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Von Schwänen zu Prinzen

Darwin neu betrachtet

 

Ein altes Märchen berichtet von einer Prinzessin, die sieben Schwäne betreute. Sie waren nicht wirkliche Schwäne, sondern ihre Brüder, die unter dem Zauber eines bösen Magiers standen. Im Zusammenhang mit dieser Geschichte gibt es ohne Zweifel viele Einzelheiten, die für jeden, der sorgfältig danach sucht, reich an symbolischer Bedeutung sind. Das Bedeutsame für diesen Artikel ist jedoch, daß der Zauber schließlich gebrochen wurde und die sieben Brüder wieder menschliche Gestalt annahmen.

Daraus ist zu entnehmen, daß Menschen in Schwäne verwandelt und dann wieder in Menschen zurückverwandelt wurden, was aber nur möglich war, weil sie die ganze Zeit über in Wirklichkeit Menschen waren. Würde umgekehrt die doch recht beschränkte Intelligenz eines Schwans in einen menschlichen Körper transformiert, was könnte sie mit dem komplizierten mental-psychologischen Apparat anfangen, den der Mensch entfaltet hat, um seine mehr entwickelten inneren Eigenschaften und Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen?

Der Grund für diese etwas abwegige Einführung ist, den Gedanken zu erläutern, nach dem in allen Reichen der Natur die Lebensformen zahlreiche Umwandlungen erfahren, daß aber die innere Wesenheit, während sie ihre eingeborenen Möglichkeiten entfaltet, immer ihr eigenes, wirkliches Selbst bleibt. Dieses Selbst ist in Wirklichkeit das in den heutigen wissenschaftlichen Lehrbüchern vergessene Element. Irgendwie kam es dazu, daß man das Bewußtsein als eine Art Nebenprodukt der Materie betrachtete. Für die physischen Transformationen, die durch biologische Mutation, Anpassung an die Umgebung und andere stoffliche Faktoren hervorgerufen werden, die sich leichter untersuchen lassen und daher in der Forschung stärker betont werden, spielte das Bewußtsein eine untergeordnete Rolle. Deshalb wurde mehr Nachdruck auf die Forschung gelegt.

Der Nachteil dieser Anschauung ist, daß sie den verschiedenartigen lebenden Geschöpfen und den Prozessen, durch welche diese sich verändern und wachsen, gerade diese Eigenschaften des intelligenten Bewußtwerdens in Abrede stellt, die uns innerlich drängen, Untersuchungen anzustellen, und die uns befähigen, sie zu verstehen. Mit der Frage des Bewußtseins müssen wir uns noch eingehend befassen: Was ist Bewußtsein? Woher kam es, und welche Rolle spielte (und spielt) es in der Evolution allen Lebens.

Seit ältester Zeit ist das Bewußtsein als die zentrale Realität des Lebens betrachtet worden. Obwohl eine solche Auffassung mit den manifestierten Formen des Daseins in Einklang gebracht werden kann, läßt sie sich mit den allgemeingültigen Theorien nicht vereinbaren, die davon ausgehen, die Evolution in Begriffen des rein Stofflichen zu erklären. Doch viele Voraussetzungen des Neo-Darwinismus sind selbst fraglich. Norman Macbeth analysiert zum Beispiel in seinem Buch Darwin Retried1 kritisch eine nach der anderen der so wohlbekannten Ideen wie: natürliche Auswahl, der Kampf ums Dasein, Überleben des Tauglichsten, erworbene Eigenschaften, Anpassung, Existenzkampf und sogar so alte Stützen wie Vererbung und Umgebung.

Mr. Macbeth ist Rechtsanwalt, kein Gelehrter, deshalb werden seine ehrlichen und eindringlichen Argumente wahrscheinlich auf taube Ohren stoßen. Da er jedoch nicht dadurch gehemmt ist, daß er sich anpassen muß und keine Sorge zu haben braucht, seinen Ruf oder seine Stellung zu gefährden, kann er frei sprechen. Wenn er auch Laie ist, so hat er doch jahrelang die Evolution auf wissenschaftliche Art studiert. Er ist, mit anderen Worten, gut unterrichtet und hat allen Grund zu erwarten, daß ihm die wissenschaftliche Gemeinschaft unvoreingenommen Antworten gibt.

Die meisten von uns machen sich nicht die Mühe, darüber nachzudenken, in welchem Maße die vorherrschenden Theorien über die Evolution die gesamte Anschauung der modernen Welt beeinflussen. Unsere Auffassung vom Menschen und seinen Zivilisationsbestrebungen wird von den Voraussetzungen beherrscht, daß die Zivilisation, wie wir sie kennen, eine neuere Entwicklung ist, und während der Mensch mehrere Millionen Jahre brauchte, um aus dem primitiven Heulen eine Sprache zu entwickeln, das Feuer zu entdecken, Tiere zu zähmen und den Boden zu pflügen, soll er alle seine anderen Fähigkeiten wie Denken, geistiges Streben, Bauen irgendwie erst in den letzten wenigen tausend Jahren erworben haben. Die Wissenschaftler stellen zum Beispiel die Erbauer des exquisiten Stonehenge so dar, als wären sie in Felle gekleidete, behaarte Wilde gewesen, die keine Metallwerkzeuge hatten - was nicht den Tatsachen entspricht (s. National Geographic, Juni 1960, S. 846-866). Sie erlauben sich so offenkundige Widersprüche, daß sie die zyklopischen Überreste des mykenischen Griechenland etwa in die Zeit um 1450 v. Chr. einreihen und ähnliche Bauwerke in Peru in die Zeit um 1450 n. Chr. legen, genau 40 Jahre vor die Ankunft der Spanier. Das Ausmaß der gigantischen Steinmetzarbeit in Peru und Bolivien würde allein Jahrhunderte zu seiner Ausführung erfordern.

Darwin Retried bietet keine neue Evolutionstheorie; es erklärt einfach die gegenwärtige Anschauung für fehlerhaft und fragmentarisch. Mr. Macbeth stellt nur die Vorurteilslosigkeit der führenden Denker auf diesem Gebiet in Frage: Warum die Abneigung, bestehende Theorien zu ändern, damit die vielen offensichtlichen Fehler berichtigt werden können? Weshalb das Zögern, über diese Dinge freimütig zu diskutieren? Wenn dem sogenannten Baum des Lebens hundert Äste fehlen, warum sucht man dann nicht nach irgendwelchen anderen Erklärungen? Das gleiche gilt in bezug auf die tausendundein echten Mysterien, von denen die Biologen, Naturwissenschaftler und Anthropologen umgeben sind. Wie jedermann weiß, soll die wissenschaftliche Methode die Theorien den Tatsachen anpassen und nicht die Tatsachen zurechtstutzen oder ignorieren, damit sie eine Theorie stützen. Macbeth sagt offen: "Der Darwinismus ist eine Religion geworden" (s. 126). Bringt man diese Feststellung mit einer Äußerung von G. G. Simpson in Verbindung, der wahrscheinlich der prominenteste Vertreter des orthodoxen Darwinismus ist, dann wird es ganz klar, warum die Wissenschaft zögert, ihre Auffassung zu ändern.

Im Interesse des wissenschaftlichen Fortschritts ist es unbedingt erforderlich, daß nichtphysische Voraussetzungen im Zusammenhang mit dem Studium der physischen Erscheinungen niemals erlaubt sind. ... der nach Erklärung suchende Forscher darf nur nach physischen Erklärungen suchen.2

Nehmen wir dieser Diskussion wegen einmal an, daß der Mensch und alle Geschöpfe essentielle Bewußtseinszentren sind, die ihre angeborenen Fähigkeiten in einem Evolutionsprozeß entfalten. Sofort können wir sehen, daß die Umgebung eine wichtige Rolle spielen würde, indem sie die Wesenheit auffordert, die Fähigkeiten und Kräfte zu entfalten, die zum Überleben notwendig sind. Wir können aber auch sehen, wie wichtig das Bewußtsein zum Überwinden von Schwierigkeiten und zum Überleben ist, auch wenn das Wesen vielleicht (physisch gesprochen) nicht das "tauglichste" ist, was manchmal der Fall ist. Wenn wir annehmen, daß es einen bewußten inneren Antrieb gibt, dann können wir uns auch leicht vorstellen, wie die physiologische Anpassung "schneller" erreicht wird oder wie Mutationen zuwege gebracht oder Vorteile daraus gezogen werden. Man muß dann nicht zu Ansammlungen kleiner Veränderungen oder zu den Launen des Zufalls Zuflucht nehmen. Bei einer solchen Theorie würden wir annehmen, daß die innere Wesenheit überleben will, was mehr ist, als die bisher schlummernden Möglichkeiten entfalten zu wollen.

Was meinen nun, so betrachtet, die Wissenschaftler wirklich, wenn sie von der Auslösung eines Impulses und einer Reaktion hierauf sprechen? Wenn keine Wesenheit vorhanden ist, was kann dann im Inneren reagieren? Ist der Mensch lediglich eine komplizierte "Organisation" aus Chemikalien und begleitender Energien? Nach dem, was gesagt wurde, ist die von Dr. Simpson geäußerte Kritik untragbar, denn sie setzt voraus, daß, auch wenn ein Bewußtseinszentrum im Innern vorhanden ist, ein solches metaphysisches Element ignoriert werden muß, da es auf die von der Wissenschaft beschriebene physische Entwicklung kaum eine oder überhaupt keine fühlbare Wirkung ausübt. Oder, wenn man dies in der Form einer Frage zum Ausdruck bringt, ist es Wissenschaftlern möglich, alle Daseinsformen lediglich nach stofflichen Begriffen einzuordnen?

Eine wertvolle Forschungsaufgabe könnte es sein festzustellen, bis zu welchem Grad das Bewußtsein von Wesenheiten ihr materielles Wohlbefinden und ihre Evolution beeinflußt. Das innere Leben des Menschen ist gewiß bis zu 90 Prozent die Ursache für sein äußeres Dasein - für seine Ziele, Sehnsüchte, Schwächen, Stärken, für seine Einsicht und sein Mitleid, aber auch für seine Unwissenheit und seinen untoleranten, blinden Eifer. Alle diese Unwägbarkeiten widerspiegeln sich in der ganzen Art und Weise des physischen Lebens - in den Zivilisationen, die er aufbaut, in den Kriegen, die er führt, in den Sitten des sozialen Lebens und in vielem mehr. Es scheint tatsächlich offensichtlich zu sein, daß die einflußreichste Umgebung für den Menschen nicht die physische Natur ist, sondern die Atmosphäre seiner eigenen Ideen. Das ist vielleicht der Grund, warum (wie auch Mr. Macbeth bemerkt) der menschliche Körper verhältnismäßig einfach ist und sich in seiner Gruppe gewiß unter den am wenigsten spezialisierten befindet. Das kommt vielleicht daher, weil das drängende Bewußtsein des Menschen nicht so sehr von der Umgebung und anderen Einflüssen gehemmt wird. Es ist frei, und anstatt seine Energien auf physische und andere Umwandlungen konzentrieren zu müssen, kann es sie auf Gefühle, Gedanken und weitere innere, unsichtbare und doch einflußreiche Gebiete lenken.

Doch wie steht es mit den Tieren und Pflanzen? Wenn das Bewußtseinszentrum oder die Monade in jedem sich entwickelnden Geschöpf vorhanden ist, wie können wir seinen oder ihren Einfluß bei den niedrigeren Arten unterscheiden? Es sollte gleich am Anfang bemerkt werden, daß die gesamte Leiter der Evolution schwierig zu erklären ist, wenn wir nicht eine Art drängende Kraft im Innern voraussetzen, die innerhalb eines Systems von Gesetzen wirkt. Die endlosen Felder des Raumes wären sicherlich im status quo verblieben, wenn nicht in jeder Einheit eine solche Kraft gewesen wäre. Ich weiß, daß viele materialistische Philosophen glauben, daß einfache Gesetze wie Anziehung und Abstoßung, chemische Affinität und thermodynamische Prinzipien genügen, um die Entstehung von Universen, Sonnensystemen, Planeten und, innerhalb dieser, das Auftauchen sogenannten Lebens zu erklären. Sie behaupten, dieses Leben sei das Resultat von materiellen Verbindungen, und diese Verbindungen vereinigten und wiederholten sich in immer komplizierteren Ausdrucksformen, aus welchen sich Gefühl und zuletzt schließlich Intelligenz entwickelten.

Selbst wenn eine solche theoretische Anschauung wahr wäre, müßten wir immer noch die Existenz der Naturgesetze erklären. Was sind sie und wie sind sie entstanden? Wir müßten auch erst begreifen, wie etwas aus nichts erzeugt werden kann, das heißt: Aus was für einem Stoff besteht der Geist, das Denken, das Bewußtsein, und wo waren diese, bevor das Universum geboren wurde? Kann der Mensch in seinem Wesen verfeinerte Substanzen und Energien besitzen, die in dem größeren Universum nicht auch vorhanden sind, aus dem er sie offensichtlich entnehmen muß?

Wenn man bedenkt, daß möglicherweise die Wissenschaftler, im ganzen gesehen, eine metaphysischere Anschauung annehmen, so ist es beschämend, daß die einzige Alternative, die allgemein bekannt ist - wenigstens im Westen -, die Schöpfungsgeschichte der strengeren christlichen Konfessionen ist. Macbeth erörtert auch diesen Punkt und stellt dabei die interessante Tatsache fest, daß die westlichen Religionen vielen grundlegenden Begriffen der wissenschaftlichen Evolution gegenüber eine viel offenere Haltung einnehmen als die Wissenschaftler der Möglichkeit gegenüber, daß es "geistige" Realitäten als Faktoren im Evolutionsprozeß geben könnte. Es waren die religiösen Führer, die gegen den heftigen Protest von einem halben Dutzend Nobelpreisträger die kalifornischen Schulen zwangen, Evolution als Theorie zu lehren und nicht als ein Gesetz. Nur weil der Darwinismus ungefähr hundert Jahre alt ist, besagt das nicht, daß er deshalb wahrer ist. Er enthält viel Wahres, wie fast jedermann einräumt, aber sicherlich nicht die ganze Wahrheit, und wir sollten bereit sein, unser Verständnis für ihn zu erweitern und zu vergrößern.

Die Hauptschwierigkeit bildet tatsächlich die christliche Alternative, die die Existenz eines allmächtigen Gottes irgendwo im Himmel annimmt, der unsere winzige Erde aus einer nichtexistierenden Substanz als Mittelpunkt des Universums schuf und seitdem den Dingen ihren Lauf ließ. Es gibt sehr viele, denen es nicht gefällt, wenn dieses Beispiel eines mittelalterlichen Anthropomorphismus weiterhin als Tatsache in den Schulen gelehrt wird.

Glücklicherweise bieten die grundlegenden Voraussetzungen der esoterischen Weisheit, die allen großen religiösen und philosophischen Systemen zugrunde liegen, ein Bild von der Geburt der Welten und von der Evolution der Lebewesen, das mit den Tatsachen der Wissenschaft und mit dem spirituellen Sehnen des Herzens übereinstimmt. Die dabei alles überragende Voraussetzung ist die potentielle Göttlichkeit aller Lebewesen, groß und klein, die mit an der ausgedehnten evolutionären Pilgerschaft beteiligt sind. Im Verlauf dieser unermeßlichen Reise tauchen sie als nicht selbstbewußte Gottesfunken auf und entfalten "zuerst durch natürlichen Impuls und dann durch selbstveranlaßte, selbstgeleitete Anstrengungen" alle Möglichkeiten dieses Gottesfunkens und werden schließlich vollkommen bewußte Götter.

Sie verwandeln sich von Schwänen zu Prinzen, aber nur, weil der Prinz die ganze Zeit über im Herzen war.

Fußnoten

1. Darwin Retried (Darwin nochmals überprüft), Dell Publishing Co., N. Y., 1971; Delta Books 1973, paper, $ 2.45. [back]

2. Tempo and Mode in Evolution, Columbia University Press, 1944, S. 76. [back]