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Unsere Philosophie, Theologie und Religion

Sich eine eigene Religion aufzubauen ist in der Tat eine Art Abenteuer - ein Abenteuer des Geistes. Jedes echte Abenteuer ist stets mit Gefahr und Wagnis verbunden. Hier ist es ebenso: Jeder, der sich in ein solches Abenteuer des Geistes begibt, muß z. B. gewiß sein, daß der Glaube, der seinen Vater zufriedenstellte, ihm selbst nicht mehr genügt; zumindest müßte er in vielen Teilen neu ausgelegt werden. Verzichten wir jedoch auf etwas, das den Menschen in der Vergangenheit sehr viel bedeutete, so stellt sich unvermeidlich ein Gefühl ein, als ginge damit etwas Kostbares und Vertrautes verloren. Das ist besonders der Fall, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es keine Garantie dafür gibt, daß die von uns entwickelte Religion ebenso tragend, beruhigend und tröstend sein wird wie es die alte Religion für ihre Anhänger war.

Drei verschiedene Aspekte dieses Abenteuers, mit dem wir uns alle auf die eine oder andere Weise befassen, sind Philosophie, Theologie und Religion. Die Schwierigkeiten, mit denen wir dabei rechnen müssen, bestehen darin, daß diese drei beständig in Kontrast zueinander stehen, als sei die eine gut und die andere schlecht - das ist natürlich Unsinn - und daß sie beständig durcheinandergebracht werden, als wären es lediglich verschiedene Namen für dieselbe Sache. Wenn man von jemandem, der gerade nicht an einen Gott glaubt, wie man ihn sich gewöhnlich vorstellt, sagt, er habe keine Religion oder er sei ein minderwertiger Charakter, so wird hier offensichtlich etwas durcheinandergebracht. Man verwechselt die Theologie dieses Menschen mit seiner Religion.

Vor einem Jahrhundert berichtete der Leiter der englischen Unitarier, James Martineau, von einem enttäuschten skeptischen Mann, der zu ihm gekommen war und ihn nach der Bedeutung der Religion gefragt hatte, und was sie in Wirklichkeit sei. Martineau hielt ihm keinen Vortrag, sondern schlug ihm vor, ein Experiment durchzuführen. Zuerst sollte er zwei oder drei Monate in einer intellektuellen akademischen Umgebung verbringen, z. B. an der philosophischen Fakultät einer großen Universität oder an einer theologischen Lehranstalt. Dann sollte er sich einige Monate in ländlichen Verhältnissen unter einfachen, unverbildeten, frommen Leuten aufhalten. Das tat der Mann, und nach seiner Rückkehr teilte er Martineau seine Erfahrungen mit. Die erste Zeit fand er in den Hörsälen der Universität alles anregend und intellektuell unterhaltsam. Es war eine ausgesprochene Übung für den Verstand. Der zweite Zeitabschnitt beeindruckte ihn auf ganz andere Weise. Obwohl er die religiösen Glaubensvorstellungen ablehnte, gab ihm diese Zeit das Gefühl, unter Menschen zu leben, die für die tiefen elementaren Kräfte, die Freude und das Mißgeschick des menschlichen Daseins - Geburt, Tod, Leid, Glück und Enttäuschung tiefes Verständnis hatten.

Die Erfahrung dieses Mannes zeigt einen der grundlegenden Unterschiede: Philosophie und Theologie beziehen sich in erster Linie auf den Intellekt, während die Religion nicht nur den Verstand, sondern auch Herz und Gefühl mit einbezieht. Philosophie und Theologie wollen allgemein und ganzheitlich verstanden werden, während die Religion sich noch zusätzlich um das innere Leben des Menschen bemüht.

Es ist vielleicht nützlich, die einzelnen Worte zu betrachten und ihren Ursprung zu ermitteln. Das Wort Philosophie z. B. ist aus zwei wunderbaren, alten griechischen Wörtern zusammengesetzt: philos, das "Liebe" bedeutet, und sophia, das "Weisheit" bedeutet. Das Wort Theologie haben wir auch von den Griechen übernommen: theos bedeutet "Gott" und logos bedeutet "Wort". Zur Erklärung des Wortes Religion wenden wir uns dem Lateinischen zu, wo religio "festbinden", "zusammenbinden" bedeutet.

Dadurch bekommen wir Hinweise auf das Wesen dieser Fakten und wie sie in unserem Leben wirken. Mit unserer Philosophie als "Liebe zur Weisheit" versuchen wir klar und umfassend über das gesamte Dasein nachzudenken: Raum, Zeit, Wissen, Wahrheit und Logik. Darin sind die Begriffe eingeschlossen, die wir verwenden, wenn wir die Welt aufbauen, über sie nachdenken, ihr einen Sinn geben und sie verständlich machen. Mit unserer Theologie als das "Wort über Gott", versuchen wir, den Sinn des Daseins zu verstehen, seine geistige Führung, den Ursprung, den Beweggrund, das Schicksal und den Geist, der alles durchdringt und den wir "Gott" nennen können. In gewisser Weise ist Theologie eine Unterabteilung der Philosophie. Plato erklärt in seinen Dialogen, daß der wahre Philosoph "ein Betrachter aller Zeiten und allen Daseins" ist. Er betrachtet das vorbeieilende Geschehen nicht nur passiv, sondern er versucht, das Warum und Wozu zu ergründen; er versucht, ein umfassendes System zu finden, das ihm hilft, den Sinn des Lebens zu erfassen. Das tut der Theologe ebenfalls, wobei er aber den Glauben noch mit einbezieht, und zwar stets im Lichte einer besonderen historischen Überlieferung - Christentum, Judentum, Hinduismus oder Buddhismus. Der Schriftsteller Graham Greene, in Theologie nicht unbewandert, machte die interessante Bemerkung: "Ich wäre nie imstande, an einen Gott zu glauben, den ich verstehen könnte", womit er die Kluft zwischen intellektuellem Verstehen und dem Akt des Glaubens veranschaulicht.

Unsere Religion als das "Zusammenbinden" unseres Lebens hat mit unserer Bindung an die höchsten Werte in unserem Leben zu tun, mit unserer inneren Gewißheit, worauf es im Leben wirklich ankommt, wofür es sich am meisten lohnt zu streben und zu opfern. Sie unterscheidet sich sowohl von der Philosophie als auch von der Theologie, da sie auch eine umfassende Lebensanschauung einbezieht. Sie ist nicht mit einer Theorie zufrieden, die das gesamte Leben erklären kann. Der religiöse Mensch unterstützt aktiv die Werte, die er als solche anerkennt. Diese Werte werden als das höchste Gut in der Welt und für äußerst wichtig gehalten. John Haynes Holmes pflegte zu sagen: "Man ist gezwungen, einer idealen Sache zu dienen, weil man von ihrem bleibenden Wert überzeugt ist, nicht nur für uns selbst, sondern für die Menschheit und ihre erhabene Bestimmung, das ist Religion. Alles, was das Herz im Leben mit Selbstlosigkeit erfüllt, ist für den Menschen seine Religion."

Zwei Fallen erwarten uns im Zusammenhang mit diesen drei Begriffen. Es sind grundverschiedene Gefahren, die fortwährend sehr viel Leid und Kummer verursachen. Die erste Falle ist Dogmatismus. Sie schnappt zu, wenn die Ergebenheit für den höchsten Wert im Leben eines Menschen sich zu eng an eine einzige Philosophie oder Theologie bindet. Er meint dann, eine bestimmte Gruppe von Glaubenssätzen sei für sein religiöses Leben absolut notwendig, und schließlich glaubt er, sie seien für jedermann wesentlich. Zu allen Zeiten wurde das religiöse Denken an eine Reihe philosophischer Ideale und theologischer Vorstellungen geknüpft, wie z. B. die Dreieinigkeit oder die Göttlichkeit Jesu. Diese Gedanken wurden als unumgänglich notwendige Bedingungen für echte Religion angesehen, doch es ist nie bewiesen worden, daß sie unerläßlich sind, um ein lohnendes und edelmütiges Leben zu führen. Diese intellektuellen Überzeugungen sind Beiwerk der Religion, keine wesentlichen Voraussetzungen. Sie werden sich wahrscheinlich ändern, wenn Erkenntnis und Verständnis in der Welt wachsen, doch ihre Veränderung wird oft dadurch verhindert, daß sie als so heilig angesehen werden, als seien sie das Herz der Religion. Was die Menschen "Religion" nennen, ist oft nichts weiter als ein muffiges Museum versteinerter Glaubenssätze.

Die andere Falle ist die Sentimentalität. Wenn wir Philosophie und Theologie von Religion trennen, wenn wir das ernsthafte und geordnete Denken vernachlässigen, das beim Aufbau dabei sein sollte, dann könnten wir sagen: "Es kommt ja gar nicht darauf an, was man glaubt - man kann glauben, was man mag, denn das einzige, worauf es ankommt, ist doch die Art, wie man lebt." Wenn wir jedoch denken, daß unsere Religion kein festes philosophisches Gerüst braucht, wenn wir die Theologie verachten, weil wir irgendeine bestimmte Theologie nicht mögen, dann kann es sein, daß unsere Religion jeden verständlichen Aufbau und Sinn vermissen läßt, die unser Leben in brauchbare Beziehung zur größeren Welt um uns setzen und ihm Richtung und Sinn verleihen.

Zwei Arten dieser Sentimentalitäten, die immer beliebt sind, heißen: "Meine Religion tut Gutes" und "die Goldene Regel genügt mir." Welcher vernünftige Sinn, welcher verständliche Inhalt liegt in solchen Behauptungen, es sei denn, man hat eine ganz klare Vorstellung von der Art des Guten, das man tun will, welche Ziele auf der Welt wichtig sind und warum man sie fördern sollte? Wieviele ernsthafte Predigten sind seit grauen Urzeiten gehalten worden, die am Ende darauf hinausliefen, daß festgestellt wurde: "Es ist gut, gut zu sein!" Henry W. Thoreau sagte einmal: "Die Menschen haben ein bemerkenswertes Verlangen, gut zu sein, ohne für irgend etwas gut zu sein." Sentimental? Schön, aber Sentimentalität ist einer der Flüche der Religion, wenn sie dazu führt, auf intellektuelle Verantwortung zu verzichten. Das steht hinter dem Irrationalismus [Vorrang des Gefühlsmäßigen vor der Verstandeserkenntnis] einiger moderner Bewegungen, die endlos davon reden, sich Jesus hinzugeben und das Leben zu ändern, die aber vermeiden, ernsthaft darüber nachzudenken (geschweige denn sich kritisch auseinanderzusetzen), wer Jesus war, was er wirklich lehrte, oder was "Wiedergeburt" bedeutet, welchen speziellen Nutzen und welches Ziel sie hat - wiedergeboren woher - in was?

Drei Erfordernisse sind daher der Rahmen, wenn wir unsere eigene Religion entwickeln wollen, die uns helfen, die Welt zu deuten und einen Sinn in ihr zu finden: Unser Glaube an die schöpferische Kraft in allem Leben (ob wir sie nun Gott nennen oder nicht); zweitens, wie unsere besondere Überlieferung sie umschreibt; drittens, die lebendigen Werte, denen wir verpflichtet sind. Über allen dreien steht jedoch die dringende, suchende Frage, die von William Lawrence Sullivan so formuliert wurde:

Was ist für dich zu glauben unentbehrlich? Gibt es etwas, das dein Innenleben zerstören würde, wenn du nicht daran glauben würdest? Was ist es, das du in jedem Fall preisen müßtest, wenn du ein Dichter wärest? Was ist es, was du mit Begeisterung zu einer erhabenen, das ganze Leben umfassenden Philosophie ausarbeiten würdest, wenn du ein Philosoph wärest? Was ist es, was dich wirklich unglücklich machen würde, wenn du ihm gegenüber untreu wärest, das dich zum Verräter machte, wenn du es im Stich ließest, und zu einem Lügner, wenn du es verneinen würdest? Was bist du in deinem Inneren?

Es ist möglich, daß wir keine dieser Fragen zu unserer Zufriedenheit beantworten können; doch wenn wir ernsthaft darüber nachdenken, was sie für uns bedeuten, dann könnte uns klar werden, wohin unser Denken und unser Leben schließlich führen.