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Goldene Regeln der Esoterik

6 – Der Chela-Pfad

 

 

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Wahrlich wundervoll ist das Band zwischen Lehrer und Jünger. Bei dem Jünger besteht das Gefühl vollkommenen Vertrauens und höchster Liebe, so daß keine seiner Empfindungen vor seinem Lehrer verborgen bleiben kann; und bei dem Lehrer herrschen Verständnis, Mitgefühl, Liebe, ja manchmal, oder oft auch, Anerkennung. Wenn der Jünger seinem Lehrer gegenüber Dankbarkeit empfindet, so hat auch der Lehrer das gleiche Gefühl für seinen Jünger, denn er sieht in ihm das heranwachsende Leben eines neuen Meisters des Mitleids, das in kommenden Äonen erblühen soll.

Sei guten Mutes! Folge dem Pfad, den du eingeschlagen hast. Folge ihm getreulich trotz der Fehler, die du machen magst, und trotz der Hindernisse, die du zu überwinden haben wirst. Folge jenem Pfad, der immer tiefer nach innen führt, zu dem Gott in dir. Er wird dich zum innersten Herzen des Universums führen. Und während du auf diesem Pfad vorwärts schreitest, wirst du an innerer Kraft zunehmen, werden deine inneren Fähigkeiten sich steigern, werden die spirituellen Teile deines Wesens sich entfalten, und damit werden sich vor dir Tore auftun, durch die du bei jeder neuen Rückkehr immer weiter nach innen, dem Herzen des Universums entgegenblicken kannst.

Jede Einweihung ist nur das Öffnen eines neuen Tores der Erfahrung in den Reichen des inneren Lebens. Jedes neue Tor schließt sich hinter dir auf immerdar. Du kannst nie wieder zurückschreiten. Aber wenn du dich auch eine Zeitlang mit gesteigerten Fähigkeiten, mit vermehrter Macht, mit neuen inneren Kräften in einer neuen Welt befindest, so wirst du doch immer wieder ein neues Tor vor dir sehen. Diese ‘Tore’ werden auch ‘Schleier’ genannt, und wenn ein Schleier vor dir fällt, befindet sich immer wieder ein weiterer Schleier dahinter. Jede neue Tempelkammer, von der anderen durch einen Schleier getrennt, ist von einem größeren Licht erfüllt, als die zuletzt durchschrittene.

Wahrlich, groß ist der Lohn jener, die erfolgreich sind – unaussprechlich, herrlich. Dieser Erfolg ist aber nur der erste in einer Reihe noch größerer Erfolge, denn jeder Schritt vorwärts öffnet einen Ausblick auf neue Möglichkeiten in dem endlosen und ewig wechselnden Panorama des universalen Lebens. Jeder Schritt vorwärts führt in ein helleres Licht, zu dem im Vergleich das frühere Licht nur ein Schatten ist. Der heilige Glanz der Wahrheit, des Lichts und der Liebe scheint durch jeden Schleier; und jenes Licht wohnt immer in dir, denn es ist dein innerstes Selbst.

Wenn du eins wirst mit deinem innersten Selbst und Schleier um Schleier verdunkelnder persönlicher Hüllen hinter dir läßt – seien diese Hüllen physisch oder astral, psychologisch oder mental oder auch spirituell –, wenn du mehr und mehr nach innen oder aufwärts gehst, dann kommst du dem inneren Gott, der die Lebensessenz jener Wahrheit ist, immer mehr näher und näher; und daher wird, wenn du zu ihm wirst, aus deinem rein menschlichen Bewußtsein das Bewußtsein des Universums. Dein innerer Gott ist einer der spirituellen Bausteine des grenzenlosen Universums, und das grenzenlose Universum ist ein Gewebe aus Bewußtsein. Erkenne dich selbst, und du wirst alle Dinge erkennen. Der Pfad des Wachstums ist kein schwieriger Pfad. Er wird ein steiler und dorniger Pfad genannt, doch ist er das nur für den selbstischen, egoistischen, leidenschaftlichen, niederen Menschen. Der Weg des Geistes ist der Weg des Lichts; er ist der Weg des Friedens; er ist der Weg der Hoffnung; er ist der Weg zur Sonne. Stelle deine Füße fest auf diesen Pfad, folge ihm und schreite vorwärts!

Auf diesem schweren Pfad wird der Strebende durch die Liebe seines Führers unterstützt, doch muß er jeden Schritt auf dem Pfad bis zum Sieg allein gehen. Er wird nicht dorthin getragen. Jeden Schritt muß er selbst machen. Im gewöhnlichen Menschenleben müssen wir unseren Weg in der Welt auch selber finden. Wir ernähren, unterrichten und üben uns selbst. Wenn das hier eine Notwendigkeit ist, dann ist es eine zehnfache Notwendigkeit im esoterischen Leben. Alles müssen wir dort selbst erringen, weil wir einfach nur das aus uns hervorbringen, was in uns ist; unser eigener Wille und unser eigenes Bewußtsein müssen zum Erwachen kommen, zum völligen Erwachen, und zwar durch unsere eigenen Anstrengungen.

Du kannst nicht sehen, wenn du nicht deine eigene Sehkraft anwendest. Du kannst nicht mit dem Verstand eines anderen verstehen. Daher mußt du auch in der esoterischen Schulung alles selbst erringen. Du selbst mußt in deiner eigenen Seele die heilige Flamme entfachen. Und so ist es mit jedem Schritt, den du auf spirituellem und intellektuellem Gebiet machst. Du mußt selbst die unsagbare Wonne des Mitleids erleben, das unaussprechliche Gefühl des Einsseins mit dem All. Du selbst mußt das Gefäß sein für das innere Licht, das du selbst erringen mußt. Es ist in dir wie über dir, es sendet dir Stärkung und Inspiration. Sei es!

Spirituelles Licht kommt von innen zu dir. Du empfängst das Licht, das Licht des Geistes, nicht von außen. Der Lehrer kann dir lediglich helfen, die verdunkelnden Schleier der Selbstheit auf vielerlei und verschiedene Arten abzustreifen. Alle spirituelle Erleuchtung kommt jetzt, wie auch in aller Zukunft, immer von dem Meister in dir selbst zu dir. Einen anderen Pfad zum Licht gibt es nicht. Alles Wachstum geschieht von innen heraus; alle Erleuchtung kommt von innen; alle Inspiration fließt von innen heraus; alle Einweihung geschieht von innen.

Geistiges Streben ist wahres Gebet; es ist ein beständiges Höherstreben von Tag zu Tag, das tägliche Bemühen, sich etwas höher zu dem inneren Gott zu erheben. Das bedeutet Harmonie, innere Harmonie, Frieden. Wer deshalb Harmonie und Frieden in sich, in Herz und Gedanken trägt, in dessen physischem Körper wird sich dieser Geistes- und Herzenszustand widerspiegeln, und der Körper wird in Harmonie, das heißt in Gesundheit funktionieren.

Erhabene Ideen und gütige Gedanken läutern und verfeinern außerdem die aurische Atmosphäre um den Menschen, und es ist die strenge Pflicht eines jeden Jüngers auf dem Pfad, das zu tun. Geistiges Streben, Sehnen nach erhabenen und edlen Dingen verfeinern selbst die Atome unserer gesamten Wesenheit.

Der Jünger sollte diese Lehren immer im Bewußtsein tragen und mit seinen Gedanken hegen. Sie sollten unaufhörlich in seinem Bewußtsein festgehalten werden. Er sollte beständig über sie nachsinnen. Er sollte mit ihnen zu Bett gehen und mit ihnen aufstehen, er sollte beim Ankleiden, beim Baden, beim Essen, selbst bei der Erfüllung seiner Pflichten immer mit ihnen umgehen. Lasse dein Denken allzeit über diese wunderbaren Lehren nachsinnen. Dieses ‘über-bewußte’ Denken ist deine Wurzel, die göttliche Essenz, an und in der dieses Bewußtsein wohnt.

Die Meditation verläuft so: Nimm ein Thema zum Nachdenken und verweile auf unpersönliche Weise in Gedanken bei ihm, während du zugleich in dir nach Antwort, nach mehr Licht darüber suchst. Wenn diese Meditationsmethode getreulich befolgt wird, wird schließlich die Erleuchtung kommen. Die Übung macht es so leicht, die Gewohnheit verleiht ihr soviel Anziehendes, daß schließlich die Zeit kommen wird, da du den ganzen Tag über im Meditationszustand verweilen wirst, selbst wenn deine Hände mit den täglichen Aufgaben beschäftigt sind. Unaussprechliches Glück und Frieden liegen darin.

Man braucht sich dabei nicht in sein privates Zimmer zurückzuziehen oder eine besondere liegende, sitzende oder stehende Haltung einzunehmen; man braucht nicht unter Aufbietung von Willenskraft das Gehirn zu zwingen, an bestimmte Dinge zu denken. Konzentration bedeutet das Festlegen des Geistes auf einen Gedanken oder einen Denkgegenstand und dabei zu verweilen. Das ist leicht zu vollbringen; es gehört dazu nur Interesse an einer Sache. Wenn wir an etwas wirklich Interesse haben, dann richtet sich unser Geist von selbst darauf.

Die beste Form der Meditation ist jedoch der ständige Gedanke, das unaufhörliche Sehnen und Streben, dein Bestes zu sein, dein Bestes zu leben und diesen Gedanken Tag und Nacht mit dir zu tragen. Wenn das Sehnen, sein Bestes zu sein und nach seinem höchsten Ideal zu leben, aus dem Geist des Mitleids stammt und im Herzen emporquillt wie ein heiliger Kraftstrom, dann wird es dich bald zu den goldenen Toren hinführen.

Der nächste Schritt auf dem Pfad wird jedoch getan, wenn der Jünger bereit ist: Alles hängt vom Jünger selbst ab. Der Lehrer kann ihn lediglich erwecken. Der Jünger muß entscheiden. Denn wenn der Jünger bereit ist, stellt sich auch der Lehrer ein.

Es kommt eine Zeit in der Evolution des Menschen, in welcher er an einem Punkt anlangt, wo er seine gesamten Energien – spirituell, intellektuell, psychisch, astral, vital, physisch – auf ein Ziel richten will: nämlich darauf, sich ohne jede Ablenkung oder anderweitige Verpflichtungen zu einem geeigneten Diener und Helfer seiner Mitmenschen zu machen. Das wird Chelaschaft genannt: der Stand der Jüngerschaft. Doch ist dieser Pfad der Jüngerschaft nur für wenige geeignet.

Jene, die diesem Pfad des spirituellen Fortschritts und der Erleuchtung folgen – die Jünger des esoterischen Lebens, die das Chelaleben führen –, haben gelobt, ihr Selbst der Welt hinzugeben, keinen eigenen persönlichen Besitz zu haben, ihr Leben und ihr ganzes Sein für die heiligste Sache, die sie kennen, hinzugeben. Für diese Jünger des glorreichen Lebens ist es ein Gebot, keinen Widerstand zu leisten: Sie haben geschworen, nie zurückzuschlagen, die Hand niemals zur Selbstverteidigung zu erheben, wenn sich der Angriff nur gegen den Chela richtet; nie ihre Person gegen Verleumdung und Nachrede zu verteidigen, wenn es nur um den Schutz der eigenen Person geht; die Wange hinzuhalten, wenn man geschlagen wird, und dem, der den Mantel verlangt, auch noch das Hemd zu geben. Diese Chelas sind aber auch verpflichtet, Unrecht zu bannen, böses Tun einzudämmen und aufzuhalten, wenn die Untat gegen einen anderen gerichtet ist, weil ein Esoteriker für einen anderen das tut, was er für sich selbst nie tun darf.

Die Chelas verschließen ihr Bewußtsein den Freuden und Schmerzen: Denn der ideale Mensch ist der, dessen Wille und Urteil nicht durch Freude oder Schmerz gebeugt und abgelenkt wird. Ein überlegener Mensch ist, wer unerschütterlich ist und weder durch Vergnügen abgelenkt, noch durch Schmerzen niedergedrückt wird.

Die Chelas geben sich hin zum Wohle der Welt; sie geben alles Persönliche auf, um für das Universum zu leben. Diese wenigen geben sich selbst, und mehr kann keiner geben. Das ist der Pfad der Buddhas und der Christusse.

Die Chelaschaft oder die Schulung zur Meisterschaft ist eine mühevolle und herzbewegende Arbeit. Jeder Schritt dabei ist Freude, obwohl manchmal psychologische Reaktionen kommen, gegen die man sich schützen muß. Das Chelaleben kann mit einem Menschen verglichen werden, der eine wichtige, fesselnde, äußerst interessante und dabei sehr mühevolle körperliche Arbeit verrichtet. Er arbeitet, gibt alle seine Kräfte her, sein Atem geht in schnellen Stößen, Schweiß bedeckt seine Stirn und seinen ganzen Körper, und doch fühlt er unter seinen Händen ein Werk von wunderbarer Schönheit sich vollenden. Er ist freudig entschlossen, seine letzte Kraft dafür hinzugeben. Der Chela weiß, daß, wenn sein Karma günstig ist, jenseits der fernen Hügel, vielleicht nicht allzuweit entfernt, für ihn der Weisheitstempel liegt, und daß dessen Tore sich vor ihm öffnen werden, wenn er ihn in Reinheit und Stärke erreichen kann. Kommt er mit beschmutzten Füßen, mit Füßen, die er nicht mit den Tränen seiner Augen und dem Blut seines Herzens reingewaschen hat, dann muß er seine Schritte zurücklenken oder warten, bis die Zeit kommt, da sein Herz nicht mehr bluten wird und seine Augen nicht mehr von den Tränen selbstsüchtigen persönlichen Strebens nach bloßen Persönlichkeitszielen verdunkelt sein werden. Dann werden die Augen erleuchtet sein von der unsterblichen inneren Flamme, und das Herz wird nur für andere schlagen, weil er sich selbst völlig vergessen haben wird. Dann werden Schönheit, unsagbare Freude, unvorstellbare Stärke und Frieden in sein Leben eintreten.

Die Chelaschaft ist an sich nicht schwierig. Eigentlich ist sie leicht, fast unsagbar leicht. Sie bedeutet, Schmerz und Leid, Zorn, Lust und Selbstsucht aufzugeben, von allen Dingen zu lassen, die uns schaden, die uns blind machen, schädigen und hemmen. Sie bedeutet Reinheit, Sanftmut, Frische, Stärke, Lauterkeit, Schönheit. Sie bedeutet, damit zu beginnen, das Leben eines verkörperten Gottes zu führen. Sie bedeutet das Einswerden mit seinem inneren Gott in immer höherem Maß; zuerst ein wenig, bei der nächsten Anstrengung ein wenig mehr und so weiter; denn mit jeder Bemühung gewinnt der Chela mehr und mehr von dem inneren Licht, von dem inneren Leben, von der inneren Inspiration – von der inneren buddhischen Herrlichkeit. Mit anderen Worten, sie bedeutet das immer tiefere Einswerden mit dem inneren Meister: In jedem Menschenwesen ist, selbst jetzt schon, ein Mahātma.

Das Leben der Chelaschaft ist ein großartiges Leben, und seine erste Regel ist, zum Wohle der Menschheit zu leben, verbunden mit einem reinen Leben, einem reinen Herzen, einem scharfen Verstand und einer ungetrübten geistigen Wahrnehmung.

Zum Wohle der Menschheit zu leben, ist der erste Schritt. Es ist der erste Schritt zum Schauen, der erste Schritt spiritueller Entwicklung, der erste Schritt des Aufstiegs – er bedeutet, nicht für sich selbst zu leben, sondern für das Universum, das von einem anderen Standpunkt aus betrachtet in Wirklichkeit du selbst bist: Es ist du und du bist Es.

Gütig, sanft, gerecht zu sein und seine spirituellen und intellektuellen Kräfte zu pflegen, das ist das Chelaleben; es ist tatsächlich die einfachste Sache in der Welt. Laß dich nie von Zorn oder Leidenschaft hinreißen. Sie sind nicht nur zwecklos, sondern du schaffst durch sie schlechtes Karma, das dir eines Tages entgegentritt und von dir überwunden werden muß.

Sei selbstvergessen. Sei unpersönlich und hänge deshalb nicht am Materiellen. Sei unparteiisch und daher unpersönlich. Sei groß an Herz und Seele, dann kannst du durch Unpersönlichkeit wachsen. Ertrage Unrecht mit Gleichmut, dadurch erringst du Großmut – Herzensgröße. Schlage nie zurück, suche nie Vergeltung, sei still, habe Geduld. Schütze andere, dich selbst schütze in keinem Fall.

Vergib Beleidigungen! Mit einem Herzen voller Liebe zu allem, was ist, und mit vollständiger und restloser Vergebung aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Beleidigungen, umgibt sich der Chela mit einem starken, kraftvollen Schutz; denn diese geistigen Energien läutern das Herz, sie regen den Intellekt an, sie erheben die Seele. Dann wird deine Seele durch deinen Körper scheinen, wie eine Lampe durch Glas leuchtet, und du wirst deine Mitmenschen nicht nur erleuchten, sondern durch deinen Frieden, durch deine Stille wirst du ihren Pfad erleichtern und erhellen.

Sei kühn in deinem Lernen, doch nicht tollkühn. Sei mutig in deinem Vorwärtsdrängen auf diesem uralten Pfad der Zeitalter, der zum Herzen des Universums führt, doch überstürze nichts. Hüte deine Worte, damit nichts unbemerkt mit den Worten hinausgeht – denn du kannst es nie zurückrufen. Wage, wolle, wisse und schweige!

Wachse natürlich und ungezwungen, wie die Blume ihren Kelch erschließt, wie die Knospe ihr Inneres öffnet. Besteht denn ein Grund oder eine Notwendigkeit, daß die Augen immer von Tränen getrübt und die Füße ständig mit dem Herzensblut reingewaschen werden müssen?

Verliere nicht den Mut, wenn du versagst, wenn du nicht deinem edelsten Ideal nachleben kannst. Vergeude keine Zeit mit Bereuen; es schwächt. Fasse nur einfach den festen Entschluß: Ich will es nicht wieder tun! Und wenn du wieder fehlst, dann wiederhole: Ich will es nicht wieder tun, denn damit verliere ich ja doch nur. Der Tag wird kommen, an dem durch die beständige Wiederholung des Mantrams, durch das fortwährende Streben von Herz und Geist und durch das unermüdliche Streben und Ringen nach dem Besten und Schönsten, das in dir ist, du dieses Gute und Schöne plötzlich sein, zu ihm plötzlich werden wirst.

Wer das Chelaleben führt, der tauscht nur die Dinge, die er innerlich verabscheut und haßt, gegen Dinge aus, die schön und hilfreich sind; er gibt Schwachheit dahin für Stärke, Häßlichkeit für Schönheit, Blindheit für inneres Schauen, Dunkelheit für Licht.

Mache keine mühevollen, krampfhaften, verzweifelten Anstrengungen, quäle dich nicht ab. Sei ganz natürlich, geduldig, ruhig, friedsam. Sei nicht ungeduldig, sei sehr geduldig. Nimm die Dinge, wie sie kommen, und strebe unaufhörlich. Strebe nach dem, was du am meisten liebst und für das Wahrste hältst, und verzichte auf alles übrige. Erfülle deine volle Pflicht, ganz gleich, wie schwer es dich auch ankommen mag, und du wirst finden, daß unsagbare Freude in alledem liegt. Dann wird sich früher oder später das innere Auge öffnen, das Schauen und die inneren Sinne werden sich erschließen, und du wirst die herrlichsten und seltsamsten Dinge um dich erkennen.

Die geistigen Fähigkeiten sind in dir. Sie können in unendlichem Ausmaß entwickelt werden. Wenn das innere Auge geöffnet ist, wirst du geistiges Hellsehen erreicht haben – ein Schauen von universaler Weite, eingeschränkt nur durch deine individuelle Interpretations-, Aufnahme- und Fassungskraft und durch die Fähigkeit, zu sehen und richtig zu sehen, und bei dem Schauen zu wissen, daß du die Wahrheit siehst. Wenn du dich mit deinem inneren Gott verbunden hast, wird die spirituelle Kraft dir zeigen, wie du Dinge auf beliebige Entfernung hin sehen kannst. Du erblickst sofort Dinge über gewaltige Entfernungen hin durch das innere, geistige Auge. Dein Bewußtsein ist dort, wohin du es gesandt hast. Du kannst in deinem Lehnstuhl sitzen und mit geschlossenen Augen auf größte Entfernungen sehen, was du sehen möchtest. Das kann nicht nur in dieser äußeren Welt geschehen, sondern du kannst mit diesem spirituellen Schauen auch in die inneren und unsichtbaren Welten eindringen und auf diese Weise erfahren, was in den spirituellen und ätherischen Welten vor sich geht. Man bedenke auch, daß diese inneren und unsichtbaren Welten die Basis oder Wurzel von dem Raumausschnitt sind, den wir Menschen als physisches Universum bezeichnen. Dieses physische Universum ist nur eine Phase oder ein Ausschnitt aus dem großen Universum des Grenzenlosen Lebens.

In Tibet wird diese Kraft Hpho-wa genannt. Das bedeutet die Fähigkeit, unser Bewußtsein (und damit auch unseren Willen) auf jede beliebige Entfernung hin auszusenden: auf der Erde, zum Mond, zu jedem anderen Planeten, zur Sonne. Dies ist möglich, weil die kosmischen Räume unsere Heimat sind. Die gleichen Kräfte, die in ihnen wirken, sind auch in uns. Aus den gleichen Substanzen, aus denen sie geboren und erbaut sind, sind auch wir gebildet. Wir sind dort zu Hause, deshalb ist die Äußerung einer solchen Kraft etwas Natürliches.

Eine andere spirituelle Kraft ist echtes und wahres Hellhören: die Fähigkeit, mit dem geistigen Gehörsinn, mit dem inneren, spirituellen Ohr zu hören – sogar zu hören, was die Götter sagen und tun. Wer diese Fähigkeit erlangt hat, kann die Musik der Sphären vernehmen, denn jeder Himmelskörper singt auf seiner Weltenbahn seinen eigenen, majestätischen Freudengesang. Und alles auf der Erde oder anderswo, ob belebt oder, wie man sagt, unbelebt, ist, da es eine Anhäufung von Atomen ist, eine symphonische Melodie, eine Symphonie, ein vereinigter Klangkörper, der aus den Tönen aller singenden Wesenheiten gebildet wird. Und jedes Atom davon ist eine singende Wesenheit, so daß unser physischer Körper selbst ein verkörperter Gesang ist.

Jedes winzige Atom ist auf eine musikalische Note abgestimmt. Es ist in ständiger Bewegung, in dauernder Vibration, mit Geschwindigkeiten, die dem gewöhnlichen menschlichen Verstand unbegreiflich sind. Jede solche Geschwindigkeit hat ihren eigenen Zahlenwert, mit anderen Worten, ihre eigene zahlenmäßige Note und singt deshalb diese Note, so daß für dich, wenn du dieses spirituellen Hellhörens fähig wärst, das Leben, das dich umgibt, ein einziger, großer, wundersamer Gesang wäre, und auch du selbst würdest ein Lied singen. Selbst dein Körper wäre gewissermaßen wie ein Symphonieorchester, das eine erhabene, unbegreifliche symphonische Musik aufführt.

Mit der erweckten Kraft des inneren geistigen Hörens könnte man das Aufgehen einer Rosenknospe als Lied wahrnehmen, und ihr Wachstum würde sich als eine stets wechselnde Melodie äußern, die von Tag zu Tag unaufhörlich erklingt. Wir könnten den grünen Grashalm wachsen hören. Wir könnten vernehmen, wie jedes Haar auf unserem Kopf wächst, denn Wachstum ist Bewegung. Das Heranwachsen eines kleinen Kindes wäre als lang hinhallender Chor singender atomarer Wesenheiten vernehmbar.

Dann, wenn die spirituelle Kraft einmal erweckt ist, kann man seine Gedanken ohne Worte übertragen – mit stimmloser Sprache – und auch das Bewußtsein und den Willen, und zwar an jeden Ort der Welt; man würde tatsächlich dort sein und sehen, was dort vor sich geht, und wissen, was dort geschieht.

Eine andere spirituelle Fähigkeit ist das vollerwachte Verstehen: die Fähigkeit, die es ermöglicht, zwischen Gedanken und Gedanken, Dingen und Dingen zu unterscheiden und sie auseinanderzuhalten. Sie ist eine Schwester der allmächtigen Liebe: Denn Verstehen ist von gleichem Wesen wie das Herz des Universums. Wir haben es in uns. Wenn wir es pflegen, können wir alle Dinge verstehen. Wir wissen dann, warum das Gras wächst, warum der Pfirsichbaum Blüten trägt, warum unsere Mitmenschen leben, warum wir da sind, was die Sterne auf ihren Bahnen uns unaufhörlich zusingen, warum Haß und Liebe, Tag und Nacht, Sommer und Winter, Hitze und Kälte und alle anderen Gegensatzpaare im Universum bestehen.

Doch die höchste Fähigkeit, die größte Macht hat man, wenn man sich selbst gefunden hat, wenn man angefangen hat, sich selbst zu erkennen und dann unbegreiflich schöne, erhabene und unbeschreiblich große Mysterien in sich entdeckt. Und das herrlichste von allen ist die Macht allgewaltiger Liebe, denn sie ist das wirkliche Bindemittel des Universums, das alle Dinge in beständigen, geordneten, gesetzmäßigen Bahnen hält – die höchste, erhabenste Kraft der Natur; und nichts, weder oben im Himmel noch unten auf Erden noch in den Regionen unter der Erde kann sie auf ihrem Weg aufhalten oder ihre alldurchdringende Macht hemmen. Sie ist alldurchdringend, sie kennt kein Hindernis. Und wenn wir Liebe ausstrahlen, erzeugen wir Liebe in anderen, denn wir selbst werden dann liebenswert durch die Ausstrahlungen der Liebe, die aus unserem Herzen hervorgehen. Wer eins mit ihr wird – mit dem, was wir in unserem innersten Wesen sind –, wird zu einem Gott, ja, zu einem Gott; denn ein solcher Gott sind wir in unserem Innersten – Söhne der Sonne, ohne jede Übertreibung. Die Göttlichkeit in uns ist strahlende Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, unbeschreiblich schön, glänzend, leuchtend; sie strahlt unaufhörlich spirituelle Energie und Kraft aus.

Daher sollten wir, wenn wir wachsen, leben und Erfolg haben wollen, jene Kräfte entwickeln, denen nichts widerstehen, die niemand und nichts aufhalten kann, die Tag und Nacht wirken, in der Stille und im Sturm, unermüdlich. Sie sind die Herzensenergie des Universums selbst, von dem wir Kinder sind. Diese Kräfte: Liebe, Intelligenz, Mitleid, Erbarmen, Vergebung und deren Früchte, wie Sanftmut, Güte und Milde, sollten wir entwickeln. Aber niemand kann diese spirituellen Kräfte für sich erringen, ehe er nicht die letzte Spur selbstsüchtiger Ichheit in sich getilgt hat, denn die Natur wird es nicht zulassen. Der wirkliche Weg zur Erlangung wunderbarer Kräfte besteht in der Aufgabe der Ichheit, die diese Kräfte in ihrem Wirken hindert.

Daher sage ich euch: Geht der Sonne in euch entgegen. Suchet das Reich des Himmels mit Gewalt zu erobern, denn es ist euer, es ist euer spirituelles Erbe.

Es gibt Gefahren, die auf dem Pfad des Chelas lauern. Aber er lernt, was er zu ihrer Überwindung tun muß. Er lernt verstehen und fühlt daher, daß er, wenn er den Göttern gleich werden will, göttergleichen Wegen folgen muß. Er hat einen freien Willen. Da er diesen freien Willen hat, ist es auch seine strenge Pflicht, ihn anzuwenden; er ist verpflichtet, ihn immer auf unpersönliche Weise und für unpersönliche Zwecke zu gebrauchen. Je mehr das dem Chela gelingt, desto schneller ist sein Fortschritt auf dem Pfad. Je höher ein Mensch aufsteigt, desto notwendiger ist es für ihn, beim Fortschreiten sich selbst immer mehr zu vergessen und im Einklang mit den Naturgesetzen zu wirken.

Wenn der Chela einzig und allein mit seiner und durch seine spirituelle Natur wirkt, wird er eins mit der Natur und arbeitet daher mit ihr, und die Natur betrachtet ihn dann als einen ihrer Schöpfer und leistet ihm willigen Gehorsam. Weil er mit der Natur arbeitet, ist er keiner Reaktion von der Natur her ausgesetzt, und auf diese Weise erhebt sich der Chela über Karma und wird eins mit dem Herzen des Universums, indem er nichts tut, was natürlichem Gesetz zuwiderläuft; folglich entsteht auch keine Rückwirkung. Er arbeitet mit der Natur, weil er eins ist mit den Impulsen seines eigenen Herzens.

Je höher du aufsteigst auf dem Pfad der Evolution, desto mehr Vorsicht mußt du walten lassen. Deshalb mußt du sorgfältig auf all dein Denken und Fühlen und auf dein ganzes Tun achten. Du hast gelernt, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, wie du deinen Willen gebrauchen mußt und welche Wirkungen daraus entstehen, und die Natur wird dich in entsprechendem Maß verantwortlich halten. Nach den Gesetzen des Universums steigst oder fällst du mit jedem Gedanken und mit jeder Tat. In jedem Augenblick deines Lebens stehst du an einer Wegscheide – rechts oder links.

Mache dir keine Gedanken über die Folgen. Denke nur an die Ausführung deiner Pflicht – sie gut zu tun – und überlasse alles übrige sich selbst. Das ist der Weg des Friedens, der Zufriedenheit, der Weg, der immer weiter nach oben führt.

Ein selbstbewußtes Gefühl persönlicher, individueller oder spiritueller Überlegenheit ist eine wirkliche Gefahr. Reiße dieses Gefühl aus deinem Herzen und wirf es für immer von dir. Es ist eine Schlange, die beißen und dein inneres Leben vergiften wird. Sei unpersönlich!

Doch die größte aller Gefahren ist das Gefühl spirituellen Stolzes. Beseitige es und arbeite an dir, bis du dein Herz von seinem egoistischen Stolz geläutert hast. Verlangen und Stolz werden manchmal irrtümlich für Intuition und für das Gefühl wirklicher Befähigung gehalten.

Und doch ist es der Erkenntnisdrang, der zum Fortschritt auf dem Pfad führt, keine Erkenntnis für dich oder um der Erkenntnis willen, im abstrakten Sinne, sondern um diese Erkenntnis auf dem Altar des Dienens niederzulegen. Oh, welche gewaltige Kraft steht hinter diesem Gedanken und dieser Tatsache! Dieser Wunsch nach unpersönlichem Dienen läutert das Herz, erhellt den Geist und löst die Knoten der niederen Selbstheit, so daß sich Herz und Geist öffnen und für die Weisheit empfänglich werden. Dieses Verlangen ist die treibende Kraft, der Motor, der den Chela vorwärtsbringt, immer höher und höher.

Es ist nur das persönliche, das niedere Selbst, das den Fortschritt hemmt. Denke darüber nach! Denke daran, daß es die Schleier der Ichheit, die selbstischen Süchte, die selbstischen Triebe sind, der Wunsch, etwas zu sein und etwas für sich persönlich zu erreichen, die den Fortschritt hemmen! Habe keine Wünsche! Habe nicht einmal das Verlangen nach Erfolg! Sei kristallklar in deinem Bewußtsein, sei ebenso unpersönlich wie der Geist, der dein Ursprung ist.

Habe keine Gier nach Licht. Sei nicht aufgeregt und besorgt oder begierig nach Fortschritt. Meide alle Gefühlserregungen jeder Art, selbst höherer Art. Sei dagegen gesammelt, sei ruhig. Halte dein Bewußtsein klar und durchsichtig wie ein Bergsee und deine Seele unbewegt und unberührt von allen vorüberziehenden selbstischen Gedanken.

Still sind die Stätten, an denen Wachstum vor sich geht. Still sind die Kammern, wo das Licht ins Herz eintritt. Die majestätischsten Prozesse der Natur vollziehen sich in der Stille, friedvoll, ruhig. Alles Wachstum geht ruhig vor sich, ohne Anspannung, in der Stille. Kampf und Streit, Geschäftigkeit, Unrast, Ruhelosigkeit – all diese Dinge sind Zeichen menschlicher Unvollkommenheit und mangelnder Kenntnis der Weisheit der Herzenslehre. Es ist in der Tat der Weg des Himmels, nicht zu streben. Erfülle daher deine Arbeit ruhig, gründlich und ungezwungen. Sei still und wachse. Sei spirituell so aktiv, wie du nach außen hin ruhig bist. Dann wird dein Bewußtsein den goldenen Glanz der Lichtsonne in dir, deines inneren Gottes, widerspiegeln.

Das einzige, was dich am Empfangen dieses Lichts hindert, sind die verhüllenden Schleier der Selbstheit: Selbstsucht, Ichsucht, Zorn, Haß, Neid und unedle Wünsche aller Art. Der Chela muß lernen, diesen Dingen entgegenzutreten und sie in sich abzutöten. Wenn er das versäumt, werden sie ihn töten.

Ist es dir noch nie passiert, daß du einer Lieblingsversuchung widerstanden und sie überwunden und auf das erschlagene Selbst herabgeblickt hast, auf das häßliche Ding, das dich in seiner Gewalt hatte; und kam es dir dabei nicht seltsam vor, daß du je das Opfer von etwas so Niedrigem gewesen sein konntest?

Hebe deine Seele empor in stillem Nachdenken. Die Liebe wird die Schwingen deiner Seele zu deiner spirituellen Sonne lenken. Mühe dich nicht ab, doch schreite dennoch vorwärts. Strebe nicht ängstlich nach Vollkommenheit, doch arbeite trotzdem an der Vervollkommnung. Laß keine Ängstlichkeit deine Augen trüben, noch deine Schritte durch Sehnsucht hemmen; doch dringe unentwegt vorwärts. Sei im Frieden.

Verfeinere dein Denken. Läutere dein Bewußtsein. Reinige dein Herz. Ein reines Herz und ein scharfer Verstand werden dich durch alle Fährnisse bringen. Liebe zu allen Wesen und Dingen, groß und klein, wird einen Wall, eine Schutzmauer um dich bilden, so stark und undurchdringlich, daß nichts über diesen Wall der Liebe hinweg zu deinem Herzen dringen kann. Bahne dir deinen Weg mit deinem Willen – dem mystischen Schwert –, und dringe so unaufhaltsam vorwärts.

Dein geistiger Wille ist nicht nur für dich dein Schild des Heils, sondern er ist sozusagen auch das Schwert, mit dem du dir einen Weg zur Selbstüberwindung bahnen kannst, was Frieden, Weisheit, Liebe und Segen bedeutet.

Siehe die Wahrheit vor dir: Ein scharfer Verstand, ein aufnahmebereites Denken, ein unverschleiertes spirituelles Schauen, die Wahrnehmung der Wahrheit, ein erweckter und tätiger spiritueller Wille sind erforderlich. Damit erlangst du zuerst über dichselbst völlige Gewalt und damit erringst du vollkommene Selbstbemeisterung, so daß selbst die Elementale und die Elementarwesen der Astralwelt dich auf keine Weise beeinflussen können. Erkenne dich selbst, beherrsche dich, dann wirst du ein Meister des Lebens werden.

Du kannst dein inneres spirituelles Leben gar nicht eifrig genug erforschen. Es ist erfüllt von Wahrheit und allmächtiger Liebe, von Mitleid, von Erbarmen, von all den Elementen im Universum, die durch das Herz und die Intelligenz des Menschen Güte, Brüderlichkeit, Sanftmut und alles Hohe und Gute erzeugen. Dieses Studium unseres spirituellen Wesens zeigt uns, daß wir durch die verhüllenden Schleier der niederen Selbstheit durchbrechen und nach innen zu der Gottheit vordringen müssen, zu dem inneren Gott, der das innerste Herz eines jeden ist. Dann, wenn wir jenes Ziel erreicht haben, werden wir in uns den Drang fühlen, uns zurückzuwenden, wie die erhabenen Buddhas des Mitleids, die umkehren auf dem Pfad, um unseren Gefährten zu helfen, die hinterherziehen. Diese Tat des Mitleids wird von allen echten spirituellen Rettern der Menschheit vollzogen.