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Reinkarnation und die ersten Christen

Die Forschung bringt Tatsachen ans Licht, die zuverlässig darauf hinweisen, daß der Glaube des Urchristentums und die Lehren der alten Mysterienschulen in vieler Hinsicht übereinstimmten. Bestimmte Lehren der frühen Christen wurden offenbar später unterdrückt oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt, so daß die ursprünglichen Wiedergaben für die heutigen Nachfolger von Christus "verloren" gingen. In den Jesu und seinen Jüngern zugeschriebenen Zwiegesprächen finden wir zum Beispiel Stellen, die auf die Annahme der Wiederverkörperungslehre hinweisen. Ohne Zweifel pflegten die Christen, die zur Zeit Jesu oder kurz darnach lebten, die ursprünglichen Lehren ihres Meisters getreuer wiederzugeben als jene, die drei- oder vierhundert Jahre später lebten. Außerdem verstanden sie wohl auch besser, was ihnen die Apostel berichteten, als die späteren (nach-nizäischen) Kirchenväter, die, nebenbei gesagt, bei ihren Beschlüssen von Konstantin I., Kaiser von Rom, 'gelenkt' wurden.1

Vor allem besteht kein Zweifel, daß zur Zeit von Jesus sowohl bei der Allgemeinheit wie unter der Geistlichkeit der Glaube an Wiedergeburt in irgendeiner Form allgemein üblich war; nur weil er als selbstverständlich hingenommen wurde, wurde er nicht besonders gelehrt. Viele jüdische Sekten, die Essener, die Zeloten, Nazarener und Kabbalisten glaubten daran. Selbst die wegen ihres Sektierertums von Jesus oft verächtlich behandelten Pharisäer glaubten laut Josephus, daß "Seelen eine unsterbliche Macht in sich haben und daß es unter der Erde Belohnungen und Bestrafungen gibt, je nachdem, ob der Mensch in diesem Leben tugendhaft oder unmoralisch gelebt hatte; und die zuletzt genannten Seelen würden in einem ewigen Gefängnis festgehalten, aber die ersterwähnten würden die Macht haben, wieder zu leben." (The Antiquities of the Jesus, Buch XVIII, Kapitel I)

Wenn die Rückkehr der Seele als Tatsache angenommen wurde, sollten wir erwarten können, in den Schriften der Apostel irgendwelche Hinweise darauf zu finden. Wir wollen sehen, welche Stellen in der Bibel wenigstens als Folgerung so ausgelegt werden können.

Im neunten Kapitel des Johannesevangeliums gingen Jesus und seine Jünger an einem Manne vorüber, der von Geburt an blind war. "Und seine Jünger fragten ihn und sagten: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren wurde?" Beachten wir, daß sie, um eine solche Frage zu stellen, das Gefühl gehabt haben müssen, daß der Mensch auf irgendeine Weise sündigen könne, ehe er geboren wurde. Es gibt nur zwei Wege, wie das geschehen kann: entweder er könnte sündigen, während er im Mutterleib war (eine widersinnige Idee, die Jesus sofort berichtigt hätte, wenn sie das gemeint hätten), oder in einem früheren Leben. Beachten wir zunächst die Antwort, die Jesus gab: "Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern auf daß die Werke Gottes an ihm geoffenbart würden." Er legte einfach dar, daß in diesem besonderen Fall Sünde nicht in Frage kam, aber er sagte kein Wort gegen ihre Vermutung, daß ein Mensch vor seiner gegenwärtigen Inkarnation gesündigt haben kann.

Dann gibt es die dem Nazarener zugeschriebenen Heilungen. Was pflegte Jesus jenen zu sagen, denen er half, Leiden zu überwinden, die sie seit ihrer Geburt erduldet hatten? "Deine Sünden sind dir vergeben." Der natürlichere Ausdruck wäre gewesen "sei geheilt", wenn jene Gebrechen nicht die Ernte früherer Irrtümer in der Vergangenheit gewesen wären, die sich jetzt in diesem Leben auswirkten.

In den zwei ersten Evangelien gibt es verschiedene Hinweise auf die Erwartung der Juden, daß der eine oder andere der großen Propheten wiederkommen würde. Siehe Markus (6:15, 8:28, 9:12-13), wo Jesus seine Jünger fragte, was die Leute über ihn sagen, wer sie denken, daß er sei? Und sie antworteten, daß manche sagen, er sei Johannes der Täufer, andere sagen, er sei Elias und wieder andere, daß er "einer der Propheten" sein könnte (siehe auch Matthäus, 17:12-13).

Dann haben wir den deutlichen Hinweis auf die Wiedergeburt in dem oft zitierten Satz aus der Offenbarung (3:12):

Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes, und er wird nie mehr hinausgehen (in die Inkarnation?); und ich werde auf ihn schreiben den Namen meines Gottes. ...

Sobald der Mensch vollkommen die Herrschaft über sich selbst, über die der Materie zugehörigen Elemente seiner Natur erlangt hat, wird er ein "lebendiger Geist", ein "Tempel" des lebendigen Gottes. Und wenn dieser Punkt erreicht wurde, besteht für ihn kein Grund mehr, zur Inkarnation in die Sphäre der materiellen Erfahrungen zurückzukehren. Aber bis dieser Punkt erreicht ist, muß man regelmäßig wiederkommen, denn niemand kann in einem kurzen Leben alles lernen, was ihn die Erde zu lehren hat. (Ein Säugling, der kurz nach der Geburt stirbt, hätte nicht einmal eine Gelegenheit, versucht zu werden, viel weniger etwas zu lernen.)

Wie kommen jene, die glauben, daß für jedes kleine Kind eine neue Seele geschaffen wird, mit jener Stelle im Alten Testament zurecht, in der der Herr zu Jeremia sagt, daß er ihn sehen konnte, ehe er im Mutterleib war? "... und ehe du aus dem Mutterschoße hervorkamst, habe ich dich geheiligt: zum Propheten an die Nationen habe ich dich bestellt" (1:5). Und wiederum, was würden sie zu den Worten des Propheten Heskiel an den König von Tyrus sagen:

Du warst in Eden, dem Garten Gottes; ... du warst auf Gottes heiligem Berge, ... Vollkommen warst du in deinen Wegen von dem Tage an, da du geschaffen worden, bis Unrecht (der Sündenfall?) an dir gefunden wurde. - 28:13-15

Das Wort Adam bedeutet 'Menschheit', und wenn wir heute die reinkarnierten Seelen der jungen Menschheit sind, die 'sündigte' und aus dem Paradies vertrieben wurde, um den 'Fluch' des materiellen Lebens zu erfahren und dabei selbstbewußt den Unterschied zwischen Gut und Böse kennenzulernen, dann müssen wir in unserem ständigen Kampf zu wachsen oft 'gesündigt' (oder 'Körper angenommen') haben. Wenn dem so ist, würden wir nicht nur all die Schwierigkeiten verdient haben, die uns in diesem und in früheren Leben entgegengetreten sind, sondern auch alle Achtung, weil wir den Mut hatten, auf dem langen Weg zurück zum Vater vorwärts zu drängen. Andererseits, wenn wir nicht Wiederverkörperungen unserer früheren Selbste sind, sondern nur von dem Allmächtigen zu ewiger Glückseligkeit oder ewiger Verdammnis vorherbestimmte, neu geschaffene Seelen, ist es von der Kirche ungerecht, unsere Abwendung von Gott zu proklamieren.

Was bedeutet aber der Passus bei Hiob (33:27-30), der auf die "oftmalige" Rückkehr der Seele in die physische Sphäre hinweist, um die Lektionen des Lebens zu lernen, so daß ihre Wanderungen Ziel und Zweck haben? Wir sollten über diese tiefgründigen Bemerkungen des großen Patriarchen nachdenken:

Er betrachtet die Menschen, und wenn einer unter ihnen ist, der sagt: Ich hatte gesündigt und die Geradheit verkehrt, und es ward mir nicht vergolten; er hat meine Seele erlöst, daß sie nicht in die Grube fahre, und mein Leben erfreut sich des Lichtes.

Siehe, das alles tut Gott zwei-, dreimal mit dem Menschen, um seine Seele abzuwenden von der Grube, daß sie erleuchtet werde von dem Lichte der Lebendigen.

Wir behaupten nicht, daß Reinkarnation die einzige Auslegung ist, die es hier gibt, noch sind die oben zitierten Texte nicht alles, was zur Unterstützung dieser Anschauung angeführt werden könnte. Aber wir bieten sie zumindest als eine von verschiedenen Möglichkeiten an.

Auch die Werke verschiedener wohlbekannter Kirchenväter, die im zweiten und anfangs des dritten Jahrhunderts nach Jesus und deshalb vor dem ersten Konzil in Nizäa 325 n. Chr. lebten, müssen ins Auge gefaßt werden. Wir sehen sofort, wie weit verbreitet der Glaube an Wiedergeburt unter ihnen war. Ihre Quellen waren die Lehren der Apostel und biblisches Schrifttum aus der Zeit, ehe über den Kanon endgültig entschieden wurde: nicht die Meinungen und Diktate von Kaisern und genau festgelegten Glaubensbekenntnissen. Außerdem waren die meisten von ihnen Philosophen hohen Ranges, die in platonischem und pythagoräischem Denken geschult waren.

Clemens von Alexandria (150-220 n. Chr.), ein Platoniker und Gründer der alexandrinischen Katechetenschule, schreibt in seiner Exhortation to the Pagan (Mahnung an die Heiden):

Wir waren schon lange vor der Errichtung der Welt: wir existierten in der Vorstellung Gottes, denn es ist unsere Bestimmung, in Ihm zu leben. Wir sind die vernunftbegabten Geschöpfe des Göttlichen Wortes (Logos); deshalb existierten wir von Anfang an, denn "am Anfang war das Wort." ... Er zeigt seine Barmherzigkeit nicht das erste Mal bei unseren Abirrungen (von der Wahrheit). Er hatte vom ersten Augenblick, von allem Anfang an Erbarmen mit uns.

Justin Martyr (100-165 n. Chr.) behauptete ebenfalls, daß die Seele des Menschen ursprünglich aus dem Göttlichen emanierte und mehr als nur einen Körper annahm, daß sie aber unfähig sei, sich früherer Erfahrungen zu erinnern; und sein Schüler Tatian erklärte, daß "der Mensch so unsterblich sei wie Gott" (Anacalypsis). Ein anderer christlicher Platoniker, Chalcidius, lehrte im gleichen Sinne, daß "Seelen, die es unterließen, sich mit Gott zu vereinen, durch das Gesetz des Schicksals gezwungen werden, ein neues, vom vorhergehenden ganz verschiedenes Leben zu beginnen, bis sie ihre Sünden bereuen."

Es scheint kein Zweifel zu bestehen, daß im Verlauf der Jahrhunderte die Trennung zwischen jenen, die ihren Glauben an die Rückkehr der Seele aufrechterhielten und jenen, die begannen, die Idee als 'ketzerisch' zu betrachten, immer schärfer in Erscheinung trat. Mit der Zeit wurde die Lehre mehr und mehr als "Irrtum" betrachtet. Beausobré bestätigt das in seiner History of Manicheism (Geschichte des Manichäismus) in seinem Kommentar über Chalcidius:

So waren es nicht nur die ... Gnostiker, die den Irrtum von der Metempsychose annahmen; es waren die christlichen Philosophen von hohem Ansehen und von großer Tugendhaftigkeit. Der Irrtum ist aufgrund seines hohen Alters, seiner Universalität und seiner Grundsätze sehr fesselnd, von denen er, wie sie glaubten, eine Folge sei. - II., 493

Der berühmteste der anti-nizäischen Väter war wahrscheinlich der griechische Exeget Origenes (184-254 n. Chr.), den Henry More, der Platoniker und Philosoph des 17. Jahrhunderts in Cambridge, als "das größte Licht und Bollwerk, das das alte Christentum hatte", beschrieb. Origenes lehrte eine "modifizierte" Form der Reinkarnation, in der sich die Seele in anderen "Welten" (auf anderen Ebenen) wiederverkörperte, ehe sie zur Inkarnation in diese Welt zurückkehrte. Während Origenes der erfindungsreichste Autor seiner Zeit genannt wurde, stehen heute als unvermeidliche Folge des Konfliktes zwischen den Ideen des Origenes und denen der Kirche nicht viele seiner Schriften im Original zur Verfügung. Wir zitieren nur zwei Stellen; die erste aus seinem Contra Celsum, worin er die Ansichten von Celsus widerlegt:

Stimmt es nicht mehr mit dem Verstand überein, daß jede Seele aus gewissen geheimnisvollen Gründen (ich spreche jetzt gemäß den Meinungen von Pythagoras, Plato und Empedokles, die Celsus häufig nennt) in einen Körper gesteckt wird, und zwar in einen ihren Verdiensten und früheren Handlungen entsprechenden Körper? - 1. Buch, 32. Kapitel

Und das zweite Zitat aus seinen First Principles (Grundprinzipien):

... gewisse Ursachen weit älteren Datums führen dazu, daß manche Wesen zu Gefäßen der Ehre und andere zu Gefäßen der Unehre geschaffen (gemacht) wurden. ... Da es andererseits möglich ist, daß derjenige, der aufgrund von Ursachen aus viel früherer Zeit als aus dem gegenwärtigen Leben, hier ein Gefäß der Unehre war, nach Besserung ... werden kann etc. - 3. Buch, 1. u. 3. Kapitel

Dabei schließt Origenes die verwandte Lehre von Ursache und Wirkung ein, die Paulus den Galatern gegenüber bündig betont: "Was der Mensch säet, das wird er auch ernten."

Wir wenden uns jetzt Synesius zu, dem christlichen Bischof und Neuplatoniker, Freund und Schüler der Hypatia, der im vierten und fünften Jahrhundert und deshalb in der Zeit der Nachwirkungen der Beratungen des ersten Konzils von Nizäa lebte. Trotz seiner Treue seinen bischöflichen Pflichten gegenüber bewahrte er seine Liebe für die neuplatonischen Lehren, von denen die nicht unbedeutendste sich damit befaßte, daß die Seele "in die himmlische Region zurückkehrt, von der sie zur Erde gesandt wurde", um "viele Leben hindurch auf der Wanderschaft" Erfahrungen zu sammeln. Ihm wird eine bezeichnende Bemerkung zugeschrieben: "Für mich werde ich immer Philosoph sein, aber den Leuten gegenüber muß ich Priester sein" - eine klare Vorankündigung der Haltung, die später mancher Geistliche einnahm. Aber man berichtet von ihm, daß er betete: "Vater gewähre, daß meine Seele mit dem Licht verschmelze und nicht mehr in die Täuschung auf Erden zurückgestoßen wird!"

Schließlich zitieren wir Augustin, den Bischof von Hippo (354-430), der in seiner Seelenangst ausrief:

Sage mir, o Herr ... folgte meine Kindheit auf eine andere Lebenszeit, die vorher zu Ende ging? War es die, die ich in meiner Mutter Schoß verbrachte? ... und was war wiederum vor diesem Leben, o Gott meine Wonne, war ich irgendwo oder in irgendeinem Körper? Niemand kann mir das sagen, weder Vater noch Mutter, nicht die Erfahrung anderer, noch meine eigene Erinnerung. - Confessions, VII, 9

Und ferner bringt er in sehr nüchternem Ton sein tiefes Gefühl für Plato zum Ausdruck, der die Wiedergeburt der Seele in sterblichen Körpern als wesentlichen Bestandteil in seine Philosophie einschloß:

Die Botschaft Platos, die reinste und leuchtendste in allen Philosophien, hat schließlich die Finsternis des Irrtums zerstreut und leuchtet jetzt hauptsächlich in Plotin, einem Platoniker, der seinem Meister so ähnlich ist, daß man denken könnte, sie lebten zusammen, oder vielmehr - da sie eine so lange Zeitspanne voneinander trennt, daß Plato in Plotin wiedergeboren wurde.

Es stellt sich anscheinend heraus, daß die Idee der Reinkarnation in den frühesten Jahrhunderten unserer Ära (ehe der Kanon der Kirche festgelegt wurde) keineswegs geringschätzig betrachtet, sondern verehrt wurde - nicht als "Lehre des Teufels", sondern als ein Teil des größeren Planes zur schließlichen Befreiung des Menschen. Sie gedieh in der Tat nicht nur in den Herzen jener frühen Christen, sondern sie wuchs verborgen während der folgenden Jahrhunderte, um die Herzen jener kleinen Gruppen von Gläubigen zu stärken, auf denen die Hand des "christianisierten" Rom schwer lastete, weil sie es wagten, die These von der Unsterblichkeit der Seele zu vertreten.

Die Geschichte berichtet von vielen edlen Männern und Frauen, Christen im wahrsten Sinne, darunter einige anerkannte Dichter und Schriftsteller, die immer wieder darlegten, daß die stille, noch schüchterne Stimme des Geistes im Innern öfter und stärker die Glocke der Wahrheit anschlägt, als alle Glaubensbekenntnisse und autoritativen Entscheidungen und Verdammungen von Synoden oder Konzilen.

Fußnoten

1. Konstantin hat das erste Konzil zu Nizäa 325 n. Chr. mit dem Hauptziel einberufen, "die wahren christlichen Lehren" auf eine feste Grundlage zu stellen. [back]