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Band 1: Was ist Theosophie?

Theosophie und Psychologie

Die Psychologie, als die Wissenschaft der Seele, des Geistes oder des Bewußtseins, entwickelte sich aus der Philosophie und ist daher ursprünglich eine philosophische Psychologie. Gewöhnlich betrachtet man Aristoteles als ihren Gründer, auch wenn es vor ihm viele weise Griechen gab, die sich mit dieser Thematik beschäftigt hatten, war er der erste, der seine Ideen systematisch in seinen vielen Werken niederschrieb. Aristoteles lebte von 384 bis 322 v. Chr. und stand in enger Verbindung mit Plato. Seine Lehre betrifft das Leben von Menschen und Tieren.

Weil erkannt wurde, daß die Seele und der Geist unfaßbar sind, trat diese philosophische Psychologie allmählich in den Hintergrund, und es wurde dem Menschen und seinem Verhalten mehr Beachtung geschenkt, wodurch die Verhaltenspsychologie oder der Behaviorismus entstanden, was nicht heißen soll, daß man die Seele des Menschen immer in Abrede stellte.

Das Verhalten des Menschen fließt selbstverständlich aus seinem Charakter hervor, aus allen Elementen seiner inneren Natur, den psychischen, mentalen und geistigen Facetten. Die wahre Psychologie muß daher die Wissenschaft der unsichtbaren Konstitution des Menschen sein und alle Erscheinungen umfassen, die bei normalen als auch abnormalen Menschen zum Ausdruck kommen.

Worauf es bei den verschiedenen Auffassungen in der Psychologie häufig ankommt ist, ob man den Menschen als ein überwiegend physisches Wesen ansieht, oder als geistige Entität, die sich eines physischen Körpers als Mittel eines zeitlichen Ausdruckes bedient. Die Theosophie akzeptiert nachdrücklich letzteres und verwirft den Gedanken, der noch immer eine wichtige Rolle spielt, daß der Mensch von Natur aus verdorben ist oder in Sünde geboren wurde; es macht keinen Unterschied, ob der Gedanke auf einer bestimmten christlichen Sichtweise oder auf der Auffassung beruht, daß ein Mensch nicht mehr als ein weiter entwickeltes Tier ist. Zum Glück gibt es auch Psychologen, die eine andere Meinung zum Ausdruck bringen. Carl Rogers beispielsweise geht von der angeborenen Güte des Menschen aus und sagt, daß, wenn wir negative Eigenschaften wie beispielsweise Haß und Egoismus aufzeigen, wir diese erlernt haben. Ein anderer Psychologe, der 1970 verstorbene Abraham Maslow, erklärte, daß der Mensch mehr ist als nur seine Instinkte oder Reaktionen aufgrund von Erfahrungen und daß der Mensch als Ganzes studiert werden muß. Er war es, der sagte, daß Psychologen ihre Untersuchungen nicht auf Menschen richten müssen, die scheiterten oder geistig gestört sind, sondern auf die besten Vorbilder der Menschheit. Er widersetzte sich auch der Tatsache, daß bestimmte Psychologen ihre Ansichten auf aus Tierversuchen gewonnene Ergebnisse gründen, wodurch typische menschliche Eigenschaften wie Selbstaufopferung, Liebe, Schönheitssinn usw. nicht in die Betrachtung miteinbezogen werden. Wenn man den Menschen ausschließlich nach seinem Verhalten in einem bestimmten Moment beurteilt, kann das in vielen Fällen nur einer Verurteilung gleichkommen. Aber eine Momentaufnahme ist kein vollwertiger Maßstab. Ein Mensch ist ein Bewußtseinsstrom und muß in seiner Ganzheit betrachtet werden und nicht, was in einer bestimmten Periode, mitbestimmt durch karmische Einflüsse, äußerlich sichtbar wird.

Gegenwärtig wird viel über ‘Selbstverwirklichung’ gesprochen, was bedenklich ist, da der Mensch unter dem ‘Selbst’ wenig mehr versteht als die gewohnten emotionalen Impulse oder Äußerungen aus dem Alltagsdenken. Selbstverwirklichung hat jedoch eine tiefe Bedeutung, da der Mensch sie auch in bezug auf den inneren, göttlichen Kern erlangen muß, was sich aber heute bei den meisten von uns im Alltagsleben noch kaum offenbart. Später soll sie die ganze persönliche Natur umfassen und mehr aus dem Menschen machen, als die jetzt bekannte Alltagspersönlichkeit darstellt.

Häufig versucht man, die Wirkungen des Bewußtseins durch das zu erklären, was man von außen wahrnimmt, dann hat man es aber gewöhnlich mit der niederen Persönlichkeit zu tun. Die Theosophie fängt innen an: sie zeigt, wie man die Schlupfwinkel der eigenen Persönlichkeit mutig erforscht, denn der Schlüssel zur Erkenntnis liegt in der Selbstdisziplin. Das ist äußerst praktisch, und wenn der Mensch die Lehren befolgt kann er seinen eigenen Weg zum Herzen des Universums finden.

Der intellektuelle Aspekt der Theosophie ist von großer Bedeutung, aber ihr Studium muß immer auf eine unpersönliche, spirituelle Entwicklung zum Wohle der anderen ausgerichtet sein. Aber das ist nur ein Aspekt des großen Werkes: das Enthüllen des inneren Gottes, des ‘Bereiches der Unsterblichkeit’ in uns. Die Bedeutung des Wissens über Karma und Reinkarnation kann kaum überschätzt werden, aber wonach wir zuallererst streben müssen, ist die Rückerinnerung an unser göttliches Selbst, was bedeutet, daß wir uns vom Gefühl befreien müssen, wir seien von ihm getrennt. Wir müssen lernen, das separate niedere Selbst nicht weiter zu betonen, damit wir den Sinn und die Schönheit erkennen, unpersönlich zu sein. Das ist das wirkliche Studium der Psychologie. Die Offenbarungen der Selbsterkenntnis verleihen die Kraft, anderen zu helfen. Wenn die niederen Wünsche umgewandelt sind, wenn ein Mensch so unpersönlich geworden ist, daß er Beleidigungen bereitwillig vergibt, wenn er bei allen Gelegenheiten aus edelsten Motiven handelt, dann kann er die Probleme der anderen verstehen, und seine Intuition wird so stark werden, daß er genau weiß, was er in allen Fällen tun muß. Das ist kein leeres Versprechen, es ist ein bekanntes, eindeutiges Resultat der aufrichtigen Bemühung, das Leben, das von Jesus und Buddha gepredigt wurde, zu leben. Ihre Ratschläge waren äußerst praktisch. Dr. de Purucker deutet dies in seinem Buch Goldene Regeln der Esoterik (S. 162) an und sagt:

‘Dieser Wunsch nach unpersönlichem Dienen läutert das Herz, erhellt den Geist und löst die Knoten der niederen Selbstheit, so daß sich Herz und Geist öffnen und für die Weisheit empfänglich werden.’

In der Stimme der Stille sagt H. P. Blavatsky:

‘Selbst-Erkenntnis ist das Kind liebevoller Taten.’

Die wahre Psychologie, derer wir alle bedürfen, ist ein Prozeß der Selbstdisziplin, und nicht nur jene, die an den Universitäten Psychologie studieren, brauchen sie.

Es mag einigen seltsam erscheinen, daß das kostbarste Wissen, das der Mensch erwerben kann, nur durch eine unpersönliche Lebensweise erlangt werden kann, die stets auch auf das Wohl der gesamten Menschheit ausgerichtet sein muß. Dennoch ist es durchaus vernünftig, weil alles Wissen im Bereich des inneren Gottes liegt, dessen Lebensgesetz die Liebe ist. Es ist der Weg, auf dem die großen Meister der Weisheit und des Mitleids ihr Ziel erreicht haben. Ihre gereinigte Persönlichkeit behindert das innere Licht nicht mehr. Wie es ein orientalisches Sprichwort ausdrückt: ‘Die Lampe und der Docht sind rein.’