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10 – Inneres und äußeres Karma

Wenn wir sagen, dass alles Karma ist, das Ergebnis früher in Bewegung gesetzter Ursachen, dann müssen wir unsere Perspektive menschlichen Karmas weit in die Vergangenheit ausdehnen, tatsächlich Millionen Jahre zurück, bis ins frühe Zeitalter, als der Mensch zum ersten Mal die Frucht des Wissens kostete und von da an zu lernen begann, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Es ist offensichtlich, dass wir seit jener lang zurückliegenden Zeit nicht nur für das, was wir dachten und taten, die volle Verantwortung zu tragen haben, sondern dass wir auch für die Wirkungen, welche unser Denken und Handeln zu allen Zeiten auf andere hatte, mitverantwortlich sind.

Wir können uns daher vorstellen, dass jede einzelne der Milliarden von menschlichen Seelen, welche sich während Tausenden und Abertausenden von Jahrhunderten auf dieser Erde verkörpert haben und wieder verschwanden, zahllose Anziehungen und Abstoßungen entwickelt und unzählige Ursachen in Bewegung gesetzt haben muss – Ursachen, die sich irgendwann, irgendwo und unter den richtigen Bedingungen unvermeidlich als Folgen auswirken werden. Karma ist jedoch keineswegs ein unbarmherziger Kreislauf von Säen und Ernten, ohne jede Möglichkeit, dieser Tretmühle zu entkommen. Keinesfalls. Das Leben, alles bewegt sich immer spiralförmig und nicht in einem geschlossenen Ring oder Kreis. Hier machen wir den größten Fehler, wenn wir erstmals auf die Idee von Wiedergeburt und Karma stoßen.

Wenn wir davon ausgehen, dass alles durch ein universales Gesetz regiert wird und dass der Kosmos auf Gerechtigkeit gründet, dann kann nichts zufällig geschehen; alles muss ein Ausdruck der Wirksamkeit des Gesetzes des Ausgleichs sein, des Gesetzes der Anziehung und Abstoßung, der Aktion und Reaktion. Wenn wir diesen Gedanken in all seiner logischen Konsequenz durchdenken, dann muss jeder von uns, der heute auf dieser Erde lebt, seit jenem sehr frühen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte, als wir zum erstenmal auf selbstbewusste Art den Unterschied zwischen richtig und falsch erkannten, viele hunderte Lebensspannen durchlebt haben. Ganz gewiss muss es eine ununterbrochene Folge von Rückwirkungen geben, sonst hätten wir ein verrücktes Universum ohne Sinn und Zweck; und könnte es für die ewige Seele ein besseres Mittel zu Wachstum geben als sich zu entwickeln und aus den Wirkungen ihrer vergangenen Handlungen Nutzen zu ziehen?

Wenn wir diesen Weitblick haben, ist es nicht schwierig, den mächtigen Schwung des Schicksals zu spüren, welcher die Zivilisation auf ihrem Evolutionsweg bewegt. Es muss Zeiten schrecklichen Leidens geben, weil wir irgendwann, irgendwo das Gleichgewicht durch falsches Denken und durch unrichtiges Handeln gestört haben. Wir können uns kaum vorstellen, welche Menge von Karma jede Seele – ganz zu schweigen von den Völkern und Rassen – seit Urzeiten erzeugt hat. Es besteht ein Rückstand von Karma, der mit der Zeit abgetragen werden muss.

Es gibt viel mehr Arten von Karma als nur den physischen Aspekt, der uns zeigt, dass Feuer brennt und dass wir nass werden, wenn wir bei Regen hinausgehen. Wenn Karma ein universales Gesetzt ist, dann muss es auch universal wirken – das heißt auf der göttlichen, spirituellen, mentalen, emotionalen und physischen Ebene. Das bedeutet, dass wir ein göttliches Karma haben, ein spirituelles, ein mentales und ein emotionales Karma und ebenso ein physisches. So wie wir oft vom Höheren Selbst des Menschen sprechen und von seiner gewöhnlichen Persönlichkeit, können wir genauso sagen, dass es ein inneres Karma gibt, das zu seinem Höheren Selbst gehört, zu seinem Schutzengel, der seinen Ursprung in der inneren Göttlichkeit hat, und ein äußeres Karma, das zur alltäglichen Persönlichkeit gehört.

Gelegentlich scheint uns etwas in unserem Innern in Schwierigkeiten zu bringen. In gewisser Weise geschieht genau Folgendes: Das innere Karma, jenes Karma, das aus unserem Höheren Selbst kommt, macht sich in bestimmten Augenblicken bemerkbar; wir spüren beinahe, dass wir in eine bestimmte Richtung geführt werden, vielleicht sogar auf einen schwierigen Umweg, aber das Karma, das zu unserer Persönlichkeit gehört, scheint uns in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Dadurch entsteht ein Konflikt zwischen dem Gefühl tief im Innern, dass ein bestimmter Weg befolgt werden sollte, und den entgegengesetzten Impulsen der äußeren Natur. Wie können wir diesen Zwiespalt überbrücken, damit das innere und das äußere Karma harmonisch arbeiten können?

Wir müssen unseren Blick höher hinaufrichten, ihn vom Niederen abwenden und dorthin lenken, wohin er von rechts wegen gehört. Wenn wir das tun, erkennen wir, dass unser Vater oder Schutzengel seine Impulse fortwährend in unser menschliches Selbst schickt und, wenn unser Wunsch dahin geht, so zu leben, dass das Höhere in allen unseren Handlungen und in unserem Denken die Vorherrschaft hat, dann gibt es keine unnötige Belastung. Wenn wir unter diesen inspirierenden Einflüssen jedoch intuitiv erkennen, dass ein bestimmter Weg der richtige ist, unsere Aufmerksamkeit aber zum größten Teil auf unser gewöhnliches Bewusstsein gerichtet war, kann es sein, dass wir schrecklich verwirrt werden. Dann kann es zu einem echten Konflikt zwischen dem inneren und dem äußeren Karma kommen, zu einem Konflikt, der nicht aufhört, bis wir uns endgültig entschließen, der Weisung unseres Schutzengels zu folgen, dessen Ziel es ist, aus der Dunkelheit Licht zu erschaffen, die Evolution des Niederen in das Höhere.

Anfangs denken vielleicht viele, dass Karma entweder gut oder schlecht ist. Es ist keines von beiden – es ist nur unsere Reaktion auf die Lebensumstände, die uns entweder angenehme oder unangenehme Erfahrungen bringen. In Wirklichkeit ist das gesamte Karma eine Gelegenheit. Es ist einleuchtend, dass, wenn wir viele, viele Leben gelebt haben, es für einen einzelnen Menschen unmöglich ist, die volle Last aus seiner gesamten Vergangenheit in einer einzigen Inkarnation abzutragen. Die Natur ist durch und durch gerecht und passt die Last den Schultern an – ein Gesetz, das universal und mitleidsvoll arbeitet.

Das innere Karma, das aus der Göttlichkeit im Inneren kommt und durch unser Höheres Selbst arbeitet, beeinflusst unauffällig die gesamte Konstitution. Wenn das menschliche Selbst die Berührung dieser göttlichen Eingebungen spürt, tut man gut daran darauf zu achten und das äußere Karma so gut wie möglich mit dem inneren Karma in Einklang zu bringen. Wenn wir versuchen, unsere Persönlichkeit von dem strahlenden Glanz von oben zu isolieren, dann kommt es zu Spannungen und Konflikten.

Das Leben ist nicht immer eine einfache, gerade Linie der Pflicht – manchmal werden wir einigen schwierigen Entscheidungen gegenübergestellt, aber wenn wir zur Seite treten und sie aus der höheren Perspektive betrachten, können wir sicher sein, dass unser Höheres Selbst uns in Zeiten echter Not nie im Stich lassen wird. Wir sollten für die gütigen Impulse dankbar sein, die uns in neue Lebenslagen führen. Wenn das innere Karma mit dem äußeren in Konflikt zu kommen scheint, können wir das als ein Zeichen des Fortschritts betrachten, als ein Zeichen dafür, dass es für das persönliche Selbst notwendig ist, die Dinge von einem höheren Ausgangspunkt aus zu sehen. Das ist der Grund, warum wir die praktische Wichtigkeit betont haben sich zu bemühen, die tägliche Schrift unseres Lebens zu lesen, weil unser Höheres Selbst in Verbindung mit den natürlichen Angelegenheiten des täglichen Lebens versucht, uns auf Wege der Erfahrung zu führen, auf welchen die Seele an Stärke und Verständnis wachsen kann.

Wir haben die Verantwortung zu erkennen, dass jedes Karma eine Gelegenheit ist. Ich wiederhole es nochmals, weil es der wichtigste Schlüssel ist, um dem Leben ohne Verzweiflung entgegenzutreten, ganz gleich wie die Verhältnisse oder Situationen sein mögen. Die sogenannten angenehmen Situationen können sogar eine noch größere Herausforderung darstellen als die schwierigen: weise damit umzugehen, sie nicht nur als Belohnung für Gutes in der Vergangenheit zu betrachten, sondern vielmehr als ein Mittel, unseren Segen mit allen zu teilen. Ich spreche hier natürlich von spirituellen Werten.

Die unangenehmen Bedingungen stellen an sich schon eine große Gelegenheit dar, weil oft die schwierigsten Erfahrungen, die zuerst wie sehr bitteres Gift erschienen, sich am Ende als das „Wasser des Lebens“ erweisen. Das ist so, weil unser Schutzengel sieht, dass wir für seine Anweisungen zunehmend sensitiver werden. Er beginnt, uns stärker zu bedrängen und in Prüfungsperioden „zu treiben“. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass Leid und Mühsal, wenn wir ihnen mutig entgegentreten, uns nicht mehr erdrücken, weil unsere tapfere Haltung es dem inneren und dem äußeren Karma erlaubt, harmonisch zusammenzuwirken. Einfacher ausgedrückt, wir müssen lernen allen Umstände, die aus unserem Karma – aus uns selbst – fließen, zu begegnen und weise damit umzugehen, ohne an uns selbst zu denken.

Alles ist Karma, inneres und äußeres, höheres und niederes, spirituelles und physisches. Der Herr des inneren Karmas ist die Göttlichkeit im Innern, die im Kern unseres Wesens wohnt. Der Herr des äußeren Karmas ist Ihre und meine menschliche Persönlichkeit. Alles ist Bewusstsein; und unsere ganze Aufgabe, das Niedere durch das Höhere emporzuheben, besteht darin, selbstbewusst das unedle Metall unseres gewöhnlichen Bewusstseins in das Gold der inneren Göttlichkeit umzuwandeln.

Die karmischen Fäden sind fein gesponnen, und nicht einer geht in dem größeren Muster unserer Evolution verloren. Daher kann es letzten Endes nichts anderes geben als Gerechtigkeit; was nur die Herstellung des Gleichgewichts von Aktion und Reaktion, von Ursache und Wirkung, von Säen und Ernten ist. Warum, glauben Sie, haben alle großen Religionen und Philosophien diese eine Lehre betont: die Waagschalen des Schicksals ins Gleichgewicht zu bringen? Benutzten nicht die alten Griechen die Waage als Symbol der universalen Gerechtigkeit, der Ordnung und des Ausgleichs? – ein Symbol, das wir im Westen getreulich bewahrt haben. Betonten die Ägypter nicht auch diese Wahrheit in ihrer dramatischen Szene vom Totengericht, wie es in ihren Papyri und Tempeln dargestellt wird, das „Wiegen des Herzens gegen die Feder der Wahrheit“?

Alles in der Natur strebt zur Harmonie, es möchte vom Geringeren zum Größeren wachsen. Warum also sollte der Mensch eine Ausnahme bilden? Wenn Gerechtigkeit in den physischen Bereichen herrscht, warum nicht auch in den moralischen und spirituellen Regionen der Erfahrung?