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Die Mysterienschulen

4 – Das Muster der Esoterik

Für das spirituelle Adlerauge des Sehers und Propheten jeder Rasse erstreckt sich der Ariadnefaden jenseits jener ‘historischen Periode’ ohne Unterbrechung oder Fehler, sicher und stetig, bis in die Nacht der Zeit; und die Hand, welche ihn hält, ist zu mächtig, ihn fallen oder auch nur reißen zu lassen.

The Secret Doctrine, II: 67

Dieser Faden der Esoterik erstreckt sich noch weiter in die Morgendämmerung der menschlichen Rasse, wo „Wahrheit hoch oben auf ihrem unnachgiebigen Fels sitzend, alleine ewig und erhaben ist“ (Isis Unveiled, I: v). Wo ist diese Wahrheit, dieser Webstuhl esoterischer Geschichte, und was ist das Muster seines Gewebes? In der Heimat der Bruderschaft steht dieser Webstuhl, dessen Kette der alte Faden der Initiation ist, durch das Opfer von Adepten in okkulter Spannung gehalten, und dessen Schussgarn Jahrhundert um Jahrhundert gewoben wird, so wie die nationalen Einheiten die leuchtenden Fäden der Esoterik in ihren Mysterienschulen spinnen.

Die profane Geschichte enthüllt kaum etwas von folgerichtigem Wert. Sie zeigt lediglich, dass sämtliche Relikte dieses mystischen Prunks auf dasselbe Motiv hindeuten. Um „eine folgerichtige und vollständige Geschichte unserer Rasse von ihrem Anfangsstadium bis zu unserer Zeit zu erhalten“, müssen die archaischen Aufzeichnungen zu Rate gezogen werden. Lediglich darin kann das alte Muster, wenn auch nur in vagen Umrissen, aufgespürt werden. Der Zugang zu diesen Aufzeichnungen ist allerdings das alleinige Privileg des Adepten, denn „ein solches Wissen ist nur für die höchsten Initiierten, die ihre Schüler nicht ins Vertrauen ziehen“ (SD II: 437-8). Dennoch haben wir ein unschätzbares Geschenk erhalten: den uns geschenkten Beweis, von jenen gesammelt, welche die Schleier des Heiligtums durchdrungen und das Mitleid empfunden haben, umzukehren und einen gehüteten Teil ihrer Vision mit uns zu teilen. Das Studium ihrer Forschungen wird zunächst ein bruchstückhaftes Muster enthüllen, aber – wenn es treu weiterverfolgt wird – wird ein solches Studium mit unmissverständlicher Klarheit auf eine universale Quelle der Wahrheit hinweisen.

Aus Zentralasien, dessen Länder ein riesiges Gebiet umfassten, miteingeschlossen die Wüste Gobi oder Shamo, die Berge von Tien Shan und Kuen Lun, die Regionen Belutschistan, Afghanistan, Persien und Turkestan, wanderten Scharen von Emigranten aus, zum großen Teil fest entschlossen zu erobern, zu unterwerfen; und es tobten viele Schlachten in jenen frühen Tagen. Eine Hauptursache dafür – wenn das auch von der Bevölkerung nicht erkannt wurde – war das von Karma unterstützte Drängen der Bruderschaft, das Licht der Mysterien in andere Länder weiterzutragen, die alte Weisheit überall auf der Erde zu verbreiten:

Nicht ein Volk alleine bewohnte und baute diese Zivilisationen von Zentralasien auf. Es waren wiederkehrende Wellen unserer gegenwärtigen Fünften Wurzelrasse, … wobei jede solche Zivilisation ihrerseits eine Wiege war, aus der Kinderkolonien wuchsen, ausgesandt, um Licht und Initiation in damals barbarische und unkultivierte Teile der Welt zu tragen, zum Beispiel in das heutige Europa, China, Sibirien und Indien.

SOP, S. 23, 22

Die Āryas oder „die Würdigen“ zogen nach Bhārata-Varsha oder Indien. Diese Gruppe von Emigranten gründete eine bisher in der esoterischen Geschichte unübertroffene Zivilisation und Kultur, deren spiritueller Einfluss sich verzweigte und sich bis nach Ägypten, Kleinasien und Europa hin erstreckte. Eine andere Schar zog westwärts nach Ägypten, dem „Geschenk des Nils“, wie Herodot es nannte, vermischte sich mit den Ureinwohnern und bevölkerte seine Täler. Aus dieser Vereinigung entstand eine edle Zivilisation, deren Glanz nach Jahrtausenden noch ungetrübt geblieben ist – besonders weil sich der Einfluss ihrer Mysterien überallhin verbreitete, als eine Nation von Eroberern nach der anderen von der inneren Größe Ägyptens gefesselt wurde. Persien, Babylon, Judäa und Kreta, Griechenland und Rom – die Spuren der spirituellen Inspiration aller gehen auf die ägyptische und frühe arische Kultur zurück. Darüber hinaus waren diese frühen Zivilisationen an esoterischer Macht so gewaltig, dass

Darstellungen ägyptischer Priester – Initiierter – existieren, die in nordwestliche Richtung ziehen – zu Land – über das, was später die Straße von Gibraltar wurde; sie wendeten sich nach Norden und wanderten durch die späteren phönizischen Siedlungen von Südgallien; dann noch weiter nördlich, bis sie Karnak (Morbihan) erreichten, dann wendeten sie sich nochmals nach Westen und gelangten, immer noch zu Land reisend, an das nordwestliche Vorgebirge des Neuen Kontinents [die Britischen Inseln].

Was war der Zweck ihrer langen Reise? Und wie weit müssen wir das Datum solcher Besuche zurückdatieren? Die archaischen Aufzeichnungen zeigen die Initiierten der zweiten Unterrasse der arischen Familie, die von einem Land ins nächste zogen, um die Errichtung von Menhiren und Dolmen zu überwachen, von kolossalen Abbildern des Zodiak in Stein und von Grabstätten – um als Behälter für die Asche künftiger Generationen zu dienen.

SD, II: 750

Was war die Triebfeder dieser Zivilisationen, wenn nicht die Mysterienlehren – Lehren, die speziell das Gedankenleben der Nationen beeinflussten, vielleicht aus unbekannter Quelle, von der Menge nicht als esoterisch erkannt? Nichtsdestoweniger waren die Mysterienlehren die Inspiration des Künstlers bei seiner Suche nach dem Göttlichen, die Intuition des Poeten in seiner Sehnsucht nach Wahrheit und die widerhallende Harmonie des Musikers, wenn er nach der Musik der Sphären suchte. Es ist keine leere Phrase zu sagen, dass alle Dinge von spirituellem, intellektuellem und künstlerischem Wert zur Gänze aus dem Allerheiligsten geboren werden.

Was sind die Steinmonumente und Papyri von Ägypten, wenn nicht Zeugen der Kenntnis alter, längst vergessener Wahrheiten? Die Darstellung vom Wiegen des Herzens gegen die Feder der Wahrheit auf den Papyri von Pert Em Hru – „Ans-Tageslicht-Kommen“, allgemein als Totenbuch bekannt – stellt in symbolischer und allegorischer Form dar, was sich tatsächlich in den heiligen Kammern der Initiations-Pyramiden ereignete. Leibhaftiger Zeuge dafür ist die große Pyramide von Khufu oder Cheops, deren Alter – wie H. P. Blavatsky mehr als einmal andeutet – zumindest auf 75 000 Jahre v. Chr. zurückdatiert werden kann, wenn nicht noch früher (siehe SD II: 432, 750).

Was ist mit den Druiden und ihren alten Zeremonien unter Eichen und Myrthen, mit ihren Steinmonumenten, die so ausgerichtet sind, dass die Strahlen der aufgehenden Sonne die Augenbrauen des Kanditaten berührten, wenn er sich von seinem Initiations-Lager erhob, „umkleidet mit der Sonne“, buchstäblich von Sonnenglanz erstrahlend? Woher stammt die Schulung ihrer Kandidaten in drei Graden – eine Schulung, die absolute moralische Reinheit, spirituelle Kraft und ein tiefes Verständnis für die Wahrheit erforderte?

Was ist mit Persien und seiner langen Linie von Zoroastern? In deren mystischen Zentren mit sieben Kammern wurden den Neophyten, welche die traditionelle Schulung der Mysterien durchliefen, Wahrheiten von großem intellektuellem und spirituellem Wert gelehrt. Wurden die Magier dort von einer anderen Quelle als der archaischen Mutter des Okkultismus geboren? Was ist mit den orphischen Mysterien, deren strenge Schulung und esoterischer Inhalt vielleicht einen stärkeren Einfluss auf die griechische Kultur als auf die eleusinischen Mysterien hatten, die über Jahrhunderte so populär waren? Weisen nicht die Lehren des Orpheus auf einen östlichen Ursprung hin, die an jene in Indiens Āśramas oder Mysterientempel erinnern? Reisten nicht Pythagoras und Plato gleichfalls nach Indien und brachten ihren Schülern das identische Muster der Esoterik zurück?

So könnte man mit der nordischen und germanischen Mystik fortfahren, mit den hinduistischen und chinesischen Philosophen, dem griechischen und römischen Zeremoniell – alle Weber an demselben Muster in einem universalen Motiv – ein auf alle Zeiten, alle Nationen anwendbares Motiv, weil es unendlicher Variationen fähig ist. Die innere Bedeutung einer Mysterienschule zu begreifen, heißt, die heilige Identität aller zu erfassen – nicht im Detail kultureller und ethnischer Interpretation, sondern in der esoterischen Essenz.

Was ist also die Wahrheitsprobe? Eine Grundvoraussetzung ist Universalität: Wurde sie von all jenen gelehrt, die „mit der zentralen Sonne“ der Initiation „umkleidet“ waren? Unterwies Buddha-Gautama seine Schüler in genau derselben Lehre wie Jesus-Christus? Lehrte Śankarāchārya dieselbe Esoterik wie Pythagoras und Empedokles? Wurden Zoroaster und Tsong-kha-pa zu ihrer Adeptschaft im selben Schoße der Initiations-Kammer geboren wie Apollonius von Tyana, Orpheus oder Lao-Tse? Haben Persien und Griechenland, China und das alte Amerika, Island, Wales und Babylon, alle eine Botschaft erhalten, die – ihrer äußeren Schale entkleidet – in ihrer Essenz eins ist? Sicherlich ist es so, denn solche Muster wurden auf einem Webstuhl gewoben – dem zeitlosen Webstuhl der Wahrheit.

Diese Mysterienschulen sind kein einmaliges System, sondern basieren auf der spirituellen Struktur des Universums, sie wurden

aus den gleichen Motiven des Mitleids errichtet, die das Werk der großen Akteure des ursprünglichen Dramas bei dem Eröffnungsakt unseres Manvantaras bestimmten. Sie kopierten sozusagen im Kleinen, was in jenen uranfänglichen Zeiten stattfand und was im tatsächlichen Leben in der Hierarchie des Mitleids auf unserer Erde oder vielmehr in jener Abteilung der Hierarchie des Mitleids stattfindet, die wir die ‘Große Weiße Loge’ nennen.

– G. DE PURUCKER, Fundamentals of the Esoteric Philosophy, S. 322, 2. Ausg.

Eine ursprüngliche Menschheit, viele Kinderkolonien; eine Mysterienlehre, viele Mysterienschulen; ein archaisches Muster, viele Variationen in Farbe und Gewebe, da jede Nation den Schuss ihrer nationalen Mysterien beiträgt. Aus heutiger Sicht existieren drei Varianten des Motivs:

(1) Die ursprüngliche Enthüllung der Wahrheit für die Menschheit durch göttliche Lehrer, die in Übereinstimmung mit dem spirituellen Planetengeist unserer Erde arbeiten. Diese haben im Laufe der ersten Jahrtausende erfolgreich die wenigen Auserwählten in einem Zentrum von esoterischem Licht – der Großen Bruderschaft – versammelt.

(2) Die zweite Enthüllung, direkt als Frucht der ersten entspringend: die unaufhörlich von der Loge ausgesandten spiritualisierenden Einflüsse – welche in zyklischen Intervallen durch ihre Schüler, die großen Weltlehrer, in besonderem Maße verstärkt werden.

(3) Die dritte Enthüllung, als der Nachkomme von (1) und (2) hervorgegangen: das Eindringen der Wahrheit in das menschliche Leben durch die Mysterienschulen, die Zentren der esoterischen Disziplin, in deren inneren Kammern die Initiation der ‘Auserwählten’ allein stattfindet, aber in deren äußeren Bereichen die gesamte Welt Einlass suchen kann, um die fundamentalen Wahrheiten zu lernen, so dass das Leben veredelt und der Tod so natürlich wie der Schlaf angenommen werden kann. Das ist das Jahrhundert um Jahrhundert auf dem Webstuhl der Wahrheit gewobene Muster der Esoterik.