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Jesus in neuem Licht

Mitarbeiter der "Times" für religiöse Frauen

 

 

 

Jesus, der in modernen Spekulationen als radikaler Revolutionär, erster Frauenrechtler, verheirateter Mann oder als magnetisierender Magier dargestellt wurde, erscheint nun in einer ganz anderen Auslegung - dieses Mal inspiriert durch die Entdeckung lange verlorener christlich-gnostischer Schriften.

Da gibt es zum Beispiel den "lachenden Jesus", der der Kreuzigung entging, den Jünger Petrus, der in einem Tempel sitzt, vom Erlöser die göttlichen Mysterien hört und in einer Vision sieht, wie eine Volksmenge den Herrn festnimmt. "Was sehe ich, oh Herr?" fragt Petrus. "Wer ist das da oben (am Kreuz), der fröhlich ist und lacht?" "Ist es ein anderer, dessen Hände und Füße sie schlagen?"

Der Erlöser antwortet Petrus: "Jener, den du da oben (am Kreuz) siehst, der fröhlich ist und lacht, ist der Lebende Jesus; aber der, in dessen Hände und Füße sie die Nägel schlagen, ist der fleischliche Teil, welcher der Stellvertreter ist ... jemand, der nach dessen Bild gemacht ist." Der Erlöser erklärt, daß sich der spirituelle Jesus von seinem fleischlichen Körper, unbemerkt von seinen Verfolgern, getrennt hat. "Er lacht, weil es ihnen an Wahrnehmung mangelt, da er weiß, daß sie blind geboren sind."

Diese Kreuzigungs-Auslegung erscheint in der Nag Hammadi Gnostic Library, einer Sammlung von dreiundfünfzig Papyrus-Abhandlungen, die erst jetzt, dreißig Jahre nach ihrer Entdeckung bei Nag Hammadi1 in Ägypten, vollständig in englischer Sprache veröffentlicht werden. Obgleich es aus den Passagen über den "lachenden Jesus" in "Die Apokalypse (Offenbarung) des Petrus" nicht hervorgeht, wird angenommen, daß die Wirkung der gnostischen Texte, die in den Jahren nach 1970 gefunden wurden, wohl einen Vergleich mit der Wirkung der Schriftrollen vom Toten Meer aus den 50er und 60er Jahren zuläßt.

Kriege im Mittleren Osten, Monopole von Gelehrten und andere unglückliche Ereignisse haben bewirkt, daß eine umfassende und beispiellose Betrachtung über eine Seite des Christentums verzögert wurde, die ungefähr im vierten Jahrhundert als ketzerisch unterdrückt worden war. Die Gnostiker waren Intellektuelle mit einer Vorliebe für das Mystische und waren überzeugt, daß sie eine besondere "Gnosis" oder Kenntnis über den Ursprung, das Schicksal und die Erlösung des Menschen besaßen.

Es wurde angenommen, daß die Papyrustexte von Nag Hammadi, die in einem Dutzend mit Ledereinband versehenen Bücher gebunden sind, um das Jahr 367 n. Chr., als der Bischof von Alexandria die Vernichtung aller ketzerischen Bücher anordnete, in einem großen irdenen Krug versteckt wurden. Obgleich die Schrift koptisch ist - eine alte ägyptische Schrift, die noch immer in der christlich-koptischen Kirche verwendet wird -, werden die Texte als Übersetzungen griechischer Originale angesehen, die einmal im Mittelmeerraum weitverbreitet waren.

Besondere Verdienste für die Veröffentlichung der Photographien von Manuskripten und Übersetzungen gebühren dem Neutestamentler James M. Robinson, der dem Institut für Altertum und Christentum der Claremont Graduate School vorsteht. Die Veröffentlichung soll bis Ende 1977 abgeschlossen sein. Einige Übersetzungen der Nag Hammadi Texte sind während der Jahre aufgetaucht, besonders das "Thomas Evangelium" um das Jahr 1959 hemm. Die meisten Kommentatoren waren damals der Meinung, daß es sich um ein gnostisch beeinflußtes Dokument handle, das nach den vier Evangelien des Neuen Testaments geschrieben wurde und daher von geringerer Bedeutung sei.

Heute wird diesem "fünften Evangelium" von einem vermögenden Franzosen, Philippe de Saurez, großer Wert beigemessen. Er behauptet, daß das "Thomas Evangelium" eine ältere und authentischere Botschaft enthalte als die anderen Evangelien und sogar Matthäus, Markus, Lukas und Johannes als Quelle diente. In der neuen Kontroverse über das Thomas-Evangelium - in Wirklichkeit eine Sammlung von 114 Aussprüchen, die von Jesus stammen sollen - wird wenig beachtet, daß einige bekannte Wissenschaftler bereits einige Stellen als authentisch angeführt und erwähnt hatten, daß sie möglicherweise eine ältere Überlieferung als die anerkannten Evangelien darstellen ...

Konservative Bibel-Gelehrte neigen dazu, den Gnostizismus als einen ketzerischen Zweig des Christentums des 2. Jahrhunderts anzusehen, und begrenzen damit die Bedeutung des Nag-Hammadi-Fundes, der darlegt, welche Abweichungen das orthodoxe Christentum zu bekämpfen hatte. Jedoch einige prominente Amerikaner und Europäer, die mit den Nag-Hammadi-Funden vertraut sind, weisen auf das Judentum des ersten Jahrhunderts oder auf dessen Ausläufer als dem Ursprung vieler gnostischer Ideen hin. Sie meinen, daß zu Beginn des zweiten Jahrhunderts der Gnostizismus mit einem anderen jüdischen Zweig, dem Christentum, konkurrierte, abwechselnd ihn beeinflußte oder sich mit ihm vereinigte.

Viele Historiker, die sich heutzutage mit dem Neuen Testament befassen, stellen das frühe Christentum theologisch viel verschiedenartiger dar, als man vorher gedacht hatte. "So etwas wie die orthodoxe Auffassung vom Tod und der Wiederauferstehung von Jesus gab es nicht", sagte James Brashler, stellvertretender Direktor des Claremont Instituts. Brashler, ein Kandidat für den Dr. phil. an der Claremont Graduate School, ist auch ein Schriftleiter beim Übersetzungs-Team der gnostischen Bibliothek.

Auf die doketische (auf Schein beruhende) Auffassung der Kreuzigung Christi - d. h. auf die Erklärungen, warum er nicht am Kreuze litt - wurde durch die ersten Kirchenväter hingewiesen. Einer von ihnen, Irenäus, dessen Schriften etwa um 177 n. Chr. entstanden, sagte, daß der Gnostiker Basilides lehrte, Jesus habe seine Kreuziger getäuscht, indem er seinen Platz mit Simon von Kyrene getauscht und dann lachend dabeigestanden habe. Bevor die Nag-Hammadi-Sammlung entdeckt wurde, gab es keine Originalfassung dieser Geschichte für die modernen Gelehrten. Der Austausch von Simon am Kreuz erscheint in "Die zweite Abhandlung des großen Seth", die bis jetzt nur in deutscher Sprache veröffentlicht worden ist. Den lachenden Jesus in der "Apokalypse von Petrus" bezieht Simon nicht mit ein, aber es gibt zahlreiche Beispiele in der gnostischen Bibliothek, die darlegen, daß die vorherrschende christlich-gnostische Ansicht die war, daß der Erlöser niemals wirklich litt.

"Nach gnostischer Anschauung war Jesus essentiell ein Lichtgeist, der in einem Körper auf Erden wanderte, doch der Körper war eine Art notwendige Verkleidung, die angelegt wurde, um der Menschheit zu predigen und sie von irdischem Morast zu erlösen", sagte Brashler in einem Interview.

Die Gnostiker glaubten, daß es einen höheren Gott gäbe als den Schöpfergott und seine Engelscharen, die kollektiv die "Archonten" (Herrscher, Regenten) genannt wurden. "Die Kreuzigung trug sich als ein kosmisches Schauspiel mit den Archonten zu, diesen üblen Wesen, die für eine schlechte Welt verantwortlich sind und die Jesus nahmen und ihn kreuzigten, während in Wirklichkeit Jesus sich von seinem Körper befreite", sagte Brashler.

Brashler meint auch, daß die gnostische Ansicht von der Kreuzigung und Auferstehung Jesu - die manchmal weniger mystisch, sondern mehr philosophisch dargelegt wurden - eine echte Alternative für den christlichen Glauben in der Frühkirche war. "Die Gnostiker verstanden sehr wohl, daß Jesus ein spirituelles Wesen war, dessen Auferstehung eine geistige Auferstehung war - nicht eine Wiederauferstehung vom Tode, sondern ein Sieg über die sterblichen Kräfte", sagte Brashler.

"Um 150-200 n. Chr. waren diese Gedanken nur wenigen bekannt; in der Mitte des dritten Jahrhunderts waren sie in die äußerste Ecke der Kirche vertrieben worden, und im vierten Jahrhundert wurden sie für ketzerisch erklärt und ausgemerzt. Wenn jetzt die Menschen des 20. Jahrhunderts eine körperliche Wiederauferstehung anzweifeln, so glauben sie, daß sie diese Frage von einem Standpunkt außerhalb der Kirche, als Ungläubige oder als Zweifler, stellen müssen", sagte er. "Im zweiten Jahrhundert war es die Kirche selbst, oder Menschen der einen oder anderen Glaubensrichtung, die genau die gleichen Fragen stellten, ohne damit ketzerisch zu sein."

Brashler meinte, er persönlich möchte keine Einwendungen gegen die orthodoxe Ansicht von der körperlichen Auferstehung machen, aber er wies darauf hin, daß der wirkliche Christ an der gnostischen Seite der frühen Kirche, die lange im Dunkel lag, interessiert sein könnte und daß der Wissenschaftler sich für die psychologische und soziologische Dynamik des Glaubens jener Zeit ebenfalls interessieren müßte.

Sogar die Gnostiker selbst konnten in ihren Auslegungen uneinig sein, und sie waren es auch. Die Abhandlung, benannt "Melchisedek", enthält einen Abschnitt, in dem die menschliche Natur von Jesus bestätigt wird. Anscheinend ist das die einzige Stelle in der Nag-Hammadi-Bibliothek mit einer derart eindeutigen Angabe. Birger Pearson von der University of California in Santa Barbara, der ebenfalls ein Schriftleiter im englischen Übersetzungs-Team ist, meint, daß eine prophetische Offenbarung vor kommenden falschen Lehrern warnt:

"(Sie) werden kommen in Seinem Namen und sie werden von Ihm sagen, daß Er ungezeugt ist, obwohl Er gezeugt worden ist ... (daß) Er nicht fleischlich ist, obwohl Er fleischlich geworden ist, (daß) Er nicht kam, um zu leiden, (obgleich) Er kam, um zu leiden, (daß) Er nicht von den Toten auferstand, (obwohl) Er sich vom Tode erhob."

 

 

Copyright, 1975, Los Angeles Times, Ausgabe 29. März 1975. Nachdruck gestattet.

Fußnoten

1. Oberägyptische Stadt am Nil oberhalb von Sohag. [back]