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Das Licht der Forschung

Die entscheidenden Aspekte jeder Philosophie sind ihre grundlegenden Axiome und Prämissen. Diese werden von Anhängern, die von der Superstruktur, die auf ihnen errichtet wurde, ganz in Anspruch genommen sind, selten analysiert. Aber gerade die grundlegenden Ideen sollten untersucht werden. Auf dem Gebiet der Religion zögern wir oft, das Scheinwerferlicht unparteiischer Forschung einzustellen, weil es uns in manchen Dingen verboten ist zu forschen; oder weil in uns das Gefühl erweckt wurde, es sei taktlos und unnütz, etwas in Frage zu stellen, von dem man annimmt, daß es aus einer Göttlichen Quelle kommt. Doch wie sollen wir etwas über unser spirituelles Geburtsrecht lernen, wenn wir die Sache nicht prüfen? Außerdem zeigt schon eine oberflächliche Prüfung, daß viele der Glaubensbekenntnisse und Exerzitien der Kirchen von Menschen gemachte Beifügungen sind. Deshalb ist es notwendig, durch vergleichendes Studium und durch Nachdenken herauszufinden, welche Prinzipien der Religion per se sind, zum Unterschied der sektiererischen Glaubensbekenntnisse von Organisationen; ferner wie real diese Wahrheiten sind und in wie weit sie den Kosmos der Wissenschaft beseelen.

Die Annahme, daß wissenschaftliche Theorien nicht bezweifelt werden können, weil sie auf mathematisch bestätigten materiellen Beweisführungen beruhen, ist ebenfalls falsch. Die Erklärungen von Forschern wurzeln gewöhnlich in gewissen eingewurzelten Voraussetzungen, was uns selbst und das Universum anbetrifft. Welcher Art sind diese? Es gibt deren viele, und die hauptsächlichste war bis vor einigen Jahren, daß das Universum aus Materie und ihren Nebenprodukten aufgebaut ist und nur durch diese erklärt werden kann. Manche werden ausrufen "Das stimmt nicht ganz. Die Wissenschaft leugnet nicht, daß es einen Gott geben kann, oder daß der Mensch eine Seele hat; sie erklärt einfach, daß diese Dinge außerhalb ihres Gebietes liegen." Das ist richtig, aber bis vor kurzem ist sie von dem Grundsatz ausgegangen, daß (1) der Ursprung der Welten und Menschen hinreichend verstanden werden kann, ohne auf sogenannte 'spirituelle' Dinge zu verweisen; daß deshalb, (2) wenn Gott oder Götter existieren, und der Mensch eine Seele hat, diese Faktoren, soweit das materielle Universum in Betracht kommt, verhältnismäßig unwichtig sein müssen, denn sie haben anscheinend keine bedeutenden Wirkungen darauf. Viele Wissenschaftler halten noch die Seele, das Bewußtsein und alle inneren Kräfte und Fähigkeiten für komplizierte Sprößlinge der Materie.

Wenn wir über die unendliche Ausdehnung des Raumes mit seinen majestätischen Systemen, die wie Figuren in einem mysteriösen Tanz umherwirbeln und sich bewegen, nachdenken, und dann unsere menschlichen Angelegenheiten mit all ihren spitzen Überspanntheiten und Disharmonien betrachten, könnten wir natürlicherweise annehmen, daß die Universen höher entwickelt sind als die Menschen, denn deren Einrichtungen scheinen viel besser organisiert zu sein, als die unsrigen. Dies würde eine natürliche Schlußfolgerung sein, wenn wir nicht durch vorher ausgedachte Ideen beeinflußt würden, wie, daß das Leben, wie wir es kennen, besonderen Verbindungen des Kohlenstoffatoms entsprang; daß es daher strittig ist, ob im anderen System lebende Geschöpfe existieren und mehr noch, ob die Universen selbst lebendig sind.

Glücklicherweise sind solche vorherrschenden Begriffe nicht feststehend, sondern dehnen sich beständig aus und verändern sich, so daß von Zeitalter zu Zeitalter, angeregt durch starkes Nachdenken einiger Vorläufer, in Millionen von Menschen durch allmähliche Veränderung eine vollständige Umkehrung der Anschauung kommen kann. Dadurch wird verhindert, daß unser inneres Leben durch ererbte Glaubensbekenntnisse vollständig gehemmt und verkümmert wird. Dafür gibt es reichlichen historischen Beweis. Wir brauchen nur den Unterschied zwischen dem göttlich geschaffenen und in Gang gebrachten Kosmos des Mittelalters und dem leblosen mechanischen Universum der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts betrachten. Die große Natur blieb dieselbe, aber unsere Ideen über sie veränderten sich so drastisch, daß, würde jemand aus der älteren Ära unvorbereitet in den späteren Teil des letzten Jahrhunderts geschleudert, es ihm wahrscheinlich unmöglich wäre zu erfassen, was um ihn herum gedacht, gesagt und getan wird. Das alles war nicht das Werk einer Generation oder eines Jahrhunderts, sondern die Richtung unserer Sicht und damit würde unsere Sprache und unser Denken während der vergangenen vier oder fünf Jahrhunderte von einer starren Religion auf eine ziemlich dogmatische Wissenschaft umgeschaltet.

Diese Behauptung mag manche zum Widerspruch reizen, aber mit dogmatisch ist jede Philosophie gemeint, deren grundsätzliche Voraussetzungen allgemein angenommen und unzweifelhaft sind und deshalb nicht in Frage gestellt werden. Noch bis vor nicht all zu langer Zeit bildeten die Absoluta der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts die Norm, nach der die Welt verstanden wurde. Wir waren zufrieden, daß das wissenschaftliche Bild unserem Gemüt eine passende Beschreibung des Universums lieferte. Heute indessen scheint der strenge Determinismus zusammenzubrechen. Obwohl viele technische Theorien auf allen Seiten durch sich ansammelnde Tatsachen unterstützt werden, sind wir, was die grundlegenden Ursachen und allgemeine Symmetrie anbetrifft, weniger sicher als vor fünfundsiebzig Jahren. Bedeutet das, daß ein 'neues', ein mehr philosophisches und weniger materialistisches Bild vom universalen Leben im Entstehen begriffen ist? Wenn das der Fall ist, dann ist die Zeit, während der ein Bild verblaßt und ein anderes Form annimmt, für uns höchst wichtig, weil unsere Gemüter noch nicht festgefahren oder verschlossen sind. Wir haben noch nicht entschieden, ob die Knochen und Sehnen des 'neuen' Universums spiritueller oder materieller Natur oder beides sein werden. Die größten Gemüter in der Wissenschaft scheinen Pioniere zu sein, die nach diesen tieferen Erklärungen suchen.

Die Tatsache, daß sich unsere Ansicht von Zeit zu Zeit ändert, kann nur bedeuten, daß wir die Wahrheit niemals uneingeschränkt und vollständig sehen. Unsere Philosophien stellen nur verschiedene Phasen oder Gesichtspunkte davon dar. Wenn behauptet wird, daß irgendeine Formulierung die ungeteilte Wahrheit ist, entstehen Schwierigkeiten, denn es ist genauso absurd, als könnte man die Geheimnisse des Unendlichen für alle Zeiten in ein nettes Paket von bestimmter Größe einpacken. Die Natur wird einen solchen festgesetzten Zustand nicht dulden. Die Gezeiten menschlichen Denkens wechseln beständig und jene, die versuchen, sich mit den Dogmen und anderen Formulierungen einer älteren Periode gegen die unwiderstehliche Flut zu stemmen, werden mit der Zeit hinweggespült, verschlungen oder entfernt von den lebendigen Strömungen des fortschreitenden Lebens der Menschheit auf irgendein vergessenes Riff geworfen.

Möglicherweise schrecken wir davor zurück selbst zu denken, weil wir durch die hochheilige Beschaffenheit aufgestellter Institutionen und Lehren entmutigt sind. Oft nehmen wir, ohne den Versuch zu machen, sie zu begreifen, zahllose religiöse und wissenschaftliche 'Wahrheiten' an, die häufig nichts anderes als die Meinungen von 'Experten' oder durch Tradition geheiligte fragmentarische Ideen sind. Diese unverdauten Begriffe werden für uns die Richtpunkte für unsere ganze Lebensanschauung. Aber nichts existiert für uns wirklich, solange wir uns nicht selbst damit beschäftigt haben; nichts ist wahr, das wir uns nicht selbst bewiesen haben. Solange wir diese Anstrengung nicht machen, sind wir wie ziellos treibende Gegenstände, die von Strömungen, die wir fühlen, aber nicht verstehen, dahingetragen werden.

Die Wirklichkeit ist immer gegenwärtig, inspiriert uns, leuchtet durch uns wie die Sonne zwischen den Wolken, aber wir umkleiden ihre Strahlen und verdunkeln sie mit den vertrauten Bildern unserer Zeit und unseres jeweiligen Standes. Oft gehen Strahlen intuitiver Wahrheit in der Bemühung, sie zum Ausdruck zu bringen verloren, und was übrig bleibt sind tote Formulierungen. Diese bleiben solange tot, bis wir die Erkenntnis, durch die sie hervorgerufen wurden, wiedergewinnen. Wie die Schleier der Isis stehen Vorhang um Vorhang der von Menschen gemachten Gewebe zwischen uns und der wirklichen Welt. Wir müssen uns bemühen, diese aus menschlichen Begriffen und Begrenzungen bestehenden Vorhänge zu zerreißen und die wirkliche Welt selbst betrachten. Jeder wahre Wissenschaftler, der nicht durch ererbte Theorien verkrampft ist, bemüht sich beständig, das zu tun; jeder aufrichtige Philosoph sucht dasselbe Ziel, wenn er sich von den bloß mit Worten spielenden Sophistereien losreißen kann; und das ist es, was jeder redliche religiöse Mensch vor allem anderen wünscht - sich über das gedankenlose Dogma zu erheben und sich ernstlich mit der Wahrheit selbst zu befassen.

Die Weisheit der Weisen, das Wunder des Wachstums, die Lektionen der Geschichte, die Magie der Liebe, die Schönheit der Sterne und der Seelen - alle die uns umgebenden und in uns bestehenden Mysterien werden weiterhin dunkel und verborgen bleiben, bis wir das Licht eines forschenden Gemütes und eines aufgeschlossenen Bewußtseins auf sie richten.