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Gott-Könige Altägyptens

Wir begrenzen heute den Begriff der Monarchie auf ihren politische Aspekt. Die Anzeichen deuten indessen darauf hin, daß die Königswürde einst in einem sehr alten Drama der Seele eine bedeutende Rolle spielte. Einfache goldene Kronen - Reifen, von denen Strahlen ausgingen wie bei der Sonne - zeugten von einem erleuchteten Charakter der Träger. Die Regenten des alten Ägypten spielten zum Beispiel im nationalen Leben eine doppelte Rolle: einerseits stellten sie symbolisch Götter, kosmische Intelligenzen und Kräfte dar, die das Sonnenuniversum und die Erde schufen und erhielten. Aus diesem Grunde und nicht etwa um die Selbstgefälligkeit zu befriedigen, waren ihre Standbilder groß. Die Könige verwalteten das Land in Übereinstimmung mit der 'göttlichen Ordnung' und erledigten ihre Pflichten, wie Götter sie erfüllen würden. Andererseits waren sie auch Mustergestalten eines erleuchteten Menschen, der seine höheren menschlichen Eigenschaften zur Tätigkeit erweckt hatte. Mit anderen Worten, für die Ägypter des Altertums war das sichtbare Universum die Verkörperung von Wesenheiten verschiedenen Grades, deren Kräfte oder Energien von ihren Königen, durch die sie flossen, dargestellt wurden.

Die Geschichte der ägyptischen Dynastie beginnt mit Menes, einer ungewöhnlichen Persönlichkeit, von der man glaubt, daß sie die sich gegenseitig bekämpfenden Stämme, die zwei Hauptgruppen im Süden und Norden des Landes gebildet hatten, vereinigte. Es wird angenommen, daß durch diesen Sieg eine ungeteilte Nation geschaffen wurde, die dessenungeachtet die Erinnerung an die einstige Spaltung des Volkes dadurch wach hielt, daß sie die "Zwei Königreiche" oder "Zweigeteiltes Land" genannt wurde. Aber die Duplikation der religiösen Riten und nationalen Verwaltung der einen Hauptstadt im Norden und der anderen im Süden hatte einen ganz anderen Grund.

Von Menes wird angenommen, daß er seiner ägyptischen Zivilisation eine so feste Grundlage gab, daß sie mindestens dreitausend Jahre dauerte. Er ist sehr umstritten; selbst sein Geburtsname ist ungewiß, denn Menes ist griechisch. Manche Gelehrte glauben, daß er Hor-Aha (Horus der Kämpfer) gewesen sein kann; oder vielleicht Narmer, dessen Schild oder Wappen in seinem Motiv eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einer sumerischen Aufzeichnung hat, die vor kurzem ausgegraben wurde. Die Ära vor ihm ist durch verschiedene Spekulationen verdunkelt, denn aus dieser Vorgeschichte existiert kein Beweis, dem alle Experten beipflichten. Eines ist jedoch klar: wer immer Menes gewesen sein mag, er war kein Zauberer, der aus dem Nichts eine fertige Zivilisation schuf. Es muß schon vor seiner Regierung eine lange fruchtbare Zeit in einer vereinten Nation gegeben haben, denn es ist bekannt, daß zu seiner Zeit Künste und Wissenschaften schon in voll entwickelter Form vorhanden waren.

Moderne Ägyptologen teilen die Geschichte des Landes in acht große Perioden ein, jede mit ihrem eigenen Charakter. Bei diesen alten Ägyptern würde das ganz verständlich sein, denn sie hielten das Leben für eine zyklische Entfaltung von Energien, die mit der Schaffung unseres Universums begann, das selbst nur eines aus einer unendlichen Reihe von Universen ist. Ihre Auffassung von Geschichte war nicht wie die unsere; sie datierten jedes Ereignis vom Beginn der Regierung des einzelnen Königs an und nicht als Teil eines fortlaufenden Berichtes, angefangen mit dem Erscheinen von Menes. Dafür hatten sie einen triftigen Grund, denn sie fanden, daß auch nicht zwei Regierungen genau gleich seien, sondern, daß diese Veränderungen im Strom oder im Ausdruck kosmischer und irdischer Energien darstellten. Die verschiedenen Titel eines jeden Königs waren Kennzeichen der Bedingungen, die während seiner Verbindung mit dem Thron herrschten.

Die Autorität des Königtums war auf diese Weise in der religiösen Anschauung der Ägypter über das Universum als ein Konklave von Wesen begründet und war folglich eng mit seinem Entstehen, seinem Leben und seinem Dahinschwinden verknüpft. In ihrer Kosmologie gab es am Anfang nur "Eines", das unnennbar, weil unbeschreibbar ist. Es wurde durch die kosmische Schlange dargestellt, dem Symbol eines chaotischen Zustandes, in dem alles schläft und untätig ist. In ihm erschien der Erhabene Gott in einem subjektiven Zustand. Sein "Innerstes" meditierte und entschied, und die Kraft (Hahu) wurde angetrieben, eine "Raumblase" oder einen eiförmigen Wirbel zu schaffen, auf dem der unsichtbare Schöpfer Ptah stehen konnte. Aus ihm emanierten der Reihe nach vier Paare positiver und negativer Intelligenzen/Kräfte, von denen der uranfängliche Raum und die ursprüngliche Substanz die ersten waren. Dann waren die "Acht Großen Götter" an der Reihe. Vereinigt schufen sie die spirituellsten Aspekte des Sonnensystems, einschließlich der Wesenheit, die ihren physischen Körper zu unserer sichtbaren Sonne verdichtete. Später wurde dann die Seele der Erde (Geb) geboren; und nachdem der Globus und seine Bewohner die Lebensreise begonnen hatten, zog sich dieses Wesen zurück, um als Ordner und subjektiver Aspekt der Welt zu wirken. Er ließ Osiris als den ersten wirklichen König zurück, der von den Menschen willkommen geheißen wurde, denn er war ihr Wohltäter, der ihnen die Zivilisation brachte.

Die ägyptischen Legenden erzählen uns, daß Osiris von seinem Bruder Seth, der symbolisch die Substanz oder unsere vertraute Materie darstellt, getötet wurde. Jedoch, seine Königin, Isis oder die Natur, sammelte die verstreuten Glieder des zum Märtyrer gewordenen Gott-Königs und setzte sie wieder zusammen. Mittlerweile hatte deren Sohn Horus einen Rachekrieg gegen Seth geführt und nachdem er seinen Gegner überwältigt hatte, die Harmonie und Ordnung im Lande wieder hergestellt. Aber trotz der Bemühungen von Isis wurde Osiris kein irdischer König mehr und ihm folgte Horus als sein von den Göttern ernannter Nachfolger.

Die 'verstorbenen' Könige wurden nicht nur jeweils mit Osiris, und die regierenden Könige mit Horus in einer Weise identifiziert, wie in keiner anderen Nation, sondern das Märtyrertum und die Wiedergeburt von Osiris und der 'Sieg des Horus' waren außerdem noch Stoffe für Mysterienspiele. Man sagte, daß diese symbolischen Dramen die besten Eigenschaften in den Seelen der Anwesenden erwecken konnten. 'Osirifiziert' zu werden war daher nicht nur eine auf die Königswürde beschränkte mystische Erfahrung, sondern sie konnte jedem Menschen zuteil werden, der in solchem spirituellen Suchen erfolgreich war. In seinem Buch Myth and Symbol in Ancient Egypt (Mythe und Symbol im Alten Ägypten) gibt Rundle Clark folgende Erklärung über den Osiris-Gedanken:

In der gesamten ägyptischen Religion gibt es von den Hymnen des Pyramidenzeitalters bis zu den Theorien des Neuen Königreiches ein grundlegendes Thema. Das Leiden und der Sieg des Gottes mögen zyklische Ereignisse in der äußeren Natur oder die Theorie über das Königtum symbolisch darstellen, aber sie verkörpern auch ein Drama der Seele. Die Darstellung des Auges bedeutet das Erlangen des vollen Bewußtseins, aber auf einer anderen Ebene als der, auf der es vorher existierte - Osiris wird nicht in seiner ursprünglichen Gestalt als irdischer König wieder lebendig gemacht. Der Sieg ... befähigt den Gott, seine Seele hinaus zu senden; das heißt, eine andere und höhere Lebensform anzunehmen, den Fesseln der materiellen Dinge zu entrinnen und sich mit der Kraft zu verbinden, die sie in Bewegung setzt. Er ist der Prototyp für die Befreiung der menschlichen Seele aus der Hilflosigkeit des Todes, wie auch das Symbol für die Befreiung der Seele von ihren psychischen Hindernissen in diesem Leben. ... In seiner Verständlichkeit und nachhaltigen Vitalität war das Symbol des sterbenden und sieghaften ägyptischen Gottes vielleicht der einfallsreichste Begriff des orientalischen Altertums.

Wir können deshalb annehmen, daß die regierenden Könige von Ägypten nicht Horus genannt und ihnen 'Horus-Namen' gegeben wurden als Tribut oder aus Höflichkeit gegen eine frühere Zwietracht zwischen Gruppen, deren Sinnbild der Gott war, sondern wegen der der Mythe zu Grunde liegenden spirituellen Bedeutung. Es bestand hier auch noch eine andere Verbindung, denn so wie der griechische Eros in Wirklichkeit eine himmlische und eine irdische Gottheit war, so sahen die Ägypter zwei Aspekte in ihrem Gott. Es gab den kosmischen Horus, Sohn von Hat-Hor oder dem Raume, die älteste der Gottheiten am Anfang der Manifestation; und Horus, den Sohn von Osiris und Isis, den Erben und Sieger über Seth. In mystischer Weise war der eine Horus der Träger des anderen und der König war der Kanal für beide.

Zwischen den Regierungen von Osiris-Horus und dem ersten menschlichen König kamen jene, die als die Gefährten von Horus', seine mystischen Verbündeten, bekannt waren - wobei dieser Ausdruck in seiner ursprünglichen Bedeutung von mystikos, 'einer, der in die Mysterien eingeweiht war', gebraucht wird. Nach dieser Periode beginnt die Aufzeichnung über Menes. Es hätte keinen Sinn, die königlichen Dynastien, die folgten, im einzelnen näher zu betrachten, aber wenn wir uns kurz dem Memphite Theology zuwenden, das wenigstens bis vor kurzem als ein rein religiöses Werk betrachtet wurde, so werden wir darin den 'Entwurf' der ganzen ägyptischen Zivilisation, die auf Menes zurückführt, eingebettet finden. Denn der Text liefert die Grundlage für die Art der Nation das Leben zu betrachten, für ihre Beständigkeit, ihre Gemeinschaft und ihre Regierungsform, über die ungewöhnliche Charakteristik ihres Königtums, wie auch über ihre Theologie und Philosophie.

The Memphite Theology1 ist wirklich der älteste ägyptische Text, der bis jetzt übersetzt wurde, obgleich die uns zur Verfügung stehende Übertragung von einer neueren im achten Jahrhundert v. Chr. in Granit eingegrabenen Abschrift stammt. In seinem Hauptinhalt behandelt es die Dualität, durch die das Leben wirkt: Paare der Gegensätze, wie aktive und passive Kräfte und Eigenschaften, die in einer auf dem Gleichgewicht oder der 'göttlichen Ordnung' (Maat) beruhenden Verwandtschaft wirken. Diese Bipolaritäten offenbaren ihre Energien seit dem ersten Erscheinen des göttlichen Keimes in unserem Universum. Sie sind im König verkörpert, dessen Titel in Ausdrücken wie: "König der zwei Länder" und das "Zweifache Große Haus" (Per-aa oder Perao, der Pharao wurde) darauf hinweisen. Diese Benennungen bezogen sich nicht auf eine frühere Zeit, in der das Land geteilt und die Nation noch nicht geboren war, sondern verkündeten, daß der König der Träger von als 'Geist' und 'Materie' klassifizierten Kräften ist. Von ihm wurde angenommen, daß er sie in sich harmonisch vereinigte, so daß göttliche Ordnung herrschen und sich auf sein Volk und die Welt ergießen konnte. Ob ein Regent als Person einen unerwünschten Charakter hatte wirkte auf die Tatsache, daß des Königs Titel und manche zeremonielle Pflichten, die er ausführte, den größeren Prozeß symbolisch darstellten, nicht störend.

Diese Schrift beschreibt auch den Verlauf der Schöpfung und Ägyptens Aufgabe dabei, wie Menes sie sich vorstellte. Ptah wird der Schöpfer von allem genannt und wie es ein Kommentator ausdrückte: "In einem Argument von erstaunlicher Kühnheit und Tiefgründigkeit sind die intellektuellen Vorteile des Monotheismus" mit dem vorherrschenden Polytheismus verbunden. Vielleicht sollte man besser sagen, die Ägypter glaubten, daß Ptah als die Essenz des Göttlichen unser Universum durchdrang und die "Götter" - oder die Wesen und Energien - stufenweise in dichtere Felder der Tätigkeit emanierte, um das sichtbare System der Dinge zu schaffen. Es ist in der Tat überraschend, daß eine so konkrete Sprache, wie die der Ägypter, benützt werden konnte, die abstraktesten Gedanken auszudrücken. Diese Leistung beweist an sich den Genius als Inspirierer des Textes, wie auch jener, die viele Jahrhunderte die Begriffe zur Erforschung dieser sehr komplizierten Dinge lebendig erhielten.

Die ganze Abhandlung ist gut angeordnet und liefert die Grundlage, sich das Königtum nicht nur göttlich vorzustellen, sondern schließt auch die Nachfolge zweier Generationen in der durch Osiris und Horus gezeigten Art ein. Ferner bietet sie eine Analogie zum Verständnis der Erschaffung und des Wesens des Universums, weil der Autor die Geist/Körper Beziehungen des menschlichen Wesens benützt, um die größeren Ereignisse zu erläutern und zeigt, daß beide in Wirklichkeit einen kosmischen Prozeß darstellen. Das ist ein gewaltiger Vorsprung gegenüber der gesamten dieses Gebiet behandelnden europäischen Philosophie. Obgleich Kant zum Beispiel die gleiche Parallele feststellte, was in The Memphite Theology veröffentlicht wurde - daß die Naturgesetze, die die 'Sterne befähigen in ihren Bahnen genau die Richtung und Lage einzuhalten, auch in den Herzen der Menschen im ethischen Antrieb zur Erfüllung der Pflicht wirken - hat er nicht begriffen, daß kosmische Wesenheiten in der Nacht der Zeit dachten und handelten, wie es der Mensch tut, und dabei das Universum ins Dasein riefen und in gleicher Weise es noch leiten.

bild_sunrise_31966_s107_1Die Betonung, die im Originaltext des Memphite darin liegt, die einander entgegengesetzten Elemente in Einklang zu bringen, verleiht den Ereignissen in der Regierung eines Königs eine andere Bedeutung als jene, die wir ihnen von unserem geschichtlichen Gesichtspunkt aus beimessen würden. Die Ägypter verzeichneten soziale und Naturereignisse als Erscheinungsformen des Wirkens universaler Kräfte, die in zyklischen Perioden tätig sind. Für sie waren Störungen während irgendeiner Regierung nur Miniaturen dessen, was in den ungeheuren Reichen geschah, wo die Götter mit den Zuständen ringen, die das Wachstum verzögern oder beschleunigen. Die Wiederherstellung der Harmonie in ihrem Lande war für sie daher nicht nur der Sieg des Monarchen über irgendeinen Gegner, sondern die Glyphe eines ähnlichen Ereignisses im größeren Bereich kosmischen Geschehens. Das "Licht" war nicht immer siegreich noch wurde die Ordnung immer sofort wieder hergestellt, aber am Ende führten die Beilegungen des Streites zu einer Wiederherstellung des Gleichgewichtes. Unter einem erleuchteten König war das Königtum nicht einfach eine passive Repräsentation, sondern schloß aktive Beteiligung mit den Göttern in ihrem schöpferischen und konstruktiven Werk ein.

Bildtext: Zwei Schlangen schließen die Kosmische Form ein (die mächtige schwerfällige Form umfaßt das ganze Universum, die Grenze bilden die Schlangen der Erde und des Himmels).

Sicherlich wären jene Ägypter mit diesen großen Kenntnissen, "die die Pyramidengruppen planten und eine große zentralisierte Nation mit spiritueller Macht als Grundlage schufen", nicht damit einverstanden, sich mit "Fruchtbarkeitskulten" oder ähnlichen Banalitäten gedankenlos abzugeben, wie neuere Autoren sie ihnen zugeschrieben haben. Viel logischer ist es anzunehmen, daß sie mit Hilfe eindrucksvoller Dramen die Natur des Menschen und des Universums lehrten, so daß jene, die daran teilnahmen oder sie besuchten, ihre eigenen besten Eigenschaften entfalten konnten. So taucht aus den sagenhaften, untergegangenen Städten und den geschilderten Szenen, begraben im Sande der Zeit, ein anderer Aspekt des ägyptischen Königtums auf: Gott-Könige, die auch als "Söhne der Sonne" bekannt waren, ein Titel, der einst nur jenen verliehen wurde, die ihrem Gott-Selbst von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden hatten, ein Ereignis, das universal durch den Strahlenglanz der Sonne symbolisch dargestellt wurde. Diese alten Zeremonien bestehen nicht mehr, denn sie sind nicht mehr unmittelbar von Nutzen. Doch die Essenz ihrer Bedeutung ist immer noch wirksam und erzählt uns voll Sehnsucht nach dem Vergangenen in bildlicher Sprache von den vibrierenden und wechselnden Farben, die von den Göttern in die kosmischen Gewänder, die sie tragen, verwoben wurden.

Fußnoten

1. Zwei Bücher, die eine ausgezeichnete kurze Übersicht und einige übersetzte Stellen im Lichte neuesten Denkens über den Gegenstand geben, sind Kingship and the Gods von dem verstorbenen Professor Henri Frankfort und das oben zitierte Werk von R. T. Rundle Clark. [back]