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Gespräche am runden Tisch: Das Plus und Minus der Reue

Frage: Ich habe in verschiedenen Büchern da und dort ziemlich viel gelesen und bin dabei auf den Ausspruch gestoßen: "Bereue nichts". Das wirkte, offen gesagt, niederdrückend auf mich, denn seit meiner Kindheit bin ich sowohl von meinen Eltern als auch in der Sonntagschule immer gelehrt worden, daß man, wenn man bemerkt, etwas Unrechtes getan zu haben, es aufrichtig bereuen und versuchen sollte, besser zu handeln. Ich kann mir nicht vorstellen, welche Gedankenrichtung uns empfehlen würde "nichts zu bereuen", denn mit welchem anderen Mittel könnte man dann einen Menschen davon zurückhalten, etwas Unrechtes zu tun, wenn er nie etwas bereut?

Antwort: Ihre Verwirrung kommt daher, daß Sie die Worte "bereue nichts" aus dem gedanklichen Zusammenhang herausgreifen. Das ist ziemlich gefährlich, weil es oft die ursprüngliche Bedeutung verzerrt. Ich denke, das Wesentliche des Gedankens, der hinter den Worten "bereue nichts" steht, wird einfach sein: verschwende keine kostbare Zeit und Energie für unnützes und fruchtloses Bedauern. Auf diese Art betrachtet ist es nicht nur gesunder Menschenverstand, sondern auch eine ausgezeichnete Philosophie.

 

Frage: Schön, das leuchtet mir ein. Aber der Ausspruch lautet einfach "bereue nichts" und das beunruhigt mich. Ich dachte an die kleinen Begebenheiten des täglichen Lebens. Wenn ich zum Beispiel jemanden gedankenlos kränken würde und mir käme das dann später zum Bewußtsein, so würde ich es bedauern und mein unmittelbarer Impuls wäre, zu sagen: "Es tut mir leid, es war nicht meine Absicht". Das würde irgendwie helfen, wieder ein Gefühl der Harmonie zwischen uns herzustellen. Wenn wir aber nichts bereuen oder nichts bedauern, wie wollen wir dann den andern wissen lassen, daß wir erkennen, einen Fehler gemacht zu haben?

Antwort: Bei der Anwendung dieses Gedankens dürfen wir ihn nicht so begrenzt auffassen und so wörtlich nehmen. Es ist klar, daß wir in unserem täglichen Verkehr mit anderen die einfachen und natürlichen Gesetze der Höflichkeit und des Benehmens befolgen sollten. Wenn wir gedankenlos daherreden und jemanden kränken, so sollte uns dies natürlich leid tun und das erste, was wir dann tun sollten, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, ist, das zum Ausdruck zu bringen und dabei zu versuchen, die Harmonie wieder herzustellen. Wenn wir die gewöhnlichen Anstandsregeln außer Acht lassen und versuchen, uns hinter diesem Grundsatz "Bereue nichts" zu verstecken, dann begehen wir einen Fehler, der viel schwerwiegender ist als die ursprüngliche gedankenlose Handlung.

In diesem Ausspruch liegt jedoch noch ein tieferer Gedanke. Selbstverständlich müssen wir ein Gefühl des Bedauerns haben, eine Reaktion auf eine unrechte Handlung spüren, wie könnten wir sonst lernen? Wie könnten wir aus unseren Fehlern Nutzen ziehen, wenn wir vergnügt eine Torheit nach der anderen begingen, und dabei unsere Fehler - und was noch wichtiger ist, die Wirkungen, die diese auf die anderen ausüben -überhaupt nicht beachten würden? Lassen Sie mich versuchen, dies vom Standpunkt der menschlichen Natur aus zu erklären: Sobald die menschliche Seele Reue fühlt, wird dieses Gefühl dem Bewußtsein unauslöschlich eingeprägt und es beginnt von diesem Augenblick an das zu stärken und aufzubauen, was wir das Gewissen nennen. So ist die Reue eine notwendige Stufe, aber sie ist eben nur eine Stufe. Die einzige Gelegenheit nun, bei der uns unser Gewissen quälen kann, ist wenn wir unrecht handeln oder wenn wir über eine falsche Gedankenrichtung oder über eine falsche Handlung, die wir früher einmal begingen, nachdenken. Unser Gewissen versetzt uns dann kleine Stiche und erinnert uns - ohne ein Wort - daran, daß wir wissen, was richtig ist. Jene frühere falsche Handlung braucht ganz und gar nicht in diesem Leben ausgeführt worden zu sein, denn das Zeitelement ist der am wenigsten wichtige Faktor. Es ist die Qualität unseres Handelns, die unserer Seele mit unfehlbarer Sicherheit eingeprägt wurde und diese warnt uns jetzt durch die Stimme des Gewissens, wenn wir dazu neigen, einer Richtung des Denkens oder des Handelns zu folgen, über die wir hinausgewachsen sein sollten.

 

Frage: Nun, müssen wir nicht Reue fühlen, damit unser Gewissen wirksam wird?

Antwort: Lassen Sie uns nicht wieder irgendeine Vorschrift oder Regel der Lebensführung zu wörtlich nehmen und dabei den Geist des Gedankens übersehen. Wenn wir alles, was wir lesen, nur wörtlich nehmen und die Worte ohne Zusammenhang anwenden, dann sind wir genau so dogmatisch und so kristallisiert, wie der orthodoxe Frömmler. "Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig."

Unser Gewissen sagt uns, was wir nicht tun sollen - das ist - gleich einer kleinen Warnglocke - seine Funktion. Es wird uns aber nie sagen, was wir tun sollen. Wenn die Reue einmal verbucht ist, dann ist es Zeit, die Regel "bereue nichts" anzuwenden, denn von diesem Punkt an wird ein weiteres Sichbeschäftigen mit unseren Irrtümern, wird das Gefühl der Trauer über unsere Fehler nur vermehrten Kummer bringen. Wir sollten die Lektion lernen und dann vorwärtsschreiten, und dabei unsere Energie dazu verwenden, andere Aspekte unserer Natur zu stärken und die richtige Haltung des Denkens und Fühlens in unser Bewußtsein einzupflanzen, damit wir aufbauen anstatt zu zerstören.

 

Frage: Könnten wir die angeführte Stelle, die diesen Ausdruck enthält, nicht alle hören? Mir ist die Sache nicht ganz klar. Alles, was bis jetzt gesagt wurde ist verständlich, aber ich für meinen Teil würde, wenn es möglich ist, gern den tieferen Sinn dieser Bemerkung erfahren.

Antwort: Haben Sie den Abschnitt bei sich? Gut. Ich will den ganzen Abschnitt vorlesen:

"Die Vergangenheit! Was ist sie? Nichts. Vorbei! Hinweg mit ihr! Du selbst bist deine eigene Vergangenheit. Deshalb steht sie als solche außer Betracht. Sie hat nur als dein gegenwärtiger Zustand Bedeutung. In dir, so wie du jetzt existierst, liegt die ganze Vergangenheit. Deshalb folge der Lehre der Hindus: 'Bereue nichts! Sei nie bekümmert und zerschlage alle Zweifel mit dem Schwerte der spirituellen Erkenntnis.' Reue erzeugt nur Irrtum. Mich kümmert es nicht, was ich oder irgendjemand anderer war. Ich schaue nur auf das, was ich in jedem Augenblick bin. Denn da jeder Moment ist und schon nicht mehr ist, muß daraus folgen, daß wir, wenn wir an die Vergangenheit denken, die Gegenwart vergessen, und durch dieses Vergessen immer mehr Zeit zur Vergangenheit machen. Deshalb bereue nichts, nicht einmal die größten Torheiten deines Lebens, denn sie sind vorbei und du hast in der Gegenwart zu arbeiten, die Vergangenheit und Zukunft zugleich ist. Mit diesem absoluten Wissen, daß alle deine Beschränkungen, seien sie aus der Vergangenheit oder aus diesem Leben, Karma entspringen und mit einem festen, immer gegenwärtigen Vertrauen auf Karma als dem einzigen Richter, das gut oder schlecht sein wird, je nachdem, wie du selbst es gestaltest, kannst du trotz der gelegentlichen Verzagtheit, die jeder fühlt, die aber das Licht der Wahrheit immer zerstreut, allem gegenübertreten und gelassen sein."

Sie sehen also, daß wir diesen Begriff des Nichtbereuens vom Standpunkt vieler Leben aus betrachten müssen, um ihn zu verstehen. Tatsächlich sollten wir unseren Horizont entsprechend erweitern, um den ganzen Umfang der Erfahrungen zu erfassen, die wir seit der Zeit des Gartens Eden gemacht haben - seit wir zu Individuen wurden, zu Männern und Frauen mit Selbstbewußtsein und freiem Willen zu wählen, was wir mit unserer neugewonnenen Erkenntnis von Gut und Böse tun sollen.

 

Frage: Nun, wenn Sie bis zu der Zeit des Gartens Eden zurückgehen -wieviele Tausende oder Millionen von Jahren sind dies? - Dann schätze ich, daß wir alles mögliche taten, von dem wir wünschen, es nicht getan zu haben! Glauben Sie, daß wir da wegen des Vergangenen Reue fühlten?

Antwort: Es ist zu hoffen, daß uns unser Gewissen genügend quälte, sobald wir erkannten, daß wir Unrecht taten, so daß wir wünschten, uns zu ändern und dieselben Irrtümer nicht wieder zu begehen. Die meisten von uns haben aber diese Irrtümer wahrscheinlich oft begangen, bis wir schließlich aus ihnen lernten. Jene Fehler waren jedoch weit davon entfernt, uns aufzuhalten, sondern wurden, wenn wir sie einmal als solche erkannt hatten, zu Sprungbrettern für den zukünftigen Fortschritt. Die physische Handlung ist nicht halb so wichtig, wie die Qualität des Bewußtseins, das eine Handlung ins Leben ruft. Ändern wir die Qualität unseres Denkens und Fühlens! Die Qualität unserer Handlungen wird sich automatisch anpassen.

 

Frage: Nehmen wir an, Sie tun etwas wirklich Schlechtes, ohne zu dieser Zeit schon zu begreifen, wie ernst die Sache ist; später aber werden Sie sich mit gewaltigem Schrecken dessen bewußt und Sie fühlen sich einfach todunglücklich. Können Sie diese Tat durch aufrichtiges Bereuen auslöschen? Gibt es so etwas wie eine "Vergebung unserer Sünden"? Ich meine, wenn es Ihnen todernst ist und Sie wünschen mit aller Macht, das Unrecht ungeschehen zu machen, können Sie den Fehler durch Reue auslöschen?

Antwort: Wenn eine Handlung einmal getan ist, kann sie nicht mehr ungeschehen gemacht werden -alle Tränen, alle Klagen und alle Reue der Welt werden an dem Soll und Haben im Hauptbuch des Lebens nichts ändern. Wie sehr uns auch später die Augen aufgehen mögen, wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen. Was geschehen ist, ist geschehen und die Handlung wird, ganz gleich, von welcher Qualität sie war, ebenso unbedingt zu einer Wirkung führen wie auch der Tag unvermeidlich auf die Nacht folgt. Das ist nicht grausam oder willkürlich. Es bedeutet einfach, daß das Naturgesetz unerbittlich gerecht und im Einblick auf das Wachstum der Seele betrachtet - unermesslich barmherzig ist. Denn durch den Schmerz, den diese Wirkung verursacht, wachsen wir, werden innerlich stark und auf diese Weise fähig, die Qualität des Gottesfunkens, den jeder von uns im Herzen trägt, vollkommener zum Ausdruck zu bringen.

Wir wollen daher nicht entmutigt sein: eben diese Erkenntnis, wie spät sie sich auch einstellen mag, wird ihre magische Transmutation in unserem Charakter bewirken. Wenn für uns die Zeit kommt, der Reaktion auf unsern Irrtum gegenüber zu stehen, dann werden wir jede Faser unserer Natur so gestärkt haben, daß wir jeglichem Geschehen, wie es auch sein mag, mit Mut und Einsicht begegnen und jene, denen wir Unrecht getan haben, um so besser entschädigen können.

 

Frage: Können wir dieser karmischen "Kettenreaktion" jemals entrinnen? Wenn ich etwas Unrechtes tue und es dann später bereue, wird das dann als Ursache und Wirkung, Ursache und Wirkung, immer wieder auf mich zurückkommen, wobei jede Wirkung wieder eine neue Ursache bildet, die mich an ihre Wirkung fesselt, so daß ich niemals entrinnen kann?

Antwort: Das ist eine vollkommen falsche Auffassung. Dieses "Gesetz des Ausgleiches" wie Emerson es nannte, dieses Gleichgewichtsgesetz ist keine grausame und unbarmherzige Reihenfolge von Ursache und Wirkung, in der es keine Hoffnung gibt, dem "Rad Karmas" zu entrinnen, wie die Hindus es nennen. Gewiß, es ist wie ein Rad, bei dem in Bewegung gesetzte Ursachen als Wirkungen auf uns zurückkommen, wenn es sich dreht. Aber das Leben ist kein geschlossener Kreis - die Evolution bewegt sich in Form einer Spirale und bei jeder Umdrehung besteht die Möglichkeit, sich auf dieser Spirale aufwärts oder abwärts zu bewegen.

Wenn eine Handlung ihre entsprechende Reaktion hervorbrachte, wenn eine Ursache zu ihrer Wirkung heranreifte, dann ist diese sie ins Leben rufende Ursache tot, sie hört auf zu sein, außer wir nehmen ihrer Wirkung gegenüber eine falsche Haltung ein und geben ihr dadurch neues Leben und neue Kraft, eine neue Ursache für eine zukünftige Rückwirkung auf uns zu werden. Das hängt alles davon ab, wie wir uns zu den Wirkungen stellen. Das ist es, was viele Studierende nicht begreifen, denn sie sind so festgefahren in der Idee, daß, da jede Ursache ihre Wirkung hat, jede Wirkung ihr eigenes Leben besitzt, das unabhängig von dem ist, was wir ihr durch unsere Reaktion auf sie geben. Das Tragische ist, daß zu viele von uns gerade das geschehen lassen, weil wir nicht gewillt sind, unserem täglichen Karma, so wie es gerade kommt, aufrecht zu begegnen. Durch diese Unentschlossenheit fangen wir uns eben weiter in dem Netz, beleben jene Wirkungen, so daß sie tatsächlich zukünftige Ursachen schaffen, deren Folgen wir wieder gegenübertreten müssen, bis wir die Lektion, die diese besondere Erfahrung erteilt, gelernt haben. Es ist unser Verhalten den Wirkungen unseres Karma's gegenüber, die neue Ursachen für neue Wirkungen schafft - nichts anderes. Solange wir jenen Wirkungen dadurch, daß wir nicht damit fertig werden, neues Leben geben, zeigt das, daß wir die Lektion noch nicht gelernt haben.

Daher ist es für uns notwendig, "übermäßige Reue" zu vermeiden und die Zweifel an unsere wirkliche Stärke mit dem Schwert spirituellen Wissens zu zerschlagen. Die Vergangenheit war, die Gegenwart ist; und da die Zukunft die Frucht unserer gegenwärtigen Handlungen sein wird, ist das, was wir jetzt tun, das Wichtigste.

Wir können deshalb begreifen, wie hinderlich es für das Wachstum der Seele ist, Energie und Zeit für unnütze und fruchtlose Reue zu verwenden; denn anstatt unsere Kräfte mit der Seite des Wachstums zu vereinen, verzögern wir unseren Fortschritt und tun weder uns selbst noch anderen damit etwas Gutes. Wenn das Unrecht einmal klar erkannt und der richtige Weg ersichtlich ist, dann wollen wir unser Antlitz der Sonne zuwenden und vorwärts marschieren in die Zukunft. Auf diese Weise werden wir Stärke und vielleicht ein wenig Weisheit besitzen, um den Wirkungen der von uns in der Vergangenheit in Bewegung gesetzten zahllosen Ursachen zu begegnen.

 

Frage: Ich nehme nicht an, daß wir nur schlechtes Karma geschaffen haben. Haben wir nicht auch einiges gutes Karma geschaffen?

Antwort: Natürlich haben wir gutes Karma geschaffen! Des Menschen beständige Existenz während zahlloser Äonen ist an sich ein glänzender Beweis für seine Göttlichkeit und die Empfänglichkeit seiner Seele für die göttlichen Eingebungen. Wir wollen jedoch nicht von "gutem" oder "schlechtem" Karma sprechen. Karma ist weder gut noch schlecht, es ist streng unpersönlich; es ist das unpersönliche Wirken des Gleichgewichtsgesetzes, das sich als Anziehung und Abstoßung, Liebe und Haß, als Ursache und Wirkung äußert. Karma ist wie die Sonne, die auf die Gerechten und Ungerechten scheint, oder wie der Regen, der auf beide fällt, die Seele in ihrem Emporklimmen nährend und erwärmend. Das Zusammentreffen mit den Wirkungen unseres früheren Denkens und Fühlens, Handelns und Entscheidens, ist weder gut noch schlecht, es ist alles nur eine Gelegenheit, eine wunderbare Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln und zu wachsen.

 

Frage: Mich beschäftigt immer noch der Ausdruck: "Bereue nichts". Glauben Sie, daß wir davor gewarnt werden, zu bereuen, um die Gefahr abzuwenden, uns so in die Reue über Dinge, die sich ereigneten, zu vertiefen, daß wir die wahre Ursache unserer Schwierigkeit nicht mehr sehen können?

Antwort: Alles hat zwei Seiten und von einem Gesichtspunkt aus betrachtet könnte die Tatsache, daß wir Reue fühlen, anzeigen, auf welcher Seite wir stehen, denn wenn wir über unsere Fehler nicht beunruhigt wären, würden wir sicherlich nicht den höheren Weg gehen. Wovor gewarnt wird, das ist das Untenbleiben im Schlamm des Bedauerns, denn unsere göttliche Möglichkeit in einer ungesunden Reue herabzuwürdigen, ist gegen den Drang der Natur nach Wachstum. Außerdem gibt es noch eine Art von Reue, die nichts anderes ist als Selbstbemitleidung, bei der man wegen eines Fehlers so außer sich gerät, daß sie zur fixen Idee wird. Das ist für die Seele sehr gefährlich, denn das erste, was Sie erkennen, wenn Sie von dieser Art des Denkens so umnebelt sind, ist, daß Sie entmutigt werden. Ein solcher Zustand der Niedergeschlagenheit kann zur Gewohnheit werden und kann, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird, zu jener verderblichen Art des Sichgehenlassens führen, die den ersten Schritt zu einem gestörten mentalen Gleichgewicht bildet.

Das ist ein Grund, warum wir keine spirituelle Energie verschwenden sollten, indem wir in der Reue verharren. Wir alle sind in unserem Urteil und selbst in unserem Motiv beständig dem Irrtum ausgesetzt. Doch deswegen brauchen wir uns nicht zu beunruhigen. Das gehört alles zum Wachstum und zur Evolution. Wenn wir niemals einen Fehler begangen hätten, wenn wir niemals einer Versuchung begegnet wären und sie hätten überwinden müssen, wie stark wären wir wohl dann? Wenn wir Unrecht tun, reagiert die Natur mitleidsvoll und wir leiden entsprechend. "Genau wie das Gold im Feuer geprüft werden muß, so muß das Herz durch Leid geprüft werden."

Die Pflicht und das Vorrecht des Menschen ist es, immer wach zu sein und zu handeln, immer bereit zu sein, "sich zu erheben und zu kämpfen", wie dem Arjuna von Krishna in der Bhagavad-Gîtâ geboten wird, und in der nie aufhörenden Schlacht sich für die Vorherrschaft des Rechtes einzusetzen. Wenn er seine Energien einmal dem Lichte zuwendet, sind seine Möglichkeiten unbegrenzt.

 

Frage: Darf ich hier eine Frage stellen? Sie ist sehr einfach, aber für mich ist sie wichtig. Wie lernen wir? Die ethischen Prinzipien wirklich in die Tat umzusetzen, scheint sehr schwierig zu sein. Wie können wir sicher sein, daß wir uns nicht selbst täuschen und denken, wir seien spirituell, während wir völlig selbstsüchtig sein können?

Antwort: Eine höchst praktische und schätzenswerte Frage, mit deren Beantwortung wir gut die Diskussion dieses Abends abschließen können. Spirituelle Erkenntnis kommt so natürlich zustande, wie die Nacht zur Dämmerung wird. Sie ist die unabwendbare Folge rechten Denkens und rechten Handelns. Sie wird nicht durch strenge, unnatürliche Methoden erzwungen, sondern kommt als das Resultat der getreuen Ausführung unserer klar beststehenden Pflicht. Wir können alles über die technischen Einzelheiten des Aufbaus des Universums studieren, aber keines dieser Dinge wird allein unsere Natur vergeistigen. Das "Besam tue dich auf" des wahren Fortschritts ist das Leben zu leben - nicht in einem oder zwei dramatischen Augenblicken, sondern während der vierundzwanzig Stunden jedes Tages. Wir lernen sowohl aus unseren Erfolgen, wie auch aus unseren Mißerfolgen. Die Mißerfolge erweisen sich oft als unsere größten Segnungen, weil sie uns aus unserer Ruhe wach rütteln. Deshalb bedauern Sie nie die Misserfolge, denn diese brennen die Wahrheit tief in die Seele ein.

Das Ineinanderspiel von Aktion und Reaktion, von Ursache und Wirkung, von natürlichem Wirken des Gesetzes des Ausgleichs von Leben zu Leben macht uns zu dem, was wir heute sind. Wir sind jetzt die Gesamtsumme unserer ganzen Vergangenheit und unser unsterblicher Teil, das reinkarnierende Element, versucht heute in natürlicher Weise die durch unsere Verbindungen und unsere Umgebung geschaffenen Verhältnisse zu benützen, um uns zu helfen, die Lektionen zu lernen, die wir brauchen. Mit dem sogenannten guten Karma, wird man oft viel schwerer fertig als mit dem sogenannten schlechten Karma, so seltsam das scheinen mag. Wenn wir unter unangenehmen Verhältnissen leiden, besinnen wir uns, um herauszufinden, wo wir gefehlt haben mögen oder wo unser Charakter ein wenig der Stärkung bedarf. Je schmerzvoller das Karma, desto klarer tritt jene Eigenschaft zu Tage, die der Korrektur bedarf. Wenn wir ihm mit Seelenstärke und Intelligenz begegnen, ist ein wirklicher Fortschritt möglich. Wenn jedoch das Karma "gut" ist, nehmen wir das zu oft als selbstverständlich hin und lassen in unserer Wachsamkeit nach. Wir neigen dann dazu, in unserer Haltung und in unseren Aspirationen zurückzugleiten. Kein Wunder, wenn der Meister Jesus seinen Jüngern gegenüber bemerkte: "Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel". Und er wies damit nicht nur auf die Reichtümer dieser Erde hin - sondern er versuchte, uns die Notwendigkeit für Wachsamkeit auf den ganzen "engen und schmalen Pfad" vor Augen zu führen.

Dazu sind wir hier beisammen, damit, wie wir hoffen, jeder von uns lernen kann, die Wegweiser der sich entfaltenden Schrift unserer Leben zu lesen und zu sehen, was das Höhere Selbst für uns zur Vollführung bestimmt. In dem Maße, wie wir darin Erfolg haben, wird die Gottheit im Innersten unseres Wesens Gelegenheit finden, glänzender in unserem Leben zu strahlen und wir werden besser mit unseren Mitmenschen teilen, was wir rechtmäßig verdient haben.