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Das göttliche Ziel

"Stöhne nicht im Innern Deines Wesens!" Akzeptiere den Kosmos. Wolle freudig, was Gott will, und mache das Göttliche Ziel zu Deinem eigenen.

- Gilbert Murray

 

 

 

Wieder einmal blicken wir bei der Herausgabe eines neuen SUNRISE-Heftes in zwei Richtungen, wie der doppelköpfige Janus: rückwärts, indem wir über die Jahre nachdenken seit die Zeitschrift im Jahre 1951 zum ersten Mal erschienen ist, und vorwärts, in eine Zukunft mit unbekannten Möglichkeiten. Am Anfang hatten wir grundsätzliche Ziele: Wir wollten die Wahrheit suchen, wo immer sie gefunden werden konnte, mit Hilfe und geleitet durch die theosophischen Erkenntnisse aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Außerdem wollten wir die Früchte unseres Bemühens in einfacher und klarer Sprache weitergeben, in der Hoffnung, dadurch den Gedanken der Brüderlichkeit in allen Nationen und Rassen zu fördern. Heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, bleiben unsere Ziele dieselben, mit einem Unterschied: da das menschliche Denken für jeden Fortschritt viel aufgeschlossener geworden ist, müssen wir unseren Darstellungen eine tiefere und breitere Basis geben, damit diese großartigen, spirituellen Ideale leichter verständlich werden und daher den Bedürfnissen besser entsprechen.

Salomon sprach die Wahrheit, als er sagte: "Wo es an Einsicht fehlt, gehen die Völker zugrunde." Ist es ein Zufall, daß Buddhas erstes edles Gebot "rechter Glaube" ist, das heißt, rechte Auffassungen, gefolgt von "rechtem Denken", "rechter Rede" und "rechtem Handeln"? Diese planmäßige Reihenfolge scheint mir bedeutsam zu sein. Gewiß sollten wir zuerst danach streben, Klarheit über unsere Einsicht zu erhalten, denn was wir tief im Inneren empfinden, beeinflußt die Art unseres Denkens und letztlich unsere Worte und Taten. Doch wie können wir zu "rechtem Glauben" kommen, zu Anschauungen, die dem Ziel der Natur entsprechen und uns befähigen, unser eigenes Leben und das unserer Mitmenschen von einer höheren Warte aus zu betrachten?

Das Leben spielt sich nicht in einem Vakuum ab, und es ist unsinnig, sich vorzustellen, daß wir der Zukunft entgegengehen und nichts mit der Vergangenheit zu tun haben. Die Erfahrung der Zeitalter lebt und atmet in jedem Teil unseres Wesens und beeinflußt in jedem Augenblick unsere Gedanken und Intuition, während die Gegenwart jederzeit uns gehört, und wir diese nach unserem Willen formen können. Was wir jetzt sind, haben wir vor Zeitaltern erarbeitet; was wir sein werden, wird jetzt als Grundlage von uns selbst geschaffen. Das ist eine so einfache Vorstellung, daß sie jedem einleuchten könnte, und dennoch haben wir in unserer westlichen Kultur erst innerhalb des letzten Jahrhunderts oder der letzten zwei Jahrhunderte angefangen zu erkennen, wie begrenzt der Glaube an nur ein Leben ist, ohne Gelegenheit, die Ernte einzubringen, die wir ausgesät haben. Die erweiterte Vorstellung von mehreren aufeinanderfolgenden Leben auf dieser Erde vermittelt den Menschen eine völlig andere Einstellung, die zu einem schöpferischen und zielbewußten Leben anspornt und zu einer Zukunft mit unbegrenzten Möglichkeiten führt. Natürlich gewährleistet der bloße Glaube an die Wiedergeburt der Seele und an Karma - Ursache und Wirkung - nicht eine Besserung des Charakters, obwohl es eine logische, auf den gesunden Menschenverstand bezogene Philosophie ist. Tatsache ist nur, daß diese Gedanken, wenn sie erst einmal in uns eingedrungen sind, sich wie eine im Stillen vollziehende Alchimie auswirken, so daß sogar gewöhnliche Ereignisse im täglichen Leben in einem anderen Licht gesehen werden.

Es liegt Würde darin, dem Leben so entgegenzutreten, wie es auf uns zukommt, wobei sowohl Leid als auch Freude akzeptiert werden, überzeugt von der Erkenntnis, daß dem Innersten unseres Wesens derselbe ewige Plan, derselbe Logos zugrunde liegt, der Sterne und Gras, Berge und Meere, jedes nach seiner Art entstehen läßt. Um die Menschheit aufzurütteln, damit sie sich ihrer eigenen Göttlichkeit bewußt wird, hat H. P. Blavatsky erneut die grundlegenden Wahrheiten weitergegeben, die das wahre Herz unserer Welt sind. Die Zeit hat dieses Erbe nicht völlig ausgelöscht. Wir können einen goldenen Faden der archaischen Weisheitslehre erkennen, der um die ganze Erde geht und ein Zeugnis für die Echtheit der Mythen und Erzählungen ablegt, die von allen Völkern gesammelt wurden. Alle berichten von einem wundersamen Ereignis am Beginn der Zeit, als die Götter eingriffen, ein Ereignis, das den zukünftigen Lauf der menschlichen Geschichte radikal veränderte.

Vor unendlich langen Zeiten, so wird uns erzählt, mischten sich gottähnliche Wesen aus einem tiefen Gefühl der Liebe für die Menschen unter uns, um die latenten Feuer unserer Intelligenz anzufachen. Von da an waren wir - denn wir waren diese frühen Menschen - vernunftbegabte denkende Wesen und konnten frei wählen. Wir mußten nicht länger damit zufrieden sein, daß wir nicht wußten, was wir werden konnten; in einem Paradies lebend, in dem kein bewußtes Wachstum möglich war. Diese "Lichtträger" und "Söhne des Gemüts" wurden personifiziert als gefallene Engel, Luzifer, Prometheus, Mânasaputras. Sie waren tatsächlich diejenigen, die der Menschheit die Fähigkeiten verliehen, sich ihrer selbst bewußt zu werden und zu erkennen, daß jeder Schritt nach vorwärts in der spirituellen Entwicklung durch eigene Anstrengung verdient werden muß. Sie waren praktisch tätig und weise: Sie vermittelten der jugendlichen Rasse die Kenntnisse vom Ackerbau und über die Verarbeitung von Metallen, unterrichteten sie aber auch in den Künsten, um ihr Leben mit schönen Dingen bereichern zu können. Gleichzeitig gaben sie auch Richtlinien für moralische und körperliche Hygiene. Auf diese Weise brachten die Götter die Menschen auf den Weg zur Selbstentdeckung und Selbstbemeisterung.

Das besagen die alten Legenden, die nur zu wahr sind; aber wo können wir die Trennungslinie zwischen Überlieferung und Historie ziehen, besonders wenn wir eine Geschichte in verschiedenen Darstellungen erzählt und wiedererzählt finden, teils in verfeinerten Kulturen, teils mündlich überliefert, bei Völkern, die geographisch weit voneinander entfernt sind. Der Glaube, daß die Götter den Menschen nahe sind, wird noch von denjenigen bewahrt, die eng mit der Natur verbunden leben und sich ihrem Erbe noch nicht entfremdet haben. Das sollte uns zu denken geben; denn kommt nicht gerade unser eigener seelisch und geistig kränklicher Zustand größtenteils aus dieser Entfremdung von unserem göttlichen Geburtsrecht?

Kann jedoch ein Ereignis, das in so fernen Zeiten stattgefunden hatte, heute noch für uns wichtig sein? Genau das behaupten wir. Wenn wir uns vorstellen, daß wir in jenen längst vergangenen Zeiten aktiv beteiligt waren, so müssen wir daraus schließen, daß unser jetziger Charakter und die heutigen Lebensumstände das direkte Ergebnis unserer eigenen Gedanken und Motivierungen während der langen, dazwischenliegenden Zyklen sind. Durch wieviele Erdenleben sind wir wohl seit Beginn unserer bewußten menschlichen Erfahrung gegangen? Genau läßt sich das nicht sagen, aber wir können sicher sein, daß wir während Tausenden von Leben hier auf dieser Erde gesät und geerntet haben, daß wir gelernt und uns entwickelt haben. Sorge und Glück haben wir erlebt, uns in dieser oder jener Zivilisation, manchmal als Mann, manchmal als Frau verkörpert und zum Ruhm und zum Abstieg mancher Nationen und Rassen, die jetzt verschwunden sind, beigetragen.

Wir hoffen, in unserer Zeitschrift SUNRISE diese und andere Themen, die jetzt für den modernen Suchenden wieder in den Vordergrund getreten sind, weiterhin zu behandeln, denn wir glauben, daß diese Themen nicht nur wegen ihres inneren Wertes zeitgemäß sind, sondern sie vermitteln auch für die bedrückenden Heimsuchungen des menschlichen Daseins einen verständlichen Hintergrund. Diese alten Grundsätze erleuchteten Denkens und Handelns haben Generationen von Weisen erprobt und als wirksam gefunden, und inspirierte Lehrer haben ihnen immer wieder neue Impulse gegeben. - Gibt es in irgendeinem Teil der Welt ein Volk, das nicht seinen Erlöser oder Messias hat, der Zeuge ist für unsere innige Verbindung mit dem Göttlichen, wobei sein Leben und seine Botschaft zeigen, was wir eines Tages selbst erreichen können?

Wer vergleichende Religionsgeschichte und Mythologie studiert, erfährt in seinem Bewußtsein einen Gärungsprozeß, ganz gleich, ob er ihn völlig wahrnimmt oder nicht, und dieser Prozeß hinterläßt wiederum einen Eindruck auf das Denken der ganzen Welt. Doch bei dem Durcheinander von "Universalheilmitteln" und "neuer" Erkenntnis, das gleichzeitig aus vielen Richtungen auf uns einströmt, müssen wir uns vor allem von innen heraus neu orientieren, wenn wir mit größerer Sicherheit erkennen wollen, was unser innerstes Selbst lebendig hält. Das ist besonders entscheidend, da die Rasse als Ganzes für psychische Einflüsse empfindsamer wird, was Möglichkeiten in sich birgt, die von großem Nutzen sein können, sich aber auch entgegengesetzt auswirken können. Jeder von uns besitzt in seinem Inneren einen unfehlbaren Prüfstein, mit dem er feststellen kann, was wirklich von Altruismus geleitet wird und was zur selbstsüchtigen und besitzgierigen Natur des Menschen gehört. Man muß jedoch ständig danach streben, Weisheit zu erlangen, um alles richtig zu erkennen.

Wir wollen also vertrauensvoll in die Zukunft blicken, und wenn der Druck von außen größer zu sein scheint als wir ertragen können, dann wollen wir uns daran erinnern, daß wir im Inneren unseres Wesens eins sind mit jenen feurigen Intelligenzen, die mit uns das Wunder vollbrachten, unser Selbst zu erwecken. Wenn wir das Göttliche Ziel zu unserem eigenen machen und mit dem Rhythmus der Natur harmonisch zusammenarbeiten, dann werden wir erkennen, daß Freude und Schmerz, Wachstum und Niedergang, Geburt und Tod Dinge sind, die die Seele zu ihrer Reife braucht.