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Über Geheimnisse und fallende Dachziegel

"Wir können alle von einem fallenden Dachziegel getroffen werden", mahnt uns Julius Caesar in Thornton Wilders Iden des März. Keiner von uns weiß, zu welcher Stunde ein von uns geliebtes Wesen einen schrecklichen Schlag durch eine Kraft erleidet, die wir weder voraussehen noch lenken können.

Selbst fünfundfünfzig Lebensjahre, von denen ein großer Teil an gefährlichen Orten und in schwierigsten Zeiten verbracht wurde, haben mich nicht gelehrt, wie man solch fallenden Dachziegeln ausweichen kann. Ich habe einige sehr ernste Schläge aushalten müssen. Meine Mutter starb, als ich drei Jahre alt war. Mein ältester Sohn, ein begabter und idealistisch veranlagter Junge, ist im Kriege gefallen. Während ich mich noch an die Hoffnung klammerte, daß er doch noch am Leben sein könnte, machten es mir gewisse Umstände, die außer meiner Kontrolle standen, unmöglich, eine Arbeit, an die ich zwanzig Jahre lang mein ganzes Herz gehängt hatte, fortzusetzen.

Ich sage solche Dinge hier in der Hoffnung, anderen, gleich mir, zu dem Glauben zu verhelfen, daß dem Menschen Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die es ihm ermöglichen, solche Schläge zu überstehen, ohne an ihnen zu zerbrechen oder sich durch sie verbittern zu lassen.

Ich glaube, die beste Aussicht, fallende Dachziegel auszuhalten und zu überstehen, wird gewährt, wenn man eine haltgebende Philosophie und einen unerschütterlichen Gemütszustand das ganze Leben hindurch annimmt. Ich habe gesehen, wie die verschiedensten Menschen Schicksalsschläge unter den verschiedensten Verhältnissen mit Hilfe der verschiedensten Glaubensanschauungen ertrugen. Daher meine ich, daß jeder einen Glauben finden kann, der seinen Bedürfnissen entspricht, wenn er nur beharrlich sucht.

Eine der besten Arten, die ich kenne, um sich gegen die Wechselfälle unserer unsicheren und unberechenbaren Zeit zu wappnen, besteht darin, daß man sich zu relativ geringen Bedürfnissen an materiellen Gütern, körperlichen Befriedigungen und Anerkennung seitens der Mitmenschen erzieht. Je weniger solcher Dinge man braucht, desto besser ist man für Schicksalsschläge gerüstet.

Ich bin ungewöhnlich reich an Freundschaften. Freunde jeden Alters haben sehr viel zu meinem Glück beigetragen und mir auch in Zeiten der Not viel geholfen. Schon früh im Leben habe ich eines der großen Geheimnisse der Freundschaft gelernt: daß man nämlich jeden Menschen, mit dem man zu tun hat, als Selbstzweck betrachtet und nicht als Mittel zum Zweck. Dies bedeutet unter anderem, daß man denen, mit welchen man in Berührung kommt, behilflich ist, daß sie auf ihre eigene Art Erfüllung finden, während man gleichzeitig seine eigene Erfüllung auf eigene Art sucht.

Ein weiterer ethischer Grundsatz, der sich als nützlich erwiesen hat, lautet: Erkenne dich selbst! Ich bemühe mich, mir streng sachlich klar zu werden über meine Fähigkeiten und meine Grenzen. Ich bemühe mich, mein Streben solchen Zielen anzupassen, die ich meinen Fähigkeiten entsprechend auch wahrscheinlich erreichen kann. Ich mag einige Gelegenheiten zum Wachstum übersehen und versäumt haben, aber ich habe mir viel erspart, weil ich nicht nach Sternen griff, die das Schicksal nicht für mich bestimmt hatte.

Ich habe viel Unmenschlichkeit, Betrug, Korruption, Gemeinheit und Selbstsucht gesehen, aber ich bin deswegen kein Zyniker geworden. Ich habe zuviel Anständigkeit, Güte und Edelmut unter Menschen erlebt, als daß ich den Glauben an die Möglichkeit einer weit besseren Existenz, als die bis jetzt erreichte, verloren hätte. Ich glaube, daß Streben nach einem besseren Leben die befriedigendste Aufgabe sowohl für den Einzelmenschen als auch für ein ganzes Volk ist.

Ich liebe das Leben, aber ich gräme mich nicht um den Tod. Ich habe nicht das Gefühl, daß ich meinen Sohn und eine Reihe anderer Lieben durch den Tod verloren habe. Ich glaube mit William Penn, daß "die, so einander über die Welt hinaus lieben, durch die Welt nicht von einander getrennt werden können. Der Tod bedeutet nur, daß wir die Welt überqueren, so wie Freunde ein Meer überqueren: sie sind noch immer miteinander verbunden." Ich glaube, der Tod lehrt uns etwas über Unvergänglichkeit.

 

Aus This I Believe, herausgegeben von Edward R. Murrow.