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Zwischen den Herzen...

Wie sonderbar ist es doch, daß gerade wir Menschen, als eine Spezies, die sich auf halbem Wege zwischen den Atomen, die unsere Körper bilden, und den Sternen, von denen wir abstammen, befindet, die unbrüderlichsten Kinder der Natur sind. Das ist umso befremdlicher, weil wir doch im Laufe unserer Evolution als Monaden oder Gottesessenzen durch jedes niedrigere Naturreich hindurchgegangen sein müssen. Wir sollten daher eher fürsorgliche Gefühle für diese Reiche empfinden, ja sogar Dankbarkeit, weil wir von ihnen als Umwelt während unseres langen Reifeprozesses Gebrauch machen. Selbstverständlich haben wir großartige Eigenschaften: wie Heroismus, Selbstaufopferung und Liebe. Dennoch scheint das starke Verlangen, andere zu beherrschen und zu kontrollieren - sogar die Erde, unsere Mutter und geduldige Freundin - schwer auszulöschen zu sein.

Als ich über die Unvernunft des Menschen, über seine unzähligen Widersprüchlichkeiten nachdachte, fiel mir ein Satz ein, den ich kürzlich gelesen habe: "Jedes Atom und Molekül im Universum ist sowohl lebenspendend als auch todbringend ..." Das ist, dachte ich, ein Schlüssel für die polare Gegensätzlichkeit, für die überall und ganz besonders im menschlichen Wesen zu beobachtende Dualität. Das half mir auch, über die komplizierten Schicksalsverflechtungen nachzudenken, und die Einflüsse und die Verantwortlichkeiten, die selbst ein einzelnes Atom auf und für jedes andere Atom im Kosmos hat. Um wenigstens ein klein wenig von dem ständigen Auf und Ab der Lebenskräfte in ihren verschiedenen Erscheinungsformen zu begreifen, sollte man den Satz in seinem Zusammenhang lesen:

Jedes Teilchen - ob man es organisch oder anorganisch nennt - ist ein Leben. Jedes Atom und jedes Molekül im Universum ist sowohl lebenspendend wie auch todbringend für die betreffende Form, insoweit es durch Anhäufungen die Universen und die vergänglichen Körper bildet, die in der Lage sind, die wandernde Seele aufzunehmen, und insoweit es ewig die Formen zerstört und verändert und jene Seelen aus ihren zeitweiligen Wohnstätten vertreibt. Es erschafft und tötet; es ist selbsterzeugend und selbstzerstörend; es bringt jenes Geheimnis der Geheimnisse - den lebendigen Körper des Menschen, des Tieres oder der Pflanze in jeder Sekunde in Zeit und Raum ins Dasein und vernichtet ihn - und es erzeugt gleicherweise Leben und Tod, Schönheit und Häßlichkeit, Gutes und Böses, und selbst die angenehmen und unangenehmen, die wohltätigen und bösartigen Empfindungen. Es ist dieses geheimnisvolle LEBEN, das kollektiv durch zahllose Myriaden von Lebewesen repräsentiert wird. ...

- H. P. Blavatsky, The Secret Doctrine, I., 261 / Die Geheimlehre, I, 281

Wohin wir auch in der Natur blicken, überall erkennen wir das gleiche Ausströmen und Zurückfließen, die gleiche rhythmische Expansion und Kontraktion: Hinter und in dem äußerlich Wahrnehmbaren befindet sich die angeborene Kraft, der unsichtbare X-Faktor des Bewußtseins, der ewig aufbaut und ewig zerstört, der zur Tätigkeit führt und eine Form nach der anderen beiseite wirft. Auf diese Weise erfüllt das "geheimnisvolle LEBEN" seine Doppelrolle, indem es einerseits die "zahllosen Myriaden" der geringeren Wesenheiten zu einem volleren Bewußtsein anfeuert, während andererseits der innere Gottesfunke seine Erfahrung erweitert, bis er schließlich den Zustand der Göttlichkeit erreicht. Das Potential des Brahman ist wahrlich in jedem Punkt des Lebens enthalten.

Der Zyklus von Tod und Geburt ist in unserem physischen Körper leicht zu erkennen. Wenn zum Beispiel die destruktiven Energien auf Kosten der konstruktiven Energien die Oberhand gewinnen, entsteht daraus eine Abnützungskrankheit; und umgekehrt, wenn die Aufbaukräfte überwiegen und größer sind als es ihrem rechtmäßigen Anteil entspricht, dann entstehen gutartige und bösartige Tumore. Noch besser läßt sich die Analogie auf unser persönliches Leben anwenden. Durch unsere Gedanken und Gefühle sind wir entweder Schöpfer oder Zerstörer. Das ist unvermeidlich, weil die innere Gesundheit abhängig ist von dem exakten Gleichgewicht zwischen dem Impuls, das Überholte abzulegen, und dem Impuls, das was für den Fortschritt wesentlich ist zu regenerieren, zu erneuern - sowohl im persönlichen Charakter als auch in unseren Verbindungen mit anderen.

Wir müssen uns aber davor hüten, unbewußt Zerstörer der Seelenkraft zu werden, anstatt nur Zerstörer der Vehikel, die verbraucht sind. Wenn wir nicht vergeben können und Groll und Ressentiment Raum geben, dann sind wir mit Tödlichem verbunden und verlangsamen dadurch die Umwandlung der negativen Elemente in lebenaufbauende Energien. Umgekehrt, wenn wir uns vom Kleinlichen und Begrenzenden befreien können, sind wir Schöpfer, Lebenspender - für uns selbst und für unsere Mitmenschen, denn es gibt kein Leben, das auf sich allein beschränkt ist. Gedanken und Gefühle jeder Art zirkulieren sehr schnell durch die innere Atmosphäre der Erde, und kehren auf gleiche Weise zum einzelnen Menschen und zu den Völkern und Rassen zurück, die sie ausgesandt haben, wobei sie unzählige Menschen beeinflussen, ins Verderben stürzen oder aufrichten, die für die gleiche Wellenlänge empfänglich sind.

Es ist eine Binsenwahrheit, daß sich zumindest neunzig Prozent unserer internationalen Probleme von selbst lösen würden, wenn jeder Mensch sich zuerst mit seinen eigenen Problemen beschäftigen würde. Es ist verhältnismäßig einfach, die Ursachen der weltweiten Spannungen auf egoistische Motivierungen zurückzuführen, auf Machtgier, Habsucht und Brutalität - Charakterzüge, die in ihrer Anhäufung so ungeheuerlich sind, daß die meisten von uns glauben, wir selbst seien fast frei davon. Wenn wir jedoch unsere eigenen Charaktermängel genauer betrachten, dann erkennen wir, daß selbst da, wo hohe und echte geistige Bestrebungen vorhanden sind, sich immer noch dunkle Ecken in unserem Wesen befinden.

Das Leben, der große Gleichmacher und Lehrer, bringt glücklicherweise für jeden genau die Verbindungen mit Personen und Ereignissen, die unsere Sympathien vertiefen und uns begreifen lassen, wie notwendig es ist, jeden Augenblick bewußt mehr lebenspendend als todbringend zu sein, Herzenswärme zu geben und verständnisvoller zu sein, anstatt zu mißtrauen. Sobald wir die Kunst erlernt haben, näher beim Zentrum des Lebens zu leben, mehr im Herzen unseres Wesens, wo Liebe und Weisheit sich befinden, wie verschieden das Temperament und die geistige Einstellung auch sein mögen, werden wir in unserem Bruder uns selbst erkennen. Es wird nur wenige Probleme geben, die nicht durch Geduld und Verständnis gelöst werden können, denn "zwischen den Herzen sind Wege".