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Januar 1977…

Überall in der Natur sehen wir, daß nach unten ziehende Kräfte am Werk sind; Gegenstände fallen auf die Erde, das Wasser fließt vom Berg zum Meer. Wie bemerkenswert ist es doch, stellte Lukrez fest, "daß das Getreide und die Bäume durch diese Kräfte nicht davon zurückgehalten werden, mit einem Drang nach oben hervorzukommen, nach oben zu wachsen und größer zu werden."1 Das Spiel der Kontraste, die Spannung zwischen den Gegensätzen ist tatsächlich immer vorhanden. Es sieht so aus, als sei diese Bipolarität wesentlich, um die verborgenen Möglichkeiten jedes Lebensteilchens hervorzubringen, als müßte das emporschießende Bewußtsein seine Kraft des Überlebens beweisen, indem es die Trägheit und Schwerkraft der Materie überwindet.

Das ist für uns in der Finsternis unseres Eisernen Zeitalters von Bedeutung, in welchem die destruktiven Strömungen die konstruktiven Anstrengungen des Geistes ständig zu gefährden scheinen. Es ist jedoch nicht nur möglich, dem Gravitationszug der Materie zu widerstehen, es kann dadurch vielmehr, wenn man beharrlich ist, eine Dynamik erzeugt werden, die einen mächtigen Auftrieb zum Guten hervorbringt. Um aber den zum Materiellen neigenden Kräften erfolgreich entgegenarbeiten zu können, müssen wir, jeder einzelne von uns, in unseren Charakter geduldig jene Eigenschaften einfügen, die von den Römern zwar bewundert, aber von viel zu wenigen befolgt wurden: honestum und decorum, dignitas und gratitudo. Die lateinischen Worte sind bekannt - Ehre und Lauterkeit, verschönt durch einen intuitiven Sinn für die Zweckmäßigkeit der Dinge; Wert und Würde als natürliches Ergebnis einer ernsten und ehrfürchtigen Dankbarkeit gegenüber den Göttern.

War es nicht Cicero, der sagte, daß in unwürdiger Weise zu handeln ein Vergehen gegen die Götter sei, denn sie haben uns hier sozusagen unsere Pflichten auferlegt, und ihnen schulden wir Treue? Wenn es auch vom Realismus des 20. Jahrhunderts total entfernt zu sein scheint, so sollten wir doch daran denken, daß zu der Zeit, als die Menschheit als Rasse gesehen in ihrer Kindheit stand, uralte Bande mit den göttlichen Lehrern geschmiedet wurden, die aus mitleidvoller Anteilnahme an unserem Wohlergehen ihr Schicksal mit dem unseren verknüpften. Wir sind wirklich mit ihnen ganz eng verbunden, aber nicht nur mit ihnen, sondern gleicherweise mit jedem Lebewesen in dem gewaltigen Kosmos, in dem wir eine notwendige Rolle spielen. Es ist gesagt worden, daß das ganze Universum in nichts zerfiele, wenn der Lebensfunke eines einzigen Teilchens innerhalb eines Atoms vernichtet würde. Und warum? Weil die völlige Unwirksammachung, die Auslöschung eines Bewußtseinspunktes, der Göttlichkeit, des Lebens, einen Teil der Unendlichkeit auslöschen würde, und das ist ganz offensichtlich eine Unmöglichkeit.

Der Gedanke lenkt den Geist, er ist aber von praktischem Wert für uns, denn in unserem tiefsten erkennenden Selbst können wir seine Tragweite für unser Leben fühlen. Die Natur ist in Wahrheit ein Organismus, ein sich entwickelndes Wesen mit Ranken der Wahrnehmung und Einflußkraft, die nach außen und nach innen in geheimnisvolle Tiefen reichen: nach außen über die Grenzen der entferntesten Galaxien hinaus, nach innen in den unsichtbaren Kern des Atoms und ebenso in das unergründliche menschliche Herz. Die Tatsache, daß unsere Sonne bei ihrem Umlauf um ihren eigenen zentralen Brennpunkt unsere Erde und ihre Bewohner mit sich führt, bedeutet, daß auch wir uns ständig in neue Gebiete äußerer und innerer Räume hineinwagen. In jedem Augenblick des Tages bieten sich neue karmische Gelegenheiten für uns als Privatpersonen, als Menschheit und als Bewohner des Planeten - auch unsere Erde ist eine unabhängige Wesenheit, die innerhalb des größeren Schicksals der Sonne ihr einzigartiges Schicksal erfüllen muß.

Kurz, wir Menschen machen unsere Lebenserfahrung, umgeben von der Aura leuchtender Gottheiten - solarer und galaktischer Götter, denen unser individueller Elternstern Gefährte und Freund ist. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die alten Völker Dankeshymnen an ihren Sonnengott richteten. Heute nennen wir sie in unserer Torheit Sonnenanbeter und spotten über ihre Unwissenheit. Wer aber ist der Unwissendere: Diejenigen, die wie wir in einem Meer der Verwirrung zappeln und nur wenig über uns und das großartige Ziel des menschlichen Daseins wissen, oder diejenigen, die in Dankbarkeit und Liebe Vater Sonne huldigen, der der Mutter Erde und ihren Kindern geistiges und physisches Leben gibt? Sicherlich ist es nicht weit hergeholt zu glauben, daß eine ehrerbietige Einstellung der Seele bei Sonnenaufgang oder bei ihrem Untergang eine erhebende Wirkung auf den Menschen, auf die Menschheit als Ganzes und auch auf unseren Erdball hat.

Unsere Schicksale sind miteinander verwoben und zwar so sehr, daß kein Gedanke oder Wunsch, keine höhere Bestrebung oder böse Absicht die Grenzen unseres Wesens passieren können, ohne daß sie sich nicht sofort der einen oder anderen Schicht der astralen Substanz, die unsere Erde umgibt und durchdringt, einprägen würden. Diese astrale Substanz wird oft "die Bildergalerie der Ewigkeit" genannt. Sie dient als Empfänger und auch als Übermittler der Scharen von Gedankenimpulsen, die beständig zwischen der Menschheit und ihr kursieren. Gerade wegen dieser Zirkulation sind wir alle den negativen Einflüssen der niedrigsten Schichten des Astrallichts ebenso unterworfen, wie den erhabenen Einflüssen seiner höchsten Bereiche, aus denen manchmal herrliche und wundervolle Inspirationen die Seele mit Licht umsäumen.

"Habe Vertrauen - und verfolge das unbekannte Ziel" - dieses einfache Glaubensbekenntnis kommt uns vor allem in den Sinn, wenn die magische Stille der Sonnenwende dem Neuen Jahr Platz macht. Habe Vertrauen - nicht blinden, unvernünftigen Glauben, der unfruchtbar ist, sondern Vertrauen, jenes unerschütterliche Vertrauen in die Unbesiegbarkeit des menschlichen Geistes und der ewigen Werte. Das Ziel ist unbekannt und wird es immer sein, denn die Horizonte der menschlichen Pilgerfahrt sind ohne Ende. Wir erwarten keine sofortige Rückkehr ins Goldene Zeitalter, womit alle unsere Sorgen beendet wären. Die Auseinandersetzung zwischen den lichten und den finsteren Elementen ist uralt und wird sich noch weit in die Zukunft fortsetzen. Aber wir haben Vertrauen in die essentielle Rechtschaffenheit des Menschen und in den sich daraus ergebenden Sieg des Lichtes. Aus den Zeichen eines neuen Erwachens überall um uns schöpfen wir Mut. In der Stille zeigt sich bereits eine sich vertiefende Wahrnehmung, eine Erhebung der Seele, die die Befolgung der alten Tugenden in unserem täglichen Leben erahnen läßt.

Was können wir besseres anbieten, als daß jeder von uns, dort wo er steht, beginnt und sich in der Stille seiner tiefschürfendsten Augenblicke dazu verpflichtet, das zu leben, was wir glauben.

Fußnoten

1. The Nature of the Universe, Bd. II, S. 65. [back]