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Im Innern – nicht außerhalb

Aus dem Dunkel der Unendlichkeit leuchtet hin und wieder plötzlich ein Komet auf, der seinen prachtvollen Schweif hinter sich herzieht, der aus einem Konglomerat von Molekülen besteht, wovon jedes wiederum ein individueller Lebensfunke ist. Sie alle werden aber durch den beherrschenden Willen des Kometenwesens zusammengehalten, während es unsere Sonne umkreist und wieder in das Unbekannte verschwindet. Das gleiche gilt auch für die Planeten, Atome und Sonnen; alle leben eine Zeitlang an ihrem Ort ihr Leben und entschwinden dann in die Weite des Raumes, um wiederzukehren, wenn die zyklische Stunde geschlagen hat. Die Regelmäßigkeit des beständigen Wechsels ist universal; auch wir Menschen werden geboren und sterben und werden wieder geboren, unzählige Male, weil uns der todlose Funke der Unendlichkeit immer weiter- und vorwärtsdrängt.

Heute erforschen wir die entferntesten Bereiche des Weltalls, um unsere Kenntnisse zu erweitern, weil wir wissen möchten, wie das Universum entstand und welche Voraussetzungen notwendig sind, um aus 'unbelebter Substanz' Leben zu schaffen. Mit gleichem Eifer dringen wir in die Struktur des Atoms ein, die sich uns immer mehr offenbart. Aber wir haben das Geheimnis noch nicht gelöst, wie der Mensch würdevoller leben und sterben kann. Vielleicht haben wir die Antworten in der falschen Richtung gesucht. Weltlehrer kamen und gingen, Bibeln wurden geschrieben und nur wortwörtlich übernommen, und zu allen Zeiten haben Propheten sittliche Gebote erlassen. Trotzdem besteht weiterhin das Ringen um Erkenntnis.

Einer der berühmtesten und doch bescheidensten Menschen war Jakob Böhme, ein Schuhmacher, der im 16. Jh. in Alt-Seidenberg, in Deutschland, zur Welt kam und als der Erleuchtete von Görlitz, der Teutonische Theosoph und später als der Theosoph schlechthin, Berühmtheit erlangen sollte. Als Exponent einer christlichen Form der Theosophie hinterließ er auf einige der größten Geister der nachfolgenden Jahrhunderte dauernden Einfluß - teils wegen der Originalität seiner Lehren, aber vielleicht mehr noch wegen der Lauterkeit seiner Forderung, Gott im Innern anstatt außerhalb zu suchen.

Zu seinen stärksten Bewunderern zählte der Reverend William Law (1686-1761), ein anglikanischer Geistlicher, der sich erst für die Übersetzung der Schriften Böhmes ins Englische und dann für deren Veröffentlichung einsetzte.1 In Deutschland war es J. G. Gichtel, 1638 in Regensburg geboren, der Böhme erst entdeckte, nachdem er aus der Lutherischen Kirche ausgestoßen und in Amsterdam eingetroffen war. Er fand Böhmes Darlegung der "Drei Prinzipien" und der "Sieben Formen der Natur" aber so einleuchtend, daß er sich der Aufgabe unterzog, seine Werke und Briefe im deutschen Originaltext herauszubringen. Und in Frankreich finden wir auf dem Höhepunkt der Revolution in Paris, Louis Claude de Saint-Martin. Seine Theosophic Correspondence2 mit Kirchberger, Baron von Liebistorf und Ratsmitglied in Bern, Schweiz, verdankt ihre Inspiration Böhme, denn Saint-Martin betrachtete ihn als "das größte Licht, das auf der Erde erschien, seit IHM, der das Licht selbst ist."

Jakob Böhme war ein einfacher Mann; er war weder in hoher Philosophie noch in der Kompliziertheit der Theologie geschult, sondern nur ein ergebener Lutheraner, dessen Wissen hauptsächlich vom regelmäßigen Kirchenbesuch und aus der Lektüre des Neuen Testaments stammte. Als er jedoch in den "Konvent der wirklichen Diener Gottes" eingetreten war, - eine Gruppe, die von Martin Möller, dem Hauptpastor in Görlitz, gebildet worden war - wurde sein frommes Wesen zutiefst ergriffen. Neue Tore öffneten sich, als er sich in die Schriften von Meister Eckhart, Bernhard de Clairvaux, Suso, Tauler, van Ruysbroeck und der Gottesfreunde vertiefte - mittelalterliche Mystiker, die es im Dunkel ihrer Zeit gewagt hatten, das göttliche Licht in sich selbst zu suchen, anstatt auf die Offenbarung von der Kanzel oder der Bibel zu hoffen.

Für Böhme war es nicht leicht, Erleuchtung zu erlangen. Er mußte immer wieder mit den Versuchungen seiner sterblichen Natur kämpfen, und auch mit Zweifeln, wie an der Gerechtigkeit und Gnade Gottes, wo er doch so viel menschliches Elend um sich sah. Nachdem er endlich sich aller Selbstsucht entledigt hatte, beschloß er, Herz und Gemüt "uneingeschränkt" Gott zu weihen. "Ich durchbrach die Pforten der Hölle und setzte mein ganzes Leben ein ... bis schließlich mein Geist die letzten Schranken durchbrach und ich Gott gegenüberstand, wobei sich mir das wahre Wesen der Gottheit offenbarte."3

Es war, als ob "die Augen meines Geistes geöffnet würden." Aber es sollte noch Jahre dauern, bis Böhme die daraus gewonnenen Offenbarungen niederschrieb. Er berichtet über ein bemerkenswertes Erlebnis, als er "in das innerste Wesen, in das Zentrum der ... verborgenen Natur eingeführt wurde." Von da an war er durch seine Fähigkeit, alles direkt wahrzunehmen, imstande, die Zeichen Gottes in allen Dingen zu erkennen, in den Geschöpfen der Felder, in den Blättern, im wachsenden Gras, im Lebenssaft der Bäume und nicht zuletzt in seinen Mitmenschen. Das war im Jahre 1600 - dem Jahr, in dem Giordano Bruno auf dem Campo de'Fiori in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, weil er "die Wahrheit verkündet hatte", dieselbe Wahrheit, die Böhme unmittelbar kurz erfahren sollte: Daß die gesamte Schöpfung durch die Kraft der Göttlichkeit belebt wurde und im Strahlenglanz erschien.

Diese Idee war selbstverständlich seit vielen Jahrhunderten ein Hauptthema der Kabbalisten, die in ihrem Zohar oder Buch des Glanzes offen feststellten, daß genauso wie die Sterne und Planeten "verborgene Dinge und tiefe Geheimnisse bergen, so sind auch auf der menschlichen Haut, die unseren Körper umhüllt, bestimmte Zeichen und Linien vorhanden, die als Planeten und Sterne unseres Körpers anzusehen sind" (II 76 a). Böhme war jedoch nicht durch Bücherstudium, sondern durch direkte mystische Erfahrung zu dieser Einsicht gelangt. Der Mensch war für ihn sowohl microtheos als auch microcosmos - Gott und Kosmos im Kleinen.

Erst in den Jahren 1612-1613 wurde er mit dem vielgestaltigen Symbolismus, der in der Kabbala und den Abhandlungen über Alchimie enthalten ist, bekannt. Das Schicksal, Karma, oder Gottes Wille - wie wir es auch nennen wollen - "benutzt seltsame Wege, um seine Wunder zu vollbringen." Eines Tages kam Carl von Ender, ein Edelmann und Mitglied in Pastor Möllers Gruppe, in die Schusterstube und sah dort verschiedene Manuskriptblätter, die Böhme geschrieben hatte. Er bat darum, sie ausleihen zu dürfen und war von der Tiefe des Inhalts und der Originalität der Gedanken so tief bewegt, daß er - ohne Wissen des Autors - Kopien anfertigen ließ, die dann überall bei seinen Freunden und bekannten Mystikern zirkulierten. So wurde Böhme dem geheimen Kreis bekannt gemacht, der aus einzelnen Personen und Gruppen bestand. Sie waren über ganz Europa und Großbritannien verstreut und dennoch verband sie ein gemeinsames Band der Hingabe an eine "überlieferte Weisheit", deren Ursprung nicht nur auf die theosophische Schule von Alexandrien zurückführte, sondern noch viel weiter bis in das Dämmerlicht der Vorzeit. In der Tat wird seit Menschengedenken nach der Gnosis oder Weisheitserkenntnis und einer entsprechend angepaßten inneren Lebensweise gesucht.

Erfolg fordert jedoch stets seinen Preis. Die plötzliche Anerkennung der geistigen Talente eines einfachen Schuhmachers war für Möllers Nachfolger, Pastor Richter, zuviel. Von seiner Kanzel hielt er Schmähreden gegen Böhme und verfügte seine Verbannung; durch den Einspruch von Freunden wurde die Strafe am nächsten Tag wieder aufgehoben, jedoch unter der Bedingung, daß Böhme versprechen mußte, von weiteren Niederschriften seiner ketzerischen Ansichten Abstand zu nehmen. Daran hielt er sich mehrere Jahre lang; als er aber erkannte, daß er damit seine Verpflichtung seinen eigenen göttlichen Eingebungen gegenüber vernachlässigen würde, faßte er den Entschluß, über sein inneres Leben nicht mehr von äußeren Autoritäten bestimmen zu lassen.

Böhme konnte sich schließlich durchsetzen, denn bald trat er mit seinen neugewonnenen Freunden in den verschiedensten Gegenden in einen fruchtbaren Briefwechsel. Er nahm ihre Einladungen an und besuchte sie oft, so daß sie gegenseitig ihre Ansichten über die gemeinsam interessierenden alchimistischen, kabbalistischen und rosenkreuzerischen Themen austauschen konnten. Manchmal bedauert man, daß er so häufig ihre oft dunkle Ausdrucksweise gebraucht, die den wertvollen Beitrag an christlicher Mystik, den er wirklich leistete, eher verschleiert als erhellt. Dennoch kamen seine Bücher weiter in Umlauf und wirkten wie ein Katalysator.

Sir Isaac Newton, der seine Universitätsstudien zwei Jahre lang unterbrechen mußte, weil die Universität in Cambridge nach der großen Pest, im Jahre 1665, geschlossen wurde, hatte die Möglichkeit, das kosmische Mysterium zu ergründen und darüber nachzudenken. Das Ergebnis war neben anderen Entdeckungen das Gesetz der Gravitation und eine Methode, die "Umlaufbahn der Kometen zu bestimmen." Diese konnte sein Freund, Edmund Halley, ein berühmter Kometenforscher, erfolgreich auf die Kometen anwenden, die während der drei vorhergehenden Jahrhunderte, vom 14. bis zum 17. Jh., erschienen waren.

William Law war jedenfalls fest davon überzeugt, daß "der berühmte Sir Isaac" aus dem Studium von Böhmes Schriften entscheidende Hinweise erhalten hatte. Die Gelehrten sind darüber geteilter Ansicht, manche verneinen jede Verbindung, andere glauben daran. Von Interesse mag ein Artikel sein, der vor über hundert Jahren in einer Londoner Wochenschrift erschien, die sich mit Literatur, Wissenschaft und den Schönen Künsten befaßte. Unter dem Titel Miscellanea - Jacob Behmen berichtete ein C. W. H. begeistert über den Einfluß Böhmes auf die Naturwissenschaft. Er habe nicht nur die "Wissenschaft der Elektrizität" vorweggenommen, erklärte der Verfasser, sondern "es läßt sich der positive Beweis erbringen, daß Newton alle seine Kenntnis der Gravitation und ihrer Gesetze von Böhme empfing, für den Gravitation oder Attraktion - und dies sei ganz richtig - ... die erste der sieben Eigenschaften der Natur ist. ... Jede neue wissenschaftliche Entdeckung beweist, wie tief und intuitiv er in das geheimste Wirken der Natur Einblick erhalten hat. ... Behmens System zeigt uns in der Tat das Innere der Dinge, während die moderne Naturwissenschaft sich begnügt, das Äußere zu betrachten"4 (The Athenaeum, January 26, 1867).

Heute sind die Schriften Böhmes wenig bekannt, und das ist verständlich, denn sie sind schwer zu lesen. Es gibt aber auch einige Stellen darin, die die empfindsame menschliche Seite dieses Mannes offenbaren, der einfach, rechtschaffen und dem christlichen Leben äußerst ergeben war. Manche Abschnitte zeigen einen Anflug köstlichen Humors, der selbst den höchsten Empfindungen menschliche Wärme verleiht. Es ist daher nicht überraschend, wenn man im 17. und 18. Jahrhundert unter seinen Anhängern eine Reihe von Menschen findet, die trotz ihrer Unbelesenheit imstande waren, den Kern seiner Botschaft intuitiv zu erfassen: Der Mensch ist an sich gut; das Böse in ihm muß nur gezähmt, seine Stärke mehr zum Dienen als zum Herrschen verwendet werden; in jedem Menschen ist die Freiheit - der Wille - Gottes, und würde man das Höllenfeuer im eigenen Wesen nicht mehr schüren, dann könnte man entdecken, daß das Königreich der Ewigkeit seine Seele für sich beansprucht hat.

bild_sunrise_31975_s111_1Kometen, Menschen, Atome und Sonnen, sie alle befinden sich auf einer gigantischen Entwicklungsreise, zu Bestimmungen, die unsere menschliche Vorstellungskraft nicht mehr fassen kann. Wenn die Atome kleine Sonnensysteme und die Menschen Götter in Miniatur sind, welche Wunder der Erkenntnis erwarten uns dann erst, wenn wir unsere verborgenen Quellen des Bewußtseins erschließen. Aber jetzt sind wir hier und hier liegt unsere augenblickliche Verantwortung. Wir sind noch immer die Opfer unserer Dualität: Geschöpfe des Lichts und der Finsternis, mit höchstem Streben, aber auch mit unedlen Neigungen.

Bildtext: Jakob Böhme.

Wir wenden uns wieder Böhme zu, wegen der echten, stillen Weisheit, die Licht dorthin wirft, wo die Schatten zunehmen. Er selbst lebte in der höchst gewalttätigen und turbulenten Zeit zwischen den Kriegen des 16. Jahrhunderts und dem schrecklichen Dreißigjährigen Krieg, der das Herz Europas fast verbluten ließ. Durch die Begegnung und den Umgang mit den verschiedenartigsten Menschen, die in seinen Laden kamen und mit denen er in der Kirche und im Alltag zusammentraf, bekam er Einsicht in die Ursachen, die dem tiefen Elend zugrunde lagen, das über sein Volk hereingebrochen war. Für ihn gab es nur einen sicheren Weg für den Menschen, und der bestand darin, "das Verlorene wieder zu finden." Um aber diesen rechten Weg einzuschlagen, "brauchen wir keine scheinheiligen Heuchler noch solche, die uns zum Trost schmeicheln und goldene Berge versprechen, nur damit wir ihnen folgen und viel daraus machen und sie verehren." Wir sollen auch nicht wie die "Hohen und Gelehrten" handeln, die meinen, sie müßten sich die "Universität (als Brille) vor die Augen setzen und zuerst studieren, mit welcher Meinung sie in den Tempel Christi eintreten sollen."5 Nein, so fügt er hinzu, weder die Meinung Luthers noch Calvins, und auch nicht die des Papstes wird vor Gott gelten, "der innen ist, und nicht außerhalb."

Wenn wir unsere Welt in Ordnung bringen wollen, müssen wir bei uns selbst beginnen und uns mit den kleinen, wie auch mit den großen Dingen angelegentlich befassen, sowohl im privaten Umgang mit unseren Mitmenschen, als auch im öffentlichen Leben. Dann, und nur dann werden wir den heiligen Grund der Seele für den Eintritt des Lichts vorbereiten. Der vor uns liegende Weg mag schwierig und stürmisch sein, und viele und schwere Prüfungen mag es geben. Aber es ist so, wie es in dem alten lateinischen Spruch zum Ausdruck kommt: post laborem quies, post tenebras lux - nach der Arbeit, Ruhe; nach der Finsternis, Licht.

Fußnoten

1. Law erlebte die volle Erfüllung seines Wunschtraumes nicht mehr; seine Freunde brachten jedoch verschiedene Bände unter dem Titel: The Works of Jacob Behmen, the Teutonic Theosopher heraus. Band 1 enthielt The Aurora (Aurora, oder die Morgenröte im Aufgang) und The Three Principles (Die drei Prinzipien) mit einem Vorwort über Böhmes Leben, einschließlich verschiedener Illustrationen zur Erläuterung seiner Lehren. London, 1764. [back]

2. Siehe Buchbesprechung im engl. Sunrise, November 1965. [back]

3. Aurora, oder die Morgenröte im Aufgang, Kap. 19, Vers 9-11; s. a. Sheldon Cheney's Kapitel über Jakob Böhme in Men Who Have Walked with God. [back]

4. In einem Kommentar dazu schreibt H. P. Blavatsky: "So verdankt Newton, dessen tiefer Geist leicht zwischen den Zeilen las und den geistigen Gedanken des großen Sehers in seiner mystischen Ausdrucksweise ergründete, seine große Entdeckung dem Jakob Böhme, dem Schützling der Genien (Nirmânakâyas), die ihn bewachten und leiteten. ..." - The Secret Doctrine, I, 494 / Die Geheimlehre, I, 536 [back]

5. "The High and Deep Searching of the Threefold Life of Man, Through or according to The Three Principles" by Jacob Behmen, the Teutonic Theosopher, The Seventh Chapter, pp. 69-70, London, 1763. [back]