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Ein flüchtiger Gedanke

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Es ist nicht verwunderlich, wenn man fast bei jeder Gelegenheit gefragt wird: "Wie denken Sie über die Weltlage?" Die vielen Fragen, die allenthalben die Gemüter der Menschen bewegen, scheinen grenzenlos zu sein: Da sind die beständigen Kriege und die damit zusammenhängenden Probleme; da gibt es den Radikalismus; rebellierende Kräfte an den Universitäten; allgemeine Arbeiterunruhen; die wahllose Verwendung von Drogen durch die Jugend; den Ausbruch in die Sexualität und in Nacktdarstellungen; und damit moralischen Niedergang. Welche Rolle spielen die Kirchen dabei? Was sich aber durch die ganze Skala unseres Aufruhrs hindurchzieht, ist die anscheinende Hilflosigkeit des Establishments - ganz gleich, ob es sich dabei um die Regierung, die Universität, Geschäftsleute oder die Eltern handelt, die etwas dagegen unternehmen könnten.

In Fernseh- und Rundfunksendungen, in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern werden diese Probleme so dargestellt als hätte keine Generation vor uns jemals eine ähnliche Periode der Umwälzungen erlebt. Wir brauchen jedoch nur die geschichtlichen Aufzeichnungen in Betracht zu ziehen, um zu erkennen, daß die Zivilisation schon viele Male mit genau den gleichen Fragen konfrontiert wurde. Was wissen wir über die Erfahrungen der Menschen in längst vergangenen Zeiträumen, die fast über die berechenbare Zeit hinausreichen, bis zu dem Augenblick, wo der menschliche Geist erstmals auf diesem Globus in Erscheinung trat? Ich für mein Teil kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß in den gesamten Annalen über die menschliche Geschichte nicht schon viel schlimmere Zustände enthalten sind als die, die wir jetzt erleben. Was die Länge der Zeit anbetrifft, so sind die Experten verschiedener Meinung darüber, seit wann der Mensch als selbstbewußtes, denkendes Wesen hier erscheint; man kann jedoch mit Sicherheit annehmen, daß es vor vielen Millionen Jahren war.

Unser Verhalten basiert im allgemeinen auf Vorstellungsvermögen und Perspektive, einem Pferd vergleichbar, das Scheuklappen trägt, da wir nur einen Bruchteil der 360° unseres Wahrnehmungsvermögens auf dieser Erde einsetzen. Was wissen wir über die Seele des Menschen vor ihrer Geburt und was geschieht mit ihr nach dem Tode? Unbestreitbar bot eine fürsorgliche Intelligenz jedweder Lebensform, die, ganz gleich in welchem Naturreich, ins Dasein getreten ist, eine Gelegenheit des Fortbestehens. Wir sollten daher mit Recht die Möglichkeit erwägen, daß der Geist des Menschen - in Wirklichkeit die Seele - vor diesem Leben schon viele menschliche Verkörperungen absolvierte, und, um sein Erfahrungsgut weiterentwickeln zu können, ist es notwendig, daß er auch in Zukunft noch viele Verkörperungen absolvieren muß.

Daher ist es logisch, daß die menschliche Lebenswoge von Seelen, die sich während irgendeiner Zeit des kulturellen Werdegangs immer wieder verkörpert, riesige Erfahrungen aus der Vergangenheit mitbringt, und ihr natürlicher Impuls ist der Wunsch, einer glänzenderen Zukunft entgegen zu streben. Ist es daher verwunderlich, daß sich die jüngeren Generationen gegen die Stacheln des status quo auflehnen und bestehende Überlieferungen bekämpfen, die für sie dogmatisch und wertlos sind? Ohne diesen regelmäßig wiederkehrenden Umschwung würde die Menschheit nicht vorwärtskommen, sie würde sich vielmehr in ein Nichts auflösen. Die jüngere Generation von heute braucht nur ihre eigenen Scheuklappen abzulegen, dann wird sie den ganzen Bereich des Menschenmöglichen besser sehen. Dann wird sie nicht mehr länger nur zerstören, sondern sich bemühen, etwas Neues zu schaffen und dadurch den wahren Geist des Menschen in seinem Fortschritt auf der Leiter des evolutionären Wachstums entfachen. Sie wird dann einsehen, daß es keinen Abkürzungsweg zur Erleuchtung gibt.

Diese größere Perspektive, aufgebaut und beruhend auf den alten Prinzipien von Reinkarnation und Karma, erweitert den Blick für alle Dinge. Reinkarnation bildet dabei die Grundlage für die Kontinuität der menschlichen Erfahrung, und Karma ist das unzerstörbare Gesetz von Ursache und Wirkung. Sie liefert nicht nur die Schlüssel zum Verständnis unseres gegenwärtigen Dilemmas, sondern fordert jeden einzelnen von uns auf, sich ehrlich mit seinen eigenen Gedanken und Handlungen auseinander zu setzen. Wir können schließlich nicht erwarten, die Weltprobleme lösen zu können, solange nicht jeder von uns seine eigenen Beweggründe überprüft und dabei von einer egoistischen zu einer universaleren Einstellung anderen gegenüber gelangt - selbst den sogenannten Establishments gegenüber. Letzten Endes ist jeder Mensch für sich ein solches Establishment und wer von uns würde wegen eines rheumatischen Armes oder Beines seinen ganzen Körper zerstören - sein Establishment - nur weil in einem seiner Teile etwas nicht in Ordnung ist!

Für mich beruht die ganze Weltlage und alles, was damit zusammenhängt, auf der einfachen These, daß wahre Bruderschaft die Grundlage allen Lebens bildet. Aus diesem Grunde stört jeder einzelne von uns die Harmonie des Ganzen in dem Augenblick, wo er für irgend etwas anderes als zum Wohle aller denkt und handelt. Die vor uns liegende Aufgabe ist tatsächlich langwierig und mühsam. Sie kann nicht in einer begrenzten Zeitspanne, die zwanzig bis siebzig Jahre beträgt, bewältigt werden. So wie wir Millionen Jahre hinter uns haben, so haben wir Millionen Jahre vor uns. Solange wir jedoch nicht mit der Natur und ihren selbstlosen und unbeugsamen Richtlinien zusammenarbeiten, die ein beständiges Wachstum gestatten, werden wir die Einschränkungen zu verspüren bekommen, die ein engstirniges Verhalten mit sich bringt.

So liegt es an uns, die wir an Jahren reifer sind, unsere eigenen Perspektiven zu erweitern, um dadurch jenen unter der Jugend, die ehrlich nach befriedigenderen Antworten auf ihre Fragen suchen, eine solidere Grundlage des Denkens geben zu können. So turbulent und verwirrend alle unsere Schwierigkeiten auch erscheinen, in die Zukunft können wir dennoch voller Hoffnung schauen, denn obgleich eine Menschengeneration die Lektion, daß der Fortschritt ein Opfer des einzelnen für das Ganze einschließt, auch nicht völlig lernen kann, so wird es dennoch immer neue Generationen geben, die die nicht an eine Zeit gebundene Aufgabe fortsetzen.