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Der Wert eines Lebens

"Die Welt ist besser, weil er gelebt hat." - "Er war einer jener seltenen Menschen, die ihre Lebensaufgaben erfüllt haben. Er glaubte auch, daß das Leben weit über seine sichtbaren Dimensionen hinausgeht." - "Seine jährlichen Besuche waren für mich persönlich immer wieder ein Ansporn, die Schwierigkeiten, die uns allen im Leben begegnen, zu überwinden." - "Seine Fürsorge, daß wir uns in dem Land wohlfühlen, das vor kurzem unsere neue Heimat wurde, zählt zu den Dingen, für die ich stets dankbar sein werde." - "Er war der beste Freund, den ich jemals hatte." - "Ganz bestimmt empfinden alle tiefe Dankbarkeit für seine gewaltige Anstrengung und den außergewöhnlichen Ton, den er dabei anschlug, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken."

Solche Würdigungen kommen aus allen Teilen der Welt: Von langjährigen Freunden und zufälligen Bekannten, von engen Mitarbeitern und von Lesern des Sunrise. Sie alle legen Zeugnis ab für die Wahrheit, die James A. Long in seinem Leitartikel in der englischen Augustnummer zum Ausdruck gebracht hatte,1 der letzten Ausgabe der Zeitschrift, die unter seiner persönlichen Leitung gestanden hatte:

Wenn wir die sterblichen Hüllen abwerfen, hinterlassen wir ein Erbe, ein unsterbliches Erbe. Wie unbedeutend und gering es auch erscheinen mag, wir vermachen der Menschheit, was wir selbst sind. Der Wert unseres Lebens geht nicht verloren.

Wenn wir über den Wert seines Lebens nachsinnen, so waren es seine warme Menschlichkeit, sein sprühender Humor und seine einfache Natürlichkeit, wodurch er sofort für alle, die seinen Weg kreuzten, Verständnis hatte; die völlige Aufrichtigkeit in seinem Verhalten gegen alle, die seinen Rat suchten; und vielleicht mehr noch als alles andere, sein unbezwingbarer Drang, bis zum Ende seiner Tage für andere zu leben und zu arbeiten. - Wenn wir also über das Erbe nachdenken, das er hinterließ, dann können wir James Long nur als einen der "vom Geschick begünstigten Soldaten" ehren, die den Reihen jener beitraten, die als Diener der Menschheit ohne Einschränkung ihr Ganzes geben.

J. A. L. gab nie vor, etwas zu sein, was er nicht war. Er war immer nur er selbst, bemüht, sowohl in den alltäglichen Angelegenheiten als auch in den wichtigsten Situationen, den inneren Forderungen des Augenblicks zu entsprechen. Wenn die Menschen zu ihm kamen - es waren Hunderte aus allen Lebensbereichen, junge Leute, darunter solche, die sich mit Drogen, Sex oder anderen 'Modetorheiten' befaßten, Universitätsprofessoren, ältere Leute, Nachbarn, Geschäftsleute, Polizisten, Freunde, Studienkollegen - ganz gleich, wer es war oder worüber gesprochen wurde, ein Merkmal war vorherrschend: er lauschte ihren Worten, ja; vor allem aber ihrem Herzen, auf den nicht formulierten Ruf ihrer Seele, und er reagierte wohlwollend. Fast ohne Ausnahme gingen sie innerlich gestärkt und mit neuer Einsicht von ihm fort. Nicht daß er ihnen besondere Ratschläge erteilt hätte; es war seine offene und freimütige Erörterung ihrer Probleme, die ihnen zu einem größeren Überblick verhalf, so daß die Probleme nicht länger unlösbar erschienen.

bild_sunrise_61971_s183_1"Der Großmütige kennt die Macht der Güte", schrieb Browning. J. A. L. besaß die Güte des Starken und die Strenge der echten Güte. In jedem Land, das er im Laufe der Jahre besuchte, sahen Dutzende von Kindern in "Onkel Jim" ihren ganz besonderen Freund. Wenn es die Gelegenheit einmal erforderte, so konnte auch niemand härter sein und sogar - wenn man nur dem Anschein nach urteilt - unbarmherzig, denn er duldete keinen Kompromiß was Heuchelei oder Selbstmitleid betraf, das sich wie Krebs in die Seele frißt. Für ihn war keiner benachteiligt, selbst bei schlimmster Behinderung nicht. Seiner Ansicht nach war lediglich derjenige benachteiligt, der sich weigerte, seinen angeborenen Willen und Mut dafür einzusetzen, um - ganz gleich wie die Chancen standen - sein Bestes zu tun. Dies war eine Lektion, die er schon ganz früh gründlich lernen mußte, denn er wurde im Alter von vier Jahren durch eine Kinderlähmung schwer verkrüppelt, lange bevor die moderne Therapie Wege zur Linderung ihrer Nachwirkungen entdeckt hatte. Aber er hat das 'Handikap' in Segen verwandelt, denn es gab ihm im Laufe der Zeit eine Tiefe des Mitgefühls und einen Reichtum an Verständnis, deren Erwerb sonst vielleicht Lebenszeiten erfordert hätte.

Es ist sicher nicht unangemessen, hier zu erwähnen, daß Sunrise nur ein Teil der aktiven Arbeit von James Long war. Seit Mitte der dreißiger Jahre studierte er Theosophie, nachdem er in ihrer Philosophie den universalen Schlüssel fand, der nicht nur den religiösen Lehren des Christentums - in dem er erzogen worden war - einen Sinn verlieh, sondern auch den Lehren anderer Weltreligionen, die er damals näher erforschte. Er gewann so die Überzeugung, daß die Menschen - wenn sie begriffen, daß die grundlegenden Lehrsätze in jeder Religion die gleichen sind - erkennen würden, daß sie alle eine gemeinsame Abstammung - im spirituellen Sinn - haben.

Die Idee, für eine universale Bruderschaft zu wirken, hatte ihn begeistert. Als er aus dem aktiven Dienst im Außenministerium in Washington, D. C., ausschied, ging er nach dem Westen und trat dem Stab des Hauptquartiers der Theosophischen Gesellschaft International bei, wo er im Februar 1951, nach dem Heimgang seines Freundes und Mentors, Oberst Arthur L. Conger, die Verantwortung der Leitung dieser weltweiten Organisation übernahm.

Im Oktober des gleichen Jahres begann er Sunrise herauszugeben, nicht als offizielle Zeitschrift, sondern als Basis informeller Begegnung - eine Zeitschrift, die dem alles umfassenden Ziel gewidmet war, zwischen den suchenden, ruhelosen Seelen jeder Generation und dem zeitlosen Fundus der Weisheitslehren - die die Quintessenz jedes religiösen und philosophischen Systems sind - "Brücken der Verständigung" zu bauen. Zwanzig Jahre lang verfolgte er standhaft sein Ziel: diese ewigen spirituellen Prinzipien einfach und klar darzustellen, um allen, die die Quellen der Wahrheit ernsthaft finden wollen und dabei eine tiefere Bedeutung für das Dasein des Menschen entdecken, die Gelegenheit zu geben, sich eine brauchbare Lebensphilosophie aufzubauen, nach der sie leben konnten.

Für "intellektuelles Ping-Pong" hatte J. A. L. jedoch keine Zeit, und er hatte auch keine Zeit für jene, die sich damit befassen, nur die Schalen der Lehren zu zerteilen, während der Kern der angewandten Seelenweisheit unbeachtet bleibt. Er hatte auch keine Zeit für das "Narrenfutter", - um H. P. B's anschaulichen Ausdruck (flap-doodle) zu gebrauchen - das im Flitterkleid des psychischen Abenteuers einherstolziert. Er war sich voll bewußt, daß es echte paranormale Kräfte gibt: aber er hielt es für moralisch falsch, sie persönlicher Vorteile wegen zu erforschen. Selbstlosigkeit war für ihn der einzige, echte Okkultismus: die Hingabe des eigenen Besten zur Förderung anderer.

James A. Long vermachte ein edles Erbe: den Wert eines Lebens voller Aufopferung. Wir werden bei der Weiterführung der auf diese Weise vorgezeichneten Richtung in Zukunft die gleichen umfassenden allgemeingültigen Ideale weiterverfolgen, die Sunrise seit seiner Gründung gekennzeichnet haben.

Fußnoten

1. Die deutsche Übersetzung dieses Artikels erscheint voraussichtlich in Heft 1/1972 des Deutschen Sunrise. [back]