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Interessantes von der Vorstellung der Indianer über die Seele, 2. Teil

Ein Gespräch zwischen James Petersen und Frank Waters:1

 

 

 

James Petersen: Joseph Campbell hat beobachtet, daß kommunales Zusammenwirken ein grundlegender Aspekt der seßhaften Gemeinschaften ist, wie bei den Pueblo-Indianern, während man unter den nomadischen Jägerstämmen, wie den Prärie-Indianern, individuelles Suchen nach Unabhängigkeit findet.

Frank Waters: Ich kann zwischen den Prärie- und den Pueblo-Indianern nur einen geringen Unterschied finden. Ihre religiöse Voraussetzung ist im wesentlichen die gleiche. Sie haben die vier heiligen Richtungen, die vier Farben und so weiter. Jede Richtung hat eine bestimmte spirituelle Eigenschaft, wie spirituelle Stärke, Wärme oder Weisheit. Ein Mensch ist nicht vollkommen, solange er nicht die symbolische Reise zu den vier Himmelsrichtungen gemacht hat, wobei er den ganzen Lebenszyklus durchläuft. Die Anthropologen haben gesagt, die Prärie-Indianer seien Individualisten, weil sie die gesamte symbolische Reise in persönlichen Visionen ausführen. Es ist wahr, daß ein Mann vier Tage und Nächte lang allein fortging, um eine Vision zu suchen, aber vorher erhielt er von einem Medizinmann Instruktionen. Wenn er zurückkam und über seine Vision berichtete, dann stellte ihm der Medizinmann bestimmte Fragen. Praktisch ist der Medizinmann das gleiche wie ein Therapeut im Sinne Jungs, der die Träume seines Patienten mit den universalen Symbolen des kollektiven Unbewußten in Zusammenhang bringt.

 

Petersen: In manchen Ihrer Bücher betonen Sie die Wichtigkeit des kiva als lebendiges Symbol für den Mythos des Eintretens in den menschlichen Zustand, ein Symbol, das ein Teil des physikalischen Aufbaus der Gemeinschaft ist.

Waters: Der kiva oder die Kirche der Pueblo-Indianer stellt ein bauliches Sinnbild der Schöpfungsgeschichte dar. Er ruht im Schoß der Mutter Erde. Das sipapuni, ein kleines Loch im Boden, stellt den Nabel oder den Ort des Austritts aus der Unterwelt dar. Die tiefste Stelle ist eine Feuergrube, die die erste Welt darstellt. Man läßt das Feuer ständig brennen. Von der Feuergrube läuft eine Linie aus Maismehl zu der nächsthöheren Ebene, wo der Altar steht. Gebetswedel aus Adlerfedern bezeichnen das Luftelement der zweiten Welt. Außerdem befindet sich auf dem Altar eine Schale mit Wasser aus einer heiligen Quelle, das die dritte, die Wasserwelt versinnbildlicht, und eine Schale mit Maismehl stellt die vierte, die irdische Welt dar. Eine Leiter führt durch eine Öffnung im Dach in die vierte, unsere gegenwärtige Welt. Der rechteckige kiva der Hopi ist immer von Osten nach Westen angelegt, denn das ist der Weg der Sonne auf dem Lebensweg. Der Unterschied zwischen der indianischen und der christlichen Kirche hat mich immer beeindruckt. Die christliche Kirche richtet ihre männliche phallische Kirchturmspitze himmelwärts, während der unterirdische kiva in die weibliche Erde versinkt. Im Innern der christlichen Kirche stehen der Altar und die Priester über den gewöhnlichen Gläubigen und sind mit reichen Gewändern geschmückt, während im kiva Altar und Priester die tiefste Stelle einnehmen und die Priester barfuß gehen, um ihre Demut zu zeigen. Aber auch die Indianer fanden diesen Unterschied merkwürdig. Wie sie wissen, ist für die Indianer alles vierfach. Als sie das erste Mal von der Dreieinigkeit der christlichen Kirche hörten, merkten sie sofort, was fehlte - die Mutter Erde. Sie waren gespannt, ob wir das begriffen.

 

Petersen: Dann könnten wir unsere kulturellen Unterschiede vom Gesichtspunkt der männlich-weiblichen Dualität aus betrachten?

Waters: Jawohl, wenn Sie bereit sind, jene Werte von streng biologischen Definitionen zu trennen. Der Glaube des Indianers an die männlich-weibliche Dualität ist dem chinesischen Begriff von Yin und Yang ähnlich. Die weibliche Polarität kann mit der Erde und ihrer Passivität, mit Intuition und mit dem Unbewußten gleichgestellt werden. Die männliche dagegen mit Individualismus, Angriffslust, logischem Denken und so fort. Während bei den Indianern das Weibliche mehr betont wird, ist unsere Kultur übertrieben männlich. Ich nehme an, daß die Bemühung um die Gleichstellung der Frau ein Zeichen dafür ist, daß wir versuchen, die Unausgeglichenheit zu berichtigen, wenn ich auch mit manchen der dabei angewandten Taktiken nicht übereinstimme. Diese Frauen scheinen auf die andere Seite überwechseln zu wollen und zeigen das, indem sie sich wie die Männer kleiden. Sie könnten der Gesellschaft gegenüber einen großen Dienst erweisen, indem sie die weiblichen Werte wieder zur Geltung bringen, die wir verloren haben. Ich möchte noch hinzufügen, daß die Indianer die männlich-weibliche Dualität als inneren Widerstreit betrachten, den jeder selbst entscheiden muß. Genau das meinte auch Jung, als er Geist und Seele ihren Platz zuwies. Die Indianer haben verschiedene Tänze und Zeremonien, die als Gruppentherapie dienen, um den Angehörigen des Stammes zu helfen, die Gegensätze in sich auszugleichen.

 

Petersen: Sind Sie der Meinung, daß der kiva seinen Anteil dazu beiträgt?

Waters: Wenn die Knaben etwa 12 Jahre alt sind, gehen sie für längere Zeit in den kiva, was ein Teil ihrer Einweihung in das Mannesalter darstellt. Sie lösen die Bande zu ihrer physischen Mutter, von der sie das individuelle Leben erhielten. Im kiva lernen sie, daß das individuelle Leben für sich allein nicht genügt - es hängt vom gesamten Leben ab und ist ein Teil davon. Wenn sie aus dem kiva, dem symbolischen Mutterschoß, herauskommen, gehören die Knaben ihrer größeren Mutter, der Erde an. Sie werden in den Stamm aufgenommen. Während sie eingeschlossen sind, werden sie über die Kräfte belehrt, die zu ihrer eigenen Existenz führen - Feuer, Wasser, Luft und Erde. Wenn sie zurückkehren, um Vater Sonne wieder gegenüberzutreten, tun sie dies mit einem erwachten Sinn für die Grundlagen des Lebens. Da die Sonne die eine Hälfte ihrer Zeit über dem Horizont und die andere Hälfte darunter verbringt, wissen sie, daß der Lebensweg durch Licht und Dunkelheit führt.

 

Petersen: Das klingt ein wenig nach Platos Allegorie von der Höhle.

Waters: Die alten Griechen hielten jedes Jahr zu Eleusis große Gemeinschaftsprozessionen ab, bei denen sie Zeremonien ausführten, deren geheime Bedeutungen nie enthüllt wurden. Doch etwa 500 n. Chr. überwog die kultische Verehrung der Individualität und des Verstandes, und die Mysterienkulte wurden verboten. Ich kenne nur eine neuzeitliche Parallele zu Eleusis - die große alljährliche Prozession der Taos-Indianer zu ihrem geheimen Blauen See hoch oben in den Bergen, wo sie Zeremonien durchführen, an denen niemals ein Weißer teilnahm. Plato vergleicht in seiner Allegorie von der Höhle die Menschheit mit Gefangenen in einer Höhle, die mit dem Rücken zum Licht stehen und glauben, die an die Wand geworfenen Schatten seien die letzte Wirklichkeit. Einem von ihnen wird dann erlaubt, das Licht und die Gegenstände, die Schatten werfen, zu sehen. Ich weiß nicht, ob das Licht die Macht der Vernunft darstellte, oder ob Jung sein Wort "Schatten" - der Teil der Psyche, den jeder Mensch ableugnet oder seinen Feinden zuschreibt - aus Platos Allegorie von der Höhle entnahm. Doch Höhle und kiva sind beide bildliche Ausdrücke für die unbewußte, in der Höhle eingeschlossene Seele. Im Gegensatz zu Plato lehren die Indianer, daß der Mensch sich von Zeit zu Zeit in diese Sphäre zurückziehen muß, wenn er Vollkommenheit erlangen will.

 

Petersen: Der radikale Psychiater R. D. Laing behauptet, wenn das erforschte Leben uns nichts mehr gibt, dann müssen wir in das Irrationale hinabsteigen, um in der Begegnung mit dem Chaos Wahnsinn zu riskieren. Ihren Worten entnehme ich, daß die Indianer ihren Weg kennen, der in diese Sphäre führt. Sie wissen, daß sich dem Irrationalen hinzugeben, die Quelle der Weisheit und nicht Wahnsinn bedeutet.

bild_sunrise_21975_s89_1Waters: Die Zeremonien der Indianer verleihen dem Chaos, der Formlosigkeit des Lebens Form. Die Hopi-Indianer haben zum Beispiel neun Zeremonien in ihrem Jahreszyklus - drei im Winter, drei im Sommer und drei im Herbst. Die erste Gruppe der Zeremonien entzündet das schöpferische Feuer, stellt den Plan für die Entwicklung des Lebens auf und reinigt ihn dann. Die katchinas oder die Geister des Lebens kommen von ihren Heimen aus einer anderen Welt, um das Wachstum zu segnen. Die zweite Gruppe der Zeremonien findet im Sommer statt. Alles, was der Stamm erhoffte und worum er gebetet hat, beginnt sich zu verwirklichen. Das Leben führt zur Reife und trägt Frucht. Die dritte Gruppe der Zeremonien fällt in den Herbst und schließt mit der Ernte der Früchte und mit den Gebeten des Stammes. Die neun Zeremonien bilden ein Gewebe verwandtschaftlicher Beziehungen, das nicht nur den Menschen einschließt, sondern auch die untergeordneten Pflanzen- und Tierreiche, die übergeordneten spirituellen Wesen, die katchinas, kurz, alle lebenden Wesenheiten der Erde. Sie stellen einen Plan ökologischer Verpflichtungen auf. Die Hopi-Indianer betrachten die "Schöpfung" nicht als einzelne Handlung, die zu einer bestimmten Zeit in der Geschichte erfolgte - wie Erzbischof James Ussher, nach dessen Meinung sie um neun Uhr morgens im Jahr 4004 v. Chr. stattfand. Die Schöpfung ist ein immerwährender Prozeß, der sich jedes Jahr wiederholt - außerhalb und innerhalb jedes einzelnen.

 

Petersen: Das bedeutet, daß sie auch einen anderen Zeitbegriff haben, nicht wahr?

Waters: Jawohl. Die Indianer haben einen mystischen Sinn für Zeit. Für sie ist sie mehr Fortdauer als Bewegung. Diesen Unterschied haben viele Beobachter bemerkt, aber keiner war imstande, den Unterschied zwischen unserem und dem indianischen Zeitbegriff zu erfassen. Als ich das erste Mal zu den Taos kam, war ich Zeuge eines Vorfalls, der das vielleicht erläutert. Die Taos-Indianer haben eine Gruppe von Zeremonienclowns, koshare genannt, die so etwas sind wie die europäischen Hofnarren, die heiligen Narren. Auf einem Marktplatz, auf dem sich viele Touristen befanden, sah ich einen koshare mit einer Alarmglocke, die an seinem Arm befestigt war, tanzen. Vor einem der Touristen blieb er stehen, deutete spöttisch auf die Glocke und rief laut: "Es ist Zeit, hungrig zu sein!" Das war eine glänzende Parodie. Unser Sinn für Zeit, der ganz an der Oberfläche des Stromes liegt, läßt uns gewisse Dinge der Welt in mechanischen Intervallen erwarten. Jedes Ticken der Uhr verwandelt einen Teil der fernen Zukunft in die Gegenwart, aber diese Gegenwart wird so schnell in die Vergangenheit gefegt, daß keine Gegenwart übrig bleibt, um sie völlig zu erfassen.

 

Petersen: Benjamin Lee Whorf nannte die Sprache der Hopi-Indianer die zeitlose Sprache. Er berichtet, daß sie die drei Zeitformen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wie sie die englische Sprache hat, nicht kennt.

Waters: Die Weisen betrachten die Zeit als eine Reihe von Zeiteinheiten, wie Perlen an einer Schnur. Wir sprechen von künstlichen Zeitlängen, wie zum Beispiel von 10 Tagen. Die Hopi können das nicht. Die Zeit der Hopi-Indianer hat immer Nulldimensionen. Die Zeit ist etwas Fortdauerndes, ein Aufspeichern von Veränderungen, eine Kraft, die in spätere Ereignisse übergeht. Alles, was sich je ereignete, ist noch - wenn auch in einer anderen Form. Die Zeremonien der Hopi-Indianer basieren auf diesem Gefühl für die Zeit, auf dem Gefühl immerwährenden Werdens innerhalb einer dauernden, unbeweglichen Zeit.

 

Petersen: Ich traf einmal einen chinesischen Wahrsager, der den Rat gab: "Verlange nie nach mehr Zeit, dir steht und stand immer alle Zeit zur Verfügung, die es gibt." Ich dachte, jemand hätte den Ausspruch verdreht, bis ich begriff, daß das Glück nicht immer in der Zukunft liegt. Das Zeitgefühl der Hopi ist subjektive, psychologische Zeit.

Waters: Genau so ist es. Whorf sagt an einer Stelle in seiner Abhandlung, daß die Sprache der Hopi-Indianer getreu wiedergibt, wie die Dinge augenblicklich im Bewußtsein sind. Das Gedächtnis ist konzentrisch, nicht linear. Alles hat den gleichen Abstand zum Betrachter. Die Hopi-Indianer beachten Daten und chronologische Aufeinanderfolgen überhaupt nicht. Die Älteren erzählten mir von Ereignissen, die, wie es schien, in ihrem Leben vorgekommen waren. Erst später wurde mir klar, daß sie sich in Wirklichkeit vor Jahrhunderten ereignet hatten. Sie messen die Bedeutung solcher Ereignisse nicht nach ihrem "Platz in der Geschichte", sondern nach der Intensität der Gefühle, die sie erzeugten. Die Hopi-Indianer in Oraibi zeigen immer noch die großen Furchen, die von riesigen Baumstämmen in das flache Hochland gegraben wurden. Sie wollen damit erzählen, daß sie gezwungen wurden, diese Stämme von Bergen herzuschleppen, die nahezu einhundert Meilen entfernt sind, um damit einer Mission der weißen "Sklaven" die Kirche zu bauen. Die Kirche steht nicht mehr - sie wurde vor über 300 Jahren gebaut.

 

Petersen: Maria, die spanisch-amerikanische Frau in The People of the Valley, hat anscheinend die gleiche Geschichtsauffassung. Sie meint an einer Stelle, daß der Verlauf der menschlichen Angelegenheiten ein Kampf zwischen Erfüllung und Fortschritt ist.

Waters: Jawohl. Für Maria bedeutet Erfüllung individuelle Entwicklung, die oft der Gegensatz mechanischen Fortschritts ist. Sie kämpft gegen den Bau eines Dammes, der den natürlichen Zufluß des Wassers in das Tal versperren wird, weil sie intuitiv erkennt, daß der Damm die wesentliche Beziehung des Volkes zur Erde, zu den Kräften der Natur, stört. Sie weiß, daß der Erdboden die Quelle des Glaubens für die Bauern des Tales ist, und sie stellt den Glauben über alle die geringeren Segnungen mechanischen Fortschritts. Sie fürchtet, daß die Veränderungen nicht von Bestand sein werden, während der Glaube fortdauert. Er macht keine Versprechungen, bietet keine Belohnungen an. Er ist vollkommen und enthält alles.

 

Petersen: Mir fiel auf, daß Maria die Idee hatte, es sei unmöglich, das Neue mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen. Sie gibt den Rat, "zu den nur halb verstandenen Wahrheiten zurückzukehren, die schlummernd im toten Glauben und in den lebendigen Blutströmen liegen." Ist Land, weil es etwas Bleibendes ist, eine dieser Wahrheiten?

Waters: Nach meinem Empfinden ist Land und Erde ein Vorratshaus psychischer Energie. Die Mystiker des Ostens haben ein Wort "Karma", das die nicht zutage tretende, nicht klar erkennbare Wirkung (domino effect) des Vergehens gegen den Geist beschreibt. Die Furchen, die von den Baumstämmen herrühren, sind das sichtbare Zeugnis eines Vergehens gegen den indianischen Geist - der Erdboden ist für den Stamm eine Art langewährendes Gedächtnis. Wie immer es auch sein mag, jeder einzelne, der in diesem Gebiet aufwächst, wird diese Furchen als Symbol für ihren Konflikt mit der christlichen Kirche betrachten. Anita Brenner, eine in Mexiko lebende Freundin, erzählte mir eine Geschichte, die vielleicht erläutert, worüber ich spreche. Anscheinend gab es in den Bergen von Michoacan eine abseits liegende Kirche, die wegen der hingebungsvollen Aufmerksamkeit, die die Indianer dieses Gebietes ihr zollten, berühmt war. Meilenweit kamen sie mühsam über die steilen Pfade, um am Altar zu knien, ihn mit Blumen zu schmücken und dem einfachen jungen ländlichen Priester, der dort waltete, demütig zuzuhören. Es war eine verwirrende, höchst geheimnisvolle Ergebenheit von so unwissenden, halsstarrigen Indianern. Schließlich ließ ein schwaches Erdbeben den Altar einstürzen, und ein hockendes steinernes aztekisches Idol kam zum Vorschein. Es war ein seit Jahrhunderten geheiligter Ort; die Eingeborenen verehrten die diesem Ort innewohnende Kraft und nicht den falschen Glanz der christlichen Eroberer.

 

Petersen: Grund und Boden bilden eine psychische Brücke zwischen der entfernten Vergangenheit des Menschen und seinem persönlichen Werdegang. Anscheinend wollen sie andeuten, daß Erde das gleiche ist wie Jungs kollektives Unbewußte (das Unbewußte schließt das Überbewußtsein und Unterbewußtsein in sich ein).

Waters: Nun, Jung glaubte, daß das Unbewußte in uns urzeitliche Bilder oder Urformen enthält, die über Träume oder Mythen in unser Bewußtsein gelangen. Diese Vorstellungen können zur Lösung der Probleme beitragen, denen wir gegenüberstehen. Jung behauptet, daß diese Urbilder des kollektiven Unbewußten für alle Rassen gleich sind. Ich glaube, daß zwischen dem kollektiven und dem persönlichen Unbewußten, das diese Urbilder gestaltet, eine Schicht besteht, wenn sie in das Bewußtsein in Bildern eintreten, die den Träumern vertraut sind. Eine Schicht, die die vorgeburtlichen Veranlagungen oder das Karma der Rasse und des Landes enthält, auf die das Individuum abgestimmt ist. Jung, ein in der Schweiz geborener Europäer, nahm die Urbilder der Alchimisten des Altertums als Grundlage für den größten Teil seiner Arbeiten. Nun, ich hatte in meinem Leben nie einen Traum, der sich mit dem europäischen oder dem alchimistischen Milieu des Mittelalters befaßte. Seit meiner Kindheit habe ich Träume gehabt, die die alte Vergangenheit sowohl Asiens als auch Afrikas widerspiegelten. Ich habe in Nordamerika oder in Mexiko keinen Indianer gekannt, dessen Träume sich auf den Artuskreis und die Suche nach dem Heiligen Gral bezogen, wie universal deren Bedeutung auch sein mögen.

 

Petersen: Der Dichter Gerard Manley Hopkins glaubt, daß eine direkte, kausale Beziehung zwischen der Welt und dem Gemüt besteht. Er behauptet, daß es für jede Landschaft eine entsprechende Landschaft auf den inneren Ebenen oder einen mentalen Horizont gibt.

Waters: Wenn es die Berge im menschlichen Gemüt bedeuten soll, dann will ich es gelten lassen. W. Y. Evans-Wentz, der große Gelehrte des tibetischen Buddhismus betrachtete die Berge als Zentren psychischer Energie. Jeder Indianerstamm, den ich kenne, verehrt bestimmt aus diesem Grunde einen heiligen Berg. Vor seinem Tode arbeitete Evans-Wentz an einem Buch, in dem er zeigen wollte, daß die größten Religionen der Welt aus Gebirgsgegenden kamen. Dem stimme ich zu; Menschen, die im Gebirge aufwachsen, neigen zum Mystizismus.

 

Petersen: Können Sie das begründen?

Waters: Kennen Sie das Hüttenfieber? Daran erkranken Menschen, die lange Zeit in einer Hütte eingeschneit sind. Sie werden ganz schwermütig und in sich gekehrt. Wenn Sie eine chemische Reaktion zum Vergleich haben wollen, dann geben Sie etwas in eine Retorte und erhitzen es. Die Berge sind eine Retorte für spirituelle Reaktionen. Menschen, die im Gebirge leben, entwickeln das Bergfieber. Der Druck treibt sie in das Unbewußte, das Instinktive, das Intuitive.

 

Petersen: Die Berge bilden praktisch den Hintergrund für jedes Ihrer Bücher. Sie sind ein sehr persönlicher Fall von Bergfieber.

Waters: Ich vermute es. Ich wurde in Colorado Springs am Fuße des Pike Peak geboren und bin dort aufgewachsen. Es war eine kleine Stadt mit nur 25000 Einwohnern, die keine Fabrikationsbetriebe und keine Vergnügungsstätten in der Stadt duldeten. In der Nähe gab es drei sehr große Canyons mit sich windenden schmutzigen Straßen und schäumenden Flüssen mit klarem Wasser. Es war wunderschön; die Berge waren voller Kraft und Leben. An den Sonntagen ritten wir meist auf kleinen Eseln auf den Saumpfaden in das Gebirge. Vor kurzem hielt ich mich vorübergehend in Colorado Springs auf. Es muß jetzt 250000 Einwohner haben. Von einem der Berge wurde die Vorderseite abgetragen, um Schotter zu gewinnen, wobei ein großer, kahler Platz entstand, von dem aus man 40 Meilen auf die Ebene hinausschauen kann. Die schäumenden Flüsse wurden in unterirdische Kanäle geleitet. Die alten Pfade sind jetzt gepflasterte Straßen. In fünf Minuten können Sie zum Will Rogers Heiligtum auf dem Gipfel emporflitzen. Das Verteidigungsministerium hat den Cheyenne-Berg ausgehöhlt. Er beherbergt das militärische Einsatzzentrum für die nordamerikanische Luftverteidigung. Die vordere Kette der Berge, zu der der majestätische Pike's Peak gehört - der bekannteste Berg in Amerika und über ein Jahrhundert ein Anziehungspunkt für Forscher, Touristen und Weltreisende - ist in einen toten Schutthaufen verwandelt worden. Ein Gegensatz zu dieser Zerstörung bildet der Heilige Berg von Taos. Auf ihm befinden sich heilige Stätten der Taos-Indianer. Weiter oben liegt Blue Lake (der Blaue See), zu dem die Indianer pilgern. Durch Kongreßbeschluß wurde das Anrecht der Indianer auf dieses Gebiet erneuert, um ihre "Kirche" zu erhalten. Der Berg ist immer noch voller Kraft und Leben, weil ihn viele Menschen mit Leben erfüllten, aber auch Leben von ihm entnehmen. Deshalb sollten wir, meiner Ansicht nach, dahin kommen, das zu achten, worüber wir vorher gesprochen haben; nicht nur die physische, sondern auch die spirituelle Ökologie. Das haben wir noch nicht ganz erreicht!

 

Petersen: In Pumpkin Seed Point und in dem Book of the Hopi sprechen Sie davon, daß sich Indianer und Weiße an einem Wendepunkt befinden. Ökologie - die Vorstellung von der Erde als Raumschiff - als einem geordneten Ganzen. Wir entdecken die dringende Notwendigkeit, alles als Einheit zu sehen. Gleichzeitig haben wir aber das in sich abgeschlossene System der Indianer erschüttert. Sie scheinen das Idol der Individualität zu entdecken.

Waters: In den meisten Reservaten ist eine Spaltung zwischen denjenigen, die an den Überlieferungen festhalten, und den jungen Leuten des Stammes, die die Außenwelt kennengelernt haben, eingetreten. Die Indianer sehen sich jetzt dem Druck der Wirtschaft, der Gesetze und der Erziehung ausgesetzt - Aspekte des Lebens, mit denen sie in ihrer alten Lebensweise nicht vertraut sind. Die jungen Leute möchten all die materiellen Dinge der Weißen haben - Waschmaschinen, Fernsehapparate, Autos und dergleichen. Manche junge Indianer sind genauso aggressiv wie die Weißen - die Alten haben einen Namen für sie. Sie nennen sie "Apfelindianer" - außen rot und innen weiß. Es gibt noch andere Symptome, die diese Veränderung andeuten. Die meisten primitiven Gemeinschaften wurzeln im weiblich Unbewußten, und ihr Machtgefüge ist folglich matriarchalisch. Das neu aufgetretene wirtschaftliche Bewußtsein hat in den Reservaten ein neues Patriarchat geschaffen. Navajo-Frauen haben, mit wenigen Ausnahmen, keinen Platz in der neuen Wirtschaftsform, während sie früher eine mächtige Kraft im Stamme waren. Ihnen gehörte das Familieneigentum und die Schafherden. Der Stammesrat der Navajo verwaltet jetzt die Millionen Dollars, die aus den Erträgen für Nutzholz, Uran, Kohle und Öl fließen. Sie haben die alten spirituellen Werte des Landes nicht bewahrt. Die Folge ist die Tragödie, daß am heiligen Black Mesa im Tagebau Kohle gewonnen wird. Sie und die Ratspartei des Hopistammes haben ausverkauft. Das ganze Gebiet ist unwiederbringlich ruiniert.

 

Petersen: Die polinesischen Stämme, die als erste mit weißen Händlern in Berührung kamen, waren voller Ehrfurcht vor dem wirtschaftlichen Reichtum der Schiffskapitäne. Sie bildeten Kargokulte, religiöse Gemeinschaften, die versuchten, mit Hilfe magischer Mittel "Kargo" zu erzeugen. (Siehe "The Noise" von Theodore Schwartz, Psychology Today, März 1971.) Sie ahmten die Gebärden der Weißen nach; sie errichteten Bambusantennen, saßen an Behelfsschreibtischen und reichten den ganzen Tag Papierfetzen herum. Jetzt gibt es Weiße, die vereinzelt die spirituellen Werte der Indianer zu erkunden suchen, wobei sie auf die gleiche Taktik verfallen. Die Gegenkultur kleidet sich zum Beispiel wie die Eingeborenen Amerikas.

Waters: Vor einigen Jahren war Taos ein Mekka für Hippies. Ich befand mich mit zwei Indianern aus einer Ortschaft der Taos auf dem Weideplatz, um einen Zaun zu errichten. Eine Gruppe Hippies kam die Straße herauf und zum Tor herein. Sie waren bis zur Hüfte unbekleidet und trugen rote Kopfbänder, indianische Mokassins und am Gürtel große Messer, die im Futteral steckten. Einer meiner indianischen Freunde stieß mich an und sagte leise: "Verdammt, da kommen die Apachen." Ich fragte eine Pueblo-Frau, was sie von den jungen Leutchen halte, die Tragen mit Babys auf dem Rücken trugen und wie Indianer aussahen. Sie antwortete: "Diese Hippie-Indianer sind ein schmutziges Volk. Sie waschen sich nie. Wir waschen uns, wir sind reinlich. Und noch etwas, warum sind sie alle böse auf die Welt? Wir sind glücklich."

Wenn man eine Feder trägt, so wird man dadurch nicht zum Indianer, auch nicht, wenn man in die in dem Book of the Hopi beschriebenen Rituale eingeweiht wird. Ich fürchte, die Indianer werden diese Zeremonien und Rituale schließlich aufgeben. Man braucht viele Jahre, um sie zu lernen, und die meisten jungen Leute in den Reservaten haben nicht die Zeit dazu. Sie gehen fort in die Schule oder zum Militär, und wenn sie zurückkommen, haben sie kein Interesse dafür. Ich kann nur hoffen, daß die in den Zeremonien enthaltene religiöse Bedeutung erhalten bleibt und in neue, lebendige Formen übertragen wird.

 

Petersen: Haben Sie dabei irgendwelche Vorstellungen?

Waters: Ich verbrachte kürzlich sechs Monate in Mexiko und studierte die vorkolumbische Kultur und Religion der Tolteken und Azteken. Sie hatten die gleiche Vorstellung vom Aufbau der vier Welten wie unsere Pueblo- und Navajo-Indianer, mit einem Unterschied. Sie glaubten, daß wir jetzt in die fünfte Welt eingetreten seien, die am Totpunkt der aufeinanderfolgenden vier Welten liegt, in der Vorstellung, daß diese die vier Quadranten des universalen Raumes bilden, wie ein Mandala. Die Bedeutung ist klar. Die weitere Entwicklung ruht in der Seele des Menschen. Wir müssen durch eigenes Wollen und eigene Willenskraft das Unbewußte und das Bewußte, das Zeitlose und das Vergängliche in Einklang bringen. Jeder einzelne von uns muß zu seinem eigenen Zentrum vorstoßen und alte Götter erwecken oder vielleicht neue erschaffen.

 

 

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Fußnoten

1. Copyright (c) Communications/Research/Machines, Inc. Mit Erlaubnis abgedruckt aus Psychology Today, May 1973. [back]