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Uferlose Ströme des Lebens

Der Mensch hat sich schon zu allen Zeiten über sich als individuelles Wesen den Kopf zerbrochen. Wer ist er, woher kommt er, wo ist sein Platz im allgemeinen Schema, und hat er einen bestimmten Zweck und eine klare Bestimmung? Immer wieder versuchte man diese Rätsel zu klären, und die verschiedensten Theorien wurden dabei vorgebracht. Sie erstrecken sich in ihren Spekulationen von wilden, unvernünftigen, phantastischen Mutmaßungen bis gelegentlich weitgehendst an die Richtigkeit des gesunden Menschenverstandes heran. Der Laie muß, wenn er schon über diese Fragen nachdenkt und sich bemüht, seine Gedankenrichtung festzulegen, sorgfältig unter den betreffenden Schlußfolgerungen auswählen, wobei er seine eigene Beobachtungsfähigkeit und das Maß an Intuition, das er besitzen mag, als Richtschnur benutzen muß. Ist er jedoch von dogmatischen Beschränkungen frei, dann können die Flüge seiner Phantasie manchmal logischer sein als die vernunftgemäßen Erklärungen vieler angesehener Männer der Wissenschaft und vieler Schriftsteller.

Eine der ersten und offensichtlichsten Erscheinungen, über die der Mensch nachdenkt, ist die der Bewegung und des Wechsels in ihren endlosen und universalen Verzweigungen. Alles ist in beständiger und unaufhörlicher Bewegung, und kein empfindendes Leben oder Wesen ist davon ausgeschlossen. So sind Anfang und Ende nur willkürliche Brennpunkte in der Unendlichkeit, Begrenzungen innerhalb des Grenzenlosen (oder der Leere des Raumes), dem Urquell allen geoffenbarten Seins.

In einem im Sternenstaub von Myriaden anderer Konstellationen verlorenen winzigen Sonnensystem, am Rande der Milchstraße, befindet sich unsere Himmelsinsel, unser Heim, dem dort sein Platz zugewiesen ist, und das dort lokalisiert ist. Wie ein sich drehender Kreisel wirbelt unser Planet planmäßig um ein lebenspendendes Herz, um einen Mittelpunkt, um einen Vater Sonne, als einer aus der vertrauten aber ausgedehnten Familie gleichartiger und doch in einzigartiger Weise unterschiedlicher Globen. Wie schnell sich das Sonnensystem im Verhältnis zu unserer Milchstraße dreht, kann genau berechnet werden, denn es besteht eine bestimmte Gleichung, nach welcher jede veränderliche Größe gemessen werden kann. Dieser galaktische Komplex, der, weil man keinen besseren Namen hat, die Milchstraße genannt wird, ist nicht notwendigerweise ein Riese im Vergleich zu anderen Systemen, die um ein noch größeres kosmisches Zentrum kreisen. Kann es darüber, daß dieses leuchtende System auf seiner erhabenen evolutionären Reise durch die Gebiete des Raumes schwingt, noch irgendeinen Zweifel geben?

Wieviele halten dann und wann inne, um über die pulsierende Aktivität um uns herum und auch unter unseren Füßen nachzudenken, während wir auf dieser, unserer Erde wandern? Nicht nur über die Bewegung der Wolken und Winde, über den Wechsel der Temperatur, den Regen und den Schneefall, sondern auch über die beständige Bewegung der atomaren und nuklearen Struktur der Materie selbst, die sich im rhythmischen Pulsieren mit der Erdrinde hebt und senkt - Materie, die so dünn ist, daß sie von unserem Satelliten, dem Mond, angezogen wird, wenn das auch nicht so ins Auge fällt, wie beim Meer und seinen Gezeiten. Und wer denkt schon nach über die kreisende Bewegung unseres Globus um die Sonne, die das Jahr in zeitliche Zyklen von vier gleichen Vierteln einteilt - Perioden des Wechsels, die zuerst ein Wachsen und eine Tätigkeit nach außen erzeugen und dann Stille und inneres Wachstum, denen Ruhe und erneute Assimilation folgen.

Nicht weniger bemerkenswert sind die physikalischen Merkmale: Hochragende Berge, die niemals unveränderlich sind, sondern sich beständig heben oder bis zu den Tälern und Ebenen abschleifen. Flüße und Ströme, die immer weiter fließen, stets ihrer Ursprungsquelle, dem Meere zu. Es gibt verschiedene Wolkenbildungen, die vor klimatischem Witterungswechsel warnen und auch die sich langsam fortbewegenden Gletscher, die zu der Grundsubstanz zurückkehren, von der sie ihren Ursprung nahmen. Sanfte Passatwinde und launische Hurrikane oder wütende Taifune: in der Stratosphäre schnelle ständig wechselnde Luftströmungen gegen die Umdrehung der Erde. Weite unfruchtbare Gebiete und Wüsten, die dem Land und der Atmosphäre wohltätige Gesundung ermöglichen. Und immer dieser geduldige Erdboden unter uns, der stets bereit ist, einem Überfluß an Leben in seiner ganzen mannigfaltigen Schönheit und Form wieder und wieder zur Geburt zu verhelfen. Ein harmonischer Lobgesang.

Nicht länger mehr verbirgt das Meer seine vielen Geheimnisse vor uns. In und unter jenen rastlosen Wassern ist die gleiche rührige, universale und intelligente Aktivität, dieselbe Symbiose und das gleiche ökologische Gleichgewicht zu finden. Ein Wechselspiel zwischen lebenden Geschöpfen und den Elementen der Natur. Es bedarf keines erfahrenen Seemannes, um Ebbe und Flut zu unterscheiden, aber über die submarinen Flüße, über die sich vom Meeresboden erhebenden schweigenden Berge, die sich manchmal bis zu 30000 Fuß erheben, mußte viel gelernt werden. Ebenso noch viel mehr von den Wundern unter den Wassern, die bis jetzt nur angedeutet werden - und nicht zuletzt über jene 'öden' Gebiete, in denen fast überhaupt kein Leben ist.

Man sagt, wenn man in einen Tropfen Wasser blickt, erschaut man die Ewigkeit. Außer der molekularen Struktur des Atoms scheint es ein anderes 'Sonnen'-System zu geben, mit einem zentralen Kern und verschiedenen Schichten oder 'Häuten' darum. Das wiederum bildet eine vollständige, gleichartige Familie mit bestimmten und unterschiedlichen charakteristischen Merkmalen. Diese Partikel werden als positiv, negativ und neutral bezeichnet. Sie erscheinen und verschwinden, scheinen zu stocken, einem gewundenen Pfad zu folgen und endlos durch große Gebiete des interatomaren Raumes schnell zu kreisen und dahin zu schießen.

Wenn das mächtige Atom tatsächlich der Baustein für die zahllosen galaktischen Systeme ist, kann dann nicht angenommen werden, daß alle diese atomaren Wesenheiten beständig in einer und durch eine Lebensform nach der anderen kreisen? Warum sollten selbst einem einzigen Atom von der Struktur und Umgebung dieser Erde die Sterne und Planeten irgendeines Sonnensystems fremd sein? Vielleicht sind sie Boten, die bei ihrem Umherschweifen und auf ihren Wanderungen die Erinnerung an andere Erfahrungen mit herumtragen, hier Gedankeneindrücke oder ein Gedankenbild zurücklassen und, wenn der Zeitpunkt kommt, ihre Reise fortsetzen.

Henry David Thoreau sagte während einer seiner nachdenklichen Stimmungen: "Ich hörte auf zu existieren und begann zu sein." Wahrscheinlich war sich der liebenswürdige Naturfreund in seinem Heim in Walden seiner Verwandtschaft mit allen Dingen, den großen und den kleinen, nicht vollkommen bewußt, aber es besteht kaum Zweifel, daß er zuweilen die Einheit des Seins und ihre überwältigende Gegenwart um sich fühlte.

In jenen Augenblicken, in denen wir die Erhabenheit dieser Gegenwart in ihrer ganzen geoffenbarten Verkleidung und Herrlichkeit wahrnehmen, kann es nur ein Gefühl der Demut und der Bedeutungslosigkeit geben. Diese Erde vom kosmischen Standpunkt aus betrachtet, nur ein Sandkorn, und wir, die Bewohner, sind noch weniger. Ist nicht jeder von uns nur ein mathematischer Punkt in der Unendlichkeit, der in die Ewigkeit blickt - nach beiden Richtungen, nach innen und nach außen? Und ist dieselbe ehrfurchtgebietende Unermeßlichkeit und dieser Glanz nicht auch in uns und unter unseren Füßen? Und wir - wir wandeln auf dem Staub von einer Million Sternen.