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Wie stark ist in uns die Menschlichkeit

Trotz einiger berechtigter Zweifel über die heutige Welt halten wir uns für völlig zivilisierte, moderne Menschen. Mit Stolz und einer gewissen Selbstzufriedenheit leben wir unter der zwingenden Kraft einer unerhörten wissenschaftlichen, sozialen und religiösen Revolution weiter. Wir haben es irgendwie - so meinen wir - fertig gebracht, die Ideale des Friedens, Fortschritts und der Menschlichkeit zu respektieren und zu schützen - Ideale, die die echte Grundlage dessen sind, was wir im Gegensatz zur Barbarei und Unwissenheit als Zivilisation ansehen.

Vor kurzem sahen wir nun eine dramatische Fernsehsendung, die an den Grundpfeilern unserer gesellschaftlichen Ordnung nagt. Das Spiel zeigte in erschütternder Weise, wie die Menschheit in dem ehrfurchtgebietenden Verlauf, ihre Menschlichkeit zu bewahren, auf des Messers Schneide wandelt. Es schloß die moralische Frage in sich ein: Wenn wir plötzlich und unvermeidbar in völlig andere Lebensverhältnisse, als die bisher vertrauten, gestoßen werden, wie lange würden wir dann die Regeln des menschlichen Anstands, der Zivilisation und der Kultur aufrecht erhalten?

Das Fernsehstück war nach William Golding's Geschichte "Lord of the Flies" geschrieben und schildert den Wandel, den eine Gruppe von englischen Schuljungen erlebte, die beim Ausbruch des 2. Weltkrieges evakuiert wurde. Das Flugzeug mit den Kindern stürzte ab, und die jungen Passagiere blieben seltsamerweise unverletzt, aber ohne Aufsicht von Erwachsenen, auf einer unbewohnten Insel zurück. Der schwer verletzte Pilot starb bald auf schreckliche Weise, was für die weitere Geschichte von Bedeutung ist.

Die erste Szene zeigt die Jungen im Alter von sieben bis vierzehn Jahren, wie sie, weit und breit über die Insel verstreut, aus ihren Verstecken herauskommen, in denen sie sich in ihrem ersten Schreck verborgen hatten. Sie finden sich nacheinander wieder und erkennen ihre Lage. Nach anfänglichem Durcheinander versuchen sie, ein geordnetes System zu organisieren, um ihr Leben zu retten und ihr vordringliches Problem zu lösen: einen Weg zurück zu ihrer normalen Umwelt zu finden. Die Älteren sind trotz ihrer Jugend reif genug, die missliche Lage zu verstehen und, da sie unter den soziologischen Bedingungen eines hohen kulturellen Lebens erzogen worden sind, die sie offensichtlich zu gebildeten menschlichen Wesen geformt haben, durchaus in der Lage eine Führungsschicht zu bilden und die Verantwortungen für ihr gemeinsames Wohl zu verteilen. Alle sind zunächst voller Gemeinschaftssinn und verantwortungsbewußt. Aber diese Haltung ändert sich, zuerst nicht wahrnehmbar, dann ganz offensichtlich in einer heimtückischen Form des Rückschritts zur größten Barbarei.

Der größte und anscheinend älteste Junge der Gruppe ist ein aggressiver Typ und von Natur aus ziemlich tyrannisch. Im Anfang der Bemühungen um eine Organisierung ernennt er sich rasch und eigenmächtig zum Führer einer Abteilung, die auf Jagd gehen will, um Lebensmittel heranzuschaffen. Die Rivalität zwischen ihm und dem gewählten Oberhaupt der ganzen Gemeinschaft ist von Anfang an spürbar. Er ist beleidigt, weil nicht er zum obersten Führer gewählt worden ist und kompensiert das gewaltsam, indem er die Macht der Kontrolle über ihr physisches Überleben an sich reißt.

Die Verfolgung eines Wildschweines zur Ernährung beginnt als ein Spiel mit Energie und lautem Rufen wie beim gemeinsamen Sport. Aber nachdem sie das erste Tier erlegt haben, werden sie von einem seltsamen, primitiven Instinkt aufgewühlt und die Jagd aus Notwendigkeit um Nahrung wird zum grausigen Vergnügen des Jagens, um zu töten. Die von dem sadistischen "Jagdleiter" geführte Horde ist immer mehr am Wohl der anderen desinteressiert, von denen einige anständig und vernünftig bleiben und einen Überblick für die generellen Notwendigkeiten behalten. Ein Bruch zwischen den beiden Parteien ist unvermeidbar, da zwei entgegengesetzte Einstellungen der misslichen Lage gegenüber beginnen miteinander zu wetteifern. Die einen entwickeln wilde, störrische Verhaltensformen und führen singend rasende Feuertänze auf, bevor sie auf die Jagd gehen. Die konventionelle Bekleidung wird bald aufgegeben und "Eingeborenen"-Sitten werden angenommen. Sie tragen Speere und Kriegsbemalung wie die klassischen Urmenschen der Frühzeit. Ihre kindischen Vorstellungen schaffen einige schreckliche Dinge des Aberglaubens unter anderem Sühneopfer mit barbarischen Riten. Schließlich ermordet der Jäger-"Stamm" mehrere Jungen der anderen, anständigeren Gruppe mit boshafter und unmenschlicher Genugtuung.

Das Schlußbild zeigt, wie die Entarteten den ursprünglichen Führer verfolgen, der allein standhaft blieb und nun eine einsame und bemitleidenswerte Gestalt ist. Mit einem irrsinnigen Versuch wollen sie ihr Opfer ausräuchern und in brutalem Vergnügen vernichten. Ein großer Teil der Insel steht in Flammen. Nun wird die rettende Macht des menschlichen Geistes dramatisch so dargestellt, daß zu Füßen eines weissgekleideten Ebenbildes, das aus dem Ozean erschienen ist, der atemlose Junge gerettet zusammenbricht. In Wirklichkeit ist es ein Navy captain, der anscheinend den Rauch gesehen hat und mit seiner Mannschaft landete, um die Ursache zu untersuchen. Der stumme Wechsel, der der Begegnung des humanen Menschen mit dem Wilden in Menschengestalt folgt, ist von erschütternder Beredsamkeit. Es ist die Begegnung von Gut und Böse, von Licht und Dunkelheit, von Leben und Tod. Es gibt keine Worte, nur die stumme Sprache des menschlichen Herzens. Aus dem Schrecken erwacht, löst diese Stille, als tiefe Erleichterung, die jähe Reise in fast Vergessenes ab.

Wie stark ist in uns die Menschlichkeit? Wie echt sind unsere Errungenschaften sozialen Verhaltens und wie fest das Gebände der Zivilisation? Es ist unwahrscheinlich, daß wir in der Weise geprüft werden wie die Personen dieser Geschichte. Oder wäre es möglich? Wie verläßlich beherrschen wir die Naturkräfte? Wie stabil ist die Kontrolle, die wir über unsere eigene schwache Natur haben müssen? Diese Fragen sind gerade für unsere Existenz als Körper, als biologisches-mentales-spirituelles Wesen wichtig, die wir so stolz und zufrieden mit unserem Fortschritt sind! Vielleicht sind wir von den Schuljungen gar nicht so verschieden, denn als die Führung und Überwachung klügerer Autoritäten fehlte, vergaßen sie nach und nach, wie man das tägliche menschliche Leben führt: Durch Training des Verstandes und Zusammenspiel von Geist und Tat für gemeinsames Wohl.

Der "weiße Gott", der am Rande des verborgenen Konfliktes zwischen dem Schlechtesten und dem Besten unserer Natur steht, ist die zentrale Autorität des inneren Lichtes, das im Herzen eines jeden Menschen wohnt - und in allem was ist. Es ist so zuverlässig, so beständig wie ein genauer Kompaß. Trotz aller Unbill, die im äußeren Leben auf uns einstürmen mag, kann es uns nicht vom Wege wegführen, wenn wir bewußt unsere Vorsätze einhalten und die Richtung klar und bedeutungsvoll auf die Gemeinschaft des Lebens richten. Und diese müssen wir aufrechterhalten und wachsen lassen. Von Zeit zu Zeit sollten wir dabei 'überprüfen', wo wir stehen und wohin wir als Individuen und als Rasse gehen.

Die Jungen dieser Handlung waren unter nahezu idealen Bedingungen im Geiste der Humanität erzogen worden: Eine schöne Schule mit hochgeistiger und kultureller Atmosphäre, die traditionsgemäß auf dem Besten aufgebaut war, was die Menschen zu ihrem Wohle hervorgebracht und ausgedacht haben. Kluge Lehrer vermittelten ihnen täglich Rückblick und Fortschritt, um wertvolle Menschen auf gesunder Grundlage aus ihnen zu machen: englische Schuljungen, zur Vornehmheit geschliffen durch die besten Eigenschaften, die die Gesellschaft bieten kann. Doch der Umgebung und ihren Einwirkungen entzogen, verschwand dieser Einfluß und der Rückschritt setzte ein. Der Punkt, auf den es ankommt, ist einfach zu erkennen. Jeder von uns wird jeden Augenblick durch die Qualität seiner eigenen Disziplin in Frage gestellt. Dies ist ein Vorgang, der sich bewußt und unbewußt in uns von der Zeit an entwickelt hat, wo wir uns der Verbundenheit sowohl mit der äußeren Welt und unseren Gefährten als auch mit den verschiedenen Teilen unseres inneren Seins erstmals bewußt wurden. Wir haben in unsere persönliche Sphäre der Gedanken, Gefühle und Beweggründe das aufgenommen, was immer wir als wertvoll für uns und für jene um uns angesehen haben. Einige und möglicherweise viele dieser Werte müssen überprüft und verbessert werden, um wahrhaft selbstlos und damit hilfreich zu werden für all' das, was außerhalb der Ebene unserer persönlichen Tätigkeit und unseres Nutzens liegt. Allmähliches Training zur Fairneß in Arbeit, Studium, emotioneller Reife und Kontrolle - geläutert durch etwas Leid - bestimmen und stärken das Gefüge der Selbstdisziplin, den leitenden Monitor, der die Zivilisation zu einem entwicklungsfähigen Prozeß macht.

In jedem von uns muß schließlich das vollständige Vertrauen entwickelt werden, daß der "weiße Befreier" da ist und da sein wird, unabhängig davon, wie sich die äußeren Umstände ändern, und die Dinge aus den Fugen zu geraten scheinen! Das soll kein blinder Glaube sein, sondern ein Vertrauen, das durch Erfahrungen begründet und bestärkt wird. Je mehr wir das geschehen lassen, desto klarer wird es als Gesetz des Lebens sichtbar. Vertrauen haben zu allem was kommt und es nicht fürchten; mit den Veränderungen gehen und ihnen nicht widerstehen; das Herz-Denken veredeln, so daß Vernunft durch Intuition geleitet wird. Das ist der offene Pfad nicht nur zur vom Verstand geleiteten Selbstdisziplin, sondern auch zur Erkenntnis des Selbstes, - das nicht die geringste Barbarei kennt.