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Die Masken Odins

11 – Gylfaginning

(Gylfis Verklärung1)

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Anmerkungen der Übersetzerin

Der Titel dieser Erzählung, Gylfaginning, wird gewöhnlich mit „Gylfis Verspottung“ wiedergegeben, denn das Verb ginna bedeutet im Isländischen verspotten oder zum Narren halten. Dies kann jedoch ein anderes Beispiel für ein semantisches Mißverständnis sein, wie jenes, das Zwerge zu kleinen Leuten anstatt zu unentwickelten Seelen macht. Im Isländischen gibt es ein Hauptwort Ginn, das in der Tat eine sehr hohe Bedeutung hat. Es ist das Wort für das unbeschreibbare göttliche Prinzip oder die Essenz jenseits der Aesir, jenseits der Wanir, jenseits aller möglichen Manifestationen, wie hoch auch immer. Es entspricht am nächsten dem Sanskritwort tat, das einfach „TAT“ („JENES“) bedeutet – eine Abstraktion, die zu heilig ist, als daß sie durch eine Namensgebung herabgesetzt werden könnte. Es ist das EINE – All-Wesen – die selbst-existente Leere, die die All-Fülle ist, nicht begreifbar vom endlichen Verstand, und es ist die durch das Wort Ginnungagap – „der Abgrund von Ginn“ – ausgedrückte Vorstellung.

Die Geschichte wird dann in sich selbst folgerichtig und kann somit ausgelegt werden. Das Ásgárd der Geschichte ist offensichtlich als eine irdische Örtlichkeit geschildert worden, das fortgeschrittene, obwohl menschliche Wesen beherbergt. Doch es behält eine Atmosphäre der Unnahbarkeit und liegt in einem so großen Saal, daß das Dach kaum gesehen werden kann. Der Gaukler am Eingang des Saales läßt an ein Stadium der Erfahrenheit in der Magie denken – ein Element, das immer einen Eindruck macht, dem aber hier nur geringe Bedeutung zugemessen wird: Der Ausführende zeigt seine Wunder außerhalb der Grenzen. Er bringt den besuchenden König ins Heiligtum, wo drei Hierophanten thronen. Ihre Namen oder das Fehlen ihrer Namen enthalten in sich selbst ein interessantes Rätsel, das andeutet, daß, während es Unterschiede in der Stellung gibt, keine Unterscheidung im Rang gemacht wird.

Nicht eher ist der Neophyt eingetreten, bis sich das Tor hinter ihm schließt – eine aufschlußreiche Einzelheit und lebensnah. Daraufhin wird er mit dem langen Gedicht Hávamál vertraut gemacht, das, wie wir sehen werden, auf die drei Stufen des spirituellen Wachstums ausgerichtet ist.

Nachdem er von der Triade der göttlichen Könige alle Weisheit, die er von ihnen empfangen konnte, erhalten hat, „kehrte“ König Gylfi „zu seinem Land zurück und erzählte die Botschaften, die er gehört und gesehen hatte“, und verwirklichte so die Bestimmung eines wahren spirituellen Schüler-Lehrers.

Gylfaginning

König Gylfi war ein weiser Mann mit großem Wissen. Er wunderte sich, wieso die Ása-Leute so wissend waren, daß alles nach ihren Wünschen ging. Er überlegte, daß dies entweder durch der Leute eigene Natur oder durch die Götter verursacht wurde, denen sie sich weihten. Er beschloß, das herauszufinden und bereitete sich vor, als ein alter Mann verkleidet, in aller Stille nach Ásgárd zu wandern. Aber die Ásá-Leute waren weiser. Sie sahen seine Reise, ehe er kam und veranlaßten, daß er von allen Seiten von Illusionen umgeben war. Als er am Hofe ankam, sah er einen Saal so hoch, daß er dessen oberen Teil schwerlich sehen konnte. Sein Dach war mit goldenen Schilden bedeckt wie andere Dächer mit Schindeln bedeckt sind.

Am Eingang des Saales sah er einen Mann, der sieben kleine Schwerter auf einmal jonglierte. Man fragte Gylfi nach seinem Namen, und er gab ihn als Gángläri (wandernder Schüler) an. Er sagte, er sei auf wässrigen Wegen (über das Meer) gekommen und wünschte, hier Unterkunft zu finden. Er fragte, wem der Saal gehöre. Der Jongleur erwiderte, daß er dem König gehöre, „und ich werde dich zu ihm führen, damit du ihn sehen kannst,“ sagte er, „so daß du ihn selbst nach seinem Namen fragen kannst.“

Der Mann ging in den Saal; Gylfi folgte. Auf einmal schloß sich die Tür hinter ihm. Er sah viele Räume und viele Menschen, einige beim Spielen, einige beim Trinken, andere mit Waffen beim Schwertfechten.

Er sah drei hohe Sitze, einer über dem anderen, mit drei Gestalten darauf sitzend, eine auf jedem Sitz. Er fragte, welche Namen diese Oberhäupter besäßen, und sein Führer antwortete, daß derjenige auf dem niedrigsten Sitz ein König mit Namen Der Hohe sei; der über ihm wurde der Ebenso Hohe genannt, und der oberste würde der Dritte genannt.

Der Hohe fragte den Fremden nach seinem Auftrag; und es wurden ihm wie für alle anderen in des Hohen Saal Nahrung und Getränke zur Verfügung gestellt.

Gylfi sagte, daß er zuerst zu wissen wünschte, ob hier ein Weiser gefunden werden könnte. Der Hohe antwortete, daß er den Platz nicht heil verlassen würde, wenn er nicht der Klügere wäre und begann mit der Befragung:

Trete vor – während du fragst.
Der Antwortende soll sitzen.

[Hier folgt das Gedicht Hávamál, wobei dem Bewerber die alte Weisheit gelehrt wird. Dem Schluß von Gylfaginning folgt Hávamál. Siehe nächstes Kapitel.]

Fußnote

Fußnoten

1. Aus der Jüngeren Edda. [back]