Informationen über Theosophie in anderen Sprachen:     ENGLISH    ESPAÑOL    ITALIANO    NEDERLANDS    РУССКИЙ    SVENSKA  

Gespräche am runden Tisch: Inneres und äußeres Karma - II.

Frage: Bei unserer letzten Zusammenkunft sprachen wir über das, was Sie inneres und äußeres Karma nannten. Ich glaubte, ich hätte alles verstanden, doch als ich versuchte, es einem meiner Freunde auf der Hochschule zu erklären, brachte ich alles durcheinander. Wir unterhielten uns lange und kamen schließlich zu dieser Frage: Wenn es wahr ist, daß unser inneres Karma, oder unser Geist, versucht, uns zu beeinflussen, was ist dann letzten Endes der Unterschied zwischen dieser Idee von Karma und der Vorherbestimmung?

Antwort: Es liegt ein weltweiter Unterschied zwischen der Vorherbestimmung der Theologie und der wahren Auffassung von Karma, nach der jedweder Handlung die entsprechende Wirkung folgt. Lassen Sie mich aus einem an die Galater gerichteten Briefe des Paulus den vollständigen Text seiner Warnung zitieren:

"Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten; denn was der Mensch säet, das wird er auch ernten. Denn wer auf sein Fleisch säet, wird vom Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist säet, wird vom Geist das ewige Leben ernten."

- Kap. 6, 7-8

Genau das ist Karma: Was ein Mensch, das heißt Sie und ich - nicht irgendeine Autorität außerhalb von uns - im Bereich seines eigenen Charakters sät, das, und nichts anderes, wird er ernten. Wenn wir "auf das Fleisch" Ungerechtigkeit, Selbstsucht, Habsucht usw. säen - werden wir entsprechend ernten; doch wenn wir den Samen unserer Bemühungen in das spirituelle Feld unserer Naturen werfen, werden wir ewige Wohltaten ernten.

Nun, die Idee der Vorherbestimmung, wie sie in der Theologie gelehrt wird, ist folgende: daß die eine Seele schon vor der Geburt durch Gott zu einem Leben der Sünde auf Erden vorherbestimmt ist und deshalb zu ewiger Verdammnis im Jenseits; und daß eine andere Seele durch diesen selben Gott zu einem Leben des Guten auf Erden vorherbestimmt ist und zu ewiger Seligkeit im Jenseits. Offensichtlich ist diese Auffassung der Lehre des christlichen Meisters genau entgegengesetzt, der, wie Paulus berichtete, nicht nur lehrte, daß der Mensch das, was er sät, ernten wird, sondern als noch wichtiger, legte er Nachdruck auf die Göttlichkeit aller Menschen - "Wisset ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid, und der Geist Gottes in euch wohnt?" Und weiter, daß wir "die Werke", die er vollbrachte, und sogar "Größere Werke" gleicherweise tun werden. Wie könnte es uns dann möglich sein, diese erhabene Vorstellung von der Bestimmung des Menschen mit dem Dogma der Theologie zu vereinbaren, das behauptet, daß Gott der Vater, von Ewigkeit her eine Seele zur Verdammnis und eine andere zu ewiger Seligkeit vorherbestimmt?

 

Frage: Natürlich stimme ich dem zu, daß Karma tatsächlich nicht dasselbe ist, wie die theologische Idee der Vorherbestimmung. Doch könnten Sie nicht etwas mehr über diese zwei Arten von Karma und die Beziehung, die sie zu uns haben, sagen? Kommt das innere Karma allein aus der Seele, oder aus der Seele und dem Geist zusammen, und entspringt das äußere Karma dem Körper? Ich glaube, ich bin ganz durcheinander.

Antwort: Alle diese Dinge können äußerst kompliziert gestaltet, oder sie können zu sehr vereinfacht werden, und keine dieser Stellungnahmen ist weise. "Der Mensch ist nicht eines, sondern vieles" - darauf wies Paulus hin, als er den Korinthern schrieb, daß der Mensch mehr ist als sein physischer Körper; er hat sowohl eine Seele als auch eine spirituelle Natur. Paulus' Beschreibung des Menschen als Körper, Seele und Geist hilft uns zwar, doch viele alte religiöse und philosophische Systeme sind weiter gegangen und haben den Menschen als aus fünf, oder sieben und sogar zehn Prinzipien bestehend dargestellt, von welchen jedes für sich allein schon ein wertvolles Studium bietet. Doch bleiben wir jetzt bei dem Dreifachen und erinnern wir uns an den Grundgedanken, daß der Mensch verschiedene Qualitäten des Bewußtseins hat, die durch ihn wirken und sich von der Qualität der Gottheit, die seine Quelle und sein Ursprung ist, durch die mentalen und emotionalen Bereiche seiner Natur hindurch bis hinunter zum Physischen erstrecken.

Sie fragen, ob das innere Karma aus der Seele kommt, oder aus der Seele und dem Geist zusammen und ob das äußere Karma nur dem Körper entspringt. Lassen Sie es mich kurz so ausdrücken: der Meister des inneren Karmas ist das spirituelle Selbst; der Meister des äußeren Karmas ist das menschliche Selbst; und der Körper ist das Feld, oder der Bereich, in dem beide, das innere und das äußere Karma, Ausdruck finden. Nun also, das ist...

 

Frage: Wären Sie bereit, bevor Sie weiter gehen, zu erklären, was Sie mit dem "Meister des inneren Karmas und dem Meister des äußeren Karmas" meinen?

Antwort: Zögern Sie bitte nie zu unterbrechen. Dazu sind wir ja hier, um über diese Prinzipien zu diskutieren und zu versuchen ein größeres Verständnis ihrer Beziehung zu unseren Leben zu erhalten. Aber wir wollen unsere Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf die Worte allein festlegen, sondern eher versuchen, das Prinzipielle hinter dem Gedanken zu erfassen. Wie letzthin erklärt wurde, fließt das innere Karma aus dem inneren Gott und wirkt durch das höhere Selbst, den Schutzengel, oder wie Paulus den Geist oder das spirituelle Selbst nannte. So können wir sagen, daß unser spirituelles, oder höheres Selbst, der Meister, oder Inspirator des inneren Karmas ist, das aus dem Wirken unseres spirituellen Willens fließt. Das gleiche Prinzip läßt sich ebenso auf das anwenden, was wir das äußere Karma nannten. Dieses stellt eine Auswirkung des menschlichen Willens dar, und deshalb ist der Meister oder Inspirator dieses äußeren Karmas die menschliche Seele, die den Stoß sowohl von oben als auch von unten fühlt und den Körper als das äußerste Feld des Ausdrucks benutzt.

Nun, in unserem gegenwärtigen Evolutionszustand wird das Gemüt in allen seinen Phasen aktiv entwickelt. Aus diesem Grunde können wir bei uns selbst feststellen, daß wir weit mehr den menschlichen, persönlichen und mentalen Willen ausdrücken, als den spirituellen Willen. Daraus erklärt es sich, daß zwischen dem Inneren und dem Äußeren, dem Höheren und dem Niederen, dem Spirituellen und dem Materiellen so oft ein Konflikt besteht. Wenn wir beständig unter den Einflüssen des spirituellen Willens leben könnten und dem inneren Karma erlauben, sich bemerkbar zu machen, würde sich der menschliche persönliche Wille nicht nur harmonisch dem spirituellen Willen angleichen, sondern auch das äußere Karma würde naturgemäß mit dem inneren arbeiten. Die Schwierigkeit entsteht, weil die meisten von uns zu sehr in der Arena des menschlichen Willens stehen mit seiner Vielheit starker, aber nichtiger Wünsche, so daß wir uns, nicht nur innerhalb unserer eigenen Naturen, sondern ebenso mit allen anderen, in hundert verschiedene Bahnen gezogen finden. Deshalb waren Kriege und Streit bisher eine Begleiterscheinung des Wachstums, denn es liegt in dem immer rastlosen Gemüt sich so oft mit den wirklichen Werten auseinanderzusetzen, so daß die größten Schwierigkeiten in uns selbst liegen. Die tiefsten Empfindungen, die nicht in Worten ausgedrückt werden können, sind universal; sie verbinden. Doch wenn wir versuchen, unsere grundlegenden Probleme, entweder individuell, national, oder international mit dem argumentierenden Gemüt allein zu lösen, dann erhalten wir tausendundeine entgegengesetzte Interpretationen und der Kampf des Verstands (und der Waffen) geht weiter.

 

Frage: Darf ich hier nochmals auf die ursprüngliche Frage über Vorherbestimmung und Karma zurückkommen? Ich stimme mit der theologischen Auffassung nicht überein. Doch, wenn Sie sagen, daß das spirituelle Selbst der Meister unseres inneren Karmas ist, zeigt das nicht, daß unser inneres Karma versucht, die Führung in unseren Leben zu übernehmen, und so gesehen, ist es dann nicht das höhere Selbst, das die Seele zu einer bestimmten Art der Erfahrung vorherbestimmt?

Antwort: In einem sehr begrenzten Sinne könnte man vielleicht sagen, daß Karma, das sich durch das spirituelle, oder höhere Selbst manifestiert, die Seele zu einer bestimmten Art der Erfahrung führt. Aber das ist nicht Vorherbestimmung, wie sie von der Theologie aufgefaßt wird. Absolut nicht. Man könnte auch sagen, daß die Eltern vorher bestimmen, daß ihre Kinder in eine bestimmte Familienumgebung eintreten, doch selbst hier ist es wirklich nicht so, sondern das dem kommenden Kinde anhaftende Karma drängt das Kind dazu, die richtige Mutter und den Vater zu suchen, die ihm die Umgebung geben können, die für diese Lebenszeit das naturgegeben Richtige ist.

Nun, wenn wir sagen, daß das innere Karma, das aus der Wirksamkeit des spirituellen Willens fließt, versucht, sich dem menschlichen Willen einzuprägen, so ist es dasselbe, worauf Shakespeare hinwies, als er sagte: "Es gibt eine Göttlichkeit, die unsere Vorhaben gestaltet, sie nach unserem Willen flüchtig entwirft." Das ist eine wahre Analogie, denn genauso wie das heranwachsende Kind durch die Eltern beeinflußt, aber nicht vorherbestimmt ist, so hat auch die Göttlichkeit, die der Elternteil unserer ganzen Konstitution ist, einen gestaltenden Einfluß auf das Schicksal der strebenden menschlichen Seele - soweit ihre Fingerzeige beachtet werden!

Wenn das Gesetz von der karmischen Aktion und Reaktion stimmt, dann muß es für jede Handlung, an der wir teilnehmen, eine Reaktion geben, die der Qualität der ursprünglichen Handlung genau entspricht; denn für jede Ursache, die wir legen, muß es eine Wirkung geben, die der Ursache gleichkommt. Daher muß die Qualität einer bestimmten Handlung notwendigerweise die Qualität ihrer Wirkung vorher festlegen, oder auch, wenn Sie wollen, vorherbestimmen. Aber beachten Sie bitte das Wort Qualität: Es ist die Qualität einer Handlung (nicht die Handlung selbst), die die Qualität ihrer entsprechenden Wirkung vorherbestimmen wird.

Offengestanden verabscheue ich das Wort Vorherbestimmung, weil es in der Ära des religiösen und philosophischen Dogmatismus eine Anwendung oder Bedeutung angenommen hat, die den Gang der Aktion und Reaktion lebender Wesenheiten überhaupt nicht ausdrückt. Karma ist kein mechanischer Prozeß, sondern ein sensitiver und dem freien Willen einer sich in Tätigkeit befindlichen göttlichen Intelligenz nahekommender Ausdruck.

 

Frage: Ich hätte noch etwas anderes, das ich gern hier vorbringen möchte. Wie steht es mit den Handlinien und den Höckern auf dem Kopfe, und solchen charakteristischen Merkmalen? Sind sie nicht eine Art Vorherbestimmung?

Antwort: Die Linien auf der Handfläche, die Höcker auf dem Kopfe, die Umrisse der Gesichtsbildung und andere physische Merkmale bedeuten nicht, daß ein Mensch ohne Rücksicht auf seinen eigenen Willen durch irgendeine äußere Macht vorherbestimmt ist, einem bestimmten Verlauf zu folgen. Diese Linien oder physischen Einprägungen stellen lediglich die natürliche karmische Form dar, in die die Qualitäten der zur Geburt kommenden Seele hineingegossen sind. Die Linien bilden nicht die Seele; es ist die Seele, die die Linien bildet, indem sie den physischen Körper mit ihrer vorherrschenden Qualität und dem Charakter formt, genauso wie das Siegel sich in das Wachs einprägt.

Das Karma der Vergangenheit muß auf uns wirken; doch wir sind die Gestalter unseres Karmas, die Initiatoren, die Tätigen, die Schauspieler auf dieser Lebensbühne. Unser zukünftiges Geschick wird dadurch entschieden, wie wir unsere Rollen in diesem großen Drama spielen, und es kommt nicht darauf an, welche Kostüme wir in diesem oder einem anderen Leben tragen. Wenn wir uns das umfassende Areal der Erfahrung vergegenwärtigen, das die Seele von der Zeit an hatte, als wir für unser Denken und Handeln selbstbewußt verantwortlich wurden, dann werden wir sehen, daß es nicht die Linien in der Handfläche und alle anderen physischen Merkmale sind, die die Seele zu dieser oder jener Erfahrung vorherbestimmen. Auf der Zeitenuhr des Schicksals sind sie nur die Zeiger des seelischen Eindrucks Karmas auf den Körper.

Zudem wäre es buchstäblich unmöglich, vorher zu entscheiden, wie das zukünftige Karma zu irgendeiner Zeit sein mag, weil eine gewaltige Reserve unverbrauchter karmischer Energie in der Seele aufgehoben ist; noch ist es möglich, in kristallisierter Weise die Umstände einer Lebenszeit im vorhinein zu wählen, weil, wie zuvor gesagt, Karma ein immer wechselnder, wachsender Ausdruck der Tätigkeit der inneren Göttlichkeit ist. Letzteres ist der wichtigste und grundlegendste Faktor, der zu bedenken ist: Die Göttlichkeit, der göttliche Wille in uns, gestaltet unsere Ziele, und es ist nur unser Unvermögen an Übersicht, zufolge unserer Abneigung über den Horizont unserer persönlichen Begrenzungen hinauszublicken, daß es uns möglich ist, so zu empfinden, als seien wir die Sklaven unseres Schicksals, ohne Freiheit des Willens.

 

Frage: Sie erwähnten vorhin etwas über Kriege und Streit, die mit dem Wachstum einhergehen. Natürlich denken wir heute viel an die gegenwärtige Weltsituation. Wie steht es hier mit Karma? Werden nicht Jene, die all diesen Haß und diese Unruhe verursachen, in der Zukunft einem entsprechenden Karma begegnen?

Antwort: Wenn eine Nation aus Habgier oder Haß handelt, oder in der heute so wohl bekannten subtileren Art versucht, die Unantastbarkeit anderer Nationen zu untergraben, dann wird diese Nation irgendwann in der Zukunft die Bedrückung und Leiden, die sie anderen auferlegte, selbst erfahren müssen. Das Karmagesetz ist unverletzlich, aber, wie gesagt, es ist kein mechanischer Roboter, der buchstäblich "Auge um Auge und Zahn um Zahn" zurückfordert. Wir haben oft darüber diskutiert, dennoch schadet eine Wiederholung nicht: Wenn ich einem Menschen ein Auge ausschlage, ist es möglich, daß ich ein Auge verlieren kann, sei es in diesem oder in irgendeinem zukünftigen Leben, damit ich die Art dieses Kummers empfinde. Es muß jedoch nicht unbedingt so sein, da der entscheidende Faktor nicht darin liegt, daß ich ein physisches Auge verliere, sondern, daß ich eine Erfahrung mache, die mir die entsprechende Art und Heftigkeit des Leidens bringen wird, die ich dem anderen Menschen durch den Verlust seines Auges zufügte. Auf diese Weise werden die Waagschalen ausbalanciert, und hoffentlich werde ich durch dieses Leiden genügend Erfahrung gewonnen haben, so daß ich nie mehr vorsätzlich einem anderen eine solche Pein zufügen werde.

 

Frage: Wenn eine Nation der anderen eine feindliche Handlung zufügt, kann ich verstehen, daß sie das gleiche Leid erfahren muß, das eine solche Feindseligkeit hervor brachte. Aber eine Nation besteht aus einer Anzahl von Individuen, die alle verschieden sind. Wie steht es hier? Hat nicht jedes von ihnen sein eigenes Karma? Oder, da sie ein Teil einer Nation sind, müssen sie da nicht das Karma ihrer Nation erdulden, selbst wenn sie für deren Handlungen nicht verantwortlich sind?

Antwort: Das ist eine zeitgemäße Frage. Es gibt bestimmt in jeder Nation tausende von Menschen, die in diesem Leben absolut keine Verantwortlichkeit für die Ursache des Kriegs oder Angriffs haben, oder keine Beziehung zu den vorbedachten Handlungen ihrer Regierungen. Und dennoch, da sie auf Grund ihres Bürgerrechts aufgerufen wurden, in der Streitkraft zu dienen und Pflicht ihrem Land gegenüber auszuüben, müssen sie, als Einheiten einer Nation, ob sie wollen oder nicht, in irgendeiner Form an den Wirkungen des nationalen Karmas teilhaben.

Doch eines ist sicher: In all diesen Dingen ist es das innere Motiv, das das zukünftige Karma färbt. Jeder Einzelne muß seine karmische Verbundenheit mit seiner Nation wirken lassen; wenn jedoch sein Motiv der Färbung entsprechend, darin besteht, seinem Land gegenüber seine ganze Pflicht zu erfüllen, dann ist die Qualität seines Bewußtseins ganz und gar nicht von gleichem Wert wie jene, die "denen an hohen Stellen" anhaftet, die ihre Nation vorsätzlich zu einem Angriffskrieg bringen.

Wenn wir auf die verschlungenen Wege der Zeit blicken und das verborgene Karma jedes Einzelnen wahrnehmen könnten, wäre es mehr als wahrscheinlich, daß wir bestimmte, vielleicht vor tausenden von Jahren gesäte gute und böse Samen entdecken würden, die erst jetzt, da das Individuum in dieser Zeit geboren und mit einem Land verbunden wurde, das in Krieg verwickelt ist, ans Licht kommen. Die Sache ist viel zu kompliziert, um sie vom geringen Standpunkt eines Lebens aus richtig zu betrachten.

 

Frage: Meinen Sie, daß, wenn wir z.B. weit genug in die Vergangenheit eines Soldaten blicken könnten, wir finden würden, daß sein gegenwärtiges Kämpfenmüssen, sogar gegen sein inneres Gefühl, wirklich das unvermeidliche Herauskommen eines karmischen Samens sein könnte, der vor vielen Zeitaltern gesät wurde?

Antwort: Das ist durchaus möglich. Keiner von uns kann sagen, welcher Teil unserer unverbrauchten karmischen Reserve irgendwann in diesem oder einem anderen Leben zur Reife kommen wird. Das Karma der Welt und das Karma jedes Einzelnen sind miteinander verbunden. Die Seele, oder der Teil des reinkarnierenden Elements, der die Menge oder die Qualität des Karmas auswählt, das in irgendeinem Leben erfahren werden muß, wird nicht zu einem vorherbestimmten Verlauf angezogen, außer in einem sehr allgemeinen Sinn, sofern es sich um Qualitäten handelt, denn es mag viele Möglichkeiten der Wahl geben, zwei, oder drei, oder sogar fünf oder sechs Arten der Erfahrung, die die Seele verdient. Doch wenn einmal für irgendeine Inkarnation die richtige Wahl getroffen ist, dann beginnt der Abstieg in das Erdenleben. Das inkarnierende Element wird psycho-magnetisch zum Schoß der zukünftigen Mutter gezogen und zieht auf dem Wege alle jene Elemente an, die es braucht, um das richtige Vehikel für dieses Leben vorzubereiten. Jeder Schritt dieses Prozesses folgt der Kontur des reinkarnierenden Elements, genauso wie die Wellen dem Stoß des Steins entsprechen, der in den Teich geworfen wird.

Die Eltern erschaffen nicht den Körper ihres Kindes, aber ihre Verantwortung ist gerade deshalb so groß, weil sie den Träger schaffen, durch den die eintretende Seele ihr Vehikel vorbereitet, damit sie ihr Leben hier auf der Erde wirken lassen kann. Die einzige Vorherbestimmung, von der wir uns vorstellen können, daß sie irgendwie Gültigkeit oder einen ernsten Wert hat, ist diese: Was ein Mensch in seinem Innersten ist, wird sich mit der Zeit in seinem täglichen Karma widerspiegeln; seine in Zeitaltern der Erfahrung aufgebaute Vergangenheit wird in einem sehr weiten Sinne die Qualitäten des Charakters vorherbestimmen, den er in der Gegenwart hat. Dennoch kann in irgendeinem Leben nur ein Teil dieses großen Reservoirs der Erfahrung herausgezogen oder ausgewählt werden, um sich hier auf der Erde auszuwirken.

 

Frage: Glauben Sie, daß wir je vom Krieg loskommen werden?

Antwort: Die menschliche Natur und die Menschheit wächst langsam, und wir denken nur zu gerne, daß es keine weiteren Probleme gäbe, wenn sich der Andere richtig verhalten würde. Zudem kann die Befreiung der Menschheit vom Kreislauf der Kriege und des Streits nicht nur einzelnen Menschen an hohen Stellen überlassen werden, noch dem kleinen Kern selbstloser Arbeiter, die bereit sind zum Wohle der Menschheit alles zu opfern. Diese Verantwortung fällt auf die Schultern der Männer und Frauen jeder Nation, denn letzten Endes ist es das Volk selbst, nicht seine Regierungen, das mit der Zeit die einzige dauerhafte Reform hervorbringen wird. Wie schnell, kann niemand sagen. Aber je mehr Individuen es in jedem Teil der Erde gibt, die in ihrem persönlichen Leben spirituell und psychisch mehr Selbstvertrauen gewinnen, und in Zukunft nicht mehr in der Gewinnsucht und im Geltungsdrang ihre Zuflucht suchen, desto eher wird die Befreiung von der Geißel des physischen Kampfes kommen. Das wirklich entscheidende Problem ist, wie ich es sehe, daß es nicht nur für die Regierungen, sondern für jeden von uns notwendig ist, in eine neue Ära des Denkens einzutreten. Was auch immer der Hintergrund unserer Erfahrung und Schulung sein mag, wir müssen die Kristallisation in jedem Aspekt unserer Leben ausschalten. Das bedeutet nicht, daß wir eine unsinnige Ungläubigkeit annehmen müßten, die der fundamentalen Basis des zivilisierten Lebens entgegenwirkt. Ich spreche von Auflösung der Kristallisation und Orthodoxie in unseren spirituellen Gedankenprozessen, so daß wir uns dem Leben und seinen mannigfachen Problemen vom höheren Standpunkt aus nähern. Auf diese Weise wird sich das innere Karma der Menschheit zeigen.

Ich bin davon überzeugt, daß wir die erste schwache Röte der Morgendämmerung einer glänzenderen Ära zu sehen beginnen, wenn der physische Krieg ausgeschaltet sein wird, und zwar nicht aus Furcht, sondern weil die moralische Kraft des Weltgewissens ein solches Ausmaß gewonnen haben wird, daß es auf den Angreifer eine viel stärkere Abschreckung ausüben würde, als der Besitz nuklearer Waffen. Das wird nicht in einigen Jahren, vielleicht nicht einmal in Jahrhunderten der Fall sein, doch die Richtung ist klar. Es ist wirklich eine ungeheure Verantwortung, der die Welt heute gegenüber steht. Aber wenn ihr die Welt gegenüber steht, bedeutet das, daß jedes menschliche Wesen, das dazu beiträgt, die gesamte Menschheit zu festigen, sich in seinem Bewußtsein ebenfalls mit dem Problem wirklich auseinandersetzen muß.

All dies mag von der ursprünglichen Frage weit entfernt erscheinen, doch dem ist nicht so. Wenn wir einen Blick auf den langen Lebensweg und den Fortschritt der Seele werfen können, so werden wir erkennen, daß der Meister unseres inneren Karmas, unser höheres Selbst, versucht hat, uns allen durch die Zyklen hindurch zu helfen, die uns innewohnende Möglichkeit zu erkennen. Sobald wir bewußt den Unterschied zwischen dem Wirken des spirituellen Willens und dem nur menschlichen und persönlichen Willen beurteilen, wird es für uns nicht mehr schwierig sein, unseren Pflichtenkreis zu erkennen. Wenn wir mit uns ehrlich sind, werden wir wissen, daß es zwei Stimmen in uns gibt, die versuchen, sich Gehör zu verschaffen: die eine ist die Stimme des Gewissens, und die andere die Stimme der Intuition. Das Gewissen ist die Stimme des Meisters des menschlichen Willens, der uns nicht sagen wird, was wir tun sollen, denn wenn er das täte, würde er uns das Recht zu wachsen nehmen. Er wird uns jedoch sagen, was wir nicht tun sollten, denn er wird, wenn wir darauf hören uns stets an die selben Fehler erinnern, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, und aus denen wir gelernt haben sollten.

Die meisten von uns haben zu wenig Vertrauen auf die Stimme der Intuition, die Stimme des spirituellen Willens, oder die Stimme der Stille. Sie spricht nicht mit Worten, aber wer von uns hat nach einem Ereignis nicht erkannt, daß wir wirklich einer Intuition folgten? Wenigstens für einen Augenblick waren wir uns des Eindrucks unseres spirituellen Willens bewußt geworden und hatten qualitativ eine Handlung und Empfindung ausgeübt, die weit über die Fähigkeit unseres menschlichen Verstandes hinausgeht und die Erfahrung öffnete ein neues Tor des Verstehens und des Schauens.

So können wir im Leben eines jeden ein beständiges Spiel zwischen dem äußeren und dem inneren Karma, der äußeren und der inneren Pflicht sehen, und wie auch immer die physische Pflicht eines Menschen sein mag, er hat immer die Pflicht seiner eigenen Seele gegenüber, und kein Diktator, oder General, kein Prinz oder Diener kann dem anderen befehlen: Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber gib Gott, was Gottes ist. Selbst der Tod auf dem Schlachtfeld ist bei der Ausübung unserer festgelegten Pflicht dem Ausweichen dieser Pflicht vorzuziehen. Denn in der Erfüllung der Pflicht liegt unsere sicherste Führung zu rechter Handlung.

Jeden Tag unserer Leben sind wir auf einem Schlachtfeld, auf dem die Kräfte des menschlichen Willens, des äußeren Karmas, die erkennbaren Kräfte des spirituellen Willens, oder des inneren Karmas, weit zu übertreffen scheinen. Doch wenn wir einst unser ganzes Wesen mit den spirituellen Kräften verbinden, so gering sie uns erscheinen mögen, und entschlossen unseren Blick in ihre Richtung lenken, dann werden wir finden, daß sie viel mächtiger und zahlreicher sind, als wir annahmen, und wir werden dann das Gebet des Sokrates verstehen: "Gib mir Schönheit der inneren Seele; und möge der äußere und der innere Mensch eins sein."