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Opfer

Wenn wir an Opfer denken, was kommt uns dabei in den Sinn? Wenn wir christlich erzogen wurden, dann ist es vielleicht das Darbringen der ersten Früchte, so wie wir es beim Erntedankfest im Auge haben, oder beim Dankopfer - oder es ist sogar das Darbieten der anderen Wange, wenn uns jemand einen Streich versetzte! Um uns von neuem der Ausdrucksweise des Klerus zu bedienen, "sich selbst Gott in Seinem Dienste zu opfern." Wenn wir aber etwas innehaben und uns tiefgehender mit diesem einen kleinen Wort beschäftigen, wird uns der ungeheure Umfang an Dienstleistung und an Opfer klar zur Erkenntnis kommen, der sich beständig auf unserem Wege ergibt, ganz gleich wer wir sind.

Ob es ein klarer oder bewölkter Morgen ist, es gibt nicht einen unter uns, der nicht unter der gleichen goldenen Sonne wandelt, deren lebenspendende Strahlen ohne Unterschied auf alle scheinen - ohne jemals eine Belohnung zu fordern, ohne jemals einen Augenblick auf ihren ewigen Reisen von Norden nach Süden innezuhalten. Und von unserem ersten bis zu unserem letzten Tag atmen wir ein und aus, nehmen gedankenlos an der Atmosphäre der Erde teil, und tun das selbst im tiefsten Schlaf. Auch ohne den freigebig gespendeten Regen, den die Bibel "das Geschenk Gottes" nennt, könnten wir nicht leben.

Wie unschuldig oder sündhaft wir immer sein mögen, niemand wird von irgendeiner der großen grundlegenden Einrichtungen der Natur ausgeschlossen, die wir göttliche Opfer nennen könnten. Sie werden uns die ganze Ewigkeit hindurch jeden Augenblick geschenkt, obgleich wir selten genug dankbar dafür sind. Viel öfter fragen wir statt dessen, wenn wir die Reichtümer anderer mit dem scheinbaren Mangel vergleichen, unter dem wir leiden, warum manche Menschen so viel und wir so wenig haben.

Und wie oft schätzen wir wirklich jene großmütige Gabe - die Nahrung, die wir zu uns nehmen? Ist es nicht begeisternd, an die wogenden Getreidefelder zu denken, an des Bauern Sorgfalt und Mühe von der Zeit des Säens bis zur Ernte, um die Myriaden sehr kleiner Samen zur Reife zu bringen, die uns ernähren? Denken wir nur an einen Laib Brot auf unserem Familientisch, an einen Hering auf dem Teller, einen Becher oder Krug Milch, 'nur' an irgendeines von hundert Dingen. Ein Lied der alten Schotten sagt vom Hering, daß wir ihn beim Essen nur als ein "bescheidenes Mahl" betrachten mögen, während andere "die höchst verzweifelten Frauen und Mütter" - die Verwaisten jener Fischer, die eines Tages auf See hinausfuhren und nicht mehr zurückkamen, ihn "Menschenleben" nennen. Diese und andere bringen ihre besonderen Opfer, damit wir leben können. Und auch der Hering brachte sein Opfer, gefangen im kurzen "Tag" seines Lebens. Was unsere Nahrung auch immer sein mag, ob wir daran denken, daß sie lebendig war oder nicht, immer besteht dieses Opfer, diese Gabe, wofür wir dankbar sein sollten.

Irgendwie scheint das alles für uns jedoch nicht ganz wirklich zu sein. Meist sind wir weit davon entfernt, den Puls des gleichartigen Lebens um uns herum zu spüren, das "Wachsen der Blumen zu hören", die Musik entfernter Sphären zu erhaschen, oder im Denken und Fühlen in alles, was da lebt, einzudringen - mit der Erkenntnis, daß alles Leben so gut ein Teil der göttlichen Offenbarung ist, wie wir selbst.

Häufig ertappen wir uns dabei, daß wir sagen: "Oh es ist nur ein ..." Vielleicht sollten wir die selbstverständlichen Folgerungen dieses alltäglichen, aber herabsetzenden Ausdrucks zu begreifen versuchen. "Nur ein" - ganz gleich, was es ist - zeigt sogleich eine Haltung der Trennung und der Überlegenheit an. In Wahrheit kann kein Ding und kein Mensch beiseite gestellt und auf diese Weise gezeichnet werden, ohne alles und jeden herabzuwürdigen. Umgekehrt können wir das Göttliche in uns nicht anerkennen, ohne allen anderen Geschöpfen die gleiche Würde zuzugestehen. Solange wir nicht selbst den Begriff des "Getrenntseins" vom Leben aufgeben, können wir nicht hoffen, die Schönheit des universalen Bildes, die Wirklichkeit der zu Grunde liegenden Einheit im ganzen geoffenbarten Leben zu erfassen. Denn in allem, dem Sichtbaren und Unsichtbaren, befindet sich jener göttliche Funke, der allem sein besonderes Wesen oder seinen Charakter gibt.

Unglücklicherweise tun wir im allgemeinen nicht viel mehr, als uns in diese "Sünde des Getrenntseins" zu verwickeln. Angefangen mit einem abgesonderten, außerhalb seiner eigenen Schöpfung existierenden Gott, betrachten wir das Leben in den niederen Reichen so als existiere es nur zu unserem Nutzen. Ist es nicht möglich, diese Reiche als "jüngere Brüder" zu betrachten, die sich ebenfalls auf dem Wege der Entwicklung befinden? Tatsächlich wird viel für unser Wohlbefinden geboten und viel nehmen wir auf Grund der größeren Macht des Menschen. Aber in jedem Falle nehmen wir Gaben und Opfer von Leben an, die ebenso göttlich sind, wie wir selbst, wie verschieden ihre Art und Form auch sein mag.

Wir sagen, "es bedarf vielerlei, eine Welt zu schaffen" und wir mögen glauben, von dem indischen Kastensystem weit entfernt zu sein, das die Menschen in Klassen, wie Priester, Soldaten, Kaufleute, Bauern und Dienende einteilt. Und dennoch ist es nicht schwierig zu erkennen, daß sich heute unsere verschiedenen zivilisierten Gemeinschaften hinsichtlich der Pflichten der Menschen, auf die vier großen Grundlagen stützen, oder wie man auch sagen könnte, auf den "Anteil" eines jeden Menschen für seine eigene Gemeinschaft.

In alten Zeiten waren die Menschen in drei Abteilungen geordnet: An der Spitze waren jene, die die Unterscheidungskraft des Geistes besaßen, die die Seelen der Menschen letzten Endes aus der Knechtschaft der Illusion des Getrenntseins und von der "Sünde der Gewinnsucht" befreite. Zur mittleren Abteilung gehörten die Menschen, denen die Pflichten oblagen, die ihnen Vergnügen und Wohlstand brachten, manchmal als "die Früchte des Handeins" bezeichnet, die aber eventuell entdecken mußten, daß sie in ihren Erwartungen enttäuscht worden waren, weil nicht die "Dinge des Geistes" ihr Ziel waren. In der dritten Abteilung waren jene, die so träge, gleichgültig und phlegmatisch waren, daß man sagen könnte, in ihnen schlief die Seele eigentlich das ganze Leben hindurch.

Wir müßten uns nach eigener Einschätzung bald zur einen, bald zur anderen Kategorie zählen. Doch zu viele von uns sind wie Nachtwandler, die in ihrem Herzen und Gemüt keine Brücke zwischen dem gewöhnlichen Bewußtsein und dem Wissenden im Innern geschlagen haben, der uns viel größere Sicht eröffnen würde, wenn wir uns nur zu seiner Gegenwart erheben könnten. Der erste Schritt dahin ist natürlich, zu erkennen, daß es einen solchen Wissenden im Innern gibt. Von da an können wir die Wahrheit sicherer wahrnehmen und die Handlungen in unserem Leben besser lenken. Wenn wir erst einmal begonnen haben eine solche Brücke zu bauen, finden wir, daß wir uns auf einer Art Schlachtfeld befinden und in eine Art Krieg verwickelt sind: auf der einen Seite steht das, was wir als recht erkennen; auf der anderen das, von dem wir wissen, daß es schlecht ist. Wir könnten sagen, wir bringen gute oder schlechte "Gaben" dar. Wie nachlässig und gleichgültig unsere Haltung gegenwärtig auch sein mag, unsere eigene Natur wird uns früher oder später durch die täglichen Verantwortlichkeiten im Leben zwingen, zu handeln, zu wählen, zum "Kampf" anzutreten, den wir so gerne vermeiden möchten.

Selbst wenn wir nach Wahrheit suchen und bereit sind, unsere Aufmerksamkeit im Lichte altruistischen Verhaltens auf unseren Charakter zu richten, um unserem wahren Selbst näher zu kommen, werden wir sicherlich finden, daß unsere leidenschaftliche egoistische menschliche Person zu aller Zeit das ihr möglichstes tun wird, uns zu der Betrachtungsweise und Tätigkeit zurückführen, woran sie Vergnügen findet. Wir werden oft vorwärts gehen; wir werden oft rückwärts gehen. Die Tatsache, daß andere - Männer und Frauen wie wir - schließlich erfolgreich waren, sollte uns die Stärke verleihen, die wir brauchen, um an uns weiter zu arbeiten. Die "Großen Seelen" der Rasse wurden so durch die gleichen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, zum Erfolg geführt - Versagen und es dann wieder versuchen, bis wir nach und nach, Schritt um Schritt, vorwärts kommen.

Vollkommenheit mag uns als ein Zustand erscheinen, der schwer zu verstehen ist, und den zu erreichen wir kaum fähig sind, aber die ersten schwankenden Schritte auf den Wissenden zu sind ein "Opfer", das unendlich wertvoll ist, bei der Hingabe unserer niederen Natur.