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Größere Dinge als diese...

Ist es nicht erstaunlich, wie sehr wir an einer einmal gebildeten Meinung festhalten, selbst wenn wir an ihr zu zweifeln beginnen? Gut über ein Jahrhundert ist vergangen, seit die Behauptung aufgestellt wurde, der Mensch sei die Krönung des Tierreiches. Unbestreitbar liegt natürlich ein gewisser Trost in dem Gedanken, daß, wenn wir uns schlecht benehmen, es deswegen geschieht, weil wir in Wirklichkeit Tiere sind, die eine dünne Schicht "Zivilisation" haben und somit wirklich nichts dafür können! In Anbetracht der charakteristischen menschlichen Eigenheiten, die wir jedoch haben, hält diese Entschuldigung nicht stand. Der schlechteste Dienst, der dem Menschen je erwiesen wurde, war der, ihn zu überzeugen, daß er nur ein höheres Tier ist, das aus irgendwelchen Gründen Hände und Füße hat, die Macht der Sprache besitzt und einen, dem verhältnismäßig schweren Gehirn entsprechenden Grad von Intelligenz erlangte.

Heute gibt es aber schon Wissenschaftler, die ernstlich bezweifeln, daß die neodarwinsche Theorie so unumstößlich ist, wie sie bisher betrachtet wurde. Professor Björn Hupten von der Universität Helsinki ist zu einer ganz anderen Lösung gekommen:1

Wir könnten uns sogar fragen, ob es nicht eher die Affen sind, die von den frühen Vorfahren der Menschen abstammen, als umgekehrt.

Prof. Hupten erklärt, indem er von den immer häufiger vorkommenden Funden von fossilen Überresten berichtet, die diese Ansicht bekräftigen:

Es steht jetzt unzweifelhaft fest, daß vor vielen Millionen Jahren in Afrika Urmenschen der Australopithecus-Familie existierten. Und, soweit wir ihnen zeitlich zurück nachforschen können, werden sie auch da nicht affenähnlicher.

Es ist wohl klar, daß sowohl der Mensch als auch die Tiere während der unermeßlich langen Reise auf diesem Planeten - Prof. Hupten nimmt 30 Millionen Jahre als möglich an - vielen Veränderungen in Form und Gestalt unterworfen waren. Der primitive Mensch zeigte ohne Zweifel wenig Ähnlichkeit mit heutigen menschlichen Wesen. Die Ähnlichkeit der äußeren Erscheinung zwischen Menschen und höheren Affen war dazumal vielleicht ausgeprägter als heute, aber ungeachtet des äußeren Scheins besteht noch eine abgrundtiefe Kluft zwischen den höchsten Formen des tierischen und den niedrigsten Formen des menschlichen Lebens. Es stimmt zwar, daß der Mensch charakteristische tierische Merkmale besitzt, die Tiere jedoch haben keine menschlichen Merkmale. Die tierische Schöpfung besitzt keine charakteristischen menschlichen Merkmale. Zur besseren Erklärung müssen Betrachtungen darüber angestellt werden, welche Eigenschaften die menschliche Natur und welche die des Tieres kennzeichnen. Meist wird hierzu die Intelligenz von Delphinen, Hunden und Schimpansen angeführt. Von diesen liebenswerten, aber bestimmt weniger entwickelten Geschöpfen sind jedoch eigene Erfindungen und Ideen noch nicht bekannt geworden. Die von ihnen vorgeführten Kunststücke sind von menschlichen Gehirnen ausgedacht worden. Die Intelligenz dieser Tiere ist begrenzt, so daß sie ihre körperlichen Kunststücke unter menschlicher Leitung ausführen. Erst wenn ein Tier fähig ist, einen eigenen Plan zu entwerfen oder schöne und geistvolle Worte niederzuschreiben, erst dann und nicht eher, können wir von einem tierischen Intellekt sprechen, der mit dem menschlichen vergleichbar ist.

Zweifellos wird hier eingewendet werden, daß die Tiere in ihrem Instinkt eine hervorragende Fähigkeit besitzen, die Handlungen diktiert, die klug und richtig sind, um überleben zu können. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß der Mensch dieses zwar wirkungsvolle Instrument zum Weiterleben großenteils verloren hat, dafür aber die Macht des Wissens und die Fähigkeit zu wählen, besitzt. Wo die Tiere instinktiv den Gesetzen ihrer Art gehorchen, hat der Mensch nicht nur das Privileg, sondern sogar die Pflicht, zu überlegen und, soweit er dazu fähig ist, wird er die beste Art des Handelns intuitiv erkennen. Dieser Fähigkeit fügt er noch die Weisheit der Erfahrung hinzu und speichert sie im Gedächtnis in der Form des Gewissens. Da er selbstbewußt ist, ist er imstande, sein Verhalten und sein Verhältnis zur Umwelt selbst zu bestimmen. Der physische Mensch mag in einer Schale stecken, die derjenigen der tierischen Schöpfung ähnlich ist, obgleich auch das fraglich ist. Aber wem würde es einfallen, einem Tier Aufgaben zu stellen, die den vom menschlichen Geist geschaffenen wunderbaren Dingen oder den vom menschlichen Herzen diktierten mitleidsvollen Handlungen gleichkämen.

Diese Verwechslungen sind meist dadurch entstanden, weil man gewohnt war, die Wesenheiten vor allem als mit - oder ohne - Seele belebte Körper zu betrachten. Realistisch gesehen, wird die eigentliche Erfahrung, daß man lebt, vom Bewußtsein gemacht, denn das Bewußtsein erkennt seine Umgebung und reagiert darauf, während der Körper die physische Berührung mit der Umgebung vermittelt. Die bewußte Wahrnehmung des Menschen ist von der des Tierreiches so verschieden, wie sich das Tierreich vom Pflanzenreich und dieses wieder vom Mineralreich unterscheidet. Jedes höhere Reich entfaltet in seiner progressiven Existenz mehr Wissen, besseres Gedächtnis und stärkeren Willen - was zunehmend mit mehr Freiheit verbunden ist - als das vorhergehende Reich. Dadurch kann mehr Erfahrung gesammelt werden, die dem zukünftigen Leben als Grundlage dient. Wachstum bedeutet daher weniger eine Entwicklung von niederen zu höheren Formen, als vielmehr eine Erweiterung von begrenztem zu weniger begrenztem Bewußtsein. So würde eine Wesenheit, die sich im Mineralreich befindet - wenigstens von unserem Gesichtspunkt aus - nur ein rudimentäres Bewußtsein haben, während zu der Wesenheit einer Pflanze außer dem rudimentären Bewußtsein noch eine größere Reichweite hinzukäme. Das Tier jedoch ist mit einer noch weiter reichenderen Wahrnehmung ausgestattet. Was nun den Menschen anbetrifft, so umfaßt sein Bewußtsein alle subtilen Eigenschaften der niederen Reiche und dazu diejenigen, die er neu entwickelte und die er sich nur in der menschlichen Form aneignen konnte. Wenn wir die Evolution vom Standpunkt des inneren Bewußtseins aus betrachten, dann ist die physische Mutation der Formen eher eine Wirkung als eine Ursache. Natürlich finden bei der Anpassung an die Umgebung Veränderungen statt, aber nicht zu radikalem Wechsel von einer Art zur anderen, es sei denn, wir nehmen an, daß das innewohnende Bewußtsein sich vorbereitet, höhere Formen zu benutzen und, wenn es soweit ist, sich in ihnen zu verkörpern.

Die Gedankenrichtungen gehen heute weit auseinander. Einerseits versucht man das tierische Verhalten der Menschen zu rechtfertigen, während man andererseits die nichtphysischen Teile des Menschen erforscht. Der Bereich des menschlichen Bewußtseins umfaßt sowohl spirituelle Impulse, ein Gefühl für Schönheit und Mitleid, edle philosophische Begriffe, als auch alltägliche und ungenaue Phänomene von ESP (anomale Fähigkeiten von Sinneswahrnehmungen) und dergleichen, sowie die schlimmen und sogar erschreckenden Auswüchse tierischer Entartung. Meist beachten wir die beiden Enden des menschlichen Bereichs zu wenig: Die erhebende und erhabene Seite, glücklicherweise aber auch meist nicht die niedersten Stufen unserer Natur, da wir immer nur einen winzigen Teil unseres Geistes aktiv werden lassen, indem der Mensch sich nur mit dem Nächstliegenden und Weltlichen befaßt. Dadurch bleiben die größeren Möglichkeiten des menschlichen Daseins größtenteils unerforscht. Doch der Drang der Evolution ist in allem Leben, und nicht zuletzt im menschlichen, ein starker Ansporn. Im menschlichen Leben benutzt er jedoch andere Kanäle als die physische Mutation, denn der menschlichen Entwicklung stehen Wege offen, die die anderen Reiche nicht haben. Die Geschichte weiß zum Beispiel von Menschen zu berichten, die wirkliche Menschen - vollkommene Menschen - geworden sind. Diese wiesen dem großen Strom der sich entwickelnden menschlichen Wesen den Weg, wie sie ihnen gleich werden können, sich zu den Höhen der Selbstbewußtheit zu erheben, kurz, das Ziel des evolutionären Wachstums zu erreichen. Ich bezweifle, daß Christus oder Buddha sich von den übrigen Menschen, mit denen sie lebten, physisch auffällig unterschieden. Nichts deutet darauf hin. Doch niemand kann wohl daran zweifeln, daß sie und andere Weise, die an der Spitze der Evolution standen, den engen Bewußtseinsbereich, mit dem die meisten von uns zufrieden sind, haushoch überragten. Das Wissen des Nazareners war weit größer als daß es seine Anhänger hätten begreifen können. Sie wiederholten nur seine Worte, ohne sie zu verstehen. Von all den Großen wird berichtet, daß sie Wunder vollbrachten, aber wer weiß, welche "Wunder" ein geschulter Geist, der mit seinem spirituellen Zentrum vereinigt ist und selbstlos für die Entwicklung der Seelen arbeitet, vollbringen kann? Laßt uns nie die Worte vergessen: "Größere Dinge als diese werdet ihr tun."

Es ist völlig fehl am Platze, das scheinbar Wunderbare, das Sensationelle hervorzuheben, denn es sollte erst immer überprüft werden, ob es echt oder falsch ist. Weit wichtiger ist die Unterscheidungsfähigkeit des Verstandes dort, wo die Wahl offen steht und täglich ausgeübt werden muß - zur weiteren Entfaltung oder Beschränkung. Wachstum des Bewußtseins ist unvermeidlich mit mitfühlenden, liebevollen und großmütigen Bestrebungen verbunden, während Selbstsucht die Seele letzten Endes bis zu dem Punkt zurückzieht, wo sie sich auflöst. Welch wundervolles, erhabenes Dasein mag vor uns liegen; ein Dasein, das unser gegenwärtiges Verständnis weit überragt und der menschlichen Rasse mit ihren Kämpfen gegen den täglichen Wirrwarr weit voraus ist; ein Dasein, wo Würde und Verstehen vorhanden sind und das Bewußtsein, daß die innerste Essenz von uns allen universal ist.

Fußnoten

1. Daily Pilot, Orange County, Kalifornien, 23. Oktober 1971. [back]