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Die Wissenschaft und das Unendliche

Ein wenig beachtetes Resultat der neueren wissenschaftlichen Entdeckungen ist die unbegrenzte Erweiterung zweier alter Begriffe: Unendlichkeit und Ewigkeit. Das mag fremd, wenn nicht paradox erscheinen, denn man würde niemals sagen, daß etwas mehr oder weniger ewig oder mehr oder weniger unendlich ist. Doch hier liegt eher ein scheinbarer als ein wirklicher Widerspruch vor: im Lichte der Entdeckungen der modernen Astronomie und Physik ist es uns nicht länger möglich, grenzenlose Zeit oder den grenzenlosen Raum so zu sehen, wie die alten Griechen, die Menschen des Elisabethanischen Zeitalters oder wie unsere Urgroßväter sie sahen.

Als die Unendlichkeit der Vergangenheit in Begrenzungen von Tausenden von Jahren ausgedrückt wurde und die unendliche Reichweite der Entfernung scheinbar in Tausenden von Meilen gemessen werden konnte, während die Erde das dominierende Zentrum in einem Universum mit spielzeugähnlichen Planeten und Sternen war, in dieser Zeit war keine echte Vorstellung vom Grenzenlosen möglich, denn alles war durch die Beschränkung unseres Wissens und unseres Glaubens begrenzt.

Es kann sein, daß alles begrenzt ist, selbst universal gesehen. Doch es ist eine allgemein bekannte wissenschaftliche Beobachtung, daß die Begriffe Ewigkeit und Unendlichkeit bei einer geologischen und astronomischen Vergangenheit von Milliarden von Jahren, vom unbegreiflich winzigen Proton und Neutron bis zu den unvorstellbaren unzähligen Millionen von Lichtjahren, eine unermeßliche Erweiterung erfahren haben. Und dies hat Konsequenzen, an die man wenig denkt, und zwar nicht nur hinsichtlich unserer Vorstellungen über die Natur des Universums, sondern auch im Hinblick auf die Schlußfolgerungen, die sich aus der Wirklichkeit in ihrer letztendlichen Betrachtung und dem Sinn und Zweck des menschlichen Lebens ergeben.

Niemand hat jemals das Rätsel der ewigen Zeit und des endlosen Raumes, wie es von der modernen Wissenschaft aufgeworfen wird, erfaßt, und kein Mensch kann es wirklich erfassen. Wenn man bedenkt, daß, wenn alles wirklich ewig und die Vergangenheit mit einer beständigen Aufeinanderfolge von Bewegungen und Ereignissen erfüllt ist, dann könnte man sich eine Milliarde Jahre oder eine Milliarde Milliarden Jahre und dann immer wieder weitere Milliarden Jahre zurückversetzen und würde dennoch dem Anfang niemals näher kommen. Man beachte, daß man Millionen, Millionen, Millionen Jahre oder eine Million millionenmal durch den Raum bis zur fernsten sichtbaren Milchstraße wandern könnte und doch dem Ende, relativ gesprochen, nicht um eines Sandkorns Breite näher käme.

Es ist wahr, daß die Einsteinschen Theorien ein Universum wiedergeben, das in einem riesigen gekrümmten Bogen wieder zu sich selbst zurückfindet. Doch selbst wenn diese Annahme vertretbar ist, so schließt sie doch die Theorie nicht aus, daß in der Unendlichkeit jenseits des geschlossenen Kreises, in dem wir uns befinden, andere in sich geschlossene, wenn auch unentdeckbare Universen existieren; und es steht uns frei anzunehmen, daß jene Universen so zahlreich sind wie die Himmelskörper der Milchstraße.

Was die Evolution des Sternenraums anbetrifft, so haben die Astronomen zwei gegenteilige Hypothesen aufgestellt. Bei der ersten, der "Steady-state" (Stabilzustands)-Theorie des britischen Astronomen Fred Hoyle, wird angenommen, daß sich Materie beständig aus Wasserstoffatomen bildet und daß diese sich mit der Zeit zu neuen Sonnen und Milchstraßen verdichten, während die älteren Himmelskörper davonfliegen und in unschätzbarer Ferne verlorengehen. Aber diese "Steady-state"-Theorie, die alle Fragen hinsichtlich des Ursprungs oder der möglichen Grenzen von Zeit und Raum ausschließen würde, hat in letzter Zeit gegenüber der "Big-Bang" (Große Knall)-Theorie an Boden verloren. Nach der "Big-Bang"-Theorie wurden alle Sonnen und Milchstraßen vor einigen zehn Milliarden Jahren in einer Superexplosion geboren.

Wenn die Wissenschaftler mit der "Big-Bang"-Theorie jedoch recht haben sollten - und ihre Schlüsse sind zumindest nicht sicher -, so ist dennoch im Grunde nichts erwiesen, denn es hätte keine Explosion stattfinden können, wenn nichts dagewesen wäre, das explodieren konnte; wenn der "Big-Bang" sich tatsächlich ereignete, so war er notwendigerweise das Produkt von etwas vorher Vorhandenem. Jene schon vorher vorhandenen Dinge können, wie manche vermuten, einem riesigen, beständig wiederkehrenden Zyklus angehören, der vielleicht auch andere ältere Ursachen einschließen kann, die sich in die Ewigkeit zurück erstrecken. Wie können jedoch solche Kräfte erklärt werden?

Hier stehen wir einer Frage gegenüber wie der des Kindes, dem gesagt wurde, daß Gott alles erschaffen habe, und das nun naiv fragte: "Und wer hat Gott geschaffen?"; denn wir können uns nicht vorstellen, auf welchem Wege die Himmel und die zahllosen Welten einen Anfang nahmen und auch nicht, wie Zeit und Raum begonnen haben könnten - das heißt, wenn nichts da war, den Beginn zu verursachen, sondern nur bodenlose Leere ohne Geist, Materie, Energie oder Wille.

Folgendes ist zumindest einleuchtend: Je mehr uns die Wissenschaft von den vielfachen Kompliziertheiten berichtet, die in der Einheit des Universums verschmolzen sind, desto weiter entfernen wir uns von dem alten Glauben an eine Erste Ursache - außer man vermag eine solche Ursache in die "Big-Bang"-Theorie hineinzulesen. Und dennoch können wir uns nicht der Vorstellung entziehen, daß irgendeine große regelnde Macht fehlt, um das Leben und seine komplizierten Organismen und Variationen erklären zu können; den komplizierten Geist und den Intellekt des Menschen eingeschlossen. Außerdem enthüllt jeder neue flüchtige Einblick der Wissenschaft in die Natur der Schöpfung, vom Elektron bis zu den Erbfaktoren und von der gasförmigen Nebula bis zu dem Haufen von Milchstraßen, die Offenkundigkeit eines so wunderbaren und so erhabenen organisierten Planes, daß, wollte man alles dem bloßen Zufall zuschreiben, dies ein Geständnis wäre, daß wir intellektuell beschränkt sind. Von der Welt, wie sie Anaxagoras oder Aristoteles erschien, könnte man mit einiger Mühe den Eindruck gehabt haben, daß sie aufs Geratewohl entstand (trotzdem war im allgemeinen eine solche Erklärung nicht abgegeben worden, von gelegentlichen Skeptikern wie Epikur und Lukrez abgesehen). Jedoch anzunehmen - wie es von modernen Wissenschaftlern getan wird -, daß reiner Zufall für das Universum verantwortlich gemacht werden kann - das Universum mit seinen komplizierten Lebewesen, seinen Welten innerhalb des Atoms und der unzähligen Sonnensysteme im ausgedehnten Raum -, kommt einem Aberglauben gleich, der kaum vernünftiger ist als der, welcher die Hexenjagden auslöste. Tatsache ist, je mehr Entdeckungen die Wissenschaft macht, desto mehr sind wir genötigt zu sagen: "Wir wissen es nicht!" Und je mehr wir das Vergängliche und das Endliche erforschen, desto weniger erfassen wir das Unendliche und das Ewige, und desto mehr verwirren sie uns.

In Anbetracht der sich häufenden Rätsel können wir bestenfalls folgern, daß die Quelle von allem, ob wir sie universalen Geist oder Gott nennen, etwas unbegreiflich Größeres, Unergründlicheres und Weitreichenderes ist, als es sich irgendeine der westlichen Religionen vorgestellt hat. Das Kennzeichen dieses Etwas ist die intelligente Lenkung und Planung; eine für unseren Verstand unvorstellbare Lenkung und Planung. Dieser Plan, den es verkörpert, beginnt sich vor unseren Mikroskopen und Teleskopen zu offenbaren, während er in anderen Dimensionen anscheinend Mystiker in allen Zeitaltern erleuchtet hat.

Merkwürdigerweise eröffnen uns die Einblicke in das physische Universum die jenseits desselben liegenden Zusammenhänge. Und der Mensch als Teil der hyperphysischen Unermeßlichkeit kann erkennen, daß er weit mehr ist, als er sich vorgestellt hat. Von einer Unendlichkeit und einer Ewigkeit umgeben, die alles für seine Väter Begreifbare übersteigen, sollte er sich durch die ihn umgebenden grenzenlosen Gegebenheiten nicht kleiner, sondern größer fühlen. Er braucht sich nicht an die Erfahrungen einiger weniger Jahrzehnte zu halten und sich als ein bloßes Staubkorn im Kosmos zu betrachten. Er ist vielleicht ein Teil jener Endlosigkeit in Zeit und Raum, die sich weit über sein Vorstellungsvermögen hinaus erstreckt - ein beseelter Teil des mächtigen Ganzen, dessen Existenz teil hat an der Aufeinanderfolge von vergangenen und zukünftigen Zeitaltern und in dessen verborgenen Tiefen das Immerwährende und das Unergründliche ihre Reflexionen haben. Das Licht, das den fernsten Stern erleuchtet, strahlt für immer.