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Eine Betrachtung über die Polarität

Wo liegt die Ursache der Polarität im Menschen und im gesamten Universum? Wir sind ein Leib-Seele-Wesen, das sich in seiner Existenz nicht von seinem Ursprung unterscheidet, doch für die Kraft, die alles belebt, muß es auch einen ersten Ursprung geben. Wir wissen, daß Elektrizität und Magnetismus dual wirken und aus positiven und negativen Ladungen oder Energien bestehen. Keine könnte wirksam sein, wäre nur ein Pol vorhanden; sind aber beide Kräfte in Funktion, dann bildet das Potential des bipolaren Systems ein Feld, d. h. es kommt zur Auswirkung. Unsere Erde ist ein magnetischer Ball. Die Dualität ist durch den Nord- und Südpol gegeben, wobei der Globus selbst als Verdichtung für das Magnetfeld dient, das bis zu einer gewissen Entfernung hinausreicht und die Erde umgibt. Innerhalb dieses fließenden Kräftefeldes findet ein unablässiges Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung kleiner Partikel statt, wobei die winzigen Elementarteilchen ebenfalls polarisiert sind. Ebenso verhält es sich auf den kosmischen Ebenen mit unserer Sonne, den anderen Sternen und verschiedenen erst kürzlich entdeckten Gebilden, wie den Quasaren und Pulsaren. Die recht problematische Ansicht über die Gravitation kommt vermutlich daher, weil sie nur der eine Pol der Dualität ist, und wir den anderen nicht sehen. Das Wirken der Polarität ist jedoch in der Tat die Selbstoffenbarung des Einen durch die Eigenschaften von Geist und Stoff.

Die chinesischen Klassiker bezeichneten diese Zweiheit als yang und yin, die ursprüngliche Offenbarung innerhalb huntun, einer eiförmigen, subjektiven Form oder Idee im Zustand des Chaos, das heißt in einem nicht organisierten Zustand - was jedoch nicht ungeordnet oder völlig durcheinander bedeutet, so wie wir das Wort heute verstehen. Dieses aus der Essenz von Himmel und Erde gebildete Ei teilt sich im Augenblick der 'Schöpfung' in zwei Teile - in yang, das Klare, objektiv als Himmel und in yin, das Trübe, objektiv als Erde. Die heiligen Schriften der Inder berichten uns, daß zu Beginn eines jeden Daseinszyklus zuerst der Göttliche Keim eines Universums erscheint. Durch ihn, der als laya-Zentrum, eine neutrale Übergangszone bildet, strömen dann die Energien, die sich zu Dualitäten aus Geist und Stoff verdichten.

Da die Materieteilchen, die uns Einheiten zu sein scheinen, in Wirklichkeit aber Aggregate aus noch kleineren Komponenten sind - wie Elektronen, Protonen usw. - können wir mit Recht annehmen, daß auch deren Elemente auf ihrer eigenen Wirkungsebene ebenfalls Dualitäten aus Geist und Materie sind. Deshalb liegt die Idee nahe, daß alles für uns Sichtbare in dualer Form aktiv ist. Ferner, daß selbst das Atom keineswegs hart und dicht ist, sondern der reale Ausdruck eines atomaren Lebens - eines Wesens, das durch eine eigene Art von Bewußtsein und stofflicher Form lebt.

Wenn wir von der Betrachtung des Kleinen zum Großen übergehen, dann können wir feststellen, daß die Himmelskörper Bewegungen ausführen, worin die alten Griechen ein Zeichen von Leben sahen. Da ihnen diese Bewegungen untereinander exakt und harmonisch geregelt erschienen, bezeichneten diese alten Philosophen die verschiedenen 'Himmelswanderer' als theoi oder Götter. Sie machten auch einen Unterschied zwischen dem Himmelskörper und seinem inneren Wesen. So war z. B. Helios der Sonnenball, sein innewohnender Geist aber Apollo. Berücksichtigt man alle diese Gegebenheiten, so kann man daraus nur schließen, daß die Idee der Bi-Polarität universal ist. Ebbe und Flut, die Gezeiten unseres Ozeans, wiederholen somit nur den Rhythmus des Ein- und Ausatmens der schöpferischen Gottheit, des Vaters im Himmel, oder das Aktivwerden zahlloser Universen, geboren aus der ungeoffenbarten Potenz, die die Weite des Weltraums erfüllt.

Wir selbst sind in dieser Unermeßlichkeit wie Moleküle. Doch auch in unserem physischen Teil sehen wir Dualitäten. Es gibt den automatischen Aspekt: Die zyklische Atmungs- und Herztätigkeit, den Kreislauf des Blutes, der Lymphe und anderer Ströme im Körper; die Reaktionen auf tageszeitlich und jahreszeitlich bedingte Rhythmen, wie Tag und Nacht, Sommer und Winter. Es gibt aber auch noch den willensmäßigen Aspekt unseres Wesens, der sich aus der Willenskraft und der Fähigkeit, Gedanken zu empfangen, zu überdenken und auszusenden, zusammensetzt; vor allem aber gibt es die schöpferische Vorstellungskraft, den dynamischen Aspekt unseres Wesens, der ganz offensichtlich nicht nur eine Eigenschaft der Materie sein kann.

Auch der menschliche Geist wirkt als Polarität, indem er sich entweder dem spirituellen Pol in unserer Natur zuneigt oder dem anderen, rein schematisch denkenden Pol, der oft zum bloßen Intellekt und Buchstabenglauben degeneriert. Die alt-ägyptischen Ausdrücke Ba und Ab - die unsterbliche Seele und ihre Reflektion - weisen auf die spiegelbildliche Eigenschaft der Geistespole hin. Über diesen stehen jedoch bedeutend feinere Eigenschaften des Seins, deren Ursprung dem allumfassenden Göttlichen näher steht.

Leben ist Einheit; wenn es auch als Polarität aus Geist und Materie zum Ausdruck kommt, so gehen beide dennoch ineinander über, da sie aus zahllosen Strömen von Wesen bestehen, aus einer Vielheit von Bewußtseinseinheiten, deren physische Formen selbst wieder aus Wesen von graduell geringerem Ausdrucksvermögen bestehen, groß oder klein, der jeweiligen Stufe entsprechend. Der Begriff der Relativität, der in der Physik eine spezielle Bedeutung hat, hier jedoch in einer zusätzlich philosophischen Bedeutung angewandt wird, liefert einen wichtigen Schlüssel für das Problem des 'Einen Lebens' und der 'vielen Lebewesen'. Leben ist allgegenwärtig. Seine Ströme durchfließen die Wesen allüberall, und für die Manifestation verwendet es ein Grundschema, wobei die Unterschiede zwischen den Wesen nur in der Größenordnung liegen. Mit anderen Worten: Lebende Wesen sind kleinere oder größere, durch Bewußtsein belebte Teilchen - wir haben nicht den geringsten Beweis, daß irgendwo Bereiche ungebundener Lebenskräfte existieren. Die Erde zum Beispiel ist eine Biosphäre, wo die miteinander verbundenen Lebewesen ein Ganzes bilden, und alle ihren Lebensunterhalt von dem Planeten erhalten.

Wenn wir unsere Betrachtung des Lebens aber nur auf die Polaritäten begrenzen, durch die sich das Leben zum Ausdruck bringt, verlieren wir die innere Einheit der Natur aus dem Auge. Ein Beispiel dafür ist die Gewohnheit, Leben und Tod zu sagen. Stellen wir diese beiden Naturvorgänge so gegenüber, dann sehen wir in ihnen unwillkürlich Gegensätze, und dann ist es nur noch ein kurzer Schritt zur Annahme, mit dem 'Sterben' sei das Leben zu Ende. Es mag der Schluß eines Kapitels sein, aber nicht das Ende des ganzen Buches. Das Paar der Gegensätze muß in diesem Fall Geburt und Tod beinhalten. Wir treten zwar in die irdische Entwicklungsphase des Lebens ein und verlassen sie wieder, das Leben selbst hört jedoch nicht auf. Genauso könnten wir Tag und Nacht als getrennte Erscheinungen ansehen. Für den Globus ist der Vorgang aber nur eine ununterbrochene Bewegung - er dreht sich dabei um seine Achse.

Auch wenn wir die Polaritäten der Elektrizität oder des Magnetismus betrachten, sehen wir nur die Hälfte des Bildes. Es ist uns gelungen, diese Energien nutzbar zu machen und wir konnten dadurch eine eindrucksvolle Technokratie schaffen. Doch dieses Wissen, wie das Kunststück zustande gebracht werden kann, gibt keine Antwort auf die Frage, warum diese Polaritäten vorhanden sind noch was es ist, das sich durch die zwei komplementären Aspekte zum Ausdruck bringt.

Wenn wir uns das alles vor Augen halten, können wir erkennen, warum für die Buddhisten der Begriff des Sonderseins höchste Ketzerei ist und war. Eine ihrer großen heiligen Schriften befaßt sich mit dem Thema der 'Leere'. Das Weltall wird dort mit Bewußtsein angefüllt gesehen, während unsere so fest gefügt erscheinende materielle Welt als 'leer' betrachtet wird. Ihr Erscheinungsbild täuscht uns, wie das Elektronenmikroskop ganz deutlich zeigt. Ein Stück Holz oder Metall besteht tatsächlich größtenteils aus Löchern! Diese Dualität der "Fülle in der anscheinenden Leere und der Leere in der anscheinenden Fülle" ist etwas, worüber viele Weise des Altertums nachgedacht haben, ohne das Thema erschöpfen zu können.

Das Universum, das wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, - unterstützt durch alle möglichen Instrumente - ist nur ein winziger Ausschnitt der Unendlichkeit. So sonderbar es für jene klingen mag, die mit dem Begriff weiter 'leerer' Räume im Kosmos aufgewachsen sind, es kann nirgends im Kosmos Hohlräume geben; wenn daher Sonnen- und Planetensysteme anscheinend aus dem Nichts auftauchen, so ist es gut möglich, daß sie aus einem anderen Bereich oder von einer anderen Wellenlänge der Geist-Substanz hervorgehen als aus der, die uns gegenwärtig vertraut ist. Die 'dunklen Flecken' im Weltraum, die Quasare und Pulsare, die Bereiche, aus denen unsere Radioteleskope Energiestrahlungen empfangen, obwohl wir von dort keine visuellen Eindrücke erhalten, fügen sich in einen Kosmos ein, der unbegrenzte Ausdrucksformen an Qualität und Stofflichkeit besitzt.

Laotses klassisches Tao-te-king befaßt sich auf den ersten Blick anscheinend mit den Polaritäten menschlichen Verhaltens und der Einstellung zum Leben. Es zeigt den Weg des wu-wei, meist übersetzt mit "Nicht-Handeln"; aber diese Interpretation ist sicherlich etwas zu passiv für ein Werk, das über zweitausend Jahre lang einen mächtigen Einfluß ausgeübt hat. Dr. Isabella Mears hat die Komponenten der Symbolzeichen untersucht und beweist, daß der Ausdruck eine andere Bedeutung hat. Wu-wei bedeutet somit "Streben durch die Kraft des Inneren Lebens" oder durch den "Geist im Menschen". Laotses Philosophie beruht nicht auf einer quietistischen oder negativen Lebensanschauung, wie die Kritiker meinen. Sie stellt vielmehr 'Inneres Leben' und 'Besitzergreifung' über das Verlangen nach äußeren Dingen. Das Thema Leben ist für ihn keine bloße Bewegungslosigkeit, sondern die Gewinnung einer inneren Gelassenheit, die im Gegensatz zu Pomp, Sensation, Materialismus und Besitz steht, was doch so vielen Menschen als wünschens- und erstrebenswert erscheint.

Sich dieses inneren Lebens bewußt zu werden, erfordert Anstrengung und Standhaftigkeit, denn es bedeutet, dem Allgemeinwohl zu dienen und nicht den ichbezogenen Errungenschaften des einzelnen. Wenn Laotse rät, vor den Fallstricken der Macht und des materiellen Erfolges auf der Hut zu sein, so meint er die Ausrichtung unserer Lebensziele. Wir können uns in unzählbar mannigfachen Polaritäten verlieren oder uns im Einen Leben finden.