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Gott und das neuzeitliche Universum

Als mit Kopernikus (1473-1543) die moderne Wissenschaft entstand, verschwand die Vorstellung von einem persönlichen Gott immer mehr. Zu der Zeit, als die Erde der Mittelpunkt unseres Universums war und man annahm, daß der Mensch das Zentrum der Welt und der Grund für deren Existenz sei, war es nicht schwer, sich ein freundliches oder gebietendes größeres Wesen in Menschengestalt vorzustellen, eine Art Supervater, der in den Wolken thront, im Donner spricht und die Kinder, die er nach seinem eigenen Bilde geschaffen hatte, führt und beschützt. Als aber die Erde von ihrer zentralen Stelle verdrängt worden war und bekannt wurde, daß wir die Zahl der Gestirne nicht kennen, die, wie Sandkörner am Meeresstrand, am Himmel verstreut sind, wurde es zunehmend schwieriger, sich das Göttliche in der Gestalt eines Menschen vorzustellen oder das Universum als die Schöpfung eines verhältnismäßig schlichten Gottes oder Führers anzusehen.

In unserer Zeit sind durch die Expansion der Astronomie, der Physik, der Chemie, der Paläontologie und der Biologie die Widersprüche gegen eine derartige Auffassung immer häufiger geworden. Wohin wir auch blicken, überall stehen wir neuen Komplikationen und Verwicklungen gegenüber. Wir sehen, daß die Sterne nicht nur nach Tausenden zählende himmlische Juwelen sind, sondern Milliarden strahlende Sonnen in unzählbaren Millionen von Milchstraßen angehäuft. Wir entdecken, daß der Raum über uns und um uns sich in Entfernungen erstreckt, die sich der menschliche Geist nicht mehr vorstellen kann, und daß die Zeit sich millionenmal weiter zurückerstreckt, als wir von der Zeit eines Julius Cäsar getrennt sind. Wir sehen, daß der Infra-Raum mit seinen Elektronen und Positronen, seinen Neutronen und Protonen, seinen magnetischen Erscheinungen und wellenartigen Bewegungen und seinen ungeheuren Explosionsenergien in mancher Hinsicht so kompliziert und verwirrend ist, wie der alles umfassende Raum mit seinen Sonnensystemen, Sternenhaufen, Gaswolken und Quasaren. Wir sehen, wie sich das Leben durch einen erstaunlichen Entwicklungsprozeß, den Darwin nicht vollständig erklärt hat, verändert und anpaßt; und in der Welt der Menschen sehen wir nicht nur physische Veränderung, sondern auch ein spirituelles und intellektuelles Wachstum und eine Modifikation, die noch niemand erklären konnte und die niemand wirklich versteht. Die Lebensformen und ihre verschiedenartigen Anpassungen, wie auch die physische und chemische Zusammengesetztheit der Materie werden im tieferen Sinne von uns so wenig begriffen wie von unseren frühen Vorfahren, obwohl sie immer mehr erforscht wurden.

Da wir nicht mehr als die äußeren Erscheinungsbilder kennen - es fehlt uns der Hebel, um die großen Schwierigkeiten zu beheben, die uns unsere Unwissenheit in bezug auf die Erste Ursache macht -, verzichten immer mehr und mehr von uns auf den tröstenden Glauben unserer Vorväter. Immer mehr wird erkannt, daß es sich hier um etwas handelt, das jenseits des menschlichen Begriffsvermögens liegt, und obgleich immer mehr Menschen intuitiv fühlen, daß Erklärungen über eine Kraft ohne Intelligenz und vom Zufall bestimmte Veränderung überhaupt nichts erklären, nehmen sie Zuflucht zu den nihilistischen Auslegungen von Wissenschaftlern, die im Menschen und in der Natur nichts als einen von selbst entstandenen Trieb sehen und das Universum zu dem erniedrigen, was Shakespeare in einem anderen Zusammenhang als

eine Geschichte, von einem Idioten lautstark und fanatisch vorgetragen, die nichts bedeutet

bezeichnete.

Sicherlich sind wir in alledem durch den begrenzten Spielraum des menschlichen Geistes, durch unser Verhältnis zu dem irdischen Hier und Jetzt und durch unsere sich daraus ergebende Verwirrung angesichts des Unendlichen und Ewigen gefangen. Ich habe oft gedacht, daß wir trotz all unserer Ergründungen den Mechanismus des großen Ganzen kaum besser verstehen, als eine Ameise, die am Rad einer Lokomotive emporkrabbelt, eine Eisenbahn verstehen kann. Das heißt, daß das Höchste Wesen, die beherrschende und bestimmende Macht, unseren Horizont fast so weit überragt wie den einer Ameise - fast, doch glücklicherweise nicht ganz, denn wir können erwägen und nachsinnen, wir können glauben und überzeugt sein, wenn wir auch die Probleme des Grenzenlosen und des Immerwährenden nicht lösen und auch nicht verstehen können, wie ein höheres geistiges Wesen oder eine Intelligenz den Aufbau von Myriaden Welten, die uferlosen Ozeane von Zeit und Raum und die wahrscheinlich unbegrenzten Manifestationen pflanzlichen, tierischen und menschlichen Lebens, nicht nur auf Erden, sondern möglicherweise auf zahllosen Planeten, planen und überwachen kann.

Doch da ist ein Widerspruch in unseren Betrachtungen. Allein die Komplexität des Universums, seine Möglichkeiten von der Ausdehnung der Supergalaxie bis zum Herzen des unendlich Kleinen und ebenso die komplizierten Entwicklungen des Lebens verlangen lauter denn je nach einer Einsicht, die über das Physische und das Mechanische hinausgeht. Je mehr wir über die komplizierten Vorgänge in der Zelle und in subatomaren Partikeln sowie auf ökologischen und astrophysikalischen Gebieten lernen, desto mehr sehen wir ein ungeheures harmonisches Zusammenspiel vom undenkbar Großen bis zum unvorstellbar Kleinen. Gleichzeitig fühlen wir, daß eine große führende Wesenheit notwendig ist, daß etwas da sein muß, das die Reichweite unserer Sinne und unser Fassungsvermögen überragt.

Nun, wenn wir uns den unsichtbaren Lenker nicht mehr mit menschenähnlichen Aspekten oder Attributen vorstellen können, so erhöht das nur seine Qualitäten. Es macht ihn so erhaben wie das Universum - ein wenig in der Art wie der Gott Spinozas. Es bedeutet, daß alle seine Geschöpfe an seiner Erhabenheit teilhaben. Am ausgeprägtesten ist das bei den größten Lehrern der Menschen, den Philosophen, Künstlern und Dichtern zu erkennen, die fähig sind, einen Schimmer des göttlichen Lichts zu erhaschen. Es sollte uns deshalb nicht erschrecken, wenn sich die Vorstellung von Gott mit dem sich ausdehnenden Universum erweitert. Wir sollten begeistert sein, wenn wir spüren, daß wir an dieser gewaltigen Expansion teilnehmen und ein Teil einer kosmischen Macht sind, die genauso wie die Sonne ihre Wohltätigkeit über uns ergießt.

 

Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß wir mit unseren Fähigkeiten zufrieden sein und keine neuen Erkenntnisse suchen sollten. Während das Angesicht des Ewigen ohne Zweifel verborgen bleiben wird, sind wir glücklicherweise nicht ganz ohne irgendwelche Vorstellungen, die uns helfen können, die Wolken um dieses verschleierte Antlitz zu durchdringen.

Wir können zum Beispiel das Wunder unserer Atomspaltungsanlagen und die Entdeckungen der modernen Physiker anführen, die die Grundlagen des wissenschaftlichen Materialismus erschüttern, indem sie die Gesetze der vorherzubestimmenden Kausalität und des physischen Determinismus1 in Abrede stellen. Wir können unsere modernen elektronischen Geräte gebrauchen, von denen es uns einige ermöglichen, auf weite Entfernungen zu sehen und zu hören, mit unsichtbaren Strahlen feste Materie zu durchdringen und uns mit Melodien von Stimmen, die schon lange schweigen, Freude zu bereiten. Es ist unvermeidlich, daß wir uns fragen, ob Einflüsse wie diese nicht vielleicht Hinweise von den Helfern des göttlichen Wunder-Wirkers enthalten. Wenn wir unsere modernen Computer genau betrachten, so ist vielleicht am bemerkenswertesten - wenn wir sehen, daß sie Berechnungen viel schneller ausstoßen als die Gehirne, die sie schufen -, daß wir dadurch eine Vorstellung von der Tätigkeit des großen Planers bekommen, für den Milchstraßen und Anhäufungen von Milchstraßen wie Weizenkörner in der Hand des Säers sind.

Gewiß, unsere Computer können nicht denken, sie sind rechnende Maschinen. Selbst wenn sie auf einer unser Vorstellungsvermögen weit übersteigenden kosmischen Stufe stünden, so würden sie uns doch wenig über den Ursprung oder die Natur der Herkunft des Universums sagen. Wenn wir die spirituellen Kräfte erklären wollen, die die Dichtkunst, die Musik und das Licht für die Erde spenden, und wenn wir es vermeiden, die ungeheure Unlogik zu glauben, daß die Seele des Menschen aus einem seelenlosen Klumpen Erde entsteht und daß Plato und Shakespeare keine höheren Bestandteile in sich haben als die Staubteilchen an unserer Fensterscheibe, dann können wir auch nicht an einen Gott glauben, der wie ein ungeheuer großer Computer ist.

Auf einen weitaus überzeugenderen Gedanken - so scheint mir - wird in vielen Religionen hingewiesen, der besonders beachtenswert im Hinblick auf die Bodhisattvas des Buddhismus und die Heiligen und Erzengel des Christentums ist, ja selbst bei verschiedenen heidnischen Göttern ist er zu finden. Es ist die Vorstellung, daß Hierarchien spiritueller Wesen auf verschiedenen Ebenen der Erleuchtung und Hilfsbereitschaft existieren, die alle im göttlichen Sinne und mit göttlicher Macht wirken. Ihr Einfluß rangiert von den Wächtern und Dienern der Menschen bis zu den Regenten von Welten und Weltsystemen und noch weiter zu Gesetzgebern auf höchster Stufe, die sich unserem erdgebundenen Begriffsvermögen entziehen.

Eine solche Idee, die die Erhabenheit übermenschlicher Wesen auf höheren Stufen einschließt, schränkt die Vorstellung von Gott nicht ein. Sie verstärkt und veredelt diesen Gedanken mit dem Glanz, den nur die wirklich Erleuchteten wahrnehmen. Wenn eine solche Lehre auch viele Fragen unbeantwortet läßt, so degradiert und entpersönlicht sie doch den Menschen nicht. Im Gegenteil, diese Vorstellung zeichnet ihn aus und erhebt ihn, schafft eine Verbindung zwischen ihm und dem Universum mit unzählbaren Sonnen und von unschätzbarer Dauer und sichert ihm zu, daß er, wenn auch erst nach langer spiritueller Entwicklung, in dem Drama des großen Alls eine Rolle spielen wird und, obgleich er es vielleicht nicht weiß, inspirierende Geistesblitze von dem strahlenden Glanz erhält, der Gott ist.

Fußnoten

1. Lt. Duden: Determinismus - Lehre von der kausalen (Vor)bestimmtheit alles Geschehens; in der Ethik: die der Willensfreiheit widersprechende Lehre von der Bestimmung des Willens durch innere oder äußere Ursachen im Gegensatz zu 'Indeterminismus'. [back]