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Religiöse Reklame

Vor einigen Jahren sah ein Mann aus unserem Bekanntenkreis bei einem Besuch in Los Angeles einen Kirchturm, über dessen Eingangstor eine große Uhr angebracht war. Es war Abend, und um das Zifferblatt angeordnet las er in hellblauer Neonschrift die Worte: ZEIT UM ZU JESUS ZU KOMMEN. Nach seiner Rückkehr in eine weniger exotische Umgebung bezeichnete der Mann diese Neonbotschaft als ein rohes Beispiel religiöser Reklame.

Dies kam mir kürzlich in den Sinn, als die Nachricht erschien, daß die Vereinigte Presbyterianer Kirche versuchsweise religiöse Radiowerbesprüche á la Madison Avenue anwenden wird. (Madison Avenue: Werbezentrum in New York. D. Ü.) Einer der gesendeten Sprüche, dem ein kurzer, die Aufmerksamkeit auf sich ziehender Dialog vorangeht, lautet etwa so: "Ist es nicht manchmal ein bißchen einsam, dort draußen ohne IHN? Warum sich quälen und es allein versuchen? Die Segnungen, die Sie verlieren, könnten Ihre eigenen sein."

Allein die Vorstellung, daß Vertreter einer Kirche so einen Unsinn - selbst für ein Teenager-Publikum - über den Äther verbreiten, wird für viele Leute indiskutabel sein. Sie neigen dazu, die ganze Sache als geschmacklos und vielleicht gotteslästerlich zu verdammen. Ist aber nicht die Frage berechtigt, ob die Kirchen, in einer Welt, die so viel auf Reklame für Waren, Dienstleistungen und Meinungen hört, nicht in dieser Weise verfahren sollen?

Die Rechtfertigung, die für die Anwendung von Funkwerbesprüchen zum "Verkauf" der Religion gegeben wird, ist zweifellos die gleiche, die für die Neon-Uhren-Botschaft gelten würde. Manche Kirchenanhänger sind überzeugt, daß die Kirchen nicht nur dazu berechtigt sind, die modernen Kommunikationsmittel zu benützen, sondern daß sie dazu sogar verpflichtet wären. Wir selbst stimmen allerdings mit dieser extremen Ansicht nicht überein. Wir finden, daß Würde und Ernsthaftigkeit leiden, wenn eine Kirche ihre Botschaft in die gleiche Sprache kleidet, mit der Desodoranzien oder Haarwaschmittel angepriesen werden. Die Angelegenheit ist jedoch zu bedeutsam, als daß sie ohne Diskussion beiseite geschoben werden kann.

- Leitartikel, News Messenger, Fremont, Ohio, 23. August 1963

 

 

 

Vielleicht würde man einem nützlichen Zweck dienen, wenn man einen Teil der Aufmerksamkeit und der Bemühungen, die auf die organisatorischen und verkaufstechnischen Probleme gerichtet sind, auf den Inhalt und auf die Verbesserung des Produktes hinlenken würde. Erst kürzlich wurde ich durch eine dröhnende, eindringliche, scheinheilige Stimme geweckt, die die Einzelheiten der schließlichen Auferstehung schilderte, und wie Gott, wenn der letzte Posaunenton erschallt, "sorgfältig den Staub aus den Gräbern der Menschheit zu netten kleinen Häufchen sammeln wird." Ich begann mich schon zu fragen, wo ich wohl sei und wie ich dorthin geraten wäre, als es mir klar wurde, daß mein Nachttisch-Radio versehentlich die ganze Nacht über eingeschaltet war! Das Sonntagmorgenprogramm im Radio, soweit es sich auf Religion bezieht, ist eine Zufallsangelegenheit, und man weiß nie, was aus dem elektronischen Glückstopf herauskommen wird. Aber man kann sicher sein, daß man an irgendeiner Stelle hören wird, wie man durch das Opfer eines anderen 'gerettet' werden kann - und das kann ich, soweit es mich betrifft, nicht abnehmen. Ich denke, wir müssen alle unser Leben verdienen, sowohl in dieser wie auch in der nächsten Welt, statt zu hoffen, mit einer Freifahrkarte durchzukommen. Wenn es so ist, daß das Paradies von lauter Menschen bevölkert ist, die beständig versuchen, etwas für nichts zu bekommen, dann möchte ich keinesfalls dort sein. Es wäre zu sehr so, wie es hier ist.

Der Begriff Religion erstreckt sich über ein umfangreiches Gebiet - es reicht vom gröbsten Aberglauben bis zu den edelsten universalen Anschauungen, die zu erfassen dem menschlichen Geist möglich sind. Wenn es stimmt, daß der Mensch nicht allein vom Brot lebt, dann ist es gleichfalls richtig, daß er nicht mit Hilfe blinden Glaubens mit dem Zug der Evolution fortschreitet. Blinder Glaube besitzt keine katalytischen Eigenschaften und ist undurchdringlich für die Tatsachen der Geschichte, der Logik und der Vernunft. Er ist vollkommen mit sich selbst zufrieden und möchte für immer so bleiben, wie er ist, ohne ein Jota der Änderung oder des Wachstums. Er ist unfähig zu begreifen, daß er unausweichlich Stück für Stück durch die Ebbe und Flut des menschlichen Denkens abgetragen werden muß. Wie Lincoln schon vor hundert Jahren darauf hinwies, "die Dogmen der stillen Vergangenheit" genügen nicht länger.

In den Reihen der Orthodoxen gibt es zahlreiche Anzeichen der zunehmenden Befürchtung, daß aus irgendeinem sonderbaren Grund die spirituellen Dividenden abnehmen und der abgepackte Glaube nicht mehr wie früher aus den kirchlichen Regalen weggeht, nicht einmal in dem Umfang, wie es der zunehmenden Bevölkerung entsprechen müßte. Es kann kaum bezweifelt werden, daß "religiöse Reklame" - trotz ihrer momentanen Anziehungskraft - die heiligsten Bestrebungen des Menschen herabsetzt, sie zu einem Gemeinplatz macht; und schließlich ist es eine wohlbekannte Tatsache, daß jedes Schlagwort seinen Reiz verliert, so, wie eine populäre Melodie durch unaufhörliche Wiederholung totgeschlagen wird.

Die konventionell Gesinnten scheinen von der Vorstellung besessen zu sein, daß alles gut sei, wenn der Name der Gottheit überall angebracht wäre: eingeprägt in die Währung, von kleinen Kindern in der Schule gemurmelt und bei jeder offiziellen Gelegenheit - zur ständigen Erinnerung, daß Gott immer noch da und am Werk ist. Sie vergessen, daß Religion an sich eine innere Erfahrung ist, und daß Scheinheiligkeit, äußere Regeln und öffentliche Gebete gerade zu den Dingen zählten, die Christus anklagte - und zwar in eindeutiger Weise. Er suchte die Menschen zu der Wirklichkeit ihrer eigenen göttlichen Potentialität zu erwecken; daß sie selbst der lebendige Tempel des Höchsten sind; daß der Vater in ihnen ist und von jedem einzelnen erwartet wird, sich durch seine eigenen Anstrengungen zu erheben. In der Religion, wie auf jedem anderen Gebiet menschlichen Strebens, erhält der Mensch, was er kraft seiner Intelligenz und seines Willens zu erlangen fähig ist. Dieser Hauptbestandteil der Lehren Jesu ist jedoch nicht nur abgeschwächt, sondern durch die theologischen Dogmen zum größten Teil zunichte gemacht worden.

Wenn die frühen Kirchenväter ein echtes Verständnis für die Mission des palästinischen Reformators besaßen, dann legen die so spät nach seinem Tode formulierten Glaubensbekenntnisse nur ein schwaches Zeugnis dafür ab. Ihre unbarmherzige Verfolgung und Ausrottung der christlich-gnostischen Gemeinschaften - von denen viele den gelehrten und philosophischen Aspekt der jungen Bewegung darstellten - drängte die Flut des christlichen Denkens hinab auf den langen, dunklen Weg des blinden Glaubens, des Aberglaubens und der Furcht. Das Schicksal der westlichen Zivilisation war dadurch für über tausend Jahre besiegelt bis zur Renaissance mit ihrer Wiederbelebung des alten Wissens, das der hellenischen Welt, und besonders Alexandria, ihre Schulen der Denker und Philosophen gab, die bisher nicht übertroffen wurden. Ja, die viel verleumdeten und falsch dargestellten Heiden waren es, die das Fundament für unsere gegenwärtige Kultur lieferten, und die Christenheit schuldet ihnen sehr viel, wie man sehen kann, wenn viele ihrer Lehren auf ihre ursprüngliche Quelle zurückgeführt werden.

Was die organisierte Religion heute nötig hat, ist nicht mehr und bessere Madison-Avenue-Werbung, ihre Produkte zu verkaufen, sondern bessere und mehr aufgeklärte Chemiker für das Laboratorium, um etwas von dem spirituellen Elixier wieder herzustellen, das seit so vielen Jahrhunderten gefehlt hat.