um Weisheit zu erlangen? Sie ist einfach, doch tiefgründig, wie es die meisten einfachen Dinge sind. Wenn man eine halbe Stunde oder auch nur ein paar kurze Augenblicke für die Selbstprüfung und für ruhige, vorurteilslose Gedanken erübrigen kann, wird sich zweifellos eine Antwort auf die Betrachtung ergeben. Zuerst muß man Weisheit wirklich wollen. Dazu ist mehr bewußter Wille nötig als die unbewußte Reaktion des Kindes auf einen äußeren Reiz. Wir müssen bereit sein, etwas von der eigennützigen, selbstsicheren Anmaßung aufzugeben, die wir durch das rege Verstandesdenken und durch die Sinne unseres Körpers erworben haben. Wir müssen in uns etwas Bereitschaft zum Opfer hervorrufen, so, wie der Himmel den sanften Regen opfert, der die Erde ernährt. Wir müssen uns dazu bringen, die Dinge neu einzuschätzen: in jene, die von Wert sind, und in jene, die nach den Worten des Predigers Salomo, dem Sohne Davids, "Eitelkeit der Eitelkeiten" sind. Wir müssen das Herz mit vertrauensvollem Mut und unbeugsamer Geduld wappnen, unsere Augen dem Licht zuwenden und vermeiden, selbst Schatten zu erzeugen.

Die Bhagavad-Gîtâ ist eine dramatische Episode aus dem alten Hindu-Epos, dem Mahâbhârata, die die Jahrhunderte der menschlichen Kämpfe und Wirren überdauert hat und bis in unsere heutige Zeit in verschiedenen Übersetzungen und Formulierungen erhalten geblieben ist; für Philosophen ist sie das Mittel zur Inspiration geworden und ein spirituelles und praktisches Handbuch für Menschen, die nach den Geheimnissen von Leben und Tod und der drängenden Umstände der Welt um sie herum fragen. Vor einigen Jahren war die Bhagavad-Gîtâ das Diskussionsthema einer Rundfunksendung, in der ein Gelehrter sie als "eine der bedeutendsten Dichtungen der Welt" einstufte, als "ein Gedicht, das mit einer Schlacht beginnt und voller Begeisterung ein Bild der Schulung vermittelt, die zur Erlangung von Wissen erforderlich ist." In diesem Zwiegespräch sieht der Gott Krishna mitleidig auf den Krieger Prinz Arjuna hinab, der von Verzagtheit und Verwirrung überwältigt wurde, als er den Lärm der Schlacht hörte und die streitenden Mächte, nämlich Freunde und Verwandte auf beiden Seiten, überblickte. Er legte die Waffen nieder, weigerte sich zu kämpfen und fragte den Gott Krishna, wie er die Wahrheit des göttlichen Wortes und der Ermahnung erkennen und verstehen solle: "Erhebe dich mit Entschlossenheit, den Willen auf die Schlacht gerichtet." Wie könne er in einer so schwierigen Lage die nötige Weisheit erlangen?

Neben vielen anderen Lehren gab ihm Krishna folgenden Rat:

"Suche diese Weisheit durch Dienen, durch angestrengtes Suchen, durch Fragen und durch Demut."

Das ist äußerst einfach, sagen wir. Aber was ist Dienen, was ist Demut? Was versteht man unter angestrengtem Suchen, und von welcher Art oder wie eindringlich sollen unsere Fragen sein? Schon hier müssen wir nach den Antworten suchen. Ein paar grundlegende Definitionen können hoffentlich das Nachdenken über diese grundsätzlichen Worte anregen.

 

Dienen: Das, was zum Wohle eines anderen getan wird; zum Vorteil oder Nutzen für einen anderen.

Angestrengtes Suchen: So gründlich forschen, als ob man etwas Verborgenes oder Verlorenes finden möchte; ein verborgenes Ziel mit Eifer und unerschrockener Energie erstreben, so wie der Wissenschaftler, der Forscher, die Expedition, die Rettungsmannschaft sucht und wie es in den Epen von Jason und dem goldenen Vlies und von Sir Galahad und dem Heiligen Gral steht - die göttliche Wirklichkeit.

Fragestellen: Uns selbst und andere in den hohen, reinen Bereichen des Denkens und des Handelns, die den Geist in Erstaunen versetzen, erforschen; nach den Geheimnissen, die in den gewöhnlichen Dingen verborgen sind, fragen; nach dem Gesetz der Gerechtigkeit, das alles Leben beherrscht, suchen. "Die Weisen, die die Wahrheit sehen, werden sie dir mitteilen."

Demut: Eine richtige Bewertung von uns selbst; sich des fundamentalen Grundsatzes bewußt sein, daß alle Menschen im Geiste und in ihrer Bestimmung gleich sind, daß alle nach dem Bilde Gottes geschaffen sind und daß die Idee des Sonderseins nur im Verstand und in den Sinnen wohnt, über denen noch der göttliche Geist herrscht. "Wer die Sinne und Organe unter Kontrolle hat, besitzt göttliches Wissen."

 

Wenn wir damit beginnen, zu dienen, zu suchen, zu fragen und demütig zu sein, dann werden wir anfangen, den Geist dieser Grundsätze zu verstehen, und werden Stufe für Stufe unsere eigene Verantwortlichkeit und Stärke erkennen. Wir werden allmählich erkennen, daß die Anwendung dieser Grundsätze auf die Probleme des Lebens unsere Aufgabe ist, unsere Disziplin, unser Schlachtfeld und schließlich unser Sieg.