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Die Götter warten

II – Krieg versus Patriotismus

Das Menschengeschlecht wird niemals von seinem Elend erlöst werden, bevor nicht wahre und echte Philosophen an die Staatsverwaltung gelangen, oder die Regierenden unserer Städte durch das Walten der Vorsehung ernsthaft zu philosophieren beginnen.

– PLATO, Der siebente Brief, § 326

Mein erster Kontakt mit dem Krieg

Ich war noch ein Kind, als ich im Jahr 1861 das erste Mal mit den Schrecken des Krieges in Kontakt kam. Mein Vater hatte kurz zuvor in Massachusetts eine Kompanie organisiert und nach Virginia gebracht, wo sein „New York Mozart“-Regiment an der Straße nach Fairfax stationiert war. Bald danach folgten ihm meine Mutter und wir Kinder nach und lebten einige Zeit in einer alten Villa in Fairfax County, um in seiner Nähe zu sein.

Entlang des Weges, auf dem wir dorthin reisten, waren Tausende von Bäumen gefällt worden, Schützengräben waren nach allen Richtungen hin ausgehoben worden, und in der Ferne konnte man überall Kasernen sehen. Soldaten waren auch überall: einige exerzierten, andere lungerten in ihren Zelten herum, aber alle mit diesem finsteren, erstarrten und angespannten Ausdruck im Gesicht, der mich sogar damals an die vielen Tragödien in den Schlachten denken ließ, die sie geschlagen hatten und noch schlagen würden. Ich ritt oft mit meinem ältesten Bruder in das Camp und die Strecke entlang, an der das Regiment stationiert war, und es waren immer diese grimmigen, schreckenerfüllten Gesichter, die mich beeindruckten. In der Kriegsatmosphäre war überall das Leiden enthalten, das mir Furcht einflößte, und es schien kein Gegenmittel zu geben.

Nach der zweiten Schlacht von Bull Run sah ich die Lazarettwagen mit den Toten und Sterbenden zurückkehren, gefolgt von den Soldaten der Konföderation, zerlumpt und halb verhungert, krank und ausgelaugt, während sie von den Soldaten der Union, die sie gefangen hielten, zum alten Capitol-Gefängnis getrieben wurden. Ein anderes mal, in einer Nacht kurz nach der Sieben-Tage-Schlacht vor Richmond, versuchten die Soldaten, das Feldlager außerhalb Alexandrias zu erreichen. Zu dieser Zeit waren wir in jener Stadt, und Ellsworth’s Zuaven biwakierten in der Straße vor unserem Haus – ich kann sie noch sehen, auch den Schein ihrer Kiefernfackeln, denn in jenen Tagen gab es keine Straßenbeleuchtung. Ich war aus meinem Bett gestiegen, stand vor dem Fenster in dem dunklen Zimmer und beobachtete alles – und da schleppten sich die Verwundeten herein; sie waren den ganzen Tag über von der Front hierher marschiert und versorgten dabei so gut sie konnten auf ihre Wunden. Das medizinische Personal wurde, so weit ich mich erinnere, aus dem Hinterland gebracht, um mit ihnen hier in Alexandria zusammenzutreffen, war aber noch nicht angekommen.

Plötzlich konnte ich es nicht länger ertragen. Ich forderte meine Mutter auf, mit mir in die Küche herunterzugehen. Hier beluden wir uns mit einer Menge von Dingen, nahmen alles, was wir gebrauchen konnten und gingen hinaus zu den Soldaten. Stunden später war ich vermißt, und mein Vater fand mich nach einigem Suchen nach Mitternacht in der Straße bei den Soldaten, als ich ihre Wunden verband.

Ich glaube, es war kurz nach der Schlacht von Bull Run, als Mc Clellan das Kommando über die versprengten Soldaten der Union übernahm, um sie am Potomac neu zu organisieren, als ich anfing, die Abscheulichkeit und den Schrecken des Krieges voll zu erkennen, obwohl die Schlacht, solange sie dauerte, für mich ein Phantom des Grauens gewesen war. Ich hatte das tödliche Donnern der Kanonen in der Ferne gehört und gewußt, daß Menschen zu Tausenden niedergemäht worden waren – ich konnte nicht verhindern, mir das alles vorzustellen.

Es war der Tag der großen Inspektion der Armee von Potomac, und mein Bruder und ich wurden Zeugen des eindrucksvollen Schauspiels. Mc Clellan war da, und ebenso Präsident Lincoln und Tausende von Zuschauern aus Washington und anderswoher. Das historische Schauspiel bestand aus achzigtausend Infanteristen, achttausend Kavalleristen und ungefähr zwanzig Batterien der Artillerie, was in jenen Tagen für wirklich bemerkenswert gehalten wurde. Aber all ihre prächtige Aufmachung brachte nichts als Tränen in mein Herz und meine Augen, denn in mein Gemüt schlichen sich ständig die Bilder von dem ein, was geschehen war, was sein würde, warum sie hier waren. Ich betrachtete all das voller Verzweiflung. Mein Herz schlug dem Norden und dem Süden gleichermaßen voller Mitgefühl entgegen, mich verband mit der einen wie mit der anderen Seite tiefe Sympathie.

Sie waren alle Opfer des Wahnsinns dieses Zeitalters: des Wahnsinns der Unbrüderlichkeit, den dieser Krieg so wie alle Kriege mit sich gebracht hatte. Vor meinem inneren Auge entstand Bild um Bild vom Ende und Ziel all dessen, und Frage um Frage erfüllte mein Denken. Wie könnte sich der göttliche Geist brüderlicher Liebe durchsetzen, um die Rasse der Farbigen in ihrem wahren Fortschritt zu unterstützen, wenn er nicht einmal das Abschlachten hatte verhindern können? Ich brachte es nicht übers Herz, an den angeblichen Glanz des Krieges zu denken: die Kanonen und den Pomp, den „Ruhm der Generäle und das Hurra-Geschrei“. Was meine Vision erfüllte, war die Inhumanität des Menschen dem Menschen gegenüber und wie dringend notwendig ein neues Evangelium oder eine Offenbarung aus dem großen Zentrum des Lichtes ist, um dem Kriegshandwerk Einhalt zu gebieten und das zu bewirken, wodurch der Krieg für immer abgeschafft werden würde.

Viele Jahre sind seit damals vergangen, aber die Menschheit ist noch immer nicht weiser geworden. Auch jetzt werden Anstrengungen unternommen, das Land für einen Krieg vorzubereiten, und viele fühlen, daß das eine Notwendigkeit ist; aber ich weiß, daß das nicht so ist. Krieg und die Vorbereitung zum Krieg und Gedanken, die auf Krieg gerichtet sind: das sind Eingeständnisse von Schwäche. Frieden zu erhalten ist der Beweis und die Manifestation von Stärke. Ich würde es nicht wagen, den Patriotismus eines ehrlichen Menschen zu kritisieren oder auf irgendeine Weise diejenigen herabzusetzen versuchen, die das tun, was sie als ihre Pflicht erachten; des Menschen Widersacher finden sich jedoch in seinem eigenen Haus, und so ist das auch bei einer Nation. Unsere Feinde sind nicht außen, sondern innen: in unserem eigenen nationalen Denken, und in den Sitten, in unserer nationalen Aggression und Unzulänglichkeit. Wir mißtrauen unseren Nachbarn, weil wir uns selbst mißtrauen. Ich meine damit nicht nur die eine oder andere Nation, sondern alle auf der Welt. Wir sollten alle weniger darüber sprechen, wie stolz wir auf unser Land sind, sondern vielmehr für seinen spirituellen Fortschritt und seine Erneuerung arbeiten.

Es sind universale Ideale, nach denen die Welt heute verlangt. Wir müssen mehr als je zuvor verstehen, daß unsere Verantwortung nicht nur uns selbst gilt, nicht nur unseren eigenen Ländern, sondern der gesamten Menschenfamilie. Staatsgebilde und Handel mögen viel bedeuten, nationale Ehre mag viel bedeuten, aber die allgemeine Rettung der menschlichen Gesellschaft hier auf dieser Welt – das umfaßt alles.

Wahrer und falscher Patriotismus

Das fundamentalste Bedürfnis eines jeden Volkes auf der Erde ist dauerhafter Friede; um dauerhaften Frieden zu erlangen, müssen wir einen internationalen Geist oder einen Weltpatriotismus schaffen und unterstützen, der das Resultat der Erkenntnis sein wird, daß das, was auf eine Nation Einfluß hat, alle beeinflußt; daß alle anderen Völker so weit zu den Höhen des Wissens und der Wohlfahrt aufsteigen, wie eine Nation voranschreitet; und daß ebenso alle Nationen so weit in die Tiefe oder niedrigere Natur der Dinge hinuntergezogen werden, wie eine von ihnen von ihren Idealen zu nationaler Selbstsucht hin abweicht; und daß jede Nation an dem guten und schlechten Karma aller anderen Völker teilhaben muß.

In einem Land, das sein Leben gänzlich auf dem Prinzip und dem Geist der menschlichen Bruderschaft aufbaut, wäre Patriotismus alles in allem eine gute Sache, und sein Ziel wäre nicht, die Herzen beim Klang der Trommel zum Schlagen zu bringen, sondern die Gemüter aller zu einer weitherzigeren Auffassung des Lebens hinzuführen. Würden alle Nationen den Patriotismus und die nationale Loyalität dieser Art fördern, wäre die Welt bald in einem universalen Wohltätigkeitssystem vereint.

Nationale Interessen sollten uns teuer sein, so teuer, daß wir gerne unser Leben dafür hingeben – aber im Leben, nicht im Sterben – um die Wirklichkeit zu bewahren, das innere Leben und die geistige Schönheit unserer Länder; um künftige Generationen zu schützen und ihnen ein Erbe edlen Lebens zu hinterlassen, eine unzerstörbare Erhabenheit der Kultur, wie sie Geld nicht kaufen, noch brutale Gewalt gewinnen oder verteidigen kann.

Das höchste Gesetz unseres Seins fordert, daß wir unsere Nationen auf dem Felsen dieser dauerhaften Weisheit errichten sollten, die zu der göttlichen Seele des Menschen gehört, und daß wir unsere Kinder dementsprechend erziehen, damit sie und ihre Nachkommen nach ihnen die Sorgen, die wir kannten, nicht kennenlernen, sondern auf den reichen Resultaten unserer Bemühungen das Fundament der großen Republik der Seele gestalten – jener inneren Republik, in der alle Seelen Bürger sind – daß sie „wie im Himmel so auf Erden errichtet“ sein möge. Jedoch ausschließlich und engstirnig für sein eigenes Land einzutreten, ist ein selbstmörderischer Ersatz für Patriotismus. Schließlich ist das eine Vergiftung des vor uns liegenden Zieles der Hingabe, denn das bedeutet, gegen das allgemeine Ziel des Lebens und die spirituelle Gesundheit der Welt zu arbeiten, wovon das Leben und die spirituelle Gesundheit jeder Nation abhängen. Wir können uns nicht von der Menschheit trennen.

Der Fluch unserer Nationen ist das Getrenntsein. Wir haben keine Übereinstimmung über beliebige Muster des Lebens oder des Denkens oder Handelns. Wir sind einer vom anderen durch die eingebildeten Interessen des täglichen Lebens getrennt, und der zu weit getriebene Wettkampf läutet die Todesglocke unserer Zivilisation. Geld ist zu einer solchen Macht geworden, daß die Menschen dazu gebracht wurden, den Blick für ihre Seelen und ihr Gewissen zu verlieren und zu vergessen, daß sie ein Teil des universalen Lebens sind. Durch unser geteiltes Interesse an uns selbst – Hingabe an das äußere und Vergessen des inneren und wahren Selbst – wird das Tor zu den tieferen Regionen des Denkens, wo die Wahrheit wohnt, vor uns geschlossen und verbirgt vor uns die Manifestation der wahren und schönen Göttlichkeit, die latent in jedem von uns vorhanden ist.

Die Gier der Welt ist der Tod der Welt. Ein Mensch, dessen Denken damit beschäftigt ist, Kontrolle über andere zu erlangen, damit er in der Öffentlichkeit als mächtig und erfolgreich gilt, dieser Mensch befindet sich, vom Standpunkt seiner Seele aus betrachtet, im Todeskampf.

Wir vergessen, daß eine Zukunft auf uns wartet – wahrlich, die Götter warten – und daß es mehr als nur dieses eine Leben zu leben gibt. Wir ignorieren den spirituellen Willen im Menschen und diesen gottähnlichen Teil unserer eigenen Natur, der jetzt mehr denn je aktiviert werden sollte, denn dies ist der Beginn eines Zyklus, eine Wendezeit in der Geschichte der Menschheit. Jedes Zeitalter hat seinen Grundton: es gab eine Periode politischen und religiösen Despotismus; die jetzige ist eine des Forschens, des Wachstums und des Zweifels. In dem Verhältnis, in dem wir jetzt Verständnis für die Wahrheit erlangen, wird das Böse ausgerottet, das die Welt plagt, während der Zyklus seinen Lauf fortsetzt. Wir errichten die Zivilisation der Zukunft, und es ist die erste Pflicht der heutigen Rasse dafür zu sorgen, daß das Bauwerk großartig wird.

Und dennoch ist es jetzt und heute so, daß uns unter der Oberfläche und in den Unterströmungen des Lebens, in bestimmten Schichten der Gesellschaft – diese Schichten müssen wir hier nicht erklären – eine Kraft zur Untätigkeit verführt, die wie ein Märchenmonster Tag für Tag an Macht, Energie und Vorsorge für den eigenen Vorteil gewinnt. Was ist der Sinn all dieser hinterhältigen Propaganda, dieses Drängens zu bewaffnetem Frieden und diese Vorbereitung für den Krieg, dieses stete Beharren auf dem Irrtum, daß der Mensch, um seinen Platz zu behaupten, bereit sein muß, sich seinem Mitbruder mit Gewalt zu widersetzen? Für mich ist es eines der schrecklichsten Dinge auf der Welt, wenn ich höre, daß Gutes aus dem Abschlachten hervorgehen kann, oder daß es möglich ist, die Lebensbedingungen der Welt richtig zu ordnen, indem die Menschenrechte verletzt werden.

Haben wir nicht gesehen, wie schnell der psychologische Einfluß des Bösen und Selbstsüchtigen über einen ganzen Kontinent hinwegfegen kann, wie leicht das Denken einer Nation von den richtigen in die falschen Kanäle geleitet werden kann? Es wäre besser für die Völker der Erde, in Schlaf zu versinken und die Sonne nie wieder zu sehen, als einen weiteren solchen Krieg zuzulassen, wie den, unter dem wir unlängst gelitten haben. Ich denke an die Soldaten, die in der Schlacht sterben – bemitleidenswert, Mann gegen Mann, die unter dem Druck ihrer bitteren und blutdürstigen Gefühle, ihres Hasses, ihrer Raserei und im Wahnsinn des Konflikts verlöschen – und ich frage mich, zu welchem Zustand ihre Seelen hingezogen werden. Ich frage mich wirklich, denn Haß bringt Haß hervor, und Gewalt bringt Gewalt hervor; und wenn wir auch einen ungeheuren Intellekt hätten und allen Reichtum der Welt, so könnten wir die göttlichen Gesetze der Natur dennoch nicht nach unserem Wunsch gestalten.

Ich denke auch wieder an die Auswirkungen des Krieges auf die folgenden Generationen: wie etwas im Leben all derer verlorengeht, die in Kriegszeiten geboren werden, so daß Ungeheuerlichkeiten entstehen und seltsame Exemplare der menschlichen Art – eine neue Rasse, die die Atmosphäre des Hasses atmete und die von Geburt an und schon vor der Geburt verbittert ist – nicht einige wenige nur hier und da, sondern eine ganze Generation der Unausgewogenheit.

Wenn jedoch der geringste Hinweis gegeben wird, daß das Land bedroht ist – und die Zeitungen lieben es, solche Hinweise zu drucken und sind voll davon –, stürzt sich die Mehrheit der Gemüter sofort auf die Vorstellung der Verteidigung durch Brutalität und Gewalt, so daß wir neue Kriege haben werden, die die edelsten unserer Männer hinwegraffen und diejenigen töten werden, deren Leben am meisten erhalten werden sollte, um unsere Zivilisation aufzubauen. Dann rühmen wir uns unseres Patriotismus und unserer Opfer! Ich sage, bevor wir die Trommeln zu schlagen beginnen, und wir den Marsch unserer Lieben in den Tod hören – bevor das Phantom des Todes im Land umgeht und alles verschlingt – sollten wir Banner einer erhabeneren Art von Patriotismus hissen!

Könntet ihr bewaffneten Frieden in eurer Familie haben, im Umgang mit euren Kindern und mit denen, die ihr vorgebt zu lieben? Könnte es dort einen Frieden geben, der reguliert ist, aufgezwungen und aufrechterhalten mit Schwertern, Bajonetten und Feuerwaffen? Diese Idee entbehrt jeder Grundlage: sie ist völlig falsch. Ein auf Waffen gegründeter Frieden ist zwangsläufig nur ein vorübergehender Notbehelf, und sein Ende führt zwangsläufig zu schlimmerem Blutvergießen und Schrecken.

Visionen eines edleren Friedens

Angst und die Furcht vor Kriegen werden zu einer chronischen Krankheit unter allen sogenannten zivilisierten Völkern: eine alte Krankheit, die uns anhaftet und nie geheilt werden wird, bis die Welt das Geheimnis des wahren Patriotismus entdeckt. Furcht ist nichts Edles. Sie ist etwas, das gänzlich in den Reichen der Persönlichkeit, des Niederen und der Selbstsucht entsteht, und sie hat absolut nichts mit dem Höheren Selbst zu tun, das der Held im Menschen ist. Kein Individuum und keine Nation kann den geringsten Fortschritt zum Besseren machen, solange nicht Angst aus ihrem oder seinem Wesen beseitigt wurde.

In Zeiten des Friedens, so wird uns gesagt, sollten wir uns auf den Krieg vorbereiten. In Zeiten des Friedens sollten wir uns, wären wir wirklich furchtlos und hätten auch nur die geringste spirituelle Einsicht, ausschließlich auf einen höheren Frieden vorbereiten; und Frieden in jedem folgenden Zeitalter sollte etwas Edleres und Größeres bedeuten. Anstelle der bestehenden Heere und der Marine sollten wir die Weisheit des höheren Menschen haben, die das Wissen einschließen würde, wie wir unseren Brüdern begegnen, nicht brutal in der Schlacht, sondern wie göttliche Wesen gleichermaßen göttlichen Wesen begegnen sollten.

Denn die große Kraft des göttlichen Universums ist in jedem menschlichen Herzen, sogar in dem schlechtesten und unglücklichsten, und ein Mensch braucht nicht ein ganzes Leben, nicht einmal ein Jahr, um den Gott in seinem Inneren zu entdecken. Wenn er den Mut hat, die Herausforderungen anzunehmen, kann er ihn in einem einzigen Augenblick finden. Laßt denjenigen, der die Wahrheit sucht, die Tore seiner Seele aufbrechen und die ganze menschliche Natur wird ihm offenbart werden. Laßt ihn Zugang dorthin finden, und die Wünsche und Leidenschaften, die ihn sein Leben lang gequält haben, werden verschwinden. Das Licht der Seele, das auf das Gemüt scheint und das Leben des Menschen färbt: das ist der Glorienschein Gottes, das ist die Verherrlichung des Menschen, das ist die Errichtung immerwährenden Friedens. Denn jeder von uns ist ein Universum im kleinen, und jeder hat alle Geheimnisse der Zeit in sich.

Wir könnten von den Blumen in ihrer stillen Reinheit lernen, daß unsere Seelen für die Ewigkeit Blüten treiben sollten, und daß Tage und Momente, Menschen, Ereignisse und Dinge uns unentwegt neue Aspekte voller Verheißung und Ermutigung offenbaren, bis wir zu der Überzeugung gelangen, daß das Leben, das einst so trostlos und tragisch erschien, in seiner innersten Essenz Freude ist. Denn das ist wahrhaftig Leben: die Nähe des Unendlichen zu fühlen, das große Wissen im eigenen Herzen zu finden, im Hause der Selbstlosigkeit zu ruhen und das großartige Fundamentale in allen Dingen zu suchen, die Schönheit und das alte Gesetz. Das ist wahrhaftig Leben: die Entwicklung der Seele, die zu dem erhabenen Geist heimkehrt, zu dem Licht des Lichtes, zu dem Leben des Lebens, zu dem Wissen des Wissens.

Wenn wir den Blick für das Ewige im Vergänglichen verlieren versäumen wir, den Sinn des Lebens zu finden. Hätten die Menschen ihre wahre Menschlichkeit entdeckt, dann würden sie wissen, daß brutale Gewalt niemals, in keinem Fall, unter keinen Umständen, einen einzigen, wirklichen Sieg oder überhaupt irgend etwas Wertvolles erreichen kann. Wenn wir dadurch gewinnen, verlieren wir; diese Siege sind unsere ärgsten Niederlagen. Es ist die Ignoranz und die Kleingläubigkeit des Zeitalters, die uns behindern, und die Spuren beider können auf das Erbe und die langen Generationen der Vergangenheit zurückverfolgt werden. Jeder Mensch und jede Nation sind eine verkleinerte Darstellung der gesamten Menschheit, und der zerstörende Glaube an das Getrenntsein beweist, daß unser Blick völlig von dem Wahren abgewendet und auf die objektive Ebene fixiert ist.

Es gibt nur ein wahres und legitimes Schlachtfeld: das Gemüt des Menschen, wo uns die Dualität unserer Natur ununterbrochen im einzigen berechtigten Krieg festhält – dem Krieg des Gottes in uns gegen das niedrigere Selbst. Das Königreich des Himmels ist im Inneren, und niemand ist so weit weg vom Licht und von der Wahrheit, daß er nicht morgen umkehren und es finden kann. Dann wird er für die Ehre Gottes arbeiten und das Geheimnis dieser Arbeit kennen, denn Gott ist im Menschen und kann durch das Herz des Menschen manifestiert werden. Und die Ehre Gottes ist die Ehre der Menschheit: der Männlichkeit, der Weiblichkeit und der Mutterschaft, eines starken Familienlebens, rein und schön, eines bürgerlichen Lebens, das aller kleinlichen Eifersüchteleien und Differenzen entledigt ist, eines internationalen Weltpatriotismus, der auf der fundamentalen Bruderschaft der Menschen beruht.

Es ist soweit gekommen, daß wir von unseren äußeren und weltlichen Interessen überladen sind und daß wir dieses natürliche, menschliche Gleichgewicht verloren haben, durch das wir ungestört in der spirituellen Seite unserer Natur leben können und dabei unser Denken als ein Mittel zum Dienen und zum Wachstum benutzen und zum Untergebenen unseres wirklichen Selbst machen. Denn wir sollten die Vorstellung, nationale Differenzen durch brutale Gewalt zu regeln, als Beleidigung der Würde der spirituellen Natur des Menschseins betrachten. Wir sollten erkennen, daß die Männer, die wir für den Krieg ausbilden – und sie werden bei der Ausbildung dazu erniedrigt, ob sie das wissen, oder nicht – anstelle dessen wunderbar für den Frieden geschult werden könnten: um Staatsmänner und Lehrer zu sein, die tüchtigsten Wächter des Friedens ihrer Nationen.

Wir sollten nicht länger versuchen, so wie es seit Jahrhunderten geschehen ist, uns gegen unsere Nachbarn zu bewaffnen. Unsere gesamte Fürsorge sollte darauf gerichtet sein, unsere Nachbarn vor unserem eigenen Niederen Selbst zu beschützen. Fördert die Angst vor einer Invasion, und ihr bewegt euch sofort weit weg von der Gerechtigkeit, weit weg von der Pflicht. Schande über das Volk, das seinem Höheren Selbst und seinen göttlichen Fähigkeiten so sehr mißtraut, daß es sich unfähig fühlt, der Invasion durch andere Mittel zu begegnen als durch brutale Gewalt!

Alle Nationen hatten von Anfang an ihre großen Erfolge und Zeiten großer Leistungen, denen die anderen Zeitalter der spirituellen und physischen Schande des abwärts gerichteten Teils der Zyklen folgten. Wir befinden uns jetzt sicherlich in einem zyklischen Niedergang und in einer dunklen Zeit und nicht am hellen Tag und im Glanz, denn wir verstehen nicht im mindesten den wahren Sinn des individuellen und nationalen Lebens. Unser Patriotismus ist abscheulich grob geworden, und wir reflektieren seine groben Aspekte auf andere Nationen, so wie sie ihre groben Aspekte auf uns reflektieren.

Erkennen diejenigen, die an Aufrüstung interessiert sind, und die glauben, daß ein Land durch brutale Waffengewalt gut geschützt werden kann, erkennen sie die Macht der psychologischen Suggestion? Grausame Einflüsse können durch ständige Wiederholung bewirkt werden und in das Gedankenleben einer Rasse eindringen, und das Drängen darauf, daß eine andere Macht kriegerische Pläne gegen uns hätte, ruft in Wahrheit kriegerische Pläne sowohl in dem anderen als auch in uns hervor.

Diejenigen, gegen die sich unsere Propaganda gegen den Hass richtet, und die zu unseren morgigen Feinden gemacht werden können, sind unsere Brüder; und es gibt einen Weg, sie zu erreichen – und das nicht durch Gewalt oder Drohung oder Beleidigung oder psychologische Beeinflussung, die durch die Anhäufung von Waffen erzeugt wird. Wir haben unsere Pläne des Gehirnverstandes, unsere Gewehre und Schiffe und Festungen, wir arbeiten darauf hin, daß unsere Jugend für den Kampf ausgebildet wird und ruhelos ist durch die von den äußeren Umständen aufgezwungene Untätigkeit; und all das ist eine Bedrohung und eine Herausforderung fremder Länder. Wir fordern sie heraus und stacheln sie an, herzukommen und sich mit uns zu messen; wir teilen ihnen unsere Meinung mit, daß wir und sie gleichermaßen blind sind.

Wir sind so daran gewöhnt anzunehmen, daß der Sieger im Recht ist, daß es bei uns eine Art Glauben geworden ist, und wir erziehen selbst unsere Kinder dazu, daran zu glauben. Die Seite, die gewinnt, ist im Recht, die Seite, die verliert, im Unrecht: Es ist alles eine Angelegenheit brutaler Gewalt. Und wir gebrauchen unsere Religion und unseren sogenannten Gott, um unsere schreckliche Theorie zu unterstützen. Das ist Wahnsinn – der Wahnsinn des Zeitalters! Nur Wahnsinn kann brutale Gewalt mit Macht verwechseln.

Und dennoch gibt es heute genug Heroismus auf der Erde, um die Erde in einen Himmel zu verwandeln. Wenn die für kriegerische Vorbereitungen verschwendete Energie und Zeit zur Vorbereitung des Friedens benützt worden wären, dann wären unsere Nationen jetzt stärker und unendlich besser geschützt als jemals zuvor. Die Seele einer Nation – die lebendige Essenz ihres Wesens – ist die Ansammlung ihrer Gedanken, Gefühle, Handlungen und Ideale, die durch die göttliche Qualität des Gottes im Inneren gestützt wird. In dem Ausmaß, in dem ein Land seine nationale Seele mit dem Gedanken dieser spirituellen und gottgleichen Art nährt, in dem Ausmaß ist ein Land geschützt, uneinnehmbar, außerhalb der Reichweite von Zerstörung. Betrachtet das mit Vernunft und ihr müßt einsehen, daß es die Wahrheit ist; wenn ihr aber den alten, verachtenswerten Irrtum in eurem Gemüt und in eurem Herzen bewahrt, daß moralische Siege durch Gewalt gewonnen werden können, dann werdet ihr weiterhin durch Dummheit hinters Licht geführt werden und für euch selbst durch das Aussäen der Saat des Krieges Elend heraufbeschwören.

Der Balken ist in deinem eigenen Auge

Nation gegen Nation, Bruder gegen Bruder und Familie gegen Familie: wir werden immer im Kriegszustand sein, solange wir uns von unserer niederen Natur – von physischer Gewalt oder von selbstsüchtigem Interesse – zur Regelung solcher Angelegenheiten abhängig machen lassen, die nur durch die spirituelle Seite der menschlichen Natur geregelt werden können. Ihr dürft nicht denken, daß ich die Menschen von heute zu sehr tadle. Wir sind die Nachkommen, sowohl spirituell als auch physisch, von unseren Vorfahren, so wie sie von ihren. Jahrhundert um Jahrhundert haben die Menschen in Unwissenheit gelebt und den Blick vom Bruderschaft bedeutenden universalen Lebensplan abgewendet – ein Ideal, das wir, so sollte man meinen, mindestens mit dem halben Interesse hochhalten sollten, das wir für unseren engstirnigen Nationalismus und für die Vorbereitungen auf einen Krieg aufbringen. Der Einfluß der Vergangenheit liegt dunkel auf der Gegenwart. Über Zeitalter hinweg hat sich die Menschheit an Unbrüderlichkeit, Selbstsucht und Ungerechtigkeit gewöhnt, und die Menschen sind gewachsen: nicht näher zusammen, sondern weiter auseinander.

Das gilt für alle, so daß wir, wenn ein Krieg ausbricht, kein Recht haben, diesen oder jenen Menschen oder diese oder jene Nation zu beschuldigen. Wir müssen damit aufhören, über unsere Nachbarn Gericht zu halten, wenn wir das göttliche Licht in uns finden wollen. Darauf können wir erst dann bauen, können die Seele unserer eigenen Nation erst dann unterstützen oder erwecken – den Teil, der die Mühe wert ist – wenn sich unser Gemüt nicht mehr so eindringlich mit den vermeintlichen Fehlern und verschiedenen Fehltritten irgendeiner anderen Nation beschäftigt. Diejenigen, die gelernt haben, zwischen dem Sterblichen und dem Unsterblichen in ihrem Inneren zu unterscheiden, sind die gütigsten Menschen auf der Welt: sie wissen, wie leicht es für jemanden ist, in die falsche Richtung zu treiben, der seine eigene göttliche Natur nicht kennt.

Viele sind hinlänglich bereit, die Dualität in einem anderen zu erkennen, sie sind aber in sich selbst blind dafür: sie wollen weder zwischen den beiden Seiten unterscheiden, noch die Hindernisse als solche erkennen, von denen sie immer wieder überwältigt werden, denn sonst wären sie frei vom Laster des Fehlersuchens. Ihre einzige Kritik würden sie gegen sich selbst richten, und so würden sie zu Freiheit des Geistes und Erleuchtung des Gemütes gelangen.

Menschen und Nationen, es ist dieser stete Gedanke an das Ich, der unser Verderben ist. Wir entschuldigen uns selbst; oft glauben wir, wir würden unser eigenes Leben für die Menschheit opfern, obwohl wir in Wirklichkeit nicht die kleinste Laune opfern würden. Manchmal kann ein kleiner, unbedeutender persönlicher Wunsch die gesamte Natur wenden und unbeschreibliches Gewicht der Last der Zukunft hinzufügen; wir können es nicht sehen und haben keine Ahnung, daß es uns niederdrückt. Wir säen die Samen unseres Unglücks in den Augenblicken, in denen wir die kleinen Dinge nicht opfern können, die wir in unser Herz geschlossen haben.

Wir sollten keine Ehrfurcht empfinden vor der Anmaßung unserer Mitbrüder, daß sie sich etwas selbst verzeihen, für das wir uns selbst ganz leicht rechtfertigen, weil wir vermeintlich in anderer Hinsicht gut dastehen. Wir laden uns selbst mit kleinen, unerwarteten Dingen Bürden auf, die wir in unserem mentalen Leben verstecken und von denen wir denken, sie wären von geringer Tragweite. Wir können uns nicht vorstellen, daß sie in uns zu etwas heranwachsen können, und so halten wir daran fest. Es sind jedoch die kleinen störenden Einflüsse, an denen die großartigsten Unternehmungen scheitern; und geringfügig Böses frißt das Herzensleben des Menschen auf. Es gäbe niemals einen Mob, es sei denn, einer oder zwei Einzelne beginnen damit; dann kommen zwei oder drei weitere, und dann immer mehr und mehr, bis man endlich das, was sich da zusammengeschlossen hat, nicht für Menschen halten würde, sondern für Geistesgestörte. Was für Individuen gilt, gilt auch für Nationen. Große Staaten sind an der kleinlichen Selbstsucht unbedeutender Menschen zugrunde gegangen; und die Vernachlässigung einer geringfügigen Pflicht eines Menschen kann den Fortschritt einer Nation um Jahre verzögern.

Selbstanalyse sollte uns zu unerschöpflichem Mitleid bringen. Wir sollten immer im Gedächtnis bewahren, daß jedes lebende Ding ein Ausdruck des Unendlichen ist, ganz gleich, wie seine äußere Erscheinung beschaffen ist. Unsere mutmaßlichen Feinde oder die Menschen oder Nationen, die wir beschuldigen, wurden genau wie wir dazu erzogen, das Leben nur von der Außenseite zu betrachten. Es wurde uns allen eingeprägt, Generation um Generation, bis der Makel schließlich in unserem eigenen Blut und Wesen floß, daß nämlich Eroberung durch Gewalt mitunter möglich und legitim sei. Und nun haben wir die spirituellen Kräfte ganz vergessen, durch die allein Erfolg errungen werden kann.

Was können wir denen sagen, die den Menschen von seiner Kindheit an zu einem moralischen Schwächling brandmarken und ihn zu der Vorstellung hypnotisiert haben, daß er Rettung weder bei sich erlangen, noch Respekt oder innere Gesundheit durch eigene Anstrengung gewinnen kann? Solche Ideen haben ihn von der Erforschung der spirituellen Regionen in sich hinweggeführt und ihn dazu gebracht, alles Licht und alle Hilfe in äußeren Kräften zu suchen, die er nicht kontrollieren kann; und das Resultat sind die gottlose Moral und der weitverbreitete Unglaube unseres Zeitalters. Es ist die Natur der menschlichen Gesinnung, sich dem großen Mysterium unpersönlich zu nähern, mit Freude, Hingabe und Ehrfurcht. Wenn uns jedoch diese tödlichen Begrenzungen des Denkens aufgezwungen und wir gelehrt werden, uns nur mit unserem persönlichen und niederen Selbst zu identifizieren, verkümmert unverzüglich unsere Auffassung von Unendlichkeit. Die Existenz von Freude, Ehrfurcht und Hingabe erstarrt und an ihrer Stelle werden die Samen von Verbitterung und Engstirnigkeit gesät, weil im persönlichen Selbst alle kleinlichen und bösen Eigenschaften wohnen und nur dort wachsen können.

Wen wundert es dann, daß wir so anfällig für das Kriegsfieber geworden sind, und daß diese brutalen Tendenzen uns so leicht übermannen, daß wir keinen Ausweg wissen, um unsere Rechte zu verteidigen oder unsere Differenzen beizulegen, als – vielleicht nach einem kleinen, vom Verstandesdenken diktierten Streitgespräch – zu Bajonetten und Gewehren Zuflucht zu nehmen, und zu all dem Chaos und der Agonie, wodurch Tausende von Leben in einem Augenblick ausgelöscht werden? Und die ganze Zeit über beten beide Seiten gegeneinander, jede um den Sieg über die andere, jede darum bemüht, den Allmächtigen und das Unendliche zum Komplizen des Schreckens und jeder Art von Gewalt zu machen.

Daß der Mensch immer noch auf den Beinen ist und überhaupt stehen kann, ist Beweis genug für seine essentielle Göttlichkeit. Unsicher, veränderlich, umherirrend, verzweifelnd, schwankend, absteigend und immer wieder aufsteigend, mit einem Denken, das nichts versteht von der Tiefe, Schönheit und Größe des Wissens, das sein Inneres tatsächlich besitzt – überdauert er doch irgendwie. In der Hölle, die er sich selbst geschaffen hat, macht er unbeirrt weiter und wird nicht ausgelöscht: Welch größeren Beweis seiner inneren Göttlichkeit könnte man sich vorstellen? Wäre er in seiner Essenz und in seiner Möglichkeit weniger als göttlich, dann würde er seinen Kopf hängen lassen und aufhören zu sein.

Die Seele weiß: sie hat in dieses Leben Erinnerungen aus anderen oder vergangenen Leben, von früheren Niederlagen und Siegen mitgebracht. Sie weilt für immer im Licht und singt mit den Sternen und der Stille Gottes. Ohne Trennung vom Körper schwingt sie sich in die Unendlichkeit hinauf, denn es gibt keine Begrenzung für die essentielle Göttlichkeit des Menschen. Wir könnten eine Vision von der ewigen Existenz erlangen, indem wir über unseren Verstand hinaus zum wahren Selbst im Inneren vordringen und dort die reale Kraft finden, die uns vom Sinnesleben hinweg und über die hohen Mauern unseres Verstandes hinausträgt. Aber wir ignorieren die Existenz dieses Gottes in uns und haben ganz und gar vergessen, daß die Mentalität, ganz gleich wie hoch sie geschult ist, nie zu etwas anderem bestimmt war als sein Instrument zu sein. Solange der Mensch das nicht erkennt, kann er all das nicht werden, was er sein könnte. Der Verstand, das mentale Wesen, ist nicht das Selbst. Er ist ein Werkzeug, welches das Selbst zu seinem Gebrauch und als Mittel für den Fortschritt erworben hat.

„Größeres als dieses sollt ihr vollbringen“, sagte der Nazarener, und er meinte nicht durch Gelehrsamkeit oder mentale Fertigkeit oder wissenschaftliche Entdeckungen oder Erfindungen. Er sprach als Theosoph, und Theosophie spricht dem Menschen das Recht zu, ewig zu sein, aus dem Dunkel und dem Unwissen diese ewige Seite seiner Natur hervorzurufen, die die große Seele ist, unsterblich über die Zeiten hinweg. Menschen können nicht tief und genau denken, solange sie nicht in das Licht dieser göttlichen, menschlichen Natur eingegangen sind. Alles, was je gesagt wurde, und was wahr und wunderbar und offenbarend war, wurde durch sie zum Leben gebracht: Selbst der Materialist kann durch sie so inspiriert werden, auch wenn er an seinen materialistischen Doktrinen arbeitet, daß er tatsächlich spirituelle Höhen erreicht und trotz seiner Veranlagung das Unendliche berührt. Denn das Höhere Selbst ist allemal mächtiger als der Verstand und kann letzteren gegen seinen Willen antreiben. Es ist göttlich von Natur aus und seinem Ursprung nach: Durch unendliche Erfahrung ist es in diese Höhen vorgedrungen. Es wohnt auf den Gipfeln des Seins: betrachtend, erkennend, liebend.

Es sind nur unsere Gedanken, die so verwirrt sind, daß sie das höhere Selbst nicht fühlen: sie hören nicht seinen Gesang, der die Stille durchdringt, sie sehen nicht, was sichtbar vor ihnen liegt. So sitzen wir im Schatten und schließen uns selbst den Ansammlungen der Verzweiflung an. Wir verfallen in Trägheit, finden weder etwas für uns, noch suchen wir etwas für andere; wir bauen uns Welten des Leidens, jeder auf seine eigene, selbstsüchtige Weise. Es ist das Vertrauen auf den Gehirnverstand und den rein mentalen Teil, was uns von unserer Größe abhält. Wir haben unser Bewußtsein gefesselt und gebunden, wir haben uns selbst eingeschlossen und unseren Wohnsitz im Schatten erbaut, währenddessen wir die große Vision der Götter hätten benützen können und der edle Ausdruck des universalen Lebens wären.

Mit nichts anderem als dem Gehirnverstand und der Gelehrsamkeit, wie groß sie auch immer sein mag, ist ein Mensch im Halbschlaf. Er hat sich selbst oder den Schlüssel zum Leben nicht gefunden. Er kann nicht vorausschauen, er hat keine Vision. Die Vernunft hat ihren Platz, es ist jedoch der Geist seiner Arbeit, der einen Menschen zum Gott macht; und so wie sein Leben ist, so wird sein Verständnis sein. Natürlich hat das Ansammeln von Wissen und das Schärfen des Verstandes einen großen Wert, aber da ist etwas, das unendlich viel wichtiger ist: im Inneren die geheimnisvollen Tiefen der Seele zu entdecken, die Vorgänge, die das Herz erleuchten und das Denken mit spirituellem Licht beleben. Charakter ist höher als der Verstand, aber am höchsten von allem ist das spirituelle Leben.

Daraus folgt, daß keines der großen Weltprobleme durch reine Klugheit gelöst werden kann. Der Mensch, der lediglich Klugheit hat, kann nichts aus alledem machen. Unter der Führung des Verstandes sind unsere Fähigkeiten immer und notwendigerweise begrenzt. Er ist nicht jener Teil von uns, der unsterblich und ohne Schranken ist. Deshalb kann Krieg nicht durch Argumente und politische Intrigen oder Manipulationen abgeschafft werden, sondern nur dadurch, daß bei unseren internationalen Fragen die Gaben und die Inspirationen dieser Göttlichkeit hervorgebracht werden, die jetzt im Hintergrund des menschlichen Bewußtseins stehen und den Ruf einer Menschheit erwarten, die sich doch endlich der ungeheuren Würde des menschlichen Seins bewußt geworden ist.

Während die Schatten noch über uns sind und Dunkelheit uns umgibt, sollten wir unseren Blick nach Osten richten und erkennen, daß wir aus diesen Todeskammern des Körpers und des Verstandes herausschauen können und, noch verschleiert und vielleicht weit entfernt, die Verheißung eines neuen, glorreicheren Lebens für die Menschheit sehen. Die göttlichen Gesetze sind größer als die menschlichen. Sie sind dauernd und ewig, und sie ändern sich nie: sie werden weder von politischen Systemen berührt noch von sektiererischen Einflüssen verdorben. Rechtes Denken und Handeln können uns jetzt, immer, auf die Ebene der Seele erheben, und wenn wir dort sind, führen wir die gesamte menschliche Rasse zur Ebene ihrer Rechte, der Möglichkeiten und des spirituellen Erbes hin.

Wir müssen nur diese zentrale Idee aufgreifen, daß niemals jemand durch bloße Ausübung der Gedankentätigkeit den Weg der Seele finden oder sich dem großen universalen Schema des Lebens anpassen kann, daß der Gehirnverstand die Nationen niemals zu stabilem Frieden führen oder irgendeine echte Bruderschaft oder Einheit hervorbringen kann. Es muß dieses hinter der Mentalität ruhende gemeinsame göttlich-menschliche Etwas geben. Die Seele muß das Zepter halten und die Leitung der Dinge übernehmen. Wenn nur einige wenige ihre Pflicht in dieser Angelegenheit verstehen könnten, würden sie mit großer und weitsichtiger Vision in die Zukunft schauen; sie würden jeden Irrtum und jedes selbstsüchtige Ziel beiseite schieben, um für die Menschheit eine Zivilisation vorzubereiten, in der Krieg unmöglich wäre. Ihre edlen Bemühungen wären auf Zusammenschweißen gerichtet, zuerst in ihren eigenen Ländern, dann in der ganzen Menschenfamilie, in eine unzerstörbare Einheit.

Sie könnten den Krieg vielleicht nicht sofort und für immer beenden; Karma wird sich von alleine auswirken. Aber sie würden der Herrschaft der brutalen Gewalt die Stirn bieten. Sie würden Himmel und Erde bewegen, um das Aufhetzen der Presse zur Bewaffnung gegen dieses oder jenes fremde Land zu stoppen. Und sie würden sehen, daß es, soweit sie es ermöglichen können, eine allgemeine Erkenntnis des Sinns und der Konsequenzen bestimmter Dinge geben muß, die wir gestatten und sogar in unserer Mitte in Friedenszeiten und immer fördern: die Grausamkeiten, die Unterstützung brutaler Gewalt gegen Anstand und Gerechtigkeit, den Schrecken, der als Todesstrafe bekannt ist, das Laster, das unsere Gleichgültigkeit zu blühen erlaubt, die unvorstellbare Schande der Vivisektion.

Einige Worte zur Vivisektion

Nun noch ein oder zwei Worte zu diesem Thema: es ist nur der Wahnsinn des Jahrhunderts, der uns die Vorstellung gestattet, daß wir Leben retten können, indem wir uns gegen das Leben versündigen, oder daß wir Gutes erreichen können, indem wir etwas tun, das so offensichtlich schlecht ist. Das höhere Gesetz ist deutlich: man kann nicht damit spielen oder es mißbrauchen. Wer Vivisektionen durchführt, sät Samen in seine Natur, deren schreckliche Ernte er einst wird einbringen müssen. Er verhärtet seine innere und feinere Sensibilität, reißt einen Teil des höheren Gefüges seines Wesens nieder, mißbraucht seinen Verstand und verletzt die höheren Qualitäten seiner Natur und verliert etwas, das er nie wieder finden wird.

Bedenkt, was das bedeutet. Mit jeder Funktion und mit jedem Organ des Tieres wird experimentiert: das Gehirn wird in Scheiben geschnitten, galvanisiert und mit rotglühenden Eisen zerquetscht; an der Wirbelsäule wird mit Pinzetten und Skalpell minutiös herumexperimentiert; das Blut wird es aus dem lebenden, sich wehrenden Tier heraus- und wieder zurückgepumpt. Die Opfer werden bei lebendigem Leib gekocht und verbrannt; giftige Gase werden durch ihre Kehlen eingeströmt; sie werden rasiert und in eisigem Wasser gebadet, um zu sehen, wie lange es dauert, bis sich eine Lungenentzündung entwickelt!

Denkt an den psychologischen Einfluß eines Arztes, der, wie rein auch immer seine Motive sein mögen, sich selbst zu einer solchen Entschlossenheit hypnotisiert hat, seine Arbeit mit Mitteln wie diesen fortzuführen. Er bemerkt nicht, daß er jedesmal, wenn er solch ein Experiment macht, seine eigene Natur vergewaltigt und damit ebenso die seiner Nachwelt, oder daß er das Tor zu dem höheren Wissen verschließt, das zum Vorschein käme, wenn seine Bemühungen auf höheren Ebenen verliefen. Denn auch hier verläßt man sich wieder auf nichts Besseres als auf die Vorstellungen des Gehirnverstandes, und in der Tat auf die niedrigsten Phasen davon, um ein Wissen zu erwerben, das wirklich nur durch Ausübung der spirituellen Seite der Natur gewonnen werden kann – gerade dieses Höhere Selbst, das der Mensch durch die Ausübung der Vivisektion verunglimpft, ausschließt und zurückhält. Immer ist das Mitleid der Schlüssel zum Höheren Selbst.

Je mehr diesen Irrtümern des Zeitalters gefolgt wird, umso mehr werden brutale Gewalt und Kriege, zerstörte Heime, zerbrochene Leben, Gefängnisse, ungesunde Asyle und neue und unbeschreibliche Formen des Lasters regieren. Mutige Seelen müssen den Weg suchen und entdecken oder die Menschheit muß wegen ihrer Frevel zugrunde gehen und ausgelöscht werden, bevor viele weitere Generationen verstrichen sein werden.

Das wahre Heilmittel

Wenn wir so leicht von diesem Kriegsfieber und den psychologischen Wellen der Konfusion erfaßt werden, warum sollten wir dann nicht durch die entgegengesetzte Kraft zu Höhen klaren Unterscheidungsvermögens gehoben werden, und uns darauf einstellen, die Gärten des Lebens unserer eigenen Länder von ihrem Unkraut zu befreien, anstatt Fehler bei fremden Ländern zu suchen und uns auf Kriege mit ihnen vorzubereiten? Warum sollten unsere Augen nicht auf kommende goldene Zeitalter gerichtet sein, wenn die Saaten des Genies, die jetzt in der gesamten menschlichen Natur schlummern, im Glanz und im Sonnenlicht des unendlichen Gesetzes entwickelt sein werden? Die Berge werden von den Selbstlosen und Mutigen bevölkert sein, die die zerklüfteten Pfade mit zum Licht gerichteten Augen beschreiten und sie werden in das Tal des Schattens zurückschauen, das hinter ihnen liegt, und dort nicht länger Herzeleid, Sorge, Ignoranz und Entartung entdecken. Denn ihr Mitleid und ihre Liebe werden die Herzen der Bewohner der Dunkelheit erleuchtet haben, und auch sie werden den großen Aufstieg begonnen haben.

Kein Mensch kann einen Schritt vorwärts in Richtung auf das Ziel der menschlichen Vollkommenheit machen, ohne sich bewußt zu werden, daß Hunderte auf dem Weg sind, die vor ihm aufgebrochen sind und jetzt einen Vorsprung haben. Er kann sie mit seinen Augen nicht sehen, fühlt jedoch ihre Nähe. Das Licht, das jedes Goldene Zeitalter der Vergangenheit erleuchtet hat, ist immer noch wahrzunehmen; für Menschen und Nationen kann jedes Morgen gleichermaßen ein neuer Tag sein, ein königlicher Tag des Sieges und der Beginn eines Fortschritts, der niemals enden wird. In den menschlichen Angelegenheiten ist ein Unterton und die Harmonie der pulsierenden Sphären; eine Hymne singt sich selbst durch die hinter dem Leben stehende Stille, singt für die Menschen dieser Welt und ruft sie heimwärts.

Gott ist im menschlichen Herzen: laßt nur diese Göttlichkeit erwachen, bis sie göttlich und mächtig hervorbricht und das allgemeine Denken der Rasse von dem von ihr angehäuften Unrat der Lügen befreit, damit die Menschheit sieht, wie herrlich das Leben ist. Die großartigste Musik, die je gehört wurde, kann diese Glorie und Macht des Göttlichen in uns und im Universum nicht zum Ausdruck bringen. Dennoch können wir Hinweise darauf in unserem eigenen Leiden, unserem Sehnen, unseren Idealen und Opfern finden, und Mut fassen, um weiterzumachen. Und wenn wir die Runde unserer Erfahrungen durchlaufen haben, werden wir in unserer Enttäuschung, unserer Unrast und Einsamkeit zu der großen Wirklichkeit zurückkehren und uns vor der inneren Göttlichkeit verbeugen. Sie verbleibt im Menschen, auch dann, wenn der Mensch sie am meisten ignoriert, obwohl sie aus dem Leben ausgeschlossen und nur hier und da ein Schimmer von ihr erhascht wurde, und obwohl die vom Gehirnverstand auferlegten Begrenzungen ihr Licht gänzlich verdunkeln.

Wenn ein Mensch von dem Pfade abweicht und irrt, kann er in der Ökonomie der Natur nicht verlorengehen: niemand ist so weit von dem Glanz der Wahrheit entfernt, daß er nicht morgen umkehren kann und sie in sich entdeckt. Er kann über all die Hindernisse im Leben hinauswachsen und auf sie hinunterschauen und sie überwinden, denn wir sind dieses gewisse Etwas mehr als wir zu sein scheinen – die höchsten Ausdrucksmöglichkeiten des Lebens, die wir kennen.

Die verborgene Wahrheit über uns ist, daß wir unsere Nächsten wirklich lieben wie uns selbst, obwohl wir den Weg nicht gefunden haben, um die Liebe auszudrücken, von der wir nicht einmal wissen, daß sie existiert. Aber sie ist da: Die Liebe zu unseren Mitbrüdern schläft latent in unseren Herzen, mit der Göttlichkeit, die dort wacht. Obwohl wir uns dessen nicht bewußt sind, schließt gerade unsere Menschlichkeit ihre Existenz in sich ein. Sie ist in den innersten Tiefen der Natur sogar der Brutalsten und Entwurzelten: in uns und gleichermaßen in den Menschen, die wir morgen als unsere Feinde betrachten könnten, die wir töten würden und uns darüber freuen könnten, würde morgen der Krieg erklärt. Denn wo auch immer menschliches Leben existiert, versucht der Gott sich zum Ausdruck zu bringen. Er würde seine Blätter austreiben wie die Bäume; er würde blühen wie die Blumen, und seine Blüten wären Taten und Gedanken, erfüllt von Güte, Mut und Schönheit. Er möchte singen wie die Vögel singen, und sein Gesang wäre Ehre, Freundschaft und Gerechtigkeit, der durch die klare Heiterkeit unseres Lebens klingt.

Sobald der göttliche Impuls sich durch die Gedanken in unser Leben zu schieben und zu drängen beginnt, werden wir sein Licht immer heller und heller in der Welt wachsen sehen, solange, bis auch wir den Geist seiner Größe widerspiegeln und vom Glanz derjenigen umhüllt sein werden, die uns auf dem Weg vorangegangen sind.