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Johannes Denck

Viele unter uns halten noch an der christlichen Religion fest, weil sie der Meinung sind, daß nichts bedeutungsvolleres gefunden wurde. Aber wir gehören zu einer großen Zahl christlich Liberaler, die nicht mit den sich widersprechenden Lehren vieler Kirchen zufrieden sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Evangelien und andere Bücher des Neuen Testamentes nicht für unsere Zeit, sondern für die Griechen und Römer geschrieben wurden, in einer Zeit, in der es allgemein üblich war, jeden großen Menschen zu "vergöttern", ihn zu einer erhabenen Verkörperung von Gott selbst zu machen. In jener Welt war die Göttlichkeit Christi eine absolute Notwendigkeit. Nachdem jedoch heute keine Notwendigkeit mehr dafür besteht, ist es unsere feste Überzeugung, daß der Würde Jesu Christi kein schlechterer Dienst erwiesen werden konnte, als ihn als Göttliches Wesen hinzustellen.

Die Eigenschaft, die Jesus für uns unschätzbar macht, ist, daß wir uns alle bemühen können ihm gleich zu werden. Wenn er der einzige Mensch wäre, der nicht von Menschen, sondern nur von Gott geboren wurde, wie könnten wir erwarten, ihm auch nur im geringsten gleich zu sein? Seine Bewunderung erregenden Eigenschaften können nur wahrgenommen werden, wenn er desselben Ursprungs war wie wir. Nur dann ist es überhaupt wunderbar, daß er das wurde, was er war - ein Vorläufer des Menschengeschlechtes auf den Wegen Gottes.

Es hat zu jeder Zeit Menschen gegeben, die das verstanden und für diesen Glauben starben. Unter ihnen war ein Mann, der im sechzehnten Jahrhundert lebte, Johannes Denck aus Deutschland, der bald der Leiter einer neuen christlichen Sekte wurde, die von ihren Gegnern die Wiedertäufer - "jene, die noch einmal taufen" - genannt wurden. Aber dieser Name wurde innerhalb von fünfzehn Jahren aufgegeben. Wäre sie nicht alsbald wieder zerfallen, hätte die Sekte der Hauptzweig des Christentums werden können.

Johannes Denck wurde wahrscheinlich im Jahre 1500 (einige Gelehrte sagen 1495), in einem kleinen Dorf in Bayern als Sohn eines gebildeten Bürgers geboren. Als Junge studierte er Latein, die Sprache der Vulgata, die damals die einzige erlangbare Ausgabe der Bibel für das Volk war, seit die römisch katholische Kirche die allein bestehende Institution jener Zeit war. Denck war siebzehn Jahre alt, als Martin Luther seine These an das Tor schlug. Es dauerte nicht lange und die "reformierende" Kirche bekam in großen Teilen Deutschlands die Oberhand. Der junge Hans wurde zusammen mit seinen Eltern Lutheraner.

Um die gleiche Zeit begann er seine Studien an der Universität Ingolstadt, wo er neben deutscher Literatur Hebräisch und Griechisch belegte. Anscheinend liebte er besonders mystische Schriftsteller und wurde durch ein Predigtbuch von Johannes Tauler sehr beeinflußt. Nach drei Jahren an der Universität und weiteren drei Jahren, in denen er Knaben Latein und Griechisch lehrte, wollte er das tun, was ziemlich viele deutsche Studenten noch immer tun: an eine andere Universität gehen, wo er den größten Gelehrten in seiner besonderen Sparte nahe sein konnte. Der führende Professor in hebräischer Sprache war Oecolampadius an der Universität Basel, in der Schweiz, und dorthin ging Denck 1523. Zusammen mit seinem Lehrer, in dessen Haus er wohnen durfte, betrieb er ein konzentriertes Studium des Jesaja. Ohne Zweifel hatte er auch Verbindung mit dem katholischen Erasmus, der ein höchst spiritueller und in hohem Grade ethischer Mensch war. Basel war der Hauptsitz der Gelehrsamkeit für die Schweiz und Deutschland und auch ein Zentrum für das Verlegen von Büchern, und Denck erhielt eine Stellung als Korrektor von Manuskripten. Sein erstes literarisches Werk war ein kleines Gedicht in Griechisch, das er als Einleitung zu einer griechischen Grammatik schrieb. Am Ende seiner Studienzeit konnte Oecolampadius seinen Schüler dem lutheranischen Geistlichen in Nürnberg, einer Stadt mit blühendem Handel und wegen seiner klassischen Wissenschaften wohlbekannt, herzlichst empfehlen. So wurde Denck im Herbst 1523 Leiter der Schule von St. Sebald, damals eines der vornehmsten Erziehungsinstitute. Es war eine verantwortungsvolle Stellung für einen Dreiundzwanzigjährigen. Seiner Heirat mit einer jungen Frau Anfang 1524, die die Verpflegung der Schüler übernahm, folgte offenbar eine weitere sehr glückliche Zeit in seinem Leben.

Aber das Glück war all zu kurz. In Nürnberg war er schnell der Leiter einer lutheranischen Gesellschaft geworden. Bald jedoch begann er an Luther und seiner Kirche zu zweifeln, die seiner Meinung nach im Reformieren bei weitem nicht weit genug gingen. Denck wollte die Kirche in ihrer ursprünglichen Einfachheit wieder hergestellt sehen, nicht so sehr als Organisator der Gesellschaft, sondern einer Gemeinde, die in der Welt jene umfaßt, die Gott wahrhaft lieben. Luther war dafür, daß ein Mensch wegen seiner Sünden nicht verdammt würde, wenn er an Christus glaubt: er glaubte auch, daß kein Mensch durch freien Willen vor ewiger Verdammnis bewahrt werden, sondern nur durch Gott erlöst werden kann. Wie die modernen Liberalen konnte auch Denck das nicht annehmen. Er bejahte nicht nur den freien Willen des Menschen, sondern wollte noch, daß Christus nachgefolgt werden muß. Der Tod Jesu sühnte nicht die Sünden der Menschheit: Ein tugendhaftes Leben zu führen ist der Prüfstein und nicht der formale Glaube an Christus. Im Gegensatz zu Luther, der die Lehre von der Dreieinigkeit als wesentlich betrachtete, legte Denck auf Lehren über Christus kein Gewicht. Er sagte, viele Türken fanden das Himmelreich, und viele Christen fanden es nicht.

Diese Ideen beschäftigten den jungen Mann mehrere Jahre, aber erst durch die Begegnung mit einigen schöpferischen Gemütern, wurden sie in einer bestimmten Form kristallisiert. Zu diesen gehörte Ludwig Haetzer, ein gebildeter Patrizier aus der Schweiz, der den größten Teil seines kurzen Lebens mit Denck in Verbindung blieb. Beide glaubten, daß das äußere Wort der Bibel nicht so wichtig sei, wie das "innere Wort" Gottes. Denck wußte, daß jedermann die Schrift anführen konnte, um ein Argument zu beweisen; deshalb sagte er, das "innere Wort" muß jeder Mensch persönlich entdecken. Er selbst lehrte, daß die Bibel voller Fehler sei und veröffentlichte vierzig Widersprüche, die er darin gefunden hatte. Aber er liebte sie und drückte seine Gefühle in folgenden Worten aus:

Ich schätze die Heilige Schrift mehr als allen menschlichen Reichtum; aber doch nicht so sehr wie das Wort Gottes, das lebendig, mächtig, frei und unabhängig ist ... von Seiner Welt: ... es ist Geist ohne Feder und Papier geschrieben und nicht Buchstabe. ...

Das Wort im Herzen sollte man nicht verleugnen, sondern man sollte vielmehr sorgfältig und ernsthaft darauf lauschen, was Gott in uns kund zu tun hat. Gleichzeitig (sollte man nicht) willkürlich jedes äußerliche Zeugnis (die Bibel) verwerfen, sondern sollte vielmehr alles hören, prüfen und ... vergleichen.

Denck wurde ohne Zweifel auch von dem feurigen Charakter Müntzers beeinflußt, der zum Unglück für ihre Sache ein extremer Fanatiker war und später das Ende der Welt verkündete, die Auserwählten in das Paradies eintreten ließ und das Volk zu Orgien verleitete. Er wohnte vier Monate bei Denck und entrann so dem Sterben des Bauernkrieges, den er mit anstiftete. Auch durch den Kontakt mit ihm kann Denck in seiner eigenen großen Liebe für das innere Wort gestärkt worden sein. Beide waren ausgezeichnete Redner, weit bessere als Osiander, der Lutheranische Pastor am Orte. Osiander hatte ohne Zweifel Dencks erstes veröffentlichtes Buch Die Sünde und das Böse gelesen, das, nebenbei gesagt, das einzige von seinen zehn Werken ist, das ins Englische übersetzt wurde. Durch diese liberalen Ideen beunruhigt verlangte Osiander vom städtischen Kirchenrat, er solle Denck auffordern, seinen Werken eine Erklärung seiner Glaubensansichten beizufügen. Der Rat ersuchte ihn deshalb über verschiedene Gegenstände zu schreiben, aber Denck dachte nicht daran auf die Fragen überhaupt zu antworten. Statt dessen bestritt er in seiner Antwort das Recht des Rates ihn dazu aufzufordern.

Osiander und der städtische Rat waren über diese Erwiderung entrüstet. Nachdem er wenig länger als ein Jahr in Nürnberg war, erhielt er am 21. Januar 1525 den Befehl, die Stadt noch am gleichen Tage zu verlassen, und er mußte schwören, sie für immer in einem Umkreis von zehn Meilen zu meiden. Er war sehr erschüttert, weil er seine Frau und sein neugeborenes Kind zurücklassen mußte. Sein Eigentum wurde für ihre Unterstützung beschlagnahmt. Von diesem Tag an war Denck nie mehr frei von Furcht. Uns scheint Nürnberg dem jungen Manne gegenüber sehr streng gewesen zu sein, aber im Vergleich zu anderen Städten jener Zeit, die Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrannten, wenn sie ihre störrigen Meinungen nicht widerriefen, war es in Wirklichkeit ungewöhnlich großmütig.

Im Frühjahr 1525 ließ sich Denck in Mühlhausen nieder, mußte aber kurz danach mit vierhundert anderen Andersdenkenden nach Sankt Gallen in der Schweiz fliehen. Hier begegnete er den Schweizer Brüdern, und was er bei ihnen sah, gefiel ihm, da ihre Ideen seinen eigenen und denen anderer Deutscher ähnlich waren. Ein neuer Abschnitt seines Lebens begann nun.

Seit ihrer Gründung im Jahre 1515 hatten die Schweizer Brüder in den deutschsprachigen Teilen dieses Landes große Fortschritte gemacht. Die folgenden, von ihren Leitern angenommenen Punkte unterschieden sie von anderen Sekten:

1. Es durften nur jene getauft werden, deren Glaube an Christus sie bereitwillig ein neues Leben führen ließ. Die Schweizer Brüder und viele Menschen in Deutschland waren freisinnig genug, um zu glauben, daß der Ritus der Taufe nichts mit der Erlösung des Menschen zu tun hat. Kinder sollten nicht getauft werden, denn um ein "neuer Mensch" zu werden, sind ein eigener Entschluß und das reife Gefühl der Verantwortlichkeit notwendig. Die Taufe ist einfach der symbolische Weg zur Vereinigung mit der Kirche. In allen Gemeinden des Heiligen Römischen Reiches war es jedoch gesetzwidrig, einen Menschen zweimal zu taufen, und jeder, der noch einmal getauft wurde (der "Wiedertäufer"), vollführte eine Handlung, die mit dem Tode bestraft werden konnte.

2. Sie verbannten alle aus der Kirche, die ein unchristliches Leben führten. Die Brüder wurden "zweimal im Vertrauen ermahnt und das drittemal öffentlich bestraft und ausgeschlossen."

3. Das Brechen des Brotes beim Abendmahl wurde, wie in der ersten Kirche, als ein symbolisches Mittel, sich Christus zu nähern, ausgeführt; sie verwarfen es als Hilfsmittel zur Erlangung mystischer Gnade, als ein sogenanntes Sakrament.

4. Sie flohen und mieden alles, was mit den sittlichen Grundsätzen von Jesus nicht übereinstimmte.

5. Ihre Priester wurden nicht vom Staat, sondern nur von den Mitgliedern der Kirche erhalten und unter Leuten ausgewählt, die in der ganzen Gemeinde einen guten Ruf hatten.

6. Sie benützten nicht das Schwert und leisteten dem Bösen in keiner Weise Widerstand. Sie konnten nicht im Kriege kämpfen oder richterlicher Beamter werden, da auch dies dazu führen konnte, ein Leben zu nehmen.

7. Sie schworen keinerlei Eid, weil das gegen Christi Gebot war.

Der lutheranische Priester Kessler war ein heftiger Gegner der Schweizer Brüder in Sankt Gallen, mußte aber trotzdem von ihnen sagen: "Ihre Lebensführung ist musterhaft, durchaus gottesfürchtig, tugendhaft und untadelig; sie lehnen kostbare Kleider ab, verschmähen üppiges Essen und Trinken. ... Ihr Lebenswandel und ihr Benehmen sind durchaus bescheiden. Sie tragen keine Waffen."

Denck mußte diese Stadt sehr bald wieder verlassen. Ein Freund lud ihn ein nach Augsburg zu gehen und dort zu lehren. Dort begrüßte ihn auch sein Freund Haetzer, der jetzt der Leiter einer als die Apostolischen Brüder bekannten Gemeinde war, eine der stärksten Gruppen in Deutschland. Hier begegnete er auch seinem alten Professor Hubmaier, der sich nach einem Kampf mit Zwingli auf seiner Flucht aus Zürich den Apostolischen Brüdern anschloß. Auf seine Beeinflussung hin wurde Johannes Denck von ihm wieder getauft. Ehe ein Erwachsener in dieser Kirche getauft wurde, mußte er zuerst sieben üble Geistesgaben ablegen und an ihrer Stelle sieben gute annehmen: er konnte zum Beispiel Gottesfurcht annehmen und die Menschenfurcht ablegen, die Weisheit Gottes annehmen und auf die Gelehrsamkeit der Menschen verzichten, göttliches Verstehen erwerben und menschlicher Kenntnis entsagen und so weiter. Es ist interessant zu beobachten, daß zu jener Zeit die Zahl sieben oft eine wichtige Rolle spielte.

Im Frühjahr 1526 wurde Denck Pfarrer in der von Haetzer gegründeten Kirche. Sie hatte ungefähr dreihundert Mitglieder, doch die Menschen waren so sehr für eine unabhängige Kirche und stimmten so stark mit den freisinnigen Lehren über die Bibel und über ihre persönliche Beziehung zu Jesus überein, daß die Mitgliederzahl bis zum Herbet auf elfhundert anwuchs. Schnell wurden Hymnen geschrieben, einige davon von Haetzer.

Jedoch in kurzer Zeit wurden die Apostolischen Brüder von den Lutheranern ausgekundschaftet, und sie mußten an verschiedenen Orten und immer wieder zu anderen Zeiten zusammenkommen. Obgleich der lutheranische Geistliche Rhegius zugab, daß die Brüder ein gutes, einfaches, unschuldiges Volk seien, behauptete er, daß der Teufel jedwede Gestalt annähme und begann gegen Denck zu schreiben. Er beschuldigte ihn ein sozialer und religiöser Aufwiegler zu sein.

Daher mußte Denck im Oktober des gleichen Jahres Augsburg verlassen, und um nicht verhaftet zu werden, ging er heimlich. Er floh diesmal nach Straßburg und wurde dort von den Brüdern willkommen geheißen, geriet aber bald in einen Wortwechsel mit dem dortigen lutherischen Pfarrer. Da er sofortige Repressalien fürchtete, verließ er die Stadt eiligst. An zahlreichen Orten hielt er sich nur einige Tage auf, weil ihm die Nachricht von seiner Verbannung aus Nürnberg immer vorausging. Er wurde ganz schwermütig.

Ludwig Haetzer folgte Denck fast überall, wohin er ging. Am 13. April 1527 vollendeten die beiden das Manuskript, an dem sie in so vielen Städten gearbeitet hatten. Es war die Übersetzung der Propheten aus dem Hebräischen ins Deutsche, und sie wurde gut aufgenommen. Das Buch erlebte in drei Jahren dreizehn Auflagen. Martin Luther benutzte es bei seiner Übersetzung und zollte ihm indirekt seine Anerkennung.

Im August 1527 kam Denck in Augsburg mit den Leitern der Apostolischen Brüder zu einer wichtigen Synode zusammen. Es war ihre erste und letzte Zusammenkunft. Johannes Denck, der von seinen Gegnern der Papst der Wiedertäufer genannt wurde, wurde von seinen Freunden als Präsident der Gruppe gewählt. Die sehr fanatischen Ideen ihres Vizepräsidenten Hut spaltete jedoch die Brüder in Parteien, und Denck war sehr enttäuscht.

Auf seinem Weg in die Schweiz machte er in Nürnberg einen Tag halt, wo er offenbar seine Frau und sein Kind kurz besuchte. In Basel kam er schwach und erschöpft an. Er war an der Pest erkrankt und litt den ganzen Tag Schmerzen. In seinem Gemüt vollzog sich eine Wandlung. Er war sich nicht mehr sicher, daß die Kirche der Apostolischen Brüder die Kirche Gottes war. Er war geistig und körperlich sehr krank. Oecolampadius, sein alter Lehrer in Hebräisch, nahm ihn wieder in sein Haus auf, wo dieser kluge und gute junge Mensch im November 1527 im Alter von 27 Jahren starb.

Innerhalb von zwei Jahren wurden hunderte der Apostolischen Brüder getötet. Den Schweizer Brüdern erging es nicht anders. Sie hatten das Kapitalverbrechen begangen, sich wieder taufen zu lassen. Die Männer wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, die Frauen mit großen Steinen um den Hals gebunden im Flusse ertränkt. Mindestens zweitausend sind uns bekannt, die Märtyrer ihres Glaubens wurden. Es ist bedauerlich, daß beide Gruppen von unwissenden Predigern geführt wurden, die fest überzeugt waren, daß der letzte Tag nahe war. Vieles von dem, was heute gepredigt wurde, wurde damals schon gepredigt. Wo immer eine Kirche frei ist, ist die Grenze des Irrsinns nahe.

Wenn nur ein Mensch wie Johannes Denck die ganze Kirche hätte leiten können, wie weise und gesund wäre sie gewesen. Sie hätte der Anfang für eine freie Bewegung sein können, die sich wie eine Flamme schnell über ganz Europa verbreitet hätte, und Liberalismus in der Theologie hätte geblüht, zusammen mit dem Ernst der spirituellen Mystik und der Ethik von Jesus. Denn er war ein Mensch, dem selbst seine heftigsten Gegner höchste Achtung zollten. In seinem Benehmen war er bescheiden, und seine Rücksichtnahme auf die Meinungen anderer war wohl bekannt. Er trat für Freiheit und Duldsamkeit ein. Von den Lehren Calvins und Luthers verwarf er viele, wie die Lehre von der Erbsünde, der ewigen Verdammnis, der Dreieinigkeit und dem Sühnetod Christi. In seinem Universalismus schloß er alle anderen Religionen, wie Türken, und Juden gleicherweise ein.

Er war tatsächlich so hochherzig, daß er in der allumfassenden Erlösung selbst an die der Verdammten glaubte. Am Ende seines Lebens sah er im Geiste eine so freie Kirche vor sich, daß ihre Mitglieder nur das zu glauben brauchten, wovon sie tatsächlich spürten, daß es wahr sei. Seine Lehren konzentrierten sich auf das in jedem Menschenherzen scheinende innere Licht Gottes. Da er das innere Wort für unfehlbarer hielt als das äußere, hätte er selbst jenen Recht geben können, die in modernen Zeiten behaupten, daß die Bibel alle hundert Jahre neu geschrieben werden sollte. Er schrieb:

Ich bin anderer Meinung als jene, die das Reich Gottes allzusehr in den Zeremonien und in den Dingen dieser Welt finden.

Johannes Denck wird nicht nur als ein ausgezeichneter junger Mensch, sondern als ein heiliger Charakter in die Geschichte eingehen. Als spiritueller Führer und als Mystiker nicht geringen Grades war er vor allem ein Mensch, der seiner Zeit weit voraus war. Ich möchte wissen, ob er selbst für unsere Zeit zu weit fortgeschritten gewesen wäre?