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Gespräche am runden Tisch: Über Gott, den Willen Gottes und die Vorherbestimmung

Frage: Es gibt so viele Fragen, über die wir gerne mit Ihnen sprechen mochten - über Gott, den freien Willen und über den Fall Adams - , daß wir gar nicht wissen, wo wir beginnen sollen. Wir können natürlich sagen, "Alles ist Gottes Wille" und für manche in unserer Gruppe genügt das, vielleicht deswegen, weil sie mehr Vertrauen haben als ich. Aber da ich heute mit der Fragestellung beginnen soll, möchte ich Sie gerne ganz offen fragen: Welcher Art ist eigentlich Ihr Glaubensbekenntnis oder Ihre Glaubensform?

Antwort: Vor allem möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich den Vorzug schätze, daß Ihr Leiter, Dr. ..., mich eingeladen hat, Ihre Gruppe zu besuchen. Und bevor ich weiterspreche, möchte ich folgendes klarmachen: Wie ich die Sache sehe, sind Sie und ich und jeder andere nur Anfänger im Suchen nach Wahrheit. Es ist gleichgültig ob jemand 20, 50 oder 80 Jahre alt ist, wir suchen alle - jeder auf seine eigene individuelle Art und Weise - nach Erkenntnis und Verstehen. Deshalb hat niemand das Recht, mit letzter Autorität über die Wahrheit zu sprechen oder zu versuchen, das letzte Wort über die Gesetze der Natur zu sagen.

Sie fragen mich, was mein Glaubensbekenntnis oder meine Glaubensform ist. Ich habe kein Glaubensbekenntnis; ich habe auch keine organisierte Glaubensformel und kein Dogma. Genauso wie jeder Grashalm von allen anderen verschieden ist, so ist jeder Mensch von allen anderen Menschen verschieden; und während es Prinzipien der Wahrheit gibt, die unveränderlich sind, war die Art, in der diese Prinzipien in der Welt zum Ausdruck gebracht wurden, bei jedem Weltlehrer sehr verschieden. Das ist nicht nur natürlich, sondern auch für das Wachstum wesentlich, denn eine der am meisten vorherrschenden Neigungen in der menschlichen Natur ist die Tendenz zu kristallisieren, sich mit netten Glaubenssätzen bequem zufrieden zu geben und zu denken "nun habe ich endlich die Wahrheit, es ist nicht mehr nötig danach angestrengt weiter zu suchen." Diese Haltung ist für mich eines der größten Hindernisse für den spirituellen Fortschritt eines jeden, der aufrichtig sucht, sein Verständnis für das Leben zu erweitern.

Sie fragen mich, was mein Glaubensbekenntnis ist? Ich mag dieses Wort überhaupt nicht und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es gewöhnlich eine autoritative Feststellung über die religiösen Lehren oder irgendeine formelle Zusammenfassung des Glaubens andeutet und so etwas lehne ich ohne Rücksicht darauf, wie erhaben oder wahr eine Darlegung oder Zusammenfassung des Glaubens sein mag, eben ab. Das Wichtigste ist meiner Meinung nach nicht die Erlangung der Wahrheit (oder irgendeines Aspektes derselben, da wir die Wahrheit per se nie erreichen können), sondern das Suchen nach ihr und das Erreichen eines immer größeren Verstehens. Wenn ich ein Glaubensbekenntnis haben müßte, dann würde es folgendes sein: Die absolute Überzeugung davon, daß die Seele eine freie Bahn zum Forschen innerhalb ihres eigenen Bewußtseinsbereiches braucht.

 

Frage: Aber Sie müssen doch an irgend etwas glauben? Glauben Sie zum Beispiel an Jesus?

Antwort: Gewiß glaube ich an Jesus, aber nicht unbedingt auf die gleiche Weise wie Sie es tun. Ich glaube aus ganzer Seele, daß Jesus eine Inkarnation einer göttlichen Kraft war, oder, wenn Ihnen das lieber ist, eine Inkarnation Gottes. Ich glaube auch, daß Jesus in dieser Hinsicht nicht einzigartig war, sondern daß jeder Mensch potentiell ein Sohn Gottes, eine Inkarnation seiner eigenen inneren Göttlichkeit ist. Sagte uns Jesus nicht: "Die Werke, die ich tue, werdet auch Ihr vollbringen und noch größere Dinge." Was meinte er damit, wenn er uns nicht daran erinnern wollte, daß auch wir Tempel des Höchsten sind? Es waren dies nicht bloße Worte des Trostes, er hinterließ uns mit ihnen eine Botschaft voll gewaltiger Hoffnung und Vertrauen in das spirituelle Schicksal des Menschen.

 

Frage: Sie erwähnen Gott. Sie scheinen an Gott zu glauben, aber möchten Sie uns genau sagen, was Sie in bezug auf ihn empfinden?

Antwort: Glaube ich wirklich an Gott? Das hängt ganz davon ab, was Sie sich unter Gott vorstellen. Wenn Sie fragen, ob ich an einen persönlichen Gott glaube, an eine Gottheit außerhalb des Menschen, dann müßte ich sagen, daß mein Glaube weit über die gewöhnliche orthodoxe Anschauung hinausgeht. Ich möchte Ihnen kurz erklären, was ich beim Erforschen der vielen alten Überlieferungen gefunden habe, die durch die großen Weltreligionen des Ostens und des Westens erhalten blieben. Als Ergebnis ist Gott für mich zu jener göttlichen Intelligenz geworden, die den Hintergrund und Vordergrund alles Existierenden bildet. Mit anderen Worten, in meiner Vorstellung kann nichts bestehen, wenn es nicht ein Teil Gottes, ein Ausdruck dieser göttlichen Kraft ist. Wenn ich mich der christlichen Terminologie bediene, scheint für mich das folgende zuzutreffen: Erstens, daß die Wasser des Raumes in der Genesis nicht nur grenzenlos und unendlich in ihrer Ausdehnung sind, sondern sie sind auch die göttliche Quelle aller manifestierten Geschöpfe. Zweitens, daß, als Gott oder die Elohim über den Wassern des Raumes schwebten, die Leere fruchtbar wurde und Gott aus der Dunkelheit auf dem Antlitz der Tiefe in das Licht trat und ein Universum mit seinen Myriaden Formen von Geschöpfen, von den Sternen über den Menschen bis zu den Atomen, ins Dasein trat. Drittens, glaube ich, daß, weil es Gott oder die Elohim waren, (um wieder den hebräischen Ausdruck für den Plural von Gott und nicht den Singular zu benutzen) die jedes Atom im Raum mit ihrer Essenz durchdringen, jede Facette des Universums ein Ausdruck Gottes sein muß, wie unendlich klein er auch sein mag. Das bedeutet ferner, daß jedes Geschöpf in den Himmeln und auf Erden die Gelegenheit hat, selbstbewußt gottähnlich zu werden. Es ist klar, daß ein solches selbstbewußtes Einssein mit Gott nicht in einem Tag erreicht werden kann, sondern einen langen Weg durch Zeit und Raum erfordert, bis jeder Aspekt Gottes die Gelegenheit gehabt hat, in allen Reichen Ausdruck zu finden. Wenn dann der Große Tag kommt, wird alles, was aus der Dunkelheit der Leere emanierte, für seine Ruheperiode wieder zu Gott zurückgezogen.

 

Frage: Wenn Sie es so ausdrücken, dann ist es fürchterlich. Es jagt mir beinahe Schrecken ein, weil es alles so gewaltig und ehrfurchtgebietend macht. Was ich meine, ist folgendes: Es ist schwer, zu der orthodoxen Anschauung zurückzufinden, wenn Sie sich in diesen Richtungen bewegen. Doch soweit ich Ihnen folgen konnte, haben Sie nichts gesagt, das in wirklichem Gegensatz zu dem steht, was uns gelehrt wurde. Aber in der Art, wie Sie es ausdrücken, scheint es etwas ungeheuer Großartiges zu eröffnen. Könnten Sie es für uns ein wenig logischer darstellen? Wenn zum Beispiel jeder von uns, wie Sie sagten, wenigstens graduell eine Inkarnation Gottes ist und die meisten von uns noch dazu in sehr geringem Grade, und wenn wir alle ins Dasein traten, als Gott über den Wassern schwebte, müssen wir dann nicht durch alle möglichen Arten von Erfahrungen gehen, ehe wir uns wieder mit Gott vereinen können? Was ereignet sich zwischen dem ersten und dem letzten Schritt? Wie geht das vom Anfang bis zum Ende vor sich?

Antwort: Das ist an sich eine wunderbare Geschichte, die keiner von uns auf dieser Stufe unseres Wachstums voll begreifen kann. Vor Allem möchte ich Ihnen wieder versichern, daß für jeden von Ihnen die Wahrheit genau so leicht erkennbar ist wie für jeden andern, weil jeder von uns ein Teil Gottes ist. Sie fragten mich, was mein Glaubensbekenntnis oder mein Glaube sei, und ich habe mich bemüht, Ihnen meine Einstellung zu diesen Dingen darzulegen. Wenn es in Ihnen irgendwelche Gedanken erweckt und Ihnen hilft, Ihren eigenen Glauben besser zu verstehen, dann ist es gut. Nehmen Sie aber nichts als wahr an, wenn Sie nicht tief in Ihrem Innersten fühlen, daß es richtig ist. Morgen schon kann jeder von uns die Dinge ganz anders sehen, kann ein größeres Verständnis der Wahrheit besitzen als wir es heute haben, und dann wird unser heutiger Glaube begrenzt erscheinen. So ist es mit dem Wachstum auf jeder Ebene der Erfahrung.

Um zur Frage zurückzukehren: "Was ereignet sich zwischen unserem Anfang und unserem Ende?" Mit anderen Worten, durch was müssen wir gehen, nachdem wir als Gottesfunken ins Dasein traten, bis wir in den Schoß Gottes zurückkehren, wenn der große Tag kommt? Soviel ich weiß, gibt es nur einen Vorgang, nur einen modus operandi, dem Gott im Innern gleich zu werden und der ist, durch wiederholte Erfahrungen zu gehen, bis wir die Lektionen vollkommen gelernt haben, die unsere Erde für uns in Vorrat hat.

 

Frage: Sie beziehen sich aber sicherlich nicht auf die Idee der Reinkarnation, über die heute jeder spricht? Ich bin in einer sehr orthodoxen Familie aufgewachsen und eine solche Idee nur zu erwähnen, erscheint als eine Gotteslästerung. Nicht, daß es mir etwas ausmachen würde, gotteslästerlich zu erscheinen - ich gebe zu, es ist zuweilen sogar eine Erleichterung. Aber diese Idee leuchtet mir nicht ein. Ich kann sie aber auch nicht ganz verwerfen. Könnten Sie darüber nicht etwas mehr sagen?

Antwort: Es besteht für niemanden eine Notwendigkeit, an Reinkarnation zu glauben. Andererseits ist es aber auch nicht notwendig, sich vor einer neuen Idee zu fürchten. Ich würde gewiß der letzte sein, der einen andern in seinen Überzeugungen stören möchte. Sie sind meines Erachtens für diesen so heilig, wie die meinen für mich.

 

Frage: Nun, ich fürchte mich nicht davor, denn meine Leute waren in ihrem religiösen Denken ziemlich großmütig. Ich glaube nicht, daß mir viel daran liegt, auf diese Erde zurückzukommen, aber ich würde gerne mehr über diese Idee hören, wenn Sie etwas darüber sagen wollen.

Antwort: Die Geschichte der Reinkarnation ist lang, und wir können sie in der kurzen Zeit, die uns an diesem Abend zur Verfügung steht, kaum richtig behandeln. Aber ich will folgendes sagen: Die Idee der Wiedergeburt ist sehr alt und kann in der einen oder anderen Form in jeder Religion, selbst in der christlichen gefunden werden, trotz der Tatsache, daß in früheren Jahrhunderten große Mühe darauf verwendet wurde, sie, die eine der Hauptlehren der Kirche war, zu entfernen. Zu Zwecken der Diskussion wollen wir annehmen, daß die Seele ein wenig mehr Zeit braucht, als eben die etwa 70 Jahre, die ihr gewöhnlich zur Verfügung stehen. Wie würde sie das machen, wenn der Tod alles beendet? Ich glaube, wir werden alle bereitwillig zugeben, daß wir nicht ein Zehntel unserer innersten Hoffnungen in einer so kurzen Zeit verwirklichen. Wir wollen nun weiterhin annehmen, daß uns Gott in seiner göttlichen Weisheit eine weitere Gelegenheit zur Entwicklung der Seele zubilligt. Würde es einen Sinn haben, irgendwo anders hin zu gehen, als auf diese Erde, wo wir mit diesem Planeten und seinem Wirken schon etwas vertraut geworden sind? Dann gibt es noch einen ebensowichtigen Punkt: Wie steht es mit der christlichen Lehre, wo es heißt, "Gott läßt sich nicht spotten" und "Was immer ihr säet, das werdet ihr auch ernten"? Haben wir nicht alle bereits in unserem kurzen Leben eine Menge Ursachen in Bewegung gesetzt? Und, wenn dem so ist, glauben wir dann wirklich, daß wir fähig sein werden, die Folgen all unserer Gedanken und Handlungen zu ernten ehe wir sterben?

 

Frage: Könnte ich hier etwas sagen? Sie haben es ziemlich klar gemacht, daß Ihre Schule des Denkens nicht etwas verdrängen soll, was wir hier bekommen haben. Wie ich sehe, faßt sie die Dinge nur zusammen. Es scheint mir auch, daß Sie alles in der richtigen Weise zusammengefaßt haben. Ich habe mir immer vorgestellt, daß ich, um etwas herauszufinden, worüber ich nicht Bescheid wüßte, nach einer schwachen Stelle suchen und dann darüber argumentieren müßte und schließlich fand ich dann eine etwas bessere Erklärung dafür. Doch ich glaube nicht, daß Sie irgend etwas Falsches sagten; denn Sie scheinen über Grundsätze zu sprechen. Ist dieser Gedanke richtig, oder ist er falsch?

Antwort: Es freut mich, daß Sie Ihre Gedanken so ausdrückten, wie Sie es taten, denn es besteht nicht die Absicht, die Glaubensanschauungen von irgend jemandem zu verdrängen, sondern vielmehr zu versuchen, dem einzelnen zu helfen, seinen eigenen Glauben in einer vollkommeneren und besseren Weise darzulegen. Das einzige 'Dogma', das ich gelten lasse, ist, daß es keine Dogmatisierung des Denkens geben sollte - daß der Weg zur Wahrheit für alle offen und frei ist, ohne Rücksicht darauf, ob ein Mensch dem christlichen Glauben anhängt oder ein Buddhist, Mohammedaner, Hindu oder Anhänger des Taoismus ist. Es gibt nur eine Wahrheit, aber der Weg zu ihr muß eine streng individuelle Angelegenheit sein.

 

Frage: Das gefällt mir, denn das Einzige, womit ich nicht übereinstimmen kann ist, wenn sich jemand hinsetzt und sagt: "So stehen die Dinge und daran ist nicht zu rütteln." Ich glaube nicht, daß das jemand sagen kann. So habe ich mich abgemüht, stand nicht mit allzuvielen Leuten in Widerstreit und versuchte, mir anzueignen, was ich konnte, hier ein wenig und dort ein wenig. Nach dem, was Sie eben sagten, nehme ich an, daß jedermann seine eigene Anschauung oder Ansicht über die Wahrheit haben kann. Ich meine: Ist es möglich, daß es in unserem christlichen Glauben gewisse Ideen gibt, die in ähnlicher Weise in anderen Glaubensrichtungen zu finden sind?

Antwort: Das ist nicht nur möglich, sondern vollkommen richtig, und wenn Sie die großen Weltreligionen und Philosophien des Westens und des Ostens studieren, werden Sie finden, daß sie alle einer gemeinsamen Quelle entsprangen. Wie ich bereits sagte, sind diese uralten Wahrheiten auf viele und verschiedene Arten dargelegt worden. Die Bibel enthält zum Beispiel viele Lehren und Glaubensansichten, die auch der Buddhismus und der Hinduismus lehren, wie unterschiedlich wir sie auch zum Ausdruck bringen mögen. Ebenso können Sie in unserer Bibel hebräische und griechische Einflüsse feststellen. Sie alle berufen sich auf eine göttliche Quelle, ob diese nun Gott, Brahma oder Allah genannt wird. Sie sprechen alle in der einen oder anderen Form von den Gezeiten der Natur: Gott arbeitet sechs Tage und ruht dann am siebenten; dem Tag der Schöpfung oder der Tätigkeit folgt in dem Schema der Hindus die Nacht der Ruhe oder der Zurückziehung. Die besondere Inkarnation Gottes oder der Gottheit durch Christus ist eine direkte Parallele zu den Avatâras des Hinduismus, und wie Sie alle wissen, ist die Goldene Regel des moralischen und spirituellen Verhaltens überall zu finden. Aber ebenso wie in unserem eigenen christlichen Glauben ist auch in die östlichen Glaubensbekenntnisse viel Dogmatismus eingedrungen und es ist nicht immer leicht, diese Verdrehungen zu durchschauen.

Dieses Durchsickern der Wahrheit im Laufe der Jahrtausende ist mit einem Fluß verglichen worden, dessen Quelle sich im Unerkennbaren, wenn Sie wollen, in Gott, verliert, dessen Strömungen aber zeitenweise stark und rein fließen und den Grund menschlicher Herzen bereichern. Zu anderen Zeiten wiederum fließen diese Quellen unterirdisch, wenn die Zyklen des Wachstums unfruchtbar zu sein scheinen. Aber der Fluß fließt immer. Mit jedem neuen Weltlehrer erfolgt eine neue oder frische Ausströmung der Weisheit. Doch im Verlauf der Jahrhunderte wird die neue "Enthüllung" durch die Niederschläge der falschen Auffassungen getrübt und es wird dann sehr schwer, den reinen Strom der Wahrheit wieder zu entdecken.

 

Frage: Ich habe dann noch eine Frage, die mich quält, so lange ich zurückdenke. Ich habe immer gedacht, daß sich die Dinge in einer bestimmten Weise abwickeln, und daß sich nichts durch Zufall ereignet. Dennoch fühlte ich irgendwie, daß der Mensch einen freien Willen hat. Ich kann mich nicht deutlich ausdrücken. Wo ist die Grenze zwischen freiem Willen und ... nun, ich kann es nicht ausdrücken.

Antwort: Fragen Sie vielleicht, wo die Grenze zwischen dem freien Willen und Fatalismus ist?

 

Frage: So ist es. Manche Worte haben für verschiedene Menschen eine verschiedene Bedeutung; aber alles in allem halte ich mich für einen Fatalisten. Hier komme ich mit meinem Verstand nicht mit, weil wir meinem Gefühl nach durch ein gewisses Schicksal gebunden sind und doch möchte ich auch annehmen, daß wir auch eine gewisse Freiheit der Wahl haben. Wie können Sie das in Einklang bringen?

Antwort: Ich glaube nicht im geringsten, daß Sie wirklich ein Fatalist sind. Doch ich will versuchen, die Sache noch einmal darzulegen, wie ich sie sehe, ohne dabei zu weit abzuschweifen. Wenn wir glauben, daß das Gesetz von Ursache und Wirkung nicht nur in den physischen, sondern auch in unseren moralischen und spirituellen Beziehungen wirkt, und daß wir das, was wir auf dem Felde unserer Seele säen einmal irgendwie irgendwo ernten müssen, dann erkennen wir, daß sich nichts durch Zufall, "aufs Geratewohl", oder den Gesetzen der Natur entgegen ereignen könnte. Jedoch dieses Gesetz der Harmonie oder der Ursache und Wirkung ist so fein ausgeglichen, daß jeder Einzelne auf verschiedene Weise findet, wie es sich offenbart und zwar ganz genau in Übereinstimmung mit seinem eigenen Seelen-Hintergrund.

 

Frage: Darf ich hier unterbrechen? Ich weiß, Sie haben Ihren Gedanken noch nicht richtig formuliert, aber ich wünsche Ihnen zu folgen und Sie gebrauchten einen Ausdruck, mit dem ich nicht zurechtkomme. Was meinen Sie mit "Seelen-Hintergrund"? Ist die Seele das gleiche wie der Geist?

Antwort: Das ist wunderbar. Unterbrechen Sie mich so oft Sie wollen, denn es wird allen helfen, diese Dinge besser zu verstehen. Vielleicht sollte ich besser auf diesen letzten Punkt, die Seele, kurz eingehen, bevor ich fortfahre. Sie alle sind mit der Teilung des Menschen in Körper, Seele und Geist, durch Paulus vertraut. Nun ist es für viele Leute schwierig, zu verstehen, daß Seele und Geist nicht das gleiche sind und sie sind es auch tatsächlich nicht. Es freut mich, daß Sie das zur Sprache bringen. Nun, Sie und ich, wir sind menschliche Seelen, die hier im physischen Körper Erfahrungen sammeln, aber wir werden zu diesen Erfahrungen hingelenkt oder hingedrängt durch den Geist, der in uns wohnt und durch die göttliche Essenz oder den Gottesfunken, der im Herzen jedes Menschen vorhanden ist. Ich bin überzeugt davon, daß niemand von Ihnen glaubt, daß Sie Ihr Körper sind, oder daß nur Ihre Gefühle, das Gehirn oder die Seele das darstellen, was Sie sind. Was ruft Ihre Aspiration ins Leben, Ihre tiefsten Gefühle, wenn nicht Ihr göttlicher Funke, jene göttliche Essenz, die die Wurzel jedes lebenden Organismus bildet? Wir wollen uns also den permanenten Teil von uns als den Geist vorstellen, welcher die menschliche Seele zur Tätigkeit antreibt, die wiederum einen physischen Körper als ihren Tempel hier auf Erden benützt.

Nun hat es das permanente Element in uns durch den Einfluß seiner göttlichen Essenz bewerkstelligt, uns im Leben in die Situationen zu bringen, aus denen wir am meisten lernen können. Nachdem wir eine Facette der göttlichen Intelligenz darstellen, die ihren eigenen freien Willen hat, liegt es an uns, die rechte Wahl zu treffen, zu wählen, welchen Weg wir gehen wollen, welche Gedanken wir hegen und welche Handlungen wir vollbringen sollen. Daraus können Sie ersehen, daß die Seele auf einem Schlachtfeld zwischen dem Geist und dem Körper steht, zwischen dem Streben zu Gott auf der einen Seite und dem Zug zur materiellen Leidenschaft auf der andern. Unser Körper ist ein hochentwickelter animalischer Körper, denn er kommt von der materiellen Seite der Natur her. Unsere Seele nimmt an der Kraft von oben, von dem Gott im Menschen, teil, ist aber auch für den Zug unserer physischen Natur empfänglich. Hier haben wir die Freiheit der Wahl und hier lernen wir auch, weil wir durch das Gesetz von Ursache und Wirkung gebunden sind.

 

Frage: Die meisten von uns treten hinaus ins Leben, begehen einen Irrtum nach dem andern und stolpern durch alle Arten von Sorgen, bis wir durch Prüfung und Irrtum uns hoffnungsvoll zu einer grundlegenden Ethik durchgerungen haben, die unsere Lebenshaltung bestimmt. Ich hatte es mit der Vorstellung versucht, daß alles 'Gottes Wille' sei, verstrickte mich aber dabei in die Idee des Fatalismus oder der Vorherbestimmung. Aber ich kann nicht erkennen, wie wir damit zurechtkommen sollen. Sind wir für immer durch Irrtum gelähmt, oder haben wir genügend freien Willen, um uns aus eigener Kraft herauszuarbeiten?

Antwort: Vor allem würde ich...

 

Frage: Aber hat nicht Gott etwas vor mit unserem Leben? Wenn wir seinem Willen nicht folgen, dann sind wir nicht in seinem Willen und wir müssen dann seinen Willen herausfinden, nicht wahr?

Antwort: Dies sind ausgezeichnete Fragen, weil sie uns zum Denken anregen und zwar zum intensiven und tiefen Nachdenken darüber, was wir eigentlich glauben. In einem Sinne, und zwar in einem sehr wahren Sinne, sind wir alle durch Gottes Willen gebunden, vorausgesetzt, wir stellen uns Gott als jenen Teil der Gottheit vor, der im Herzen eines jeden von uns wohnt. Wenn daher jeder von uns im Herzen ein Gottesfunke ist, dann bedeutet das, daß sich im Herzen eines jeden die Stärke und Macht des göttlichen Willens befindet, der mit der Zeit zum Ausdruck gebracht werden kann. Aber er wird sich in jedem einzelnen anders ausdrücken, denn es ist der Wille unseres eigenen inneren Gottes, dessen göttliche Kraft auf unsere Seele wirkt. In diesem Sinne ist es richtig, wenn Sie sagen, daß der Mensch durch seinen eigenen inneren Gott "vorherbestimmt" ist, nämlich, ins Leben zu treten und den Schmerz und die Freude des irdischen Daseins zu erfahren. Aber wir wollen das nicht mit dem alten Dogma verwechseln, das behauptet, daß für den Menschen schon vor der Geburt Strafe oder Belohnung festgesetzt sind, entsprechend der Laune oder dem Einfall einer außerkosmischen Gottheit. Kein Mensch ist durch irgendeinen Gott außerhalb seiner selbst in seinem Schicksal "vorausbestimmt oder im voraus festgelegt", noch könnte sein Schicksal durch irgend etwas anderes "vorausbestimmt" werden, als durch die Kraft seiner eigenen früheren Erfahrungen, durch die Energien, die durch ihn selbst im permanenten Teil seines Wesens aufgespeichert wurden. Mit anderen Worten, der Mensch kommt ins Leben, wie er es "selbst vorher festgesetzt" hat, und zwar allein durch sich selbst, um das zu entfalten und zu entwickeln, was er selbst in seinem Seelenleben aufgespeichert hat. Dort ist auch seine eigene individuelle Qualität des freien Willens aufgespeichert, die er benützen kann, um sich zu dem zu machen, zu dem er sich machen will.

 

Frage: Das befriedigt mich, soweit ich es verstehe. Wie verhält es sich aber nun mit Adams Sündenfall? Wenn die Menschheit seit der Vertreibung aus dem Paradies "in Sünde geboren" wurde, dann ergibt sich für mich keine andere Schlußfolgerung, als die, daß wir von Anfang an gehemmt sind. Wie können Sie die Idee des freien Willens mit der Erbsünde in Einklang bringen?

Antwort: Das ist eine lange Geschichte, aber auch eine sehr schöne. Die Zeit ist zu kurz und wir werden uns mit einem allgemeinen Umriss zufriedengeben müssen und die Einzelheiten vielleicht auf später verschieben. Wir wollen uns zuerst mit dem sogenannten Sündenfall Adams beschäftigen. In einem gewissen Sinne hat es damit seine Richtigkeit. Aber es war kein Rückfall, sondern in Wahrheit ein Fortschritt zu einer größeren Erfahrung. Adam und Eva (die Menschheit in ihrem Kindheitszustand darstellend) wurden aus dem Paradies verwiesen, nachdem sie die Frucht vom Baume der Erkenntnis von Gut und Böse gekostet hatten. Was bedeutet das nun anderes, als daß Adam und Eva aus einem Zustand kindlicher Unwissenheit heraus das Recht erworben hatten, über ihre Unschuld hinauszuwachsen und - wenn auch noch in einem unbedeutenden Maße - ihrer ihnen innewohnenden Gottheit bewußt zu werden. Daraus können Sie ersehen, daß, als der Mensch einmal, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade, zu einer selbstbewußten Erkenntnis seines Menschentums und seiner Verantwortlichkeit erwacht war, es für den Fatalismus keinen Platz mehr gab. Wo man Wissen hat, hat man Macht und wo man Macht hat, hat man ein bestimmtes Maß der Wahl und des freien Willens. So ist es bei jedem von uns: Wir haben die Macht, unser Denken und unsere Gefühle und deshalb auch unsere Handlungen zu überwachen und wenn wir diese Macht haben, ohne Rücksicht darauf, ob wir sie gut oder schlecht anwenden, brauchen wir niemals die "Marionetten" Gottes oder des Satans oder von irgend etwas außerhalb von uns zu sein, weil wir die Macht haben, der willige Helfer unseres eigenen inneren Gottes zu werden.

Wir neigen so gerne dazu Fatalisten zu werden, weil wir seit Jahrhunderten die Tendenz hatten, das Leben und die Umstände um uns durch den engsten Spalt der Erfahrung einer Lebenszeit zu betrachten. Wir haben nicht das umfassendere Bild gesehen. Wir wollen die Menschheit als Ganzes nehmen und die Summe der zu irgendeiner gegebenen Zeit auf Erden inkarnierten Seelen betrachten, und Sie werden dann auf den ersten Blick begreifen, daß Sie die Menschheit nicht als Ganzes beurteilen können - es sei denn, aus dem Schlüsselloch Ihrer eigenen Erfahrung - die sich in unserem individuellen Falle von der Zeit an, in der wir genügend reif waren, für uns selbst zu denken, bis zu unserem Tod erstrecken würde. Genügt diese Zeit, um in ihr den Umfang der menschlichen Erfahrung seit dem Paradies richtig zu erfassen? Wenden Sie dasselbe Denken in bezug auf Ihren eigenen spirituellen Hintergrund an: Kann irgend jemand von Ihnen vielleicht glauben, daß Sie tatsächlich "in Sünde geboren" sind und daß es daher in Ihrem Schicksal 'festgesetzt' ist, daß Sie irren, es sei denn, Gott will, daß Sie dem Weg des Guten folgen werden? Dieser Begriff stellt eine schreckliche Verdrehung dar, obgleich er natürlich wie jedes Dogma auch ein klein wenig Wahrheit enthält. Es ist ein Jammer, daß wir in unserem orthodoxen Buchstabenglauben so sehr kristallisiert sind, daß es für uns sehr schwer ist, die reine Ader der Wahrheit zu finden.

Wenn wir die Sache einfach vom Körperlichen her betrachten, könnten wir vielleicht sagen, daß der Mensch "in Sünde geboren" ist, vorausgesetzt wir meinen damit, daß er in einen materiellen animalischen Körper hineingeboren ist. Aber der Mensch ist nicht sein Körper. Die Seele ist frei. Sie ist der Freiheit ebenso nahe, wie ihrer eigenen innewohnenden Göttlichkeit. Das ist die große Botschaft: Wenn Gott die Last der Schulter anpaßt, dann können wir erkennen, daß der Mensch die Macht in sich hat, durch seinen freien Willen die Verbindung mit seinem eigenen inneren Gott wieder herzustellen.

Ich möchte noch gerne sagen, daß es eine freudige Erfahrung ist, zu dieser Zeit des Jahrhunderts überall in der Welt Gruppen von jungen und alten Leuten entstehen zu sehen, die begierig nach den Antworten auf diese grundlegenden spirituellen Probleme suchen. Viele haben eine geordnete Art des Denkens verlassen und versuchen in manchen Fällen verzweifelt, neue Grundlagen zu finden. Es besteht dabei die Gefahr, daß, wenn sie ihren dogmatischen Glauben aufgeben und sich für eine Zeitlang verlassen fühlen, viele den Grund verlieren und von einem neuen Ding zum andern überspringen, von denen einige wahr und viele falsch sind. Sie suchen angestrengt nach einem Felsen, in den sie ihren Glauben verankern können, aber es fehlt ihnen das Wissen und das Vertrauen an ihren eigenen inneren Prüfstein, an jenen Prüfstein der Führung, über den wir heute Abend gesprochen haben. Doch das Menschengeschlecht muß weiter nach der Wahrheit suchen, weil dies der Weg für das Wachstum der Seele ist.

 

Frage: Ich wünschte, wir könnten noch über weitere Fragen diskutieren, ich hätte noch eine Menge. Ist das vielleicht später möglich?

Antwort: Nichts würde ich lieber tun, aber ich nehme an, wir machen für heute am besten Schluß. Ich möchte Ihnen sagen, Dr. ..., wieviel ich aus dieser Unterhaltung gewonnen habe. Sie sind zu beglückwünschen, daß Sie eine solche Gruppe intelligenter junger Leute haben, die sich nicht fürchten, selbständig zu denken und tief in ihr eigenes Bewußtsein einzudringen versuchen. Sie können nicht weit fehlgehen, wenn Sie dieser Richtung weiter folgen, ganz gleich welcher Art die Schule Ihres Denkens sein mag. Ich hoffe, dieser Gedankenaustausch hat Ihnen allen so viel Freude bereitet wie mir. Ich danke Ihnen.