Informationen über Theosophie in anderen Sprachen:     ENGLISH    ESPAÑOL    ITALIANO    NEDERLANDS    РУССКИЙ    SVENSKA  

Die Götter warten

III – Für die Unterdrückten und die Ausgestoßenen

Denn das Auge der Seele, das uns zur Vision des Guten leiten kann, wenn es nur in die richtige Richtung blickt, wird üblicherweise von den Sorgen der Seele um die niederen Dinge gefesselt; und weil das so ist, kann es uns im Erkennen der Dinge schulen, die nicht wahr sind, und kann uns helfen, weit voranzuschreiten – in die falsche Richtung; aber es kann uns niemals zum Licht führen, solange nicht unsere Seelen umgewandelt werden.

E. J. Urwick, The Message of Plato, Seite 123

Meine erste Begegnung mit William Quan Judge

Lange bevor ich Leiter der Theosophischen Gesellschaft wurde, hatte ich vieles gesehen, das mich zu der Überzeugung brachte, daß wir weder wissen, welche Hilfsmittel wir gegen Verbrechen und Armut anwenden könnten noch wie wir sie gebrauchen sollten. In meinem Herzen breitete sich Entsetzen darüber aus und ich wurde krank und entmutigt, weil ich so viel Grausamkeit und Gleichgültigkeit sah: so viel Leid, und so wenig wurde getan, um es zu lindern. Schulen zu errichten, um diese Zustände zu verhüten – das war mein Traum. Er entstand nicht plötzlich, sondern aus der langen Erfahrung der Arbeit mit den Armen in New York, hauptsächlich auf der East Side. Er hat sich während vieler Besuche in den dortigen Gefängnissen und auf Ellis Island sowie in der umfangreichen Sozialarbeit mit den Unglücklichen in den Straßen in meinem Gemüt eingeprägt.

Es war klar zu erkennen, daß wenig getan werden konnte, um ihnen wirklich und dauerhaft zu helfen. Was notwendig war, war ein neues Erziehungssystem zur Verhinderung der Zustände, die ich vorfand. Die menschliche Natur neu zu formen, wenn sie bereits den Glauben verloren hatte, auf die falsche Bahn geraten war, unehrlich war, skeptisch und zynisch geworden war, erschien beinahe oder gänzlich unmöglich. Ich erkannte, daß die einzige Chance darin lag, den Charakter der Kinder während der formbaren, ersten sieben Lebensjahre zu bilden, und dann, auf eine etwas andere Art, zwischen dem siebenten und vierzehnten Lebensjahr.

Diese Gedanken und Gefühle wurden in einem bitteren Winter akut, als die East Side von einem Streik der Textilarbeiter ernsthaft betroffen war. Tag für Tag forderten diese Menschen ihre Rechte, und die Armut war schrecklich geworden. Sie hatten kein Geld mehr, und die Kinder waren dem Hungertod nahe. An einem Morgen starb ein Baby in den Armen seiner Mutter vor der Tür der Do-Good-Mission, einer Nothilfestation, die ich eingerichtet hatte, mit der Hauptstelle in einem alten Mietshaus in der Gegend, wo die Not am größten war – Massen von Menschen kamen täglich dorthin, um Suppe und Brot zu beschaffen und was ich sonst noch für ihre Hilfe auftreiben konnte.

Ich erinnere mich gut an diesen Tag. Schnee fiel, als ich am Morgen zu der Mission ging, um mich mit diesen entmutigten Menschen in ihrer Armut zu treffen; ein normaler Schneesturm begann, ohne Anzeichen für den schrecklichen Blizzard, der später am Tag wüten sollte, dessen Gewalt aber sichtbar wurde, als ich ankam. In dem heftigen Sturm, der nun ständig zunahm, warteten mehr als sechshundert Frauen und Kinder in der Straße auf Hilfe. Sie waren nur halb bekleidet – die meisten hatten den Großteil ihrer Kleider versetzt – sie kamen vor Kälte um; viel von ihnen klagten laut und riefen um Hilfe.

Die Zimmer, die wir gemietet hatten, waren im ersten Stock – die besten, die wir bekommen konnten, obwohl das Haus alt und baufällig war; und der Versuch, die sechshundert Menschen hineinzubringen, hätte den Tod für die meisten oder für alle von ihnen bedeutet. Der Hauseigentümer warnte mich auf das entschiedenste, daß der Boden kaum dem Gewicht von fünfzig Menschen standhalten würde, ohne zu kollabieren und in den Keller zu fallen. Und die ganze Zeit über klang das Jammern dieser Frauen in meinen Ohren. Ich konnte sie nicht hungrig wegschicken, und es würde noch eine Weile dauern, bevor das Essen, das gerade zubereitet wurde, fertig sein würde.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als hinauszugehen und zu ihnen zu sprechen, um sie so gut wie möglich bei Laune und geduldig zu halten, während sie warteten. Ich hatte eine große Gemüsekiste auf den Gehsteig neben die Türe gestellt und stand darauf, erzählte ihnen, warum ich sie nicht hereinbitten konnte, und daß die Suppe noch nicht ganz fertiggekocht und das Brot noch nicht vom Bäcker geliefert war, aber in sehr kurzer Zeit würde beides fertig sein. Die ganze Zeit über nahmen das Gedränge und der Sturm immer mehr zu, und mit ihnen mein eigener Kummer, bis mir schließlich fast das Herz brach, als ich so viel entsetzliches Elend sah und wußte, daß alles, was ich tun konnte, so erbärmlich wenig war, so wirkungslos, um diese Menschen aus ihrem momentanen Elend herauszuholen und sie vor gleich Schlimmem oder Schlimmerem morgen oder am nächsten Tag zu bewahren.

Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit auf ein blasses Gesicht am äußeren Rand der Menge gelenkt – das Gesicht eines Mannes, der unter einem Schirm stand, mit hochgeschlagenem Mantelkragen und seinen Hut tief ins Gesicht gezogen – eindeutig nicht einer der Streikenden; ein Gentleman, dachte ich, der plötzlich verarmt war und sich schämte, mit den anderen vorzutreten und um Essen zu bitten, das er wohl sehr brauchte. Ein fein geschnittenes Gesicht und auffallend edel im Ausdruck, mit einem Blick von tiefer Traurigkeit und auch von Krankheit – zweifellos hervorgerufen durch Hunger. All das durchzuckte meine Gedanken in diesem einen Augenblick. Ich drehte mich um, um eine unserer Helferinnen zu rufen, um sie zu ihm zu schicken. Aber als ich mich wieder umdrehte, war er verschwunden.

Zwei Tage darauf gab er bei mir zu Hause seine Karte ab; es war William Quan Judge, Leiter der Theosophischen Bewegung und Nachfolger von H. P. Blavatsky. Er erzählte, daß er von meiner Arbeit bei den Armen gelesen hatte, und dorthin gegangen war, um es persönlich zu beobachten. Er hielt es so weit für praktikabel und gut, sagte er; aber er erkannte auch meine Unzufriedenheit damit und meinen Hunger nach etwas, das viel tiefer gehen, die Gründe für das Elend beseitigen und nicht nur dessen Auswirkungen erleichtern würde. Als ich ihn damals kennenlernte erkannte ich, daß ich meinen Platz gefunden hatte. Je mehr ich mit ihm und seiner Arbeit vertraut wurde, desto sicherer fühlte ich, daß einige meiner alten Träume und Hoffnungen jetzt wahr werden könnten. Ihn umfassend und richtig zu beschreiben übersteigt meine Fähigkeiten, so sehr überragte er den Durchschnitt der Menschen an tiefer Weisheit und Erhabenheit des Charakters. Er hatte Theosophie zu einer lebendigen Kraft in seinem Leben gemacht, und niemand konnte ihm gegenüber so unfreundlich sein, daß sich seine Toleranz oder sein Mitleid erschöpft hätten.

Er war es, der mir als erster eine Ahnung von der Macht des Denkens vermittelte und mich erkennen ließ, wie es das Schicksal eines Menschen aufzubauen oder zu zerstören vermag. Auf diese Art hatte er mir gezeigt, wie man in der Theosophie eine Lösung für alle Probleme finden kann, die mich beunruhigt hatten: wie sie den Weg zur rechten Behandlung der Unterdrückten und Ausgestoßenen der Menschheit und zu den wahren Heilmitteln für Armut, Laster und Verbrechen zeigt. Zu all diesen Themen sagt die Theosophie als erstes folgendes: derjenige, der den Pfad betritt, der zur Wahrheit führt, muß die Fehler und Irrtümer seiner Mitmenschen anders verstehen lernen. Er muß das Gesetz der ewigen Gerechtigkeit verstehen lernen – Karma, daß „ein Mensch, was er auch immer sät, wird ernten müssen“ – und das Wissen um die Notwendigkeit erfordert unbesiegbares Mitleid, weil diejenigen, die irren und straucheln, immer durch Ignoranz irren. Kriminalität ist immer das Ergebnis von Ignoranz, und das Übel kann nicht geheilt werden, bevor das erkannt wird.

Die höheren und die niedrigeren Naturen

Was weiß z. B. ein Krimineller über den Gott in seinem Inneren oder über seine Verantwortung als Mensch oder über das große Endziel des Lebens? Was weiß er über die Macht des unsterblichen Selbst? Weil diese Unglücklichen gar nichts über die Unterschiede zwischen dem Gehirnverstand und dem göttlichen Leben wissen, zwischen dem Engel und dem Dämon in ihrem Inneren, sind sie blindlings weiter abwärts geschritten und haben sich vom besseren Leben entfernt.

Wenn die Wahrheit bekannt wäre, so wüßte man, daß ihre Kriminalität aus der Idee entstanden ist, die Angst vor Bestrafung sei die richtige, natürliche und einzig erfolgreiche Abschreckung vor Kriminalität und das einzig vernünftige Motiv, um Missetaten zu vermeiden. Und was ist das anderes als die natürliche Folge der alten, mißverstandenen Lehren? Sobald ein Mensch dem Irrtum verfallen ist – sobald er seinen ersten Fehler gemacht hat und den ersten Schritt abwärts getan hat, die Dinge herausgefordert und den Bann durchbrochen hat, wie man sagt, obwohl er nur einen Laib Brot gestohlen hat um seinen Hunger zu stillen – wird er sehr wahrscheinlich eine ernstzunehmende Bedrohung für die Gesellschaft werden. Und ist es nicht Unwissenheit, die ihn dazu führt? Unwissenheit: diese falsche, schädliche Furcht vor Gewalt oder Mächten, vor einer Gottheit außerhalb seiner selbst; dieser Mangel an unumschränkten Wissen über den Gott im Inneren.

Wie kommen wir dann nur dazu, irgend jemanden zu verdammen? Woher wissen wir, was wir selbst getan hätten, wären wir an deren Stelle gewesen, in anderen, längst vergessenen Leben? Sogar die besten von uns können genauso große Fehler gemacht haben wie ein beliebiger Sträfling im Gefängnis. Woher könnten wir das wissen? Der Pfad zur Kriminalität ist der Pfad der Unwissenheit; derjenige, der die Gewißheit hat, daß er ihn nie mit seinen Füßen betreten wird, sollte großherzige Toleranz für alle und großes Mitleid mit den Irrenden entwickeln. Er sollte sich vor strengem Urteil hüten, sonst wird ihn diese Belastung durch viele Leben hindurch verfolgen. Die Seele wird durch das göttliche Gesetz gerichtet, nicht durch den Menschen. In dem Augenblick, in dem wir unseren Nachbarn verurteilen, verurteilen wir uns selbst. Denn wir sind alle ein Teil und ein Stück des anderen: Bruderschaft ist in der Tat ein Faktum in der Natur, eine Wahrheit, die offensichtlich wäre, wären wir nur nicht während unseres Lebens in dieser Persönlichkeit oder in unserem fehlerhaften Selbst verhüllt; und wir bemerken nicht das wahre Selbst, das göttlich ist.

Es ist notwendig, daß die Idee der Bestrafung völlig abgeschafft wird, und an ihre Stelle Besserung tritt, Wiedergutmachung. Ich würde das Wort Kriminalität aus den Wörterbüchern und der menschlichen Sprache streichen. Kriminalität ist eine Krankheit, sie verlangt nicht nach Bestrafung, sondern nach Heilung. Wir müssen mit denjenigen, die betroffen sind, streng und gütig umgehen. Sie brauchen Krankenhäuser – brüderlich, erzieherisch, karmisch – weise geführt, und nicht Gefängnisse und Zellen und Schafotte.

Wir sollten es nicht wagen, zufrieden oder gleichgültig zu sein, wenn wir von einem Menschen im Gefängnis hören. Jemand, der so durch seine Unwissenheit und seine Irrtümer leidet, sollte unser Schützling werden, nicht auf eine Art, daß er verweichlicht wird oder seine Schwächen vermehrt werden, sondern daß er auf den Pfad geleitet wird, auf dem er diese überwindet. Jemand, der auf dem falschen Pfad entlanggeht, sogar so schlimm, daß er einem Menschen das Leben genommen hat, sollte unser Schützling werden, damit wir ihn umwandeln und zu einem nützlichen Bürger machen. Er ist ein Invalide und sollte als solcher behandelt werden. Er wurde von den psychologischen Einflüssen des Zeitalters infiziert. Er ist ein Opfer seiner Unwissenheit, niedergedrückt vom Zwang seiner Verhältnisse und beladen und hoffnungslos durch die Last seiner eigenen Fehler. Dennoch ist er empfänglich für heilende Behandlung; er kann zu einem wertvollen Mitglied der Rasse werden. Irgendwo in seiner Natur, auch in der unglücklichsten, pulsiert immer noch das spirituelle Leben, scheint noch ein Strahl der großen Ewigkeit. Ein für die Gesellschaft verlorener Mensch, wie man so sagt, nach seiner eigenen Meinung und der der Welt völlig heruntergekommen, kann immer noch aufgerichtet und auf seine eigenen Beine gestellt werden. Die höhere Natur kann immer noch in ihm erweckt werden.

Studiert die Entwicklung der Ansichten und des Charakters der sogenannten Kriminellen, und im Laufe der Zeit werdet ihr entdecken, daß es die Agonie des in ihrem Leben stattfindenden Kampfes ist – in dem das Bewußtsein des höheren Selbst energisch versucht, sich durchzusetzen und daran arbeitet, sie von den Versuchungen des Niederen zu befreien –, die sie kraftlos und abnormal gemacht haben. Erkundigt euch nach der inneren Geschichte des von der Morphiumsucht befallenen jungen Mannes, und ihr werdet wieder und wieder feststellen, daß er nach der Droge griff, um sein Bewußtsein zum Schweigen zu bringen. Das ist bei allen Alkohol- und Drogenabhängigen die Wurzel des Übels, außer bei den durch Vererbung verursachten Abhängigkeiten. Das Gewissen, jenes Licht aus der Ewigkeit, das ein Teil jeden menschlichen Lebens ist, ist so stark und mächtig in ihnen und wirkt in ihrem Leben, es macht sie so elend, daß sie etwas tun müssen, um dem zu entfliehen. Sie würden sich selbst töten, aber zu ihrem eigenen Glück haben sie meist nicht den Mut dazu; und so greifen sie zu diesem schrecklichen „Allheilmittel“, und die Gewohnheit verfestigt sich.

Es gibt keinen Menschen, der ein Verbrechen begeht, der nicht in Beziehung auf diese Tat abnormal, geistesgestört, ist. Jeder Knabe und jedes Mädchen, jede Frau und jeder Mann hinter Gittern ist unzurechnungsfähig. Sie verstehen die Gesetze des Lebens nicht, sie befinden sich in der Gewalt ihrer eigenen Unwissenheit. Wie können wir daran zweifeln, daß ein Mensch in dem Moment, in dem er in seinem Herzen den Drang zum Mord verspürt, die Grenzen des gesunden Verstandes überschritten hat? Wenn die niedere Natur mit Groll, Haß oder Angst derartig erfüllt ist, daß sie bereit ist zu töten, hat der wahre Mensch die Kontrolle über den Verstand gänzlich verloren. Die Impulse des dämonischen Selbst, wenn es zu einem bestimmten Grad erregt ist, werden unkontrollierbar: der Verstand ist verwirrt und aus der Bahn geworfen, der Mensch ist krank.

Wenn ein Mensch eines Verbrechens beschuldigt und vor Gericht gebracht wird, um verhört zu werden und seine Strafe zu empfangen, was wissen wir dann, was wissen der Richter und die Jury über die Umwelt, in der er aufgewachsen ist? Über seine vorgeburtlichen Bedingungen, seine Erbanlagen, seine physischen Gebrechen? Über seine Erziehung oder seinen Mangel an Erziehung? Wie viel wissen die, die ihn verurteilen, über sein inneres und äußeres Leben? Ein kranker Körper kann leicht mentales oder moralisches Leiden verursachen. Die Erbanlagen eines Menschen können so sein, daß er, obwohl seine Ziele gewöhnlich hoch und sein Bestreben rein sind, abgleiten kann und auf den falschen Pfad gelangt durch einen Mangel an Selbsterkenntnis. Der Makel wurde ihm vor der Geburt auferlegt – die Anlage der Familie mag zu dem Träger, der ihn hervorbrachte, beigetragen haben.

Dennoch brandmarken wir solche Menschen immer wieder als Kriminelle und verhängen Strafen über sie, anstatt Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. Isolierung ist immer Bestrafung, ernsthafte Bestrafung: Isolation und für Monate oder Jahre in eine Zelle gesperrt zu werden, je nach Art ihres Verbrechens und dem Urteil des Richters, der nicht mehr über den zu verurteilenden Menschen weiß, als über die Atome in den tiefsten Teilen des Ozeans – der weder sich selbst kennt, noch je seine eigenen göttlichen oder dämonischen Möglichkeiten entdeckt oder analysiert hat, und sich deshalb nicht auf diese feinen Quellen seines eigenen Wesens verlassen kann, die ihn dazu befähigen würden, seinen Mitmenschen gegenüber wirkliche Gerechtigkeit auszuüben.

Und weiter, laßt selbst die besten von uns sich prüfen und ehrlich entscheiden, ob uns eine so große Kluft von dem Gefangenen hinter Gittern trennt. Ein Mensch mag im Inneren gemein und von selbstsüchtigem Charakter sein, und dennoch als ein Vorbild von Ehrbarkeit durch das Leben gehen, weil er zu träge und schwach war, oder zu feige, um das Gesetz zu brechen: es ist möglicherweise nicht der schlechteste Mensch, den wir hängen oder einsperren. Bei vielen Kriminellen ist es so, daß gerade die Kraft, die sie für ihr Verbrechen aufgebracht haben, sie zu hervorragenden Dienern der Menschheit machen könnte, wenn nur ihre kriminelle Veranlagung geheilt würde.

Ein Mensch kann heute ein Held und ein Heiliger sein, und morgen, durch den Impuls seiner niederen Natur, durch eine ungewöhnliche Versuchung, zu Fall gebracht werden. Das schwankende Gemüt ist heute im Licht und morgen im Schatten: es kann unter das Niveau des Seelenlebens fallen und verheerende Dinge anrichten. Auf einer Seite ist das Göttliche, die Erleuchtung, das hohe Bestreben und das Ziel; und dennoch, einem plötzlichen Impuls folgend, in einem Augenblick – wegen einer Bagatelle, einem Nichts – kann das höhere Selbst ausgeschaltet und ausgeschlossen werden, so daß das sterbliche, tierische Selbst die Oberhand und Macht gewinnt.

Ich erinnere mich an einen Redner mit der Weisheit der Götter, so könnte man sagen, in seinen Reden, und dennoch lauerten, eingenistet in versteckten Plätzen seiner Natur, Dämonen, die er zwar unterdrückt, aber nicht besiegt hatte. Er war vordem niemals irgendeiner wirklich großen Versuchung ausgesetzt worden; und in seinem Egoismus und seinem dummen Stolz hatte er in seinem Herzen die Idee gepflegt, daß er sich auf dem richtigen Wege der Evolution befinde. Die ganze Zeit über fraßen sich jedoch diese heimtückischen, verborgenen Feinde in der leidenschaftlichen und selbstsüchtigen Seite seiner Natur wie ein Krebsgeschwür in das Gewebe seines Wesens. Als die große Versuchung kam – wie sie in allen solchen Fällen kommen muß –, wurde der Intellekt überwältigt und das Herz verlor den Überblick; und die Leidenschaft des Mannes, die ein paar Wochen zuvor nur ein schwacher Wunsch gewesen war, wurde zur dominierenden Macht in seinem Leben. Der spirituelle Wille wurde beiseite geschoben, und was von ihm blieb, war ein brutales – ein moralisches Wrack und eine komplette Umkehrung des Mannes, den die Welt gekannt hatte.

Er, der gestern von aller Welt bewundert worden war, der vielleicht versucht hatte, das Richtige zu tun, kann morgen hinter Gittern sein und in der schrecklichen Stille der Todeszelle auf die Schritte der trübseligen Prozession warten, die ihn zur Hinrichtung führen wird; und das aus keinem anderen oder unmöglicheren Grund, als daß in seinem Charakter ein Ungleichgewicht bestand, ein Ungleichgewicht in seiner Erziehung: Übertreibung auf der einen Seite, Vernachlässigung auf der anderen.

Die Todesstrafe

In Wahrheit gibt es nur ein Verbrechen, das rechtskräftig ausgeführt wird; und das ist jene Art von Mord, die Todesstrafe genannt wird. Das Leben eines Menschen gehört nicht nur der Gemeinschaft. Es ist Teil des universalen Lebensmusters. Jeder von uns ist durch das göttliche Gesetz für göttliche und universale Zwecke hierher gestellt, und nichts gibt uns das Recht, menschliches Leben zu nehmen. Wir begehen selbst ein Verbrechen, wenn wir das erlauben, und es ist ein Verbrechen gegen den Heiligen Geist, gegen das höhere Gesetz.

Schaut unter die Oberfläche der Erscheinungen; schaut in die Tiefe des Lebens. Ein Mann soll morgen für sein Verbrechen aufgehängt werden: wir wissen, was mit seinem Körper geschehen wird, aber wie steht es mit der Seele, zu der dieser Körper gehört? In welchem Zustand wird sie weitergehen – etwa in Mitleid mit der Menschenrasse, in Frieden mit den Menschen und der Welt? Im Gegenteil, wenn dieser Mann aus dem Leben scheidet, wird er nur wenig von der Liebe der Menschheit beeindruckt sein, oder von der Liebe zum Guten, Schönen und Wahren. Er weiß so gut wie nichts über die göttliche Art in seiner menschlichen Natur: wenn er gequält in der Todeszelle sitzt, gibt es für ihn keine Atmosphäre, keine Erinnerung an göttliche Dinge, weder innen noch außen.

„Liebe deinen Nächsten!“, sagte der große Nazarener: unser Mann aber, der für sein Verbrechen gefangengenommen wurde, hatte nichts, was er lieben konnte, und auch niemanden, von dem er geliebt wurde, nichts als die eisernen Gitter seines Kerkers, wo er in schrecklicher Stille gehalten und wo ihm in jedem Moment klar wurde, daß er verurteilt ist, ein Ding, alles in allem ein von der Menschheit Ausgestoßener. Er wurde dazu gebracht, die Menschen zu hassen – die ihm im übrigen nie Anlaß dazu gegeben haben, anders zu handeln. Er ist mit seinem gesamten Umfeld im Krieg; sein ganzes Wesen ist erfüllt von Verbitterung gegen diejenigen, die ihn verurteilt haben, von dem Verlangen nach Rache, erfüllt von der Angst vor dem, was auf ihn zukommt. Er hat Predigten von dieser und jener Lehre gehört, von dieser oder jener Kanzel, das eine oder das andere Mal, aber nie ein Wort oder einen Gedanken, die ihm wirkliches Verständnis über sich selbst gab.

Er hat nicht die Erleuchtung, um zu erkennen – wie sollte er auch? – daß wir das ernten, was wir säten. Er hat im Leben alles versäumt, was ihm hätte helfen können, und er hat wahrscheinlich all das gefunden, was ihn behindern und zugrunde richten kann; und er hat in der niederen Seite seiner Natur geschwelgt, bis er endlich in den Augen der Welt das Schlechteste auf Erden ist. Soweit wir es vermögen, lassen wir ihm nur diese Erinnerung: daß er verworfen und unfähig ist zu leben, und daher wird er mit allen Mitteln der Erniedrigung in das große Unbekannte hineingestoßen. Alles, woran er denken kann, ist: Wie kann ich meinen Körper davor retten, gehängt zu werden? Er ist verrückt durch die Pein der Gedanken und kann nicht für einen Augenblick ruhig sein, und in seinem Gemüt ist eine Hölle der Höllen, von der wir nichts ahnen.

Die Seele ist da – eine menschliche Seele ist da – er hat immer noch den göttlichen Funken in sich, wie schwach auch die Erkenntnis davon sein mag. Denn er ist ein Mensch, er ist essentiell göttlich. Wir wissen immer noch so wenig vom Leben. Von diesem Mann kann nur so viel gesagt werden: obwohl die Seele aus seinem Bewußtsein unentwegt ausgeschlossen worden war und keinen Weg gefunden hat, sich in seinen Handlungen zum Ausdruck zu bringen – obwohl er getrennt von der Seele gelebt hat und in die tiefste Erniedrigung gesunken ist – hält ihn das unveränderliche Gesetz, das alles Leben regiert, in seiner Obhut, so wie auch die Größten der Heiligen; und ich weiß, daß irgendwo, jenseits des Todes, diese Göttlichkeit ihm Visionen der Hoffnung und die Erkenntnis bringen wird, daß der Weg, dem er gefolgt war, ein Irrtum war, und daß ihm neue Chancen gegeben werden.

Das göttliche Gesetz ist in der Tat barmherziger als das menschliche: jenseits des Todes ist Friede und Erkenntnis unseres höheren Selbst und Entschädigung für all die Ungerechtigkeiten, die die Welt uns angetan haben mag. Wir Menschen sind göttlich – geboren, um zu evolvieren! Wir sind Söhne Gottes, inkarnieren hier, um für uns und die Welt, in der wir leben, herrliche Schicksale zu erarbeiten. Aber wir sollten darüber nachdenken, welchen Vorrat an Gedanken der Mensch gleichsam am Rand dieser Welt hinterlassen hat und erkennen, daß er, wenn er auf Grund des göttlichen Dranges des Gesetzes wieder seinen Platz auf Erden sucht, was er tun wird – was wir alle tun müssen – und wenn er die Last, die er abgelegt hat, wieder aufnimmt, wir ihn weder in den Hallen der Fortgeschrittenen finden werden noch an den Plätzen, wo Schönheit und Wahrheit wohnen. Notwendigerweise wird er in eine Gegend kommen, die seinen Gedanken und Gefühlen, mit denen er weggegangen ist, verwandt ist: So wie das Tor bei seinem Weggehen war, so muß das Tor bei seiner Wiederkehr sein.

Ich möchte an einen anderen Aspekt dieser Sache erinnern: Um unserer selbst, unserer Kinder und unserer Zivilisation willen sollten wir uns von dieser legalisierten Ungerechtigkeit abwenden. Wir müssen den Einfluß der Gedanken berücksichtigen, die gleichermaßen in die mentale Atmosphäre des zukünftigen Kindes gedrängt werden, und die hier seinem Charakter ihr Bild einprägen. Manches Verbrechen wurden verübt und hat in den Zeitungen Aufsehen erregt. Viele Gefühle wurden gegen den Mann, der verdächtigt wird, es begangen zu haben, erregt – der Fall wird in vielen Familien diskutiert – und eine Frau bekommt gerade ein Kind. Sie hört bei ein oder zwei solcher Diskussionen zu; und unter dem psychologischen Einfluß der allgemeinen Meinung läßt sie in ihrem Gemüt den Gedanken zu, daß der Mann gehängt werden sollte – sie drückt das sogar in Worten aus und sagt, „ich würde ihn gerne hängen sehen.“

Denkt an die Auswirkung eines solchen Gedankens, eines solchen Gefühls, eines solchen Wunsches, die wie Gift in ihrem Gemüt aufgenommen werden, und als Gift in ihr Blut fließen, denkt an den Charakter und die Zukunft ihres ungeborenen Kindes. Denn wenn jemand seine niedere Natur zu einem Wunsch nach Rache stimuliert, weckt er Kräfte, die sofort ein wirkliches Gift in seinem Körper werden. Die Menschen zerstören sich selbst täglich mit ihrer Lust auf Vergeltung und ihrem Haß; dabei zerstören sie nicht nur ihre höheren und mentalen Möglichkeiten, sondern sie vergiften buchstäblich auch ihr eigenes Blut in ihren Adern. Jedes Atom wird beeinflußt; und so bereiten sie Bestrafung für sich selbst vor, nicht weit weg in einer anderen Welt oder in einem anderen Seinszustand – es wird nicht mit irgendeiner Hölle gedroht – aber in dem Moment, in dem der Gedanke gefaßt wird, hier auf dieser Erde, in ihren gegenwärtigen Körpern, physisch, fängt das Gift an, Wirkung zu zeigen. Man muß nur das Leben der Menschen verfolgen, die entschlossen sind, falsch zu handeln, um zu erkennen, wie diese Kräfte sie zerstören.

Gefängnis und Gefangene

Schaut auf unsere Gefangenen, diese Mahnmale der Ungerechtigkeit, und behauptet dann, daß unsere Religion und unsere Politik den Lebensstandard angehoben hätten! Ist es nicht offensichtlich, eine Binsenwahrheit, daß jede Besserungsanstalt selbst die Mittel und die Macht haben sollte, um zu korrigieren und wiedergutzumachen; und von welchem Nutzen sind unsere legalen Systeme und unsere Gefängnisse für die moralische Besserung des Verbrechers? Welche ihrer Eigenschaften sind dazu bestimmt oder angelegt und wirksam, den Verbrecher aus dem Unrat, dem Schatten und der Finsternis der Verzweiflung zu erheben? Was gibt es im Gesetz, das auch nur im mindesten zur Besserung beiträgt? Nichts – und es war auch niemals beabsichtigt, daß es so sein sollte. Alles, woran gedacht wird, ist diese gänzlich sinnlose Idee der Bestrafung, die keinem guten Zweck auf Erden dienen kann. Ein Mann begeht ein Verbrechen und wird hinter Gitter gebracht; und die ganze Überlegung zielt darauf ab, ihn hart und streng zu bestrafen – niemand denkt auch nur im geringsten daran, irgend jemandem zu dienen oder etwas zu irgend jemandes Nutzen zu leisten.

Wie leicht ist es, jemanden zu einem Kriminellen zu machen! Wenn es in einer Familie Armut gibt, oder Unwissenheit, oder eine erbliche Krankheit, die unter Druck ausbricht – ansonsten würde sie niemals ausbrechen –, kann ein Kind heranwachsen, ohne jemals einen dieser spirituellen Bewußtseinszustände erfahren zu haben, die normal und notwendig für innere Gesundheit sind; es mag in keinem Augenblick gefühlt haben, daß es aus der göttlichen Welt und dem großen Mysterium kam, und daß von der Natur auf vielfachen, wunderbaren und feinfühligen Wegen für es gesorgt wird. Wie soll jemand, innerlich so unbewaffnet und ohne Verteidigung, gegen die Versuchung gefeit sein, wenn sie kommt?

Oder denkt an einen Knaben, der in einem Elternhaus erzogen wurde, in dem wirklich alles zartfühlende Freundlichkeit war, aber in dem die alten sektiererischen Ideen die Atmosphäre erfüllten. Entweder stimmt er mit diesen Ideen überein, und ist dadurch darauf vorbereitet, sein Leben in völliger Unkenntnis der Wahrheit über das Leben zu verbringen; oder er wird wahrscheinlich, ungefähr mit sechzehn oder siebzehn Jahren, in einen Zustand heftiger Rebellion geraten, der für ihn verhehrend sein kann. Das Aufbegehren seiner erwachenden Mentalität gegen die kindische Falschheit der alten Lehren können sich in seiner gesamten Natur ausgebreitet haben und diese mit Zweifel und Verachtung für das moralische Gesetz befallen haben.

Wir mögen einen solchen Jungen heute abend wegen Landstreicherei aufgreifen. Er hat gegen seine Eltern rebelliert, deren Autorität in Frage gestellt und sein Elternhaus verlassen. Sehr wahrscheinlich ist er betrunken, vielleicht unter dem Einfluß von Drogen. Was können Detektive und Polizeioffiziere tun? Ihr einziges Hilfsmittel ist das Gefängnis; er kann an keinen anderen Ort gebracht werden. Und man kann nicht erwarten, daß sie oder die Beamten des Gerichts oder des Gefängnisses, die sich in der Folge mit diesem Knaben befassen müssen, die spirituellen Gesetze, die unser Wesen leiten, verstehen könnten. Zweifellos versuchen sie alle, ihre Pflicht zu tun. Sie können lediglich ihr Urteilsvermögen benützen, unser armseliges, vom Gehirnverstand geleitetes Urteilsvermögen, das nur zu oft als einziges vorhanden ist.

So wird dieser Knabe also ins Stadtgefängnis gebracht, wo er auf sein Verfahren wartet, er wird in etwas, was sie Zelle nennen, gefangen gehalten werden – und das sind Zellen und keine Zimmer. Er wird dort eingeschlossen, nicht alleine, sondern höchstwahrscheinlich in Gesellschaft der verzweifeltsten Menschen der Stadt: derjenigen, die so tief gefallen sind, daß es ihre zweite Natur wurde, die abscheulichsten Dinge, zu denen Menschen fähig sind, zu tun und andere zu lehren, diese auch zu tun. Hier sind sie nun, stoßen diesen Knaben herum, der gerade seinen ersten Fehler gemacht hat, wahrscheinlich aus Unwissenheit, und der weder von dem göttlichen Geist in seinem Inneren noch von der niederen Natur, die der Versucher ist, gehört hat – und was soll aus ihm werden?

An seiner Seite ist der Drogenabhängige: wild und stark, nach dem Gift hungernd, das er nicht bekommen kann, grimmig, profan, obszön und schmutzig. Da ist auch der professionelle Dieb, der ihn auslacht und sich über seine Erfolge freut; den die Welt nicht freundlich behandelt hat, der sein Gewissen, seinen Weg und seinen Sinn für rechtes Handeln verloren hat und nun abwärts geht, so schnell er nur kann. Auch er stößt diesen jugendlichen Neuling der Verbrecherszene Tag und Nacht herum: sie schlafen dort; sie nehmen dort ihre Mahlzeiten ein. Die ganze Atmosphäre dieser Zelle ist erfüllt mit etwas, das den abgebrühtesten Menschen in der Welt mit Schrecken erfüllen würde. Der menschliche Intellekt ist nicht dazu bestimmt, auf diese Weise zu leben. Müßiggang ist aller Laster Anfang – überhaupt ruft Müßiggang nirgendwo jede Art von Bösem so hervor, wie in diesem Umfeld der Gefängnisse!

Ein Gedanken bringt einen anderen hervor: der Einfluß des Gedankens, der himmlisch sein kann, kann auch über alle Maßen schrecklich sein. Laßt ein labiles Gemüt und einen schwachen Willen mit jemandem in Kontakt kommen, der hauptsächlich pessimistisch und entmutigt ist, und sie werden sich gegenseitig gefährlich beeinflussen. Jemand, dessen Denken negativ und depressiv ist oder in niedrigeren Bahnen verläuft – und das Gemüt des Knaben wird zweifellos von all dem etwas an sich haben – kann mit einem Menschen in Kontakt kommen, der anscheinend wirklich ehrenhaft ist und ihn niemals mit hypnotisierenden Absichten betrachtet, und dennoch wird sich das Böse in der Natur dieses Menschen, ähnlich dem, was in dem Jugendlichen noch unerweckt und nur potentiell vorhanden ist, unvermutet in das Gemüt des Letzeren einschleichen, so daß sich der eine die Schwäche des anderen, welche auch immer, zum Teil aneignet und dessen Färbung annimmt. Deshalb können unsere Gefängnisse Brutstätten des Lasters sein. Die Gewalt der Gesinnung eines schwer verbrecherisch veranlagten Menschen wird dominieren und jede schwache oder unausgeglichene Natur, die in seine Nähe kommt, vergiften. Es gibt immer solche Menschen in den Gefängnissen, und wir stellen ihnen immer neue Opfer zur Verfügung.

Ist es daher ein Wunder, daß uns das ungeheuerliche Laster näher ist als wir wissen; daß so viel bis an die Türen unserer Häuser und in die Kammern unseres Lebens gelangt – Laster in all seinen schockierenden Formen, mit immer neuen und nicht zu bezeichnenden Ausdrucksweisen –, eine große psychologische Macht, die ihr Opfer nicht auswählt, jedoch alles, was sie kann, festhält und verschlingt? Sie schleicht sich unbemerkt durch die negativen Seiten in unsere Familien, durch die Schwäche der Kinder, durch eine erbliche Belastung, so daß Samen reifen, von denen wir nicht einmal träumen, schon bevor das Kind zur Schule geht oder in die Welt hinauszieht. Im Laufe der Zeit werden sie in der einen oder anderen Form ausbrechen, und die Frucht davon sein kann, daß die ganze Natur zugrunde gerichtet wird und das Leben ein Versagen ist.

Ist es daher ein Wunder, daß Unzufriedenheit die gesamte Atmosphäre durchdringt, in der wir leben, und daß sie alt, verdorben und ungesund ist? Daß unsere Herzen niedergedrückt werden und ermattet sind vom Kampf der Zeit? Gewiß, wenn man Jugendliche sieht, die eingesperrt werden, sieht man etwas, das mehr Überlegung erfordert, weiteres Denken; und wenn man sieht, wie die verhärteten Kriminellen eingesperrt werden, sieht man etwas, das noch mehr Überlegung erfordert, weiteres Denken!

Irgendwann einmal wird unser Jugendlicher vor Gericht gebracht und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Würde ich angeklagt, für zehn Monate eingesperrt und dann dem Gericht zur Verhandlung vorgeführt, könnte ich mir vorstellen, daß alles, was ich hörte und mir jemals falsch erschien, den Widerstand gegen die ganze Sache und das System wahrscheinlich in mir anstacheln würde. Der Richter hat vielleicht die edelsten Motive der Welt, und dennoch ist er nicht unfehlbar: die geringste Unpäßlichkeit zum Beispiel kann sehr wohl sein Urteil beeinflussen. Er schickt den jungen Mann ins Gefängnis – er kann nicht anders handeln: die Gesetze stehen in den Büchern und müssen befolgt werden. Ins Gefängnis, mit all den begleitenden Umständen: der Agonie, der Entmutigung und dem Schrecken, der Bestrafung, die über allem geschrieben steht, dem Sonnenlicht, das gänzlich aus dem Leben ausgeschlossen ist, dem generellen Druck von Gewehr und Knüppel, mancherorts immer noch der Prügelstrafe und mentaler Tortur.

Er beendet seine Haftstrafe und kommt hinaus in eine Welt, die ihn vergessen hat, und die er aller Wahrscheinlichkeit nach zu hassen gelernt hat. Um in ihm einen neuen Glauben an die Menschheit und an sich selbst aufzubauen, seinen Haß auf die Gesellschaft zu vermindern, hat er in seiner Tasche ein paar Dollar, und er trifft überall, wohin er sich wendet, auf Hartherzigkeit, Vorurteil und Unbrüderlichkeit. Er war wie ein Hund eingesperrt und mehr als in Ketten gelegt. Jetzt ist er in Schande gefallen, sogar in seiner eigenen Einschätzung. Er ist überempfindlich – er kann sich von dem Gefühl nicht befreien, daß die ganze Welt weiß, daß er ein Sträfling war. Und in diesem Zustand macht er sich auf, um nach Arbeit zu suchen, und er muß welche finden, solange die wenigen Dollar noch reichen.

In seiner Erscheinung ist natürlich etwas, das die Menschen beinahe vor ihm zurückschrecken läßt. Er hat keine Arbeitszeugnisse; nach ein oder zwei Tagen hat er kein Geld mehr. Er schleppt sich mühsam von einem Ort zum anderen auf der Suche nach Arbeit, und er muß auf der Straße übernachten, oder im Schutz eines Heustadels oder irgendeines alten Bootes am Ufer: sonst gibt es nichts für ihn. Alsbald gelangt er in die Bereiche der Unterwelt, wo er seinen Whisky oder sein Kokain bekommen kann, und wo werden wir ihn nach dem ganz natürlichen Lauf der Dinge in ein oder zwei Wochen wiederfinden? Zurück in das Gefängnis muß der junge Mann. Als wir ihn zum ersten Mal einsperrten, verurteilten wir ihn zu einem Leben im Elend, ständig im Gefängnis und in Verbrechen verstrickt, fast ohne Chance oder Hoffnung auf etwas Besseres. Nun bieten wir ihm keine bessere Möglichkeit, als in die Zelle zurückzugehen: keine Chance zur Erholung, keine Chance, sich selbst zu erretten, keine Chance, wiedergutzumachen.

Warum gibt es nicht in jeder Stadt – um unserer selbst willen und zum Schutz der Gesellschaft – eine über Kritik erhabene Institution, wo der Mensch, der das Gefängnis verläßt, Arbeit finden und sich selbst festigen kann; wo er beschützt und behütet wird, jedoch nicht bei anhaltender Untätigkeit; wo er eine Chance findet, anständig zu leben und nicht wieder in den Sumpf der Verzweiflung geworfen zu werden?

Unter diesen Umständen ist der Rest seiner Geschichte bald erzählt. Als er das erste Mal im Gefängnis war, mußte er täglich den Erzählungen der Schwerkriminellen zuhören; jetzt, schwächer und verrohter als er es damals war, muß er ihnen wieder zuhören. Die Diebe versäumen nicht ihn wissen zu lassen, in der lebhaften Sprache, die sie beherrschen, wie leicht es ist, mit den Mitteln zu leben, die sie kennen, und zu Geld zu kommen – Geld zu bekommen und ein Leben des Vergnügens zu führen – und er hört nun mit wirklichem Interesse zu. Er hat seine Erfahrungen gemacht mit dem Versuch, ehrlich zu sein, und ist zu der Überzeugung gelangt, daß ihm die Welt nicht gestatten wird, das zu sein. Er stellt das Leben, das sie ihm ausmalen, dem gegenüber, das er durchgemacht hat, und es dauert nicht lange, bis er im Denken und Fühlen völlig einer der ihren wird.

Wie viele von den Menschen, die niemals der Ehrbarkeit abtrünnig geworden sind, würden besser handeln? Der Häftling müßte wahrlich ein Held sein, um herauszuragen. So schenkt er ihnen Beachtung und ist nicht länger der Jugendliche, der sehr wohl hätte zu einem hervorragenden Bürger heranwachsen können, der sich eher irrt als daß er böse ist, dessen Fehler korrigierbar ist, weil er in Unwissenheit und Gedankenlosigkeit geschieht und nicht aus Bösartigkeit. Diese ganze Phase ist vorbei. Er ist jetzt ein professioneller Dieb, ein Krimineller. Er ist in dieses Geschäft unter der Anleitung erfahrener Professioneller eingestiegen; er ist ein Feind der Gesellschaft, eine Bedrohung und eine Gefahr für den Staat. Die Kriminellen, in deren Gewalt wir ihn wohl oder übel gestoßen haben, haben ihn völlig in der Hand, und von nun an ist er ihr Opfer und Handlanger. Sie stoßen ihn weiter – sie schicken ihn an die gefährlichen Stellen und stehen selbst in Sicherheit. Sie lehren ihn, ein Gewehr zu bedienen, damit er sich selbst im Notfall verteidigen kann.

Er kommt zum zweiten Mal aus dem Gefängnis frei, und nun weiß er ganz genau, wohin er gehen kann. Er friert nicht länger und hat keinen Hunger, er muß auch nicht im Heustadel schlafen oder in dem alten Boot; er läuft nicht mehr länger ungepflegt und schmutzig herum. Er ist ein neuer Mensch, schick und gut gepflegt, wieder aufgebaut durch den psychologischen Einfluß der Diebe auf das Modell des Diebes. Zu gegebener Zeit wird er in die Enge getrieben, zieht seine Pistole, schießt, wird gefangen genommen, vor das Gericht gebracht, verurteilt und gehängt.

So produzieren wir Kriminelle – das Regime, das wir tolerieren, tut genau das. Es gibt dabei keinen Versuch zur Korrektur oder zur Reform. Es kultiviert ganz einfach Kriminalität, als ob sie unser höchstes Gut wäre. Dabei verschwendet es die Menschlichkeit, verletzt die Nation und die Rasse und gefährdet das moralische Leben unserer Kinder und Kindeskinder. Ob die Opfer unserer Dummheit hängen oder nicht, das System selbst ist verdorben. Sie werden eingesperrt und sitzen ein, ohne daß das Licht vom blauen Himmel auf sie scheint und ohne jemals den Gesang der Vögel zu hören. Niemals streckt sich eine freundliche Hand aus, um ihnen zu helfen; statt dessen ist da von allen Seiten die unerbittliche Hand der Gesetze, um zu drohen, zu behindern oder auf sie einzuschlagen. In ihrer Rebellion gegen das, was sie zu erleiden haben, schaffen sie eine bestimmte Atmosphäre, mental und moralisch; und indem sie darin leben und sie einatmen, sinken sie weiter und weiter ab. Sie steckt jeden an, der mit ihr in Kontakt kommt. Die Ansammlung solch tödlicher Gedanken in einem Gefängnis ist schrecklich: sie verunreinigen unsere gesamte Zivilisation und verletzen nicht nur die Lebenden, sondern auch die Ungeborenen.

Drei oder vier Wochen der von ihnen durchgemachten Behandlung würden aus uns allen Rebellen machen; wir könnten sie nicht ertragen. Ihre Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit sind so beschaffen, daß alles in ihnen, das niedrig war, niedriger wird, und daß alles Hohe sich zurückzieht. Wäre ich dauernd mit Menschen zusammen, die einige meiner Schwächen entdeckt hätten und mich immer wieder daran erinnern würden, mit oder ohne Worte, es würde doppelt auf mich zurückfallen und zum wichtigsten Teil meines Lebens werden. Ich hätte vielleicht nicht die Kraft, mich gegen diesen Druck zu wehren. In vielen Gefängnissen bestehen solche Bedingungen. Die Häftlinge leben in einer Atmosphäre der Verzweiflung. Sie haben Fehler gemacht und können sich nicht selbst befreien: zuerst sind sie völlig entmutigt, und es ist diese schreckliche Entmutigung, die der Nährboden ist, auf dem Kriminalität gedeiht. Dann gibt es diejenigen, die mit den Unglücklichen sprechen und vor allem Nachdruck darauf legen, daß sie sich an ihre Sünden erinnern. Das hat nie etwas Gutes bewirkt und wird auch nie etwas Gutes bewirken. Sie sind krank und erschöpft von der ermüdenden Art, in der Menschen vorgehen.

Der Gefangenenbetreuer im Gefängnis, der irgend etwas Gutes bewirken will, muß jeglichen Gedanken an Verdammung beiseite schieben und sollte zu den Menschen nicht über ihre Fehler und Irrtümer sprechen, sondern mit allergrößter Überzeugungskraft über ihre latenten, gottähnlichen Qualitäten: die gottähnlichen Qualitäten, die jedem Menschen innewohnen. Er muß mit großem Edelmut des Herzens beginnen und sein Denken gänzlich darauf richten, wie er ihnen dienen und helfen kann. Wenn wir den Meisterschlüssel von Zuneigung und Bruderschaft anwenden, der größer und besser ist als Mitleid, werden wir die Weisheit erlangen, die den Weg zu rechtem Denken und rechtem Handeln erleuchtet. Sympathie ist immer erfinderisch und bringt wahre Erkenntnis darüber, was notwendig ist. Derjenige, der sie benützt, fühlt seine eigenen Quellen anwachsen und daß sie ihn selbst vor Zerstörung schützt. Sie macht das Gemüt des Menschen so formbar, daß es für ihn kaum der Worte bedarf, um den Grund für den Kummer des anderen herauszufinden. Sie verwandelt sich selbst in Handlung, fast ohne die Notwendigkeit der vermittelnden Sprache.

Laßt einen Menschen, der die Sympathie hat, das Äußerste tun, was er mit seinen Mitteln erreichen kann, und Kraft wird durch ihn ausgestrahlt werden und sie wird weit genug reichen. Er wird sie durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen, gleichsam unbeabsichtigt. Worte können nichts Wahres darüber aussagen. Eine Blume oder ein Buch zu verschenken kann etwas aussagen; dieses aufrichtige Interesse, das völlig darauf verzichtet, auf die Fehler oder die augenblickliche Situation des Gefangenen Bezug zu nehmen, drückt das vielleicht am besten aus. Behalte im Gedächtnis: Sympathie ist der Schlüssel und der geheime Talisman; nur sie allein kann den Weg zu diesem göttlich-menschlichen Teil öffnen, der auch noch in dem am weitesten Heruntergekommenen vorhanden ist. Und niemand – weder der größte Reformator noch der gelehrteste Mensch – kann das Mittel für die Erlösung von den Leiden des Lebens finden, außer er hat den Schlüssel in seinem Inneren gefunden.

Die Ursachen des Verbrechens

Der selbstmörderische Wahnsinn unseres Gefängnissystems kann nicht behoben werden, bevor wir uns nicht von dem Geist des Verdammens abwenden und auf die Ursachen des Verbrechens zugehen. Viele der jetzt Gefangenen hatten zu Hause, als sie Kinder waren, schlechte Vorbilder. Da gab es Disharmonie, zu große Nachsicht, Gleichgültigkeit oder schreckliche Ignoranz, Bestialität oder Selbstsucht und Laster, verborgen unter dem Deckmantel der Ehrbarkeit. Auf eine Ehe, die in gegenseitigem Verständnis eingegangen wurde und heilig gehalten wird, kommen Hunderte und Tausende, die aus selbstsüchtigen Gründen geschlossen wurden: wegen physischer Attraktivität oder wegen des Wunsches von Eltern und Freunden, aus Selbstinteresse oder aus Rücksicht auf gesellschaftliche Gepflogenheiten.

Kein Mensch gerät in einer einzigen Minute auf die schiefe Bahn. Niemand zerbricht sofort in Stücke. Kriminalität setzt sich in der Natur eines Menschen nicht in einem Augenblick oder einem Tag fest. Sie ist unter der Oberfläche gewachsen: in der allgemeinen negativen Beschaffenheit des Charakters, in dem Kultivieren der Begierden, bis die Nerven schwach sind und die Verdauung ruiniert ist. Dann kommt die Stimulierung und die mentale Unruhe und das Schwächerwerden des Willens. Dann das erste Verbrechen – das kann ein Diebstahl bei den Eltern oder bei einem Nachbarn sein –, und um den Diebstahl zu vertuschen, Betrug und Lüge. Die niedere Natur gewöhnt sich schrittweise und durch Übung an das falsche Handeln.

All diese Kräfte der niederen Natur sind notwendigerweise in einem Kind vorhanden: die unvollkommene, tierische, unentwickelte und unspirituelle Seite ist mit ihren Neigungen und ihren Wünschen vorhanden. Das Kind hat sie in dieses Leben durch sein Erbgut mitgebracht, durch oberflächliches Erinnern: diese starren und wirkungsvollen Tyrannen wurden in der Vergangenheit nicht besiegt oder verbessert, und nun kommen sie zum Vorschein und gewinnen die Oberhand. Eine Mutter, die ihrem Kind erlaubt, einen Wutanfall zu bekommen, und die nicht hier und jetzt den Schlüssel findet, mit ihm fertig zu werden, kann vielleicht etwas nähren, das im Ruin des Lebens des Kindes endet, und das, obwohl sie sich nie dessen bewußt war, daß etwas hätte getan werden müssen, das nicht getan wurde. Warum? Weil es da im wahrsten Sinne kein religiöses Leben gab: es gab keine Erleuchtung und damit keine Vorstellung von den inneren Bedürfnissen des Kindes.

Es ist das Verlangen, das in der Natur eines Menschen schläft und ihn zum Verbrechen führt; vielleicht wurde es zuerst während seiner Kindheit in ihm ermutigt und entstand aus einem dieser kleinen Wünsche, denen Eltern so oft nachgeben: trivial erscheinende Dinge, leicht zu erfüllen und nicht so leicht zu verweigern. Dennoch bewirkt das Nachgeben oft, daß der Weg für Katastrophen geebnet wird, denn es bedeutet, das Leben des Kindes in den Kanal der Begierde münden zu lassen, die gleichsam in dem unedleren Aspekt seiner Natur angehäuft wird, und daß es sich in seinem tierischen Teil zu Hause fühlt. Das bedeutet eine Stärkung seines Charakters auf der falschen Seite, so daß der Mensch, während er noch auf wackligen Beinen steht, schon auf den Weg des Verbrechens geleitet werden kann.

Es gibt so viele Facetten im Leben eines Kindes, die faszinierend und süß erscheinen, und die die Eltern in ihren Herzen pflegen und in ihren Kindern gerne wachrufen möchten, die jedoch keineswegs das best mögliche sind. Denkt daran, wie eure Kinder eure Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben, indem sie neue und erstaunliche Dinge vollbracht haben; und wie ihr dann ihren Egoismus entfacht habt und sie zu einem Gefühl der eigenen Wichtigkeit angestachelt habt: indem ihr dem äußeren Selbst und dem persönlichen Stolz schmeichelt und diese seltene und königliche, unpersönliche Würde, die die höhere Seite im Leben des Kindes ist, ignoriert – ja eigentlich vertreibt.

Ein unrechter Gedanke kann auf Erden eine Hölle erzeugen. Eine Mutter kann oft unbeabsichtigt die Eitelkeit ihrer kleinen Tochter durch zu große Konzentration auf ihre äußere Erscheinung entfachen. Ich erinnere mich an ein kleines Mädchen, sehr attraktiv und äußerlich interessant, und mit all dem Charme kindlicher Unschuld, das dennoch Eitelkeit von Natur aus in sich hatte. Als es dann zu einer jungen Frau herangewachsen war, die nicht mehr unter dem Schutz ihres Elternhauses stand, führte ihre Vorliebe für Schmeichelei zu ihrem Untergang.

Die Samen wurden in der Kindheit gelegt: zuerst für die Selbstsucht, dann für die Eitelkeit und falschen Stolz, und später für den Betrug. Obwohl die äußere Schönheit und der Charme erhalten blieben, trat dann der bessere Teil ihrer Natur in den Hintergrund: es war kein Platz für seine Aktivität vorhanden, er fand keinen Raum für sich in ihrem Gemüt. Die Feinde im Inneren – die Feinde ihres eigenen Heimes – hatten ihr gesamtes Denkvermögen erobert und in Besitz genommen; und sie trieb der Gefahr immer weiter zu. Welche Sorge breitete sich jetzt in dem Elternhaus aus, das sie verlassen hatte! Die Mutter wunderte und fragte sich und wiederholte immer und immer wieder, daß sie ihren Liebling immer beschützt hatte, ihr das beste Beispiel gegeben hatte, ihr die besten Bücher zu lesen gegeben hatte, sie regelmäßig zur Kirche und in die Sonntagsschule gebracht hatte. Dieser Fall ist typisch. Es wird sowohl für die Mutter als auch für die Tochter selbstverständlich, jedem und allem außer sich selbst die Schuld zuzuschieben, denn keine der beiden weiß oder keiner wurde etwas über ihre wahre Natur gelehrt oder wie man den Feind im Inneren erkennt und ihm widersteht. Der Tochter wurde nie gelehrt, daß in ihrem Inneren die Kraft zur eigenen Erlösung liegt, und daß die Verurteilung der Welt gleichsam ein Nichts ist im Vergleich zu diesem königlichen, inneren Talisman, den sie in ihrer eigenen Seele besitzt.

Vielleicht hat sie sich an einem bestimmten Punkt in ihrer Verzweiflung auch an andere um Hilfe gewandt, jedoch nur, um fromme Hände zu finden, die sich ihr im Grauen entgegenstreckten, oder fromme Lippen, jedoch kein Wort der Hoffnung oder des Trostes, sie sehen nur Sünden, und daß sie ihre Seele durch den Sumpf der Gewissensbisse und der Reue schleppen sollte. Solche „gute Botschaften“ sind vor allen anderen Dingen diejenigen, die sie am wenigsten zu hören bekommen sollte – die ihrem Gemüt am allerwenigsten hilfreich sind.

Verurteilt nicht; viele gehen unter, in der Regel nicht durch Verdorbenheit oder durch die Vorliebe für schlechte Handlungen um ihrer selbst willen, sondern weil ihnen die Gesellschaft keine weitere Gelegenheit gibt, und weil sie sich nirgends hinwenden können, um Hoffnung zu schöpfen. Wir könnten ihre Besserung bewirken, hundertemale, indem wir ihnen eine Möglichkeit aufzeigen, einen Tag des Sonnenscheins und Friedens zu sehen.

Und was war bei den meisten von ihnen der Anfang von allem? Es war die Eitelkeit, die die Mutter in ihrem Kinde nährte. Und noch weiter zurück, wenn man die Spur zurückverfolgen könnte, würde man seine Samen im Gemüt der Mutter in der pränatalen Periode finden. Können wir nicht die Samen der Harmonie säen, dort wo jetzt diese ganze Blindheit und die Mißverständnisse sind? Es gibt Frauen, die über diese Dinge ernsthaft nachdenken und während der Schwangerschaftsmonate die Haltung von Priesterinnen der Götter einnehmen, aber nicht viele. Zank, Trivialitäten und Streit füllen das Leben der meisten aus. In den Elternhäusern und in der Kindheit beginnt das Trümmerfeld menschlichen Lebens. Keine Frau ist geeignet, eine Mutter zu sein, bevor sie nicht diese Mysterien des Lebens versteht. Kein Mann sollte es wagen, die Verantwortung der Vaterschaft zu übernehmen, bevor er sich nicht selbst gereinigt und geläutert hat und selbst erkannt hat, was es bedeutet, ein Kind in die Welt zu setzen. In dieser Hinsicht so zu leben, wie die Mehrheit es tut, untergräbt die göttlichen Gesetze unseres Daseins – und das ist wahrhaftig am Totenbett der Menschheit zu stehen.

Die Idee eines persönlichen Gottes, der straft und in das Gemüt des Kindes zu einer Zeit eingegraben wird, in der es allen Sonnenschein und alle Freude und Liebe haben sollte, die ihm gegeben werden können, erzeugt dort Furcht – dieses schreckliche Ding, dem nie gestattet werden sollte, in das Gemüt der Kinder überhaupt einzudringen. Denn sobald die Furcht einmal eingedrungen ist – sobald dem Kind beigebracht wurde, Gott oder den Teufel oder irgend etwas anderes zu fürchten – beginnt es, furchtsam heranzuwachsen und entwickelt einen Instinkt, seine Fehler und Schwächen zu verstecken, und das ist sicherlich der Anfang des dunklen Wegs.

Stellt euch einen kleinen Buben vor, der sehr vielversprechend zu sein scheint, der physisch und mental alles an sich hat, um die Herzen der Eltern vor Freude höher schlagen zu lassen, der von Natur aus kultiviert und mit feinen Neigungen ausgestattet ist, aber dennoch eine andere Seite in seinem Charakter hat – denn es gibt immer eine andere Seite. Er könnte von beiden Eltern eine starke, leidenschaftliche und entschlossene Natur geerbt haben, die eine große Kraft zum Guten in seinem Leben werden könnte. Sie kann im Leben seines Vaters und seiner Mutter eine große Kraft zum Guten gewesen sein, weil sie in der rechten Weise geleitet wurde. Der Bub hat jedoch auch andere Neigungen, und wenn er das Alter erreicht, in dem ein Jugendlicher mit Weisheit und Sorgfalt beschützt werden sollte, wenn er den Mysterien der Geschlechtlichkeit von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht, hat er Probleme.

Seine Mutter und sein Vater können ihm diese Dinge nicht erklären, denn sie kennen sie nicht. Niemand ist da, der ihm diese Impulse, mit denen er sich jetzt konfrontiert sieht, erklären kann – die Leidenschaft, die in einer Stunde aufbricht, wodurch und warum, kann er nicht sagen, ein Verlangen, das zwingende Forderungen an ihn stellt. Hier und dort sieht er die anscheinend rechtschaffenen Menschen, die hohe Stellungen einnehmen und gute Beispiele darstellen, und wenn er überhaupt etwas bemerkt, so die andere Seite ihres Lebens. Und mit seiner gefühlsbetonten Natur folgt er vielleicht ihrem Beispiel.

Oh, es gibt junge Menschen, die es schaffen, gewisse gefährliche Punkte im Leben tugendhaft und stolz oder sogar gewissenhaft zu umgehen, was sich mit der Zeit in ihrem bewußten Selbst äußert; aber es gibt auch Tausende und Abertausende, die sich einfach treiben lassen. Die Versuchungen sind für diesen jungen Menschen mit der wachsenden Heftigkeit der Natur immer da. Er mag zum Alkohol neigen, oder zu schlimmeren Dingen; doch wenn er erst einmal seinen ersten Fehler gemacht hat, dann wird es eine Seelenqual für ihn sein, überhaupt nur daran zu denken. Er ist gefallen und in seinen eigenen Augen in Schande gefallen. Er weiß nicht, warum er es getan hat, noch was es war, das ihn auf den Weg gebracht hat, den er nicht für sich gewählt haben würde. Sein Gott, so denkt er, hat ihn verlassen, als er ihn brauchte, und hat ihn nun gänzlich im Stich gelassen. Er weiß nicht, daß dieser erhabene und heroische Teil seines Selbst, sein innerer Gott, die ganze Zeit über da war und ist, und daß er nur bei ihm seine Zuflucht nehmen und ihn anrufen muß, denn der Gott im Inneren wartet. Er hat nie von der dualen Natur und den Unterschieden zwischen dem Höheren und dem Niederen gehört. Alles, was ihm beigebracht wurde, war, daß er in Sünde geboren wurde und ein Sünder ist, weil er ein Mensch ist; daß er kein Selbstvertrauen haben kann, um tapfer zu sein, denn da ist nichts Vertrauenswürdiges in ihm.

So wuchsen die Saaten der Katastrophe in diesem Menschen von Kindheit an, unter dem Schatten der Liebe und Fürsorge seiner Eltern. Mit all der Erziehung, die sie ihm angedeihen ließen, hat er nie etwas über das Leben gelernt, und jetzt findet er sich in einem psychologischen Meer von Problemen, dessen schrecklichen Gezeiten er ausgeliefert ist. Vielleicht schließt er eine Freundschaft oder Kameradschaft und hat nicht das Unterscheidungsvermögen, den jungen Menschen, den er trifft, so zu sehen, wie er wirklich ist. Seine feinere Natur ist nicht so feinfühlig geworden, um ihn zu warnen, auf der Hut zu sein. Er schlittert impulsiv und bereitwillig in die Situation hinein, ohne die geringste falsche Absicht und ist sofort unter dem Einfluß dieses anderen. Und zu den Feinden, die in ihm wohnen, und mit denen er vordem täglich zu tun hatte, kommen nun zusätzliche Legionen von anderen; denn diese Impulse werden oft in der Gemeinschaft mit den falschen Gefährten verdoppelt oder verdreifacht. Schlechter Geschmack wird genährt, und so wie der stärkere Wille immer mehr abnimmt, folgt das Schwächere.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem jungen Mann von einundzwanzig oder zweiundzwanzig Jahren in San Quentin, der dort seine Strafe für Urkundenfälschung absaß. Nachdem ich sein ganzes Vertrauen gewonnen hatte, fragte ich ihn, was ihn wirklich dorthin gebracht hatte – was der erste Anfang und die Wurzel seiner Schwierigkeiten war. Er sagte, daß seiner Meinung nach fast alle Gefangenen die gleiche Geschichte erzählen würden, wenn man die Wahrheit aus ihnen herausbringen würde. Es begann, sagte er, als er noch ein Kind war. Aber wo waren seine Eltern, seine Mutter? Man erzählt solche Dinge nicht seiner Mutter, antwortete er. Und das ist eine Tatsache: die Eltern sind oft die letzten Menschen der Welt, die die Dinge erkennen, die an der Seele ihres Kindes nagen.

Dieser junge Mann hatte nie ein Wort der Warnung in bezug auf die Gefahr der Selbstgefälligkeit jeglicher Art gehört. Die Mutter war eine sehr schüchterne Frau und der Vater einer jener gutmütigen, nachsichtigen Menschen, mit denen man so häufig zusammentrifft, die das Leben so nehmen wie es kommt, und die einen ungenügenden Sinn für Verantwortung haben. Sie gestatteten ihrem Sohn, ungezügelt aufzuwachsen und zu gehen, wohin und mit wem er wollte. Alles begann mit selbstgefälligen Gewohnheiten, vor deren Korrektur Mütter zurückschrecken, und die der Fluch der heutigen Welt sind – das heimtückische Wachstum der Ignoranz und der Leidenschaft, die unsere Kinder manchmal zugrunde richten, bevor sie sich selbst schützen können.

Als sein Verstand wuchs, bemerkte er, daß er keinen Willen hatte. Er wurde nervös, unruhig, übermäßig reserviert, negativ und für alle Einflüsse offen. Zu Hause mochte er voller guter Absichten sein; aber außer Haus war er jeglicher Gesellschaft, von der er sich unterstützt fühlte, ausgeliefert und hatte schlechten Einflüssen gegenüber keine moralische Widerstandskraft. Und so machte er einen Fehler nach dem anderen: er trank, geriet in den Einfluß einer Frau, nur um zu Geld für denjenigen zu kommen, für den er gerade betrog. Er liebte immer noch das Rechte und konnte zwischen richtig und falsch unterscheiden – er war noch nicht so weit vom normalen Pfad abgekommen, um dazu unfähig zu sein. Wegen seines nervösen, heftigen Temperaments und seinem Mangel an Selbsterkenntnis fiel er, und sein erster ernstlicher Fehler war gemacht. Eine Stunde vor der Tat dachte er überhaupt nicht daran, etwas Falsches zu tun; eine Stunde danach war der Schrecken über das, was er getan hatte, schon eine lange Leidenszeit und mehr als Strafe genug für das Verbrechen, das er begangen hatte. Unsere Gefängnisse sind voll von solchen Gelegenheits-Kriminellen, und man findet sie in den Zellen zusammen mit den Menschen, die bereits unverbesserlich geboren wurden, mit den Monstern in menschlicher Gestalt.

Ein Kind betritt das Leben mit der gesamten Natur und dem ganzen Glanz dieses lebendigen Universums in sich. Dennoch ist es eingeschlossen und in Düsternis, gefangen im Bann und im psychologischen Einfluß des Zeitalters; wenn es durchkommt und nicht früher oder später als Krimineller gebrandmarkt wird, dann ist das so aufgrund der großen Erfahrungen während einer anderen Inkarnation in der Vergangenheit oder weil die Eltern ihm das Gefühl für etwas gegeben haben, das sein spirituelles oder höheres Selbst berührt und erweckt hat.

Sehr oft werden Kinder ganz normal geboren und tragen dennoch latent in sich alle Elemente des Abnormalen, das sich in Form eines extrem nervösen Temperaments und physischer Schwäche manifestieren kann. Ein Kind dieser Art kann bei der Geburt völlig normal sein, aber im Laufe der Zeit kann es auf diesem großen Schlachtfeld des Bewußtseins und der Arena menschlicher Dualität, wenn diese sonderbaren Zustände und Gefühle aus der unkontrollierten, niederen Natur auftreten, und sich selbstgefällige Gewohnheiten einschleichen und an Macht gewinnen, unter dem Protest und der drängenden Kraft der höheren Natur zusammenbrechen, die gegen die andere Natur protestiert und die er nicht versteht, wobei sein Verstand, wenn er ein bestimmtes Alter erreicht hat, verwirrt werden kann.

Wenn wir unsere Kinder lieben, dürfen wir nicht zögern, die Wahrheit zu sagen. Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke, wie durch alle Zeitalter hindurch Kinder bestraft wurden, als ungezogen, böse, unverbesserlich und so weiter hingestellt wurden; wenn ich in die Gefängnisse gehe und die jungen Männer sehe – Knaben, 16 oder 18 Jahre alt, mit dem Zeichen der Unschuld, das noch nicht aus ihren Gesichtern verschwunden ist, und mit ihren Stimmen, die immer noch zumindest eine Erinnerung an das Merkmal des Sehnens und spirituellen Verlangens an sich haben – dann bricht es mir das Herz, sage ich, wenn ich sie irregeführt sehe, von ihren eigenen Schwächen zur Strecke gebracht, wenn sie wieder bestraft werden und aus ihrer Sicht noch weitere Demütigung erleiden. Die ganze verachtenswerte Methode ist aus dem System der Vergangenheit geboren, das immer aus der Idee der Erbsünde und Bestrafung entsprang, und immer auf die falsche Seite der menschlichen Natur blickte.

Gestern sah ich einen Bericht über zwei Mädchen, die Selbstmord begangen haben. All dem lag ein verwirrter Verstand zugrunde. Ihre Naturen waren von ihnen nicht gebändigt und ihr Wille geschwächt, so daß die dunklen und verzweifelnden Elemente des Lebens Eingang fanden und keine Kraft zum Durchhalten bestehen blieb. Es schien ihnen nichts übrigzubleiben, als sich ihrer Verzweiflung hinzugeben, und Selbstmord bot sich als einzig mögliche Befreiung an. Habt Mitleid mit ihnen – aber habt noch mehr Mitleid mit ihren Eltern, die nichts sehen oder lernen werden, die in keiner Weise handeln, keine Hilfe gewähren!

Würde die Geschichte der Selbstmorde untersucht, dessen bin ich sicher, dann würde man herausfinden, daß der Untergang vieler Menschen damit beginnt, daß sie vom Willen anderer abhängig werden. Die Basis bilden immer selbstgefällige Gewohnheiten, und das Böse wird immer wieder durch hypnotischen Einfluß in Gang gesetzt, was vermieden werden sollte; dazu gehören auch Bücher, die sich damit beschäftigen, und Menschen, die darüber sprechen und es vor allem praktizieren: das muß vermieden werden, so wie wir das vermeiden, was am gefährlichsten ist. Der Aussätzige kann seine Seele fleckenlos halten, der Mensch, der von schwerer Krankheit und all den schrecklichen Schmerzen gequält ist, die das Physische befallen, kann seine Seele rein und weiß halten, aber Hypnose tritt in das innere Leben des Menschen ein und richtet es zugrunde. Es macht ihn untauglich, zu dienen; es macht ihn für das Leben untauglich.

Ein Kind, das nichts Böses kennt, geht in die Welt hinaus und kommt in Kontakt mit einem jungen Menschen, der nur ein wenig älter ist als es selbst, und entwickelt Zuneigung zu ihm; oder es kommt vielleicht mit einem Menschen in Kontakt, denn wir haben Dämonen in menschlicher Form überall auf der Welt, und ein Knabe kann genauso wie ein Mädchen verdorben und auf die falsche Fährte gelockt werden. So werden dem kleinen, unschuldigen Kind Laster und verderbliche Dinge beigebracht, und die moralischen Prinzipien, die latent in ihm vorhanden waren, als es geboren wurde, wurden vom Standpunkt der Seele aus nicht genährt, sind nicht stark genug, um der Versuchung zu widerstehen. Das Kind entwickelt sich negativ und seine Mentalität wird beschränkt. Alle Energie, die zu seinem Aufbau verwendet werden sollte, wird zu seinem Verderben verwendet.

In dieser niederen Natur ist keine Vernunft: sie schützt sich nicht selbst, sie kann es nicht. Da ist nichts als eine wahnsinnige Leidenschaft oder der Wunsch, der die Kontrolle gewinnt, und daraus folgt die gefährlichste Art von Irrsinn. Hunderte von Eltern können sich überhaupt nicht vorstellen, daß solche Dinge sein können. Sie wären gänzlich ungläubig, würde man ihnen das sagen. „Aber nein!“, würden sie sagen, „Er ist mein Sohn; schau wie liebevoll und intelligent er ist!“ Und die ganze Zeit über machen sich diese liebevollen und intelligenten Kinder darüber lustig: die Mutter fällt auf den Sohn herein, und er lacht im Geheimen über ihre Blindheit. Warum? Weil seine Natur dekadent wird, fehlerhafte Handlungen verderben sie – und die Eltern merken wie gewöhnlich nichts, bis es zu spät ist.

Die Wurzel der ganzen Gefahr ist das Verlangen: Liebe zu den Dingen, „die ich will“, und nicht zu den Dingen, „die ich brauche“. Während die Wünsche der Kinder gehegt werden – der Ruf nach Geschmack, die Eitelkeit, die sich selbst in der Kleidung ausdrückt – können wir keine Änderung zum Besseren erwarten. Das Verlangen, das so befriedigt wird, wächst, und die Wünsche werden immer maßloser und immer verdorbener.

Das ist in Kürze die Lebensgeschichte der meisten Kriminellen: Zunächst war im Kinde der Wunsch für das, was es nicht haben konnte, und der Wunsch wuchs und wurde nicht kontrolliert, und dann kam die Jugendzeit und mit ihr die Leidenschaft – und Leidenschaft ist der Erzeuger des Verbrechens. Auf diese Weise bringt die Unwissenheit der Eltern Unglück über ihre Kinder. Eltern kennen die Gefahr nicht, die an ihren Türen lauert. Sie bemühen sich, das materielle Leben ihrer Kinder zu gestalten – sie denken vor allem darüber nach, was das Kind essen und trinken kann, und womit es gekleidet werden soll – und dann lehnen sie sich zu oft zufrieden zurück und schauen nicht weiter. Immer wieder ist es Unwissenheit , ein Mangel an moralischem Wissen, das die Tore für die Gefahr öffnet. Gänzlich unabsichtlich können Eltern ihre Kinder unter den Einfluß von jemandem bringen, in dessen innerer Natur eine Neigung oder eine Unterströmung zu Zerstörung ist, die die Natur des Kindes unmerklich unter ihrem Einfluß verdirbt.

Heilung des Verbrechens

Was können Mutter und Vater also tun? Sie können den sinnlosesten aller Wege einschlagen, das Kind zu befragen. Es wird nie etwas erzählen. Es wird die unglaublichsten Mittel wählen, den Fehler, der es zugrunde richtet, zu verbergen und zu vertuschen. Mütter, die Kinder mit herunterhängenden Schultern, blassem Gesicht und unruhigen Augen haben, oder Kinder, die immer müde sind, gereizt, sensibel und schüchtern, die in der Regel ohne Geselligkeit bleiben wollen, und dann gelegentlich wieder besonders darauf begierig sind und dadurch erregt werden – solche Mütter sollten ihre Kinder auf eine neue Art beobachten. Man kann aus dem Gang des Kindes schließen, ob es betrübt ist. Da ist eine Lustlosigkeit, eine Unfähigkeit, sich zu bewegen. Alles in seiner Natur ist außergewöhnlich.

Der einzige Weg einem solchen Zustand zu begegnen ist der, seine Opfer nicht als Sündige, sondern als Kranke zu behandeln. Das hat nichts mit Sentimentalität zu tun. Das heißt nicht, um sie zu weinen und sie mit Liebkosungen zu überhäufen. Gebt ihnen eine Umgebung, die ihnen zur Gesundheit verhilft. Gebt ihnen das beste Familienleben, die sorgfältigsten Freundschaften, nur die besten Bücher und nicht zu viele davon, und Musik. Sie müssen jeden Tag auf einfache Art und ohne Streß von der Idee beseelt werden, daß sie potentiell gut sind, daß sie die Kraft zum Siegen haben, daß es keinen wirklichen Grund oder keine Gelegenheit für sie gibt, sich der Ursache ihrer Schwierigkeiten auszuliefern. Nachsicht wird ihnen nicht helfen, aber Selbstkontrolle. Wir können die Menschheit nicht durch Emotionalität verbessern, wir können die Menschheit nicht durch Fanatismus jeglicher Art verbessern.

Wenn ein Fehler erst einmal gemacht ist, wird Reue nichts zum Besseren wenden, Gewissensbisse allein sind schlimmer als sinnlos, Versprechungen werden nichts bereinigen, genau so wenig wie Schwüre und Tränen. Das Einzige, was den Verstand von den ihn belagernden Feinden ablenkt, ist das Wissen über die Göttlichkeit im Inneren: das Gefühl ihrer Anwesenheit – für die Nähe und die Gegenwart des göttlichen Selbst.

Die Zeit wird kommen, in der falsche Lehren verschwinden werden, und mit ihnen alle äußeren Formen und vorherrschenden Phantastereien des Denkens; und wir werden eine neue, universale Philosophie haben, die das religiöse Empfinden der Menschheit im Familienleben konzentrieren wird. Ihr Tempel wird das Zuhause sein; denn jedes Heim ist potentiell eine Werkstätte menschlicher Wiedergutmachung, in welcher der formbaren Natur der heranwachsenden Männer und Frauen die Charakterstärke und Schönheit und Würde des höheren Selbst eingeprägt wird. Das zu tun bedeutet, für etwas Dauerhaftes zu arbeiten und Saaten für die Ewigkeit zu säen.

Ein Jugendlicher, der in einem Zuhause aufgewachsen ist, in dem die Gesetze des Lebens verstanden werden, und der nun selbst den Pfad betritt und nach Verständnis sucht, wird, wenn er dahin kommt, seinen Lebensgefährten zu wählen, dieser Situation auf eine Weise gerecht werden, die von der üblichen sehr verschieden ist. Mit dem Impuls wird ein Gefühl tiefer Verantwortung kommen, die mit dem Schritt einhergeht, den er gerade vollbringt, und das von ihm am Ende gegründete Zuhause wird für diesen Zweck ideal sein. Die dort geborenen Kinder werden von einer höheren als der gewohnten Art sein, denn in diesem Zuhause wird ständig all das gepflegt, was im Gegensatz zu dem steht, das dem Menschen Verderben bringt.

Seine Kinder werden von Anfang an von ihrer höheren Natur beeinflußt. Man wird ihnen von dem Moment an, in dem sie zum erstenmal eine Blume berühren oder die Sterne am Himmel bewundern, beibringen, daß auch sie, so wie die Sterne und die Blumen, ein Teil des universalen Lebens sind. Von dem Zeitpunkt an, an dem sie sprechen können, wird man ihnen beibringen, an die Kraft der inneren Natur zu glauben, um ihr Leben zu leiten. Sie werden lernen, alle ihre Gedanken und Handlungen mit dem Bewußtsein ihrer essentiellen Göttlichkeit und mit der Kraft zu beleben, alles Böse, das sie heimsuchen kann, zu überwinden.

Die Eltern werden mit ihnen nicht über das Ego sprechen, sie werden vielleicht nur sehr wenig über den Gott im Menschen sagen. Sie werden keine Katechismen haben, um die Prinzipien der Theosophie zu definieren, aber sie werden ihre Kinder in einer Weise zur Heiligkeit des Lebens erziehen, die sie erkennen läßt, daß sogar der Körper heilig ist, der vergängliche Teil, der sterben wird, und daß seine Zerstörung auch gleichzeitig eine Zerstörung all dessen ist, was in der Natur am besten und edelsten ist. Und sie werden nicht zufrieden sein, bevor sie nicht wissen, daß es für jedes ihrer Kinder völlig unmöglich wäre, jemals zu betrügen, oder sich durch Selbstzerstörung zu erniedrigen, nicht den Geist, noch den Körper. In dem Glauben, daß die Kinder an sich wie alle Menschen sind und sein müssen – nämlich göttlich in ihrer Essenz –, werden diese Eltern daran festhalten, daß die Kinder das in sich haben, was ihr Wachstum verursachen wird, wenn sie ihnen nur die richtige Umgebung, ein Vorbild und Liebe geben und unbedingt gerecht sind, so gut es ihnen möglich ist.

Sie werden nicht zu viel planen, sonst übertreiben sie und werden enttäuscht. Die Wahrheit kann aus dem Herzen nicht nur durch Vorurteile und falsche Auffassungen ausgeschlossen werden, sondern auch durch starre Pläne für die Zukunft. Viele zeichnen das Leben ihrer Kinder oder ihr eigenes bis zum letzten Detail vor, beabsichtigen damit dies und jenes; und alle ihre Pläne entspringen dem Gehirnverstand und dem sterblichen Selbst, und vereiteln im voraus die unbekannten Pläne der Seele. Sie werden nicht zu viel planen, sie werden jedoch ihr eigenes Leben nach den inneren Gesetzen des Lebens gestalten, so daß sie in den Augen der Kinder und in der Atmosphäre einen reinen Eindruck hinterlassen.

Sie werden wissen, daß bei der Erziehung mehr vonnöten ist als Intellekt, Gelehrsamkeit oder Theorie, und zwar die Schönheit des inneren, des spirituellen Lebens. Die Gefahr ist immer vorhanden, daß wir im Streben nach Kultur den höheren Pfad verlassen oder vergessen. Wir müssen die Gesetze verstehen, die unser Leben bestimmen, ansonsten schaffen wir Bedingungen, die eine Reaktion zur Folge haben. Ein Lehrer, der davon überzeugt ist, würde sich nicht mit der Übung des Verstandes und des Körpers seiner Schüler zufrieden geben, er würde vielmehr im Grundton der Natur des Kindes beginnen und danach trachten, das Göttliche in ihm zu fördern und zu entwickeln; es ist das, was Eltern wirklich in ihren Kindern lieben: das unsterbliche Selbst, auf das sie ihre wahren Hoffnungen setzen.

Und natürlich werden sie einen Begriff von Reinkarnation haben und wissen, welche Aufgaben es sind, die eine reinkarnierende Seele lösen muß; und daß die Ewigkeit hinter und vor ihnen liegt, und die Kinder für eine kurze Zeit bei ihnen sind – vielleicht nur für eine kleine Weile, aber für alle Ewigkeit, wenn sie ihre Pflicht ihnen gegenüber erfüllen. Denn wo die Verbindung zur Wahrheit hochgehalten wird, können weder Tod noch Zeit diese trennen; und wir werden über unsere dahingegangenen Lieben sagen: wenn alles in der Natur daraufhin gearbeitet hat, die Seele zu befreien, dann werde ich sie nicht mit Tränen und Trauer zurückhalten – wir werden uns einander wieder begegnen und uns erkennen, und unsere Liebe wird größer sein, als es mit Worten ausgedrückt werden könnte.

Doch die Eltern, deren Seelen und Verstand in Halbwahrheiten und Begrenzungen gefangen sind, und die das Seelenleben der Kinder ignorieren und sie von höheren Dingen ausschließen, indem sie ihnen nur Äußerliches und Objektives mitgeben, verlieren ihre Kinder schon in diesem Leben. Denn unsere Kinder sind Seelen; schon bevor sie zu uns kamen, existierten sie. Sie sind durch Zeitalter hindurch gereist, beladen mit Schwierigkeiten und Schwächen, die sie von anderen Vorfahren geerbt haben können, Tendenzen und charakteristische Merkmale, die sie unter dem Einfluß anderer Bedingungen und früherer Elternhäuser entwickelt haben können. Sie kommen zu uns, vom göttlichen Gesetz gesandt, um in unserer Natur etwas Höheres zu erwecken, das wir ohne sie auch in vielen Jahren nicht zum Ausdruck hätten bringen können – um gewissermaßen unsere Lehrer zu werden, um uns Lektionen aus dem Reichtum ihrer alten Erfahrungen zu erteilen, und um im Gegenzug dazu von uns das gelehrt zu bekommen, was nur wir sie lehren können.

Es ist unsere Pflicht, ihr Leben von einem größeren Blickwinkel aus zu betrachten, außerhalb der Begrenzungen des Zeitalters und unserer gegenwärtigen Lebenszeit, und unsere Naturen wie nie zuvor zu schulen und dabei unsere Stärken und Schwächen zu entdecken. Unsere Kinder wurden geboren, um etwas zu suchen und zu erhalten, das sie nirgendwo außer bei uns finden können, und wahre Liebe würde danach streben, Angst und Befangenheit aus ihrem Denken zu verbannen. Der Fluch der heutigen Menschheit ist der enge Blickwinkel.

Wenn wir in unseren Kindern mehr als etwas Sterbliches sehen – mehr als bloße Maschinen und Dinge – aus dem Nichts erschaffene Dinge –, dann müssen wir ihre Vorgeschichte besser kennen. Sie kommen in die menschliche Existenz, treten aus der göttlichen Quelle des Lichts und des Lebens hervor. Sie haben in der Vergangenheit viele Schulen der Erfahrung durchlebt und werden das auch in Zukunft tun. In ihnen sind unendliche Möglichkeiten latent vorhanden: in früheren Leben errungene Weisheit, die sich jederzeit manifestieren kann, und die ein wahres Erziehungssystem erwecken könnte.

Wenn daher so seltene und interessante Eigenschaften auftreten, und ein Kind ohne spezielle Voraussetzungen und Privilegien großes Talent für Musik, Poesie, Malerei oder ein anderes Gebiet zeigt, wird der wahre Lehrer nicht sagen: „Ich lehrte ihn das“, noch ein weiser Elternteil: „Er hat das von mir.“ Sie werden verstehen, daß es aus der Schatzkammer der eigenen Seele des Kindes kam, die mit all den hinter ihr liegenden früheren Leben eine reiche Fundgrube sein kann. Sie werden auch verstehen, daß das Kind weder bevorzugt ist, noch mit einer reicheren Begabung erschaffen wurde als die anderen, sondern daß es ganz einfach in der Vergangenheit diese Kräfte oder Talente unter Schmerzen entwickelt hat, die es jetzt entfaltet.

Wir kennen die Geschichte jener alten Zeit nicht, in der die heiligen Mysterien in ihrer Blüte standen: ein Zeitalter, das der klassischen Periode jener Zeit lange vorausging, als Griechenland angeblich den höchsten Punkt seiner Kultur erreicht hatte. Wir haben keine schriftlichen Aufzeichnungen des wundervollen Lebens, das Eltern in jenen Tagen um ihrer Kinder willen lebten. Alles, was wir wissen, stammt aus späteren Epochen, als der Verstand der Menschen umnachtet wurde und das Herzensleben und die spirituellen Bedürfnisse der Kinder nicht länger als die wichtigsten Dinge im Leben betrachtet wurden, als das Wort und die Lehre der Seele vergessen worden waren. Die Eltern bedachten nicht länger, daß ihre Kinder Seelen sind, weil Reinkarnation in der Vorstellung der Menschen nicht mehr lebendig war.

Die Botschaft der Theosophie

Ein in Gefängnissen arbeitender Theosoph würde niemals den Versuch machen, einen Menschen zu bekehren, ihn niemals daran erinnern, daß er ein Sünder ist, ganz gleich, wie heruntergekommen oder wie tief er gefallen sein mag. Er wird ihm sagen, daß er den Weg zu leben verfehlt hat – den besten oder rechten Weg. Er wird ihm von der Dualität der menschlichen Natur erzählen, und davon, wie Leidenschaften und Neigungen, Selbstsucht und Habgier verändert werden können, und wie die niedere Natur zum Diener der höheren gemacht werden kann. Ich möchte sagen, daß es unter unseren Sträflingen trotz allem genausoviel Erleuchtung und Hoffnung gibt, wie ich in einer gleichgroßen Menge von Menschen anderswo gefunden habe. Es gibt natürlich von Geburt an degenerierte Menschen, die man unberücksichtigt lassen muß; aber man kann jede Gruppe von Durchschnittsmenschen nehmen, ihnen Sträflingsgewänder anziehen, ihr Haar schneiden, sie in Zellen einsperren und als gejagte Geschöpfe behandeln – und ich frage, ob sie irgendwie sympathischer wirken würden als die Verurteilten oder ob sie mehr Anzeichen von Hoffnung zeigen würden.

Als ich die menschliche Natur in ihren tiefsten Aspekten studieren und die Dinge so erkennen wollte, wie sie sind, habe ich gerade bei denen am meisten gelernt, die als die am meisten Heruntergekommenen angesehen werden. Einige der besten Männer und Frauen, die ich je getroffen habe, sind genau aus diesem Umfeld gekommen. Einige der feinsten Mitarbeiter für die Menschheit sind diejenigen, die durch die Hölle gegangen sind, durch das Feuer, durch die schreckliche Kreuzigung des Lasters. Sie sind so stark, so ernst, so von Mitleid erfüllt daraus hervorgegangen, daß nichts sie aufhalten konnte. Aus den Tausenden, an denen ich interessiert war, und denen ich zu helfen versucht habe, haben mich neun Zehntel nicht enttäuscht, und auch der Rest hat mich nicht gänzlich enttäuscht. Wegen ihrer Erbanlagen und mancherlei unerklärlicher Umstände sind sie rückfällig geworden, aber ich habe gewußt, daß in ihrem Leben etwas gesät worden war, und daß es nach weiterem Leid wachsen würde.

Wir sollten uns daran erinnern, daß sie, spirituell gesprochen, unsere Nachkommen sind. Wir haben dazu beigetragen, sie zu dem zu machen, was sie sind, und wir müssen Vorkehrungen für ihre Rettung treffen. Wir können nicht wirklich etwas tun, um ihnen zu helfen, bevor wir nicht unsere eigenen Körper, unseren Verstand und unsere Seelen in eine so ausgewogene Gesundheit und Harmonie gebracht haben, daß wahrer spiritueller Einfluß in einem Lächeln oder auch nur, wenn wir die Hand heben, von uns auf diejenigen ausstrahlt, die ihren Weg verloren haben, und daß wir ohne Worte lebendigen Segen übermitteln. Geld wird das nicht erreichen, Verstand wird das nicht erreichen, auch nicht eine freundliche Anleitung oder unaufhörlicher Nachdruck; sondern nur die Kraft des Herzens, die aus den höheren Bereichen in die Natur eines Menschen fließt, wenn er die Schätze seines Herzens ausströmt, so daß andere bereichert werden können. Welche Inspiration, welches Aufflammen von Licht, Weisheit und Gerechtigkeit würde auf die Gemeinschaft fallen, in der diese Dinge bekannt und gebräuchlich wären!

Es kann keine wahre Reform der Gesetze geben, bevor nicht das Herz spricht. Der Gehirnverstand kann keine Pläne zur Verbesserung ausarbeiten, bevor nicht das Herz von dem Mitleid berührt wird, welches das Merkmal der Göttlichkeit im Menschen ist. Sympathie ist der wesentliche zu kultivierende Faktor, wenn wir je zu unserem Selbst gelangen wollen. Niemand kann im wahrsten Sinne spirituell wachsen, bevor er nicht gelitten hat, und sein Herz und sein Verstand mit dem Kummer der Welt in Einklang gebracht wurde.

Obwohl Gerechtigkeit im Buch der Natur und in allen heiligen Schriften der Welt in einer wunderbaren Sprache geschrieben steht, ist unsere Hauptsorge, so scheint es fast, immer noch des Menschen Unmenschlichkeit gegenüber dem Menschen; und wir fahren fort, Menschen zu erhängen oder sie ins Gefängnis zu sperren. Die Botschaft der Theosophie an diese Unglücklichen ist aber stets eine Botschaft der Hoffnung und Ermutigung: sie sagt ihnen, daß ihre Lebensweise niemals unabänderlich ist, noch ihr Fall endgültig und absolut; daß das göttliche Gesetz barmherziger und gerechter als ist das menschliche; daß es immer eine neue Chance gibt. Für den Trinker eine neue Chance; für die Prostituierte, für den Dieb und für den Mörder, eine weitere und noch eine weitere neue Chance. Sie können dabei aus ihren Fehlern lernen, ja; aber sie werden niemals ihr besseres Selbst durch Grübeln und Gewissensbisse schwächen, denn der Weg zur Besserung ist immer hoffnungsvoll und erfüllt von Freude.

Zu demjenigen, der am meisten entmutigt ist, der von Stadt zu Stadt gejagt und als Dieb oder Mörder gebrandmarkt wurde, würde ich meine Hand im Geiste der Gerechtigkeit ausstrecken – auch ihm würde ich dienen, auch ihm würde ich vergeben. Das, was wir an ihm verurteilen, ist nur ein Teil von ihm. Es ist die niedere Seite seiner Natur, und der höheren Seite wurde nie ihre Chance gegeben.

Um richtig zu leben, muß ein Mensch nahe am Sonnenlicht und in klarer Luft leben. Er muß fähig sein, sich in sein inneres Selbst in ihm und in die Luft und in das Sonnenlicht zu versenken, das wie das Aroma einer Blume ist, die wir nicht berühren können, aber von der wir wissen, daß sie da ist, und daß sie göttlich schön und inspirierend ist. Deshalb würde ich die Tore der Gefängnisse öffnen und die Unglücklichen in den Blumengarten und in Gebäude führen, wo sie Musik hören und Anleitung erhalten: Sonnenschein auch für den Geringsten, und Arbeit, die erzieht und reformiert. Ich würde die Menschheit aus dem Schatten führen und für die Rechte und die Würde des Menschen eintreten. Ich würde die Gefängnistore öffnen und die Eingeschlossenen herausbringen und die Verurteilten in ein weites Gebiet in freien Feldern und zwischen Hügeln bringen; und ich würde sie den Sinn des Lebens lehren, und wie es dazu kam, daß sie vom Wege abschweiften.

In dem Institut, das ich erbauen würde, sollten weder Zellen noch Gitter sein. Am Anfang würde ich – um vernünftig zu sein und den öffentlichen Bedürfnissen zu entsprechen, und um nicht diejenigen in eine falsche Richtung zu ermutigen, die zu weit gefallen sind, um ihre Verantwortung zu erkennen und den Sinn der Ehre zu verstehen – würde ich irgendwo eine Mauer bauen; aber sie wäre so weit weg, daß man sie kaum sehen könnte. Ich würde den Menschen ausreichend Raum zum Atmen geben, ich würde sie in den heilenden Kontakt mit der Natur bringen. Sie hätten den heilenden Einfluß von Gärten, in denen sie arbeiten könnten, und sie hätten Blumen. Ich würde ihnen hilfreiche Disziplin geben, nicht Nachgiebigkeit: strenge und nützliche Disziplin, aber nicht das Gefühl entwürdigender Haft. Hier sollte es jede Art von Arbeitsplätzen geben, wo sie ihren Beruf lernen oder praktizieren können. Ich würde jedem helfen, seine eigene Energie zu fühlen und sein eigenes Leben zu leben, und ich würde sie theosophisch erziehen.

Bekehrung im gewöhnlichen Sinne ist bedeutungslos. Aber es gibt eine Veränderung, die durch die eigene, höhere Natur des Menschen kommen kann, wenn er sich selbst ganz ehrlich und wahrhaftig gegenüber steht und die zwei, die da sind, in dem Einen erkennt; und sich ins Gedächtnis ruft, wie er zuerst den einen und dann den anderen Weg eingeschlagen hat: einmal auf dem Pfad der selbstgeleiteten Evolution und ein anderes Mal unter dem Druck der Versuchung versagend, an einem Tag auf den Höhen der Hoffnung, am nächsten in den Tiefen der Verzweiflung. So würde ich sie lehren, daß das die einzig wahre Bekehrung ist: seine eigene Position zu verändern und aus dem kleinen, mentalen Haus unserer Begrenzungen herauszukommen. Denn niemandem eröffnet sich der große, neue Blickwinkel, solange er noch immer durch die kleinen Fenster des Selbst schaut.

Was Reue und Gewissensbisse betrifft und das Beten um Vergebung der Sünden, würde ich sie lehren, weder ihre Kraft und ihr Sehnen mit der eigenen Verdammung zu verschwenden, noch überhaupt auf die Vergangenheit zurückzuschauen, denn sie ist begraben und tot, aber auch nicht ihre angeborenen spirituellen Möglichkeiten zu unterschätzen und ihren Panzer der Angst loszugurten – denn die Seele des Menschen ist unsterblich. Gleichgültig, wie finster die Schatten nun sind, oder wie viel oder wie groß die Fehler der Vergangenheit sind, jeder kann sich, wenn er will, von ihnen völlig abwenden. Die Macht der Göttlichkeit im Inneren, und die besten und edelsten Dinge, nach denen wir gestrebt und die wir vergessen haben, bleiben trotz all unserer Fehler bestehen, ein Licht, das unseren Pfad durch die Ewigkeiten erleuchtet.

Ich traue der Menschheit zehnmal mehr Tugend zu, als sie für sich fordern würde. Ich glaube an das Göttliche im Menschen: ich weiß, was ein Lächeln in das Gesicht des verdammten Mörders gebracht hat, während die Schlinge um seinen Hals gelegt wurde. Ich weiß, daß wir nur in unserem Inneren etwas erwecken müssen, um wie die Götter in Harmonie mit dem universalen Gesetz zu arbeiten. Und weil in jedem von uns dieser Funke des göttlichen Lebens ist, können unsere Leben – gleichgültig, welcher Art die äußeren Umstände oder Aspekte auch sein mögen – gänzlich zu einer Freude und Zierde gemacht werden.

Wenn wir zu leben beginnen, und Pflicht und Verantwortung Realitäten für uns werden, werden wir von der Majestät des Gesetzes gepackt, das sich in uns als die Freude zu geben, zu dienen und die Lasten der Welt zu erleichtern manifestiert. Eine neue Liebe tritt in unser Leben, die immer bei uns bleiben wird: es ist die Gesellschaft des Wahren, des Kriegers, des ewigen Menschen. Alle unsere Schwierigkeiten werden zu Erfahrungen, durch die wir an Stärke wachsen. Wir arbeiten nicht länger für uns selbst, noch leben wir das zweifelnde oder gewöhnliche Leben, sondern befinden uns auf einem offenen und edlen Pfad des Dienens, mit vielen hoffnungsvollen Möglichkeiten vor uns, und immer mit dem Gott im Menschen an unserer Seite, und dem Bewußtsein der Gegenwart dessen, das für immer versucht, sein göttliches, ewiges Selbst durch uns zum Ausdruck zu bringen.